Parabolantennenentfernungspflicht des Mieters
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Beschluss über Verfassungsbeschwerde
Datum
24. 01. 2005
Aktenzeichen
1 BvR 1953/00
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Errichtung einer Parabolantenne durch Mieter einer Wohnung.
I.
1. Die Beschwerdeführerin zu 1 ist eine türkische Staatsangehörige; ihr mittlerweile verstorbener Ehemann - der Beschwerdeführer zu 2 - hatte ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit. Sie bewohnten eine Mietwohnung in Berlin, in der die Beschwerdeführerin zu 1 nach dem Tod ihres Ehemanns weiterhin wohnt. Die Wohnung ist an eine mit einem Breitbandkabelnetz verbundene Verteileranlage angeschlossen. Die Beschwerdeführer stellten zwei Parabolantennen auf dem Balkon der Wohnung auf, deren Entfernung ihre Vermieterin im Klagewege verlangte.
2. Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführer zur Entfernung der Parabolantennen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den mietvertraglichen Bestimmungen. Nach diesen dürfe der Mieter außerhalb seiner Wohnung keine eigene Antenne für Hörfunk oder Fernsehen anbringen, wenn die Wohnung an eine Gemeinschaftsantenne oder an das Breitbandkabelnetz angeschlossen sei. Nach ständiger Rechtsprechung biete das Breitbandkabelnetz eine hinreichende Auswahl an Sendern in türkischer Sprache und befriedige damit das Informationsinteresse der Beschwerdeführer unter Abwägung mit dem Eigentumsinteresse der Klägerin im Ausgangsverfahren in hinreichender Weise.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Vorliegend sei durch die Anbringung der beiden Parabolantennen keine Substanzverletzung des Gebäudes entstanden. Die Beeinträchtigung des Eigentumsrechts der Klägerin liege allenfalls im ästhetischen Bereich. Das Amtsgericht habe keine Interessenabwägung vorgenommen.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2 hat sich durch seinen Tod erledigt (vgl. BVerfGE 6, 389 <442 f.>; 12, 311 <315>).
2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
a) Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die zu erörternden Fragen zur Errichtung einer Parabolantenne bei Existenz einer Gemeinschaftsantenne oder eines Breitbandkabels schon entschieden (vgl. BVerfGE 90, 27).
b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Grundrechts erforderlich (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
aa) Es begegnet allerdings Zweifeln, ob das angegriffene Urteil der Bedeutung der grundrechtlich geschützten Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gerecht wird.
(1) Das Grundrecht der Informationsfreiheit gewährleistet das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (vgl. BVerfGE 103, 44 <60>). Hörfunk- und Fernsehsendungen gehören zu diesen Informationsquellen (vgl. BVerfGE 35, 307 <309>; 90, 27 <32>). Einen Unterschied zwischen in- und ausländischen Informationsquellen macht das Grundgesetz nicht. Allgemein zugänglich sind daher auch alle ausländischen Rundfunkprogramme, deren Empfang in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Die Einrichtung einer Parabolantenne, die den Empfang von Rundfunkprogrammen ermöglicht, welche über Satellit ausgestrahlt werden, ist von dem Grundrecht der Informationsfreiheit geschützt (vgl. BVerfGE 90, 27 <32 f.>).
(2) Die Informationsfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die miet- und eigentumsrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, durch die Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern festgelegt werden. Bei der Auslegung und Anwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe muss der wertsetzende Gehalt der Grundrechte für die Rechtsordnung zur Geltung kommen (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). In Fällen der hier vorliegenden Art ist neben dem Grundrecht der Informationsfreiheit das Grundrecht des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu berücksichtigen.
Es ist Aufgabe der Fachgerichte, der Bedeutung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des Zivilrechts Rechnung zu tragen. Dementsprechend haben sie und im Zuge der Überprüfung solcher Entscheidungen auch das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Grundsätzen zur rechtlichen Behandlung der Anbringung von Parabolantennen in Mietwohnungen entwickelt. So muss der Vermieter die Zustimmung zur Errichtung regelmäßig erteilen, wenn er keinen Kabelanschluss bereitstellt (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1992, S. 2490 <2491 f.>; vgl. auch OLG Karlsruhe, NJW 1993, S. 2815 <2816 f.>; zur Parabolantenne im Wohnungseigentum vgl. BGH, NJW 2004, S. 937 <939>), wie umgekehrt bei Verfügbarkeit eines solchen Anschlusses regelmäßig ein sachbezogener Grund zur Versagung der Genehmigung einer Parabolantenne gegeben ist (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1992, S. 2490 <2491>). Das Interesse ständig in Deutschland lebender Ausländer am Empfang von Rundfunkprogrammen ihrer Heimatländer ist bei der Abwägung zwischen den Mieter- und Vermieterbelangen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 90, 27 <36 f.>; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 9. Juni 1994 - 1 BvR 439/93 -, NJW 1994, S. 2143). Die grundlegende Bedeutung des Grundrechts auf Informationsfreiheit wird verkannt, wenn dem Eigentümerinteresse von vornherein ein Vorrang vor dem Mieterinteresse am Empfang von Rundfunkprogrammen des Heimatlandes eingeräumt wird, ohne dass dies durch besondere Umstände zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 15. Juni 1994 - 1 BvR 1879/93 -, Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM) 1994, S. 365 <366>).
Es begegnet Zweifeln, ob das beanstandete Urteil diesen Maßgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht wird. Das Amtsgericht hat dem Eigentumsinteresse der Klägerin unter bloßer Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landgerichts Berlin Vorrang eingeräumt, nach der das Breitbandkabelnetz eine hinreichende Auswahl an Sendern in türkischer Sprache biete. Den unstreitigen und durch Vorlage einer schriftlichen Mitteilung der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gestützten Vortrag der Beschwerdeführer, das Kabelnetz in ihrem Wohngebiet ermögliche nur Empfang eines türkischsprachigen Senders, hat das Amtsgericht nicht berücksichtigt.
bb) Es bedarf jedoch keiner Vertiefung dieser Mängel der Entscheidung. Denn die Verfassungsbeschwerde ist aus anderen Gründen nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ein besonders schwerer Nachteil im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG liegt nicht vor, weil deutlich abzusehen ist, dass die Beschwerdeführerin zu 1 im Falle einer Zurückverweisung an das Amtsgerichts im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. hierzu BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
(1) Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung kann dem Mieter regelmäßig zugemutet werden, die Kabelanlage statt einer Satellitenempfangsanlage zu nutzen, wenn auf diese Weise Zugang zu Programmen in der Sprache des ausländischen Mieters besteht (vgl. beispielsweise LG Lübeck, NJW-RR 1999, S. 1532; LG Ellwangen, Der Wohnungseigentümer 2000, S. 146; LG Köln, WuM 2001, S. 235; LG Wuppertal, Zeitschrift für Miet- und Raumrecht 2001, S. 747 <748>; LG Konstanz, WuM 2002, S. 210; AG Tiergarten, Grundeigentum 2000, S. 814; AG Hannover, Der Wohnungseigentümer 2004, S. 165). Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie baut darauf auf, dass der Zugang zu allgemein zugänglichen Quellen nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze gesichert ist (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu ihnen gehören die mietrechtlichen Regeln über die Anbringung einer Parabolantenne, aber auch die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, die dazu führen, dass die Nutzung einer Kabelanlage und der Bezug besonderer Programmangebote vertraglich vereinbart und gegen Entgelt vorgesehen werden kann. Die für den Bezug der Programmpakete mit weiteren ausländischen Programmen aufzubringenden Kosten sind ihrerseits bei der mietrechtlichen Prüfung eines Rechts auf Anbringung einer Parabolantenne in der Abwägung zwischen den Vermieter- und Mieterinteressen zu berücksichtigen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Abwägung zu Lasten des Mieters ausfällt, sofern die Zusatzkosten nicht so hoch sind, dass sie nutzungswillige Interessenten typischerweise davon abhalten, das Programmpaket zu beziehen.
(2) Die in Berlin wohnende Beschwerdeführerin zu 1 kann mittlerweile eine Vielzahl heimatsprachiger Fernsehsendungen empfangen, wenn sie ein zusätzliches digitales Kabelprogramm über den Kabelnetzbetreiber, die Kabel Deutschland GmbH, bezieht. Diese speist gegenwärtig in das der Beschwerdeführerin zu 1 zugängliche Breitbandkabelnetz kostenpflichtige Pakete mit zahlreichen zusätzlichen türkischsprachigen Fernsehprogrammen ein, die das hier geltend gemachte besondere Informationsinteresse befriedigen können, so dass es nicht darauf ankommt, ob über eine Parabolantenne der Empfang von weiteren türkischsprachigen Radio- und Fernsehprogrammen möglich ist. Für den Empfang dieser Programme bedarf es eines Kabel-TV-Anschlusses und eines Digital-Receivers mit einer frei geschalteten Smart-Card. Die Anschaffungskosten für einen Digital-Receiver sind ähnlich hoch wie die Kosten für die Anschaffung und die fachmännische Installation einer Parabolantenne (vgl. LG Konstanz, WuM 2002, S. 210). Zu diesen Kosten kommen monatliche Aufwendungen für den Empfang des Kabelprogramms hinzu, die sich beim Bezug eines weiteren Pakets mit digitalisierten Kabelprogrammen je nach Programmpaket erhöhen. Nach Mitteilung der Kabel Deutschland GmbH ist in Berlin zurzeit unter anderem ein Programmpaket zu empfangen, das sechs türkischsprachige Programme enthält. Seine Inanspruchnahme kostet monatlich 8 EUR. Die Aufwendung von Kosten in dieser Höhe führt typischerweise nicht dazu, dass nutzungswillige Interessenten davon abgehalten werden, ein Paket aus Programmen in der eigenen Heimatsprache zu beziehen.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
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