Grenzen der Räumpflicht bei fortdauerndem Schneefall

Gericht

LG Bochum


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

15. 06. 2004


Aktenzeichen

2 O 102/04


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt im Wesentlichen Schmerzensgeld - mindestens in Höhe von 12000 Euro - sowie Schadensersatz auf Grund eines Unfalls, der sich am 6. 1. 2003 auf dem Bürgersteig vor der Zufahrt der Tiefgarage des von ihr bewohnten Hauses zugetragen hat. Die Kl. bewohnt die Eigentumswohnung des Bekl. zu 1. Die Tiefgarage gehört sämtlichen Bekl., der Tiefgarageneingang ist zugleich der Zugang zu den Häusern derselben Anschrift. Bereits in der Nacht zum 6. 1. 2003 sowie am Tage herrschte Schneefall. Vormittags gab es eine Schneepause. An diesem Tag wollte die Kl. vormittags zwischen 11 und 12 Uhr in die Tiefgarage gehen, um mit ihrem Pkw in die Stadt zu fahren. Dabei rutschte sie beim Begehen des Bürgersteigs vor der Einfahrt aus. Die Kl. trägt vor, der Bürgersteig sei glatt und nicht verkehrsgesichert gewesen. Sie habe sich bei dem Sturz - unstreitig - das rechte Handgelenk gebrochen, wodurch es zu einer dauerhaften Fehlstellung des rechten Arms gekommen sei. An materiellem Schadensersatz macht die Kl. 1319,56 Euro geltend.

Ihre Klage hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kl. hat den ihr obliegenden Beweis, dass die Bekl. ihre Streupflicht versäumt haben (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl., § 823 Rdnr. 230), nicht zu führen vermocht. Denn der Zeuge L hat bekundet, am Unfalltag bereits morgens ab 5.00 bis 5.30 Uhr angefangen zu haben, den Schnee zu räumen und auch die Gehwege abzustreuen. Er habe bis 9.00 Uhr durchgearbeitet und noch einmal um 9.30 Uhr (nach-)gestreut. Danach sei alles frei von Schnee gewesen. Etwa gegen 11.30 bis 11.35 Uhr habe er - weil es zwischenzeitlich nachgeschneit habe - noch einmal an den Stellen, an denen Schnee lag bzw. an denen es glatt war, nachgestreut. Die Kammer hat keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen zu zweifeln. (Wird ausgeführt.)

Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen O ergibt sich danach jedenfalls im hier relevanten Unfallzeitpunkt, der spätestens um 11.30 Uhr war, da der Zeuge O mit dem Transport der Kl. in das etwa 20 Minuten entfernte Krankenhaus bereits gegen 12.00 bis 12.10 Uhr wieder zurückgekehrt war, noch keine Verpflichtung des erneuten Schneeräumens bzw. Streuens. Denn der Bürgersteig war morgens intensiv geräumt und auch gestreut worden. Dies haben beide Zeugen übereinstimmend bekundet und damit das Vorbringen der Kl., der Bürgersteig sei nicht gestreut worden, widerlegt. Das Salz wirkte; dies ergibt sich aus dem Umstand, dass trotz eines gewissen Nachschneiens - unterbrochen von einer halbstündigen bis einstündigen Schneepause - sich im Unfallzeitpunkt noch keine neue Schneeschicht im eigentlichen Sinne gebildet hatte, sondern der Bürgersteig lediglich ein wenig weiß geworden war. Insoweit aber bestand noch keine Verpflichtung der sofortigen - erneuten - Schneeräumung. Dies würde die Verkehrssicherungspflichten nämlich erkennbar überstrapazieren. Denn die Bejahung einer derartigen Pflicht würde dazu führen, dass eine verkehrssicherungspflichtige, hier räum- und streupflichtige Person, an derartigen Tagen des kontinuierlichen Schneefalls mit zwischenzeitlichen Schneepausen letztlich überhaupt nicht das Haus verlassen dürfte, um gewissermaßen „im 5-Minuten-Takt“ permanent nachräumen bzw. nachstreuen zu können. Ein derartiges Verhalten kann selbstredend nicht verlangt werden. Vorliegend hat der Zeuge L unwiderlegt bekundet, noch vor dem Mittag - zeitlich offensichtlich unmittelbar nach dem Unfall der Kl. - noch einmal nachgestreut zu haben. Jedenfalls in diesem Zeitraum zwischen dem intensiven morgendlichen und dem mittäglichen Schneeräumen waren die an dem Unfalltag des 6. 1. 2003 sich im Laufe des Vormittags entwickelnden Schneeverhältnisse nicht derart gravierend, dass abweichend von dem vorgenannten Grundsatz darüber hinaus noch eine weitere zwischenzeitliche Schneeräumung erfolgen musste. Auch insoweit hat die Kammer keine Veranlassung, an der Einschätzung des Zeugen O zu zweifeln, wonach es möglich gewesen sei, bei entsprechender Vorsicht, die angesichts der erkennbaren Schneeverhältnisse von jedem Passanten gefordert werden durfte, auf dem morgens geräumten und abgestreuten Bürgersteig gefahrlos zu gehen. Der Zeuge O hat auch insoweit nachvollziehbar auf den erkennbaren Unterschied zwischen dem hier nicht relevanten Bürgersteig auf der gegenüberliegenden Straßenseite verwiesen, der überhaupt nicht geräumt worden sei, und dem geräumten und abgestreuten Bürgersteig, auf dem die Kl. - letztlich schicksalsbedingt - zu Fall gekommen ist.

Im Hinblick auf die an diesem Tage herrschenden Schneeverhältnisse konnte von den Bekl. nicht mehr verlangt werden, als der Zeuge L mit dem morgendlichen Streuen, dem Nachstreuen um 9.30 Uhr sowie unmittelbar vor der Mittagszeit ohnehin ausgeführt hat.

Rechtsgebiete

Schnee und Glatteis

Normen

BGB § 823 I