Nachbarrechtlicher Anspruch auf eine ortsübliche Einfriedigung
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
23. 03. 1979
Aktenzeichen
V ZR 106/77
Der Grundstückseigentümer kann die Beseitigung oder Abänderung einer bereits vorhandenen Einzäunung jedenfalls dann verlangen, wenn sich nur unter dieser Voraussetzung sein nachbarrechtlicher Anspruch (§§ 32, 35 I NRWNachbG) auf eine ortsübliche und von der bisherigen in ihrem Erscheinungsbild wesentlich abweichende Einfriedigung verwirklichen läßt.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien waren Grundstücksnachbarn. Die Bekl. errichteten an der Grenze ihres mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks eine Einzäunung aus senkrecht aneinandergereihten Eisenbahnschwellen. Jede vierte der im übrigen ca 60 cm hohen Schwellen hat eine Höhe von etwa 1,60 m; diese erhöhten Schwellen sind mit Maschendraht verbunden. Die Einzäunung überschreitet bis zu sechs Zentimeter die Grenze zu dem Nachbargrundstück des Kl. Der Kläger hat im ersten Rechtszug von den Bekl. die Beseitigung dieser Einzäunung und statt dessen die nach dem örtlichen Bebauungsplan vorgesehene Einfriedigung aus Maschendraht verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Bekl. verurteilt, die jetzt vorhandene Einzäunung insoweit zu beseitigen, als sie auf dem Grundstück des Kl. steht, sowie den bisher an Eisenbahnschwellen befestigten Drahtzaun auf die gemeinsame Grenze zu verlegen, den Zaun an den verlangten Stahlrohren zu befestigen und in dem dazu erforderlichen Umfang die Eisenbahnschwellen zu entfernen.
Die - zugelassene - Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
… II. Das BerGer. hält die Bekl. gem. §§ 32, 35 I NRWNachbG für verpflichtet, eine ortsübliche Einfriedigung auf der Grenze zu dem Nachbargrundstück des Kl. anzubringen und die vorhandene nicht ortsübliche Einzäunung soweit zu entfernen, daß sich die verlangte Einfriedigung errichten läßt. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Nach § 32 I 1 NRWNachbG ist der Eigentümer eines bebauten Grundstücks, das - wie in diesem Falle - innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, auf Verlangen des Nachbarn zur Einfriedigung an der gemeinsamen Grenze verpflichtet. Die Einfriedigung muß ortsüblich sein (§ 35 I NRWNachbG). Sie ist auf der Grenze zu errichten (§ 36 I NRWNachbG). Der Kl. beansprucht eine derartige Einfriedigung. Im Berufungsurteil ist - von der Revision unbeanstandet - festgestellt, daß der verlangte Maschendrahtzaun und nicht die schon vorhandene Einzäunung aus senkrecht aneinandergereihten Eisenbahnschwellen die ortsübliche Art der Einfriedigung in dem Wohngebiet der Parteien ist. Festgestellt ist auch, daß die Palisadenwand nach ihrem jetzigen Standort einer Errichtung des ortsüblichen Zaunes auf der Grenze im Wege steht. Die Eisenbahnschwellen mit der daran befestigten Drahtverspannung müssen daher jedenfalls in dem Ausmaß beseitigt werden, daß sich die Einfriedigung auf der Grenze tatsächlich ermöglichen läßt. Das ist die hier notwendige Voraussetzung zur Erfüllung der nachbarrechtlichen Einfriedigungspflicht (vgl. Zimmermann-Steinke, NRWNachbG, § 35 Anm. 2 e bb, f.; Schäfer, NRWNachbG, 4. Aufl., § 32 Anm. 4, § 35 Anm. 1 a.E.; Dehner, NJW 1975, 1972, in krit. Anm. zu OLG Hamm, NJW 1975, 1035). Zutreffend ist zwar die Auffassung der Revision, daß die Vorschriften des nordrhein-westfälischen Nachbarrechtsgesetzes unmittelbar nur die Einfriedigungspflicht, nicht aber auch einen entsprechenden Beseitigungsanspruch des Grundstücksnachbarn regeln; dieser Anspruch ergibt sich indessen aus der in § 50 NRWNachbG enthaltenen Rechtsgrundverweisung auf die Vorschriften des BGB und damit auf die hier maßgebliche Bestimmung des § 1004 BGB.
Wer gegen seine gesetzliche Einfriedigungspflicht verstößt, beeinträchtigt das Eigentum des Grundstücksnachbarn in dem nachbarrechtlich geschützten Bereich. Dieser Schutzbereich umfaßt nicht nur das Recht des Eigentümers auf Erhaltung einer schon bestimmungsgemäß errichteten Einfriedigung, sondern auch seinen Anspruch, daß eine solche errichtet wird. Eine bereits vorhandene Einzäunung, welche die verlangte ortsübliche Einfriedigung auf der gemeinsamen Grenze vereitelt, ist als ein nachbarrechtswidriger Zustand gem. § 1004 BGB zu beseitigen oder so abzuändern, wie es zur Erfüllung des Einfriedigungsanspruchs nötig ist. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die schon vorhandene Einzäunung wegen ihres nicht ortsüblichen Erscheinungsbildes nur eine immaterielle Eigentumsstörung darstellt. Zwar hat der Senat wiederholt ausgesprochen, daß lediglich ästhetisch störende Vorgänge oder Zustände auf einem Grundstück dem davon betroffenen Nachbarn in der Regel keinen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB geben (NJW 1975, 170; BGHZ 54, 56 = NJW 1970, 1541); vorliegend geht es indessen um die Wahrung einer durch das Nachbarrecht besonders ausgestalteten Rechtsposition des Eigentümers, nämlich um seinen Anspruch auf eine ortsübliche Einfriedigung. Wie der Senat bereits in seinem zum Abdruck in BGHZ vorgesehenen Urteil vom 9. 2. 1979 (NJW 1979, 1408 [in diesem Heft]) entschieden hat, bildet das Erfordernis der Ortsüblichkeit nicht nur den Maßstab dafür, welche Art der Einfriedigung die Nachbarn kostenmäßig hinnehmen müssen (§ 37 I NRWNachbG); es bestimmt im beiderseitigen Interesse auch die zweckgerechte und darüber hinaus die ihnen optisch-ästhetisch zumutbare Beschaffenheit der Einfriedigung, weil gerade in bezug auf das äußere Erscheinungsbild einer Einfriedigung die Interessen der Nachbarn häufig widerstreiten und das nordrhein-westfälische Nachbarrechtsgesetz solche Streitigkeiten in angemessener. Weise ausgleichen will. Dem steht nicht entgegen, daß § 35 I 1 NRWNachbG diesen individuellen Interessenausgleich im Einklang mit den öffentlichen Belangen an einer geordneten Baugestaltung regelt.
Der Hinweis der Revision auf § 34 NRWNachbG rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wenn diese Vorschrift eine Einfriedigungspflicht für den Fall ausschließt, daß Einfriedigungen in dem betreffenden Ortsteil nicht üblich sind, so ist damit nur dem übergeordneten Allgemeininteresse an einem ungestörten. Ortsbild Rechnung getragen. Dies besagt aber nicht, daß der Eigentümer eine Einfriedigung dulden muß, die der tatsächlich ortsüblichen widerspricht. Ein dahingehender Wille des Landesgesetzgebers kann auch nicht der Regelung des § 36 IV NRWNachbG entnommen werden. Die Bedeutung dieser Vorschrift erschöpft sich in der darin vorgesehenen Ausschlußfrist für den Beseitigungsanspruch des Eigentümers eines landwirtschaftlich nutzbaren Grundstücks bei nicht abstandsgerechter Grenzscheidung des Nachbargrundstücks (§ 36 II NRWNachbG). Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung in den Fällen nicht ortsüblich oder nicht bestimmungsgemäß errichteter Einfriedigungen (§ 35 NRWNachbG) kann nicht mehr gefolgert werden, als daß der Gesetzgeber hierfür eine anspruchsbeschränkende Ausschlußfrist nicht für sachdienlich hielt. Die Schlußfolgerung der Revision, daß in diesen Fällen Beseitigungsansprüche nicht in Betracht kommen könnten, ist unvereinbar mit dem Schutzzweck der §§ 32, 35 I NRWNachbG und dem sich daraus ergebenden Recht des Eigentümers, die Herstellung einer ortsüblichen Einfriedigung auf der Grenze auch gegen den Widerstand des Nachbarn durchzusetzen.
Was schließlich die Auffassung der Revision anbelangt, der Begriff der Ortsüblichkeit sei für einen hierauf gestützten Einfriedigungs- und Beseitigungsanspruch zu unbestimmt, wo wird verkannt, daß sich dieses Merkmal auch in anderen gesetzlichen Vorschriften findet (vgl. etwa die §§ 906 II, 919 II BGB) und daß es für den Einzelfall durchaus eine nach objektiven Kriterien mögliche Inhaltsbestimmung des Anspruchs erlaubt. Dies belegt die Entscheidung des BerGer. Sie stellt eindeutig fest, daß die von den Bekl. errichtete Palisadenwand nicht die in dem Wohngebiet der Parteien übliche Einfriedigungsart ist. Eine andere Frage ist, ob etwa nur eine erhebliche Abweichung von der Ortsüblichkeit den Anspruch auf Beseitigung rechtfertigen kann. Darüber ist hier jedoch nicht zu befinden; denn es ist offensichtlich, daß sich die jetzige Einzäunung wesentlich von dem unterscheidet, was der Kl. als Einfriedigung verlangen kann (vgl. auch das erwähnte Senatsurteil vom 9. 2. 1979, NJW 1979, 1408 [in diesem Heft], bezüglich immaterieller Einwirkungen, denen eine ortsüblich angelegte Einfriedigung durch eine zusätzliche nicht ortsübliche ausgesetzt ist).
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß der Grundstückseigentümer nach § 1004 BGB, Art. 124 EGBGB, §§ 32, 35 I, 50 NRWNachbG die Beseitigung oder Abänderung einer bereits vorhandenen Einzäunung jedenfalls, dann verlangen kann, wenn sich nur unter dieser Voraussetzung sein nachbarrechtlicher Anspruch auf eine ortsübliche, von der bisherigen in ihrem Erscheinungsbild wesentlich abweichende Einfriedigung verwirklichen läßt. Demgemäß hat das BerGer. die Bekl. mit Recht verurteilt, die Eisenbahnschwellen in dem zur Errichtung des ortsüblichen Maschendrahtzauns nötigen Umfang zu entfernen und diesen Zaun auf die Grenze zu setzen.
III. Soweit das BerGer. einen Beseitigungsanspruch auch für den Teil der Palisadenwand bejaht, der sich auf dem Grundstück des Kl. befindet, mag dahinstehen, ob dieser Teil nicht ohnehin schon deshalb mitentfernt werden muß, weil er eine ortsübliche Einfriedigung auf der Grenze verhindert. Aber auch wenn der über die Grenze reichende Teil kein Hindernis für die Errichtung der verlangten Einfriedigung darstellen sollte, wovon das BerGer. ausgeht, rechtfertigt sich der Anspruch auf Beseitigung des Grenzüberbaues aus § 1004 I BGB. Das stellt die Revision nicht in Frage. Sie macht jedoch unter Hinweis auf § 251 II BGB geltend, daß die Beseitigung mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre. Diese Rüge greift nicht durch. Ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB ist ausgeschlossen, wenn er sich nur mit unverhältnismäßigen und unzumutbaren Aufwendungen erfüllen ließe. Das entspricht einem allgemeinen Rechtsgedanken, der in den §§ 251 II, 633 II 2 BGB zum Ausdruck kommt und auch auf § 1004 I BGB anzuwenden ist (BGHZ 62, 388 = NJW 1974, 1552; Senat, WM 1974, 572 [573] = MDR 1974, 571). Dies hat das BerGer. beachtet. Es hat festgestellt, daß hier eine Beseitigung „ohne großen Aufwand“ möglich sei. Dabei hat das BerGer., wie seine Ausführungen deutlich machen, auch nicht verkannt, daß es nicht bloß auf die Kostenhöhe, sondern auf eine interessengemäße Abwägung der Belange beider Parteien im Einzelfall ankommt. Wenn der Tatrichter gleichwohl allein schon im Hinblick auf den geringfügigen Beseitigungsaufwand den Anspruch des Kl. als begründet angesehen hat, ist das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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