Versorgungsausschluß bei Versorgungsehe

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

04. 07. 1989


Aktenzeichen

3 AZR 772/87


Leitsatz des Gerichts

  1. Sieht eine betriebliche Versorgungsordnung den Ausschluß vom Bezug des Witwengeldes vor, "wenn der Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt", so muß der Verdacht auf objektiven und nachprüfbaren Tatsachen beruhen.

  2. Der Verdacht kann durch ebenfalls objektive und nachprüfbare Tatsachen erschüttert werden. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Versorgungsberechtigten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt von der Bekl. eine Witwenrente. Der verstorbene Ehemann der Kl. war seit 1956 bei der Bekl. beschäftigt. Er war, bevor er die Ehe mit der Kl. schloß, zweimal verheiratet und lebte seit 1981 oder 1982 mit der Kl. zusammen, die ebenfalls schon einmal verheiratet gewesen war. In den letzten Jahren hatte sich der Verstorbene nicht wohlgefühlt. Er war verschiedentlich arbeitsunfähig erkrankt und im März 1985 bei der Arbeit zusammengebrochen. Am 4. 4. 1985 wurde er erneut ins Krankenhaus eingeliefert. Zwei Tage später wurde auch die Kl. in demselben Krankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen. Am 7. 5. 1985 schlossen die Kl. und ihr verstorbener Ehemann im Krankenhaus die Ehe. Zwei Ärzte traten als Trauzeugen auf. Dem Standesbeamten, der auf ein förmliches Aufgebotsverfahren verzichtet hatte, war eine ärztliche Bescheinigung vom Vortag, dem 6. 5. 1985, vorgelegt worden, derzufolge der Verstorbene das Krankenhaus nicht verlassen konnte. Sechs Tage nach der Eheschließung, am 13. 5. 1985, verstarb der Ehemann. Die Bekl. gewährt ihren Mitarbeitern und deren Hinterbliebenen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Nach den Leistungsrichtlinien, die in einer Betriebsvereinbarung enthalten sind, stünde der Kl. eine Witwenrente in Höhe von 747,80 DM monatlich zu. Die Bekl. verweigert die Zahlung unter Hinweis auf eine Klausel in ihrer Ruhegeldordnung, nach der ein Witwengeld nicht gezahlt wird, "wenn der Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt ..." Die Kl. hat die Witwenrente für die Zeit vom 1. 8. 1985 bis zum 31. 12. 1985 als Rückstände verlangt und für die Zeit ab 1. 1. 1986 Feststellung der Zahlungspflicht der Bekl. begehrt.

ArbG und LAG haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Nach den Versorgungsrichtlinien der Bekl. kann die Zahlung einer Witwenrente verweigert werden, wenn der Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt. Die Vorinstanzen haben an die Voraussetzungen dieses Versagungsgrundes zu hohe Anforderungen gestellt; sie haben außerdem die Darlegungs- und Beweislast verkannt. ...

2. Im übrigen enthält jedoch die Versorgungsordnung der Bekl. eine von den Regeln des Beamtenrechts abweichende eigenständige Regelung. Nach ihr soll für den Ausschluß des Anspruchs auf die Witwenrente schon genügen, daß der "Verdacht einer Versorgungsehe naheliegt". Nach den Feststellungen des BerGer. sind die Merkmale dieses Ausschlußtatbestands erfüllt: Der Verdacht, daß die Ehe der Kl. überwiegend oder gar ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, ihr Versorgungsrechte zu verschaffen, liegt nahe.

a) Das BerGer. hat zu Recht darauf hingewiesen, daß "Verdacht" einen geringeren Überzeugungsgrad kennzeichnet als eine objektive Gewißheit oder eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dennoch ist "Verdacht" als regelndes Tatbestandsmerkmal in einer Betriebsvereinbarung über Versorgungsrechte nicht zu verstehen als bloß subjektive Vorstellung über die Beweggründe, die Menschen zu einer Eheschließung veranlassen. Der Verdacht muß sich auf nachvollziehbare objektive Anhaltspunkte gründen, die, wie die Versorgungsordnung sagt, es "nahelegen", daß Versorgungsgesichtspunkte ein entscheidend bestimmendes Motiv der Eheschließung gewesen sind.

b) Solche objektiven Umstände liegen hier vor:

Das BerGer. hat festgestellt, der Kl. sei bewußt gewesen, daß ihr Lebensgefährte mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung in das Krankenhaus eingeliefert worden sei; nach den Aussagen von Zeugen müsse angenommen werden, daß der Ehemann der Kl. sich bereits vorher mit Todesgedanken getragen habe. Schon dies spricht dagegen, daß der Ehemann plötzlich und unerwartet verstarb. Gegen eine solche Annahme spricht auch der weitere Ablauf des Geschehens: Der Standesbeamte wurde veranlaßt, von einem regulären Aufgebotsverfahren abzusehen; ihm wurde ein Attest vorgelegt, aus dem sich ergab, daß der Ehemann das Krankenhaus nicht verlassen konnte. Es fällt weiter auf, daß zwei Ärzte als Treuzeugen herangezogen wurden, von denen anzunehmen ist, daß es sich nicht etwa - wie üblich - um Verwandte, Freunde oder Bekannte des Ehepaares handelte, sondern um fremde Menschen. Angesichts dessen kann der sechs Tage später eingetretene Tod nicht überraschend gewesen sein.

c) Unter diesen Umständen besteht ein durch Tatsachen belegter Verdacht im Sinne der Versorgungsordnung der Bekl., daß die eilig herbeigeführte Eheschließung ganz oder überwiegend dazu diente, der Kl. als Witwe Versorgungsrechte zu verschaffen, die sie als unverheiratete Lebensgefährtin des Verstorbenen nicht gehabt hätte. Ehen werden normalerweise mit dem Ziel geschlossen, unter den rechtlichen Regeln des Eherechts auf unbestimmte Zeit miteinander zu leben. Eheschließungen auf dem Totenbett sind ungewöhnlich. Sie können durchaus auf ehrenwerten Motiven beruhen, aber die Außergewöhnlichkeit eines solchen Verhaltens legt die Frage nahe, warum die Ehe noch im Angesicht des Todes eines der Ehepartner geschlossen werden soll. Im Streitfall liegt die Frage besonders nahe. immerhin lebten die späteren Ehepartner seit 1981 oder 1982 wie Mann und Frau zusammen. Daß eine für 1983 vorgesehene Heirat an dem Tod der Schwiegermutter gescheitert sei, überzeugt wenig. Seither waren mindestens eineinhalb Jahre vergangen. Zudem ist nicht einsichtig, warum Gründe des Respekts oder der Trauer anläßlich des Todes der Schwiegermutter die rechtsförmliche Legitimierung der ohnehin längst bestehenden Beziehung gehindert haben könnten.

3. Da nach der Versorgungsordnung der Bekl. bereits ein Verdacht einer Eheschließung zu Versorgungszwecken ausreicht, Ansprüche auf eine Witwenrente auszuschließen, bleibt der Versorgungsberechtigten die Möglichkeit, den Verdacht im Einzelfall zu erschüttern. Dazu hätte die Kl. plausible Gründe dartun müssen, die es rechtfertigten anzunehmen, Versorgungsgesichtspunkte hätten bei der Heirat keine oder jedenfalls keine bestimmende Rolle gespielt. Solche Gesichtspunkte hat die Kl. nicht vorgetragen. Sie hat als einzige Begründung für eie Eheschließung auf dem Totenbett angegeben, sie und der Verstorbene hätten ihre innige Liebe nach außen dokumentieren wollen. Diese Behauptung mag zutreffen, sie gibt aber keine Antwort auf die Frage, warum diese Liebesbeziehung, wenn für sie die staatliche Anerkennung so wichtig war, nicht schon lange zur standesamtlichen Eheschließung geführt hatte und ferner, warum dann die staatliche Anerkennung der Beziehung noch eilig auf dem Totenbett des Ehemannes herbeigeführt wurde. Erschien die Erkrankung des Ehemannes, wie die Kl. behauptet hat, nicht lebensbedrohend, so hätte es nahegelegen, die Heirat zu verschieben und unter normalen Umständen, etwa im Familienkreis, nachzuholen. Dazu hat die Kl. keine Angaben gemacht. Sie hat den Verdacht einer Versorgungsehe nicht erschüttert. Die Merkmale des Ausschlußtatbestands der Versorgungsordnung der Bekl. sind daher erfüllt. Die Kl. kann keine Witwenrente verlangen. ...

Vorinstanzen

LAG Hamburg, 4 Sa 97/86, 16.03.1987

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

BetrAVG § 1; BetrVG § 77 Auslegung