Rädelsführer, Scharfmacher, Luntenleger
Gericht
LG Bochum
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 04. 2005
Aktenzeichen
8 O 663/04
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
In seiner Ausgabe 44/2004 vom 25.10.2004 berichtete das bundesweit erscheinende Nachrichtenmagazin ..., dessen Verlegerin die Beklagte ist, unter der Überschrift "Klassenkampf am Band" über die im Oktober 2004 in den Bochumer Werken der Adam Opel AG erfolgte Arbeitsniederlegung von Beschäftigten aus Protest gegen geplante Entlassungen und Standortschließungen. Der Artikel beschäftigt sich auch mit der Person des Klägers, der als gewerkschaftlicher Vertrauensmann an der Arbeitsniederlegung teilgenommen hat. So heißt es im Text des Artikels:
"Kaum hatte das Management angekündigt, an den westdeutschen Standtorten Bochum, Rüsselsheim und Kaiserslautern 100.000 Arbeiter zu entlassen, schwang sich ... zum radikalen Rädelsführer des Ausstands auf. "Die Lüge vom sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau" predigte der MLPD-Mann tagelang von der Hebebühne vor dem Haupttor von Werk 1 herunter, erfordere "eine härtere Gangart". Wenn GM diese Verschärfung wolle, werde "sie die bekommen". Betriebsbedingte Kündigungen, Lohneinbußen, Verlagerungen von Betriebsteilen werde es mit ihm nicht geben. Viel mehr als die Agitationen vor Ort ärgerte die Werksleitung, daß Reichelt und Konsorten mit Beginn der Arbeitsniederlegung "Gesinnungsgenossen aus dem ganzen Bundesgebiet mobilisierten", um das Stimmungsbild vor dem Werk zu manipulieren. Als Scharfmacher ("von Sozialpartnerschaft habe ich noch nie gesprochen") gerierte sich Reichelt in der Vergangenheit auch bei Tarifverhandlungen. Erst im Frühling dieses Jahres verstieg sich der Marx-Jünger auf MLPD-Papieren allen Ernstes zu der Forderung einer "30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich". Sozialschwärmereien wie diese legen nüchterneren Kennern des "Kommunistischen Manifests" die Frage nahe: Wer beutet hier eigentlich wen aus?"(...)
Der aktuelle Arbeitsfrieden ist in der gesamten Opel-Gruppe längst nicht gesichert. Doch nirgendwo zündeln die Luntenleger so schnell wie in Bochum. In keinem anderen Werk konnten zwei Dutzend Scharfmacher eine 1000-köpfige Belegschaft radikaliseren".
Darüber hinaus befindet sich neben einem Bild des Klägers der Text:
"SCHARFMACHER
MLPD-Mann ... schürte tagelang den Zorn seiner Kollegen".
Der Kläger trägt vor, er habe zwar an der Arbeitsniederlegung teilgenommen, vor dem Tor Redebeiträge gehalten und auf Fragen von Journalisten geantwortet; er habe auch gelegentlich die Rolle des Moderators angenommen. Dies erlaube jedoch nicht, ihn als "radikalen Rädelsführer", "Scharfmacher" bzw. "Luntenleger" zu bezeichnen. Es sei nicht gerechtfertigt, ihn als Führungsfigur darzustellen, da seine Rolle sich von der zahlreicher anderer an der Arbeitsniederlegung Beteiligter nicht unterschieden habe. Beginn und Fortsetzung des Ausstandes seien von der Belegschaft stets demokraktisch durch Abstimmungen beschlossen worden. Durch die Verwendung des Begriffes "Rädelsführer" werde er als Anführer eines Aufruhrs stigmatisiert. Hierin liege eine üble Nachrede und Verleumndung im Sinne der §§ 186, 187 StGB. Die Bezeichnung als "Scharfmacher" habe per se beleidigenden Charakter. Der Hinweis auf die ihm unterstellte Parteizugehörigkeit (MLPD-Mann) stelle ebenfalls einen unzulässigen und durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht gerechtfertigten Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht dar. Die MLPD-Mitgliedschaft sei eine bloße Behauptung, für die die Beklagte keinen Beweis erbringen könne. Durch die Berichterstattung werde er bloßgestellt und in der öffentlichen Meinung herabgewürdigt. Zudem würde seine berufliche Existenz gefährdet, weil die Opel Geschäftsleitung mittlerweile fristlose Kündigungen und Abmahnungen gegenüber solchen Arbeitnehmern ausgesprochen habe, denen sie eine aktive Rolle in dem Arbeitskampf vorwerfe. Er habe keine aktive Rolle in dem Arbeitskampf gespielt und insbesondere keine dritten Gesinnungsgenossen mobilisiert. Soweit in der oben wiedergegebenen Textpassage die Einschätzung der Werksleitung wiedergegeben werde, bestreite er mit Nichtwissen, daß es sich um das Zitat einer Äußerung der Opel Werksleitung handele. Darüber hinaus habe sich die Beklagte durch die Verwendung von Anführungszeichen nicht hinreichend von dieser Aussage distanziert und sich diese damit zu eigen gemacht. Nach entsprechendem Hinweis der Kammer, daß es sich bei der diesbezüglichen Textpassage um eine nicht ehrenrührige Tatsachenbehauptung handele, die nicht mit Nichtwissen bestritten werden könne, wiederholt der Kläger sein Vorbringen, daß er keine Gesinnungsgenossen mobilisiert habe, um das Stimmungsbild vor den Werkstoren zu manipulieren. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten sei derart unsubstantiiert, daß er sich dagegen nicht "ins Blaue hinein" rechtfertigen könne und müsse. Bei den sogenannten "Gesinnungsgenossen" handele es sich um Gewerkschafter, Vertrauensleute und Betriebsräte anderer Betriebe sowie um Politiker fast aller Parteien, Kirchenvertreter, Lehrer in Begleitung von Schulklassen, Anwohner usw.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, in dem Nachrichtenmagazin ... wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen und / oder zu verbreiten:
"... und Konsorten" hätten mit Beginn der Arbeitsniederlegung bei Opel in Bochum Gesinnungsgenossen aus dem ganzen Bundesgebiet mobilisiert, um das Stimmungsbild vor dem Werk zu manipulieren,
den Kläger als "radikalen Rädelsführer des Aufstands" bei Opel Bochum und in diesem Zusammenhang als "MLPD-Mann", "Scharfmacher" und "Lunteneger" zu bezeichnen sowie
der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die im Klageantrag zu Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft gegen ihre gesetzlichen Vertreter bis zu sechs Monaten anzudrohen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe sich bei der Arbeitsniederlegung durchaus in den Vordergrund gedrängt. So habe er auf der Hebebühne hinter dem Eingangstor regelmäßig mit Mikrofon und über Lautsprecher angekündigt, was als nächstes passieren werde. Gegenüber den anwesenden Journalisten habe er Erklärungen des Inhalts abgegeben, "GM wird ein erhebliches Problem haben", "Wir haben gelernt, daß konzernweite Aktionen ein Wahnsinnserfolg sind", "Die Lüge vom sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau erfordert eine härtere Gangart" sowie "Ich habe (in Auseinandersetzungen mit meinem Arbeitgeber) noch nie von Sozialpartnerschaft gesprochen", "Wenn GM die Verschärfung will, sollen sie die bekommen". Der Kläger habe sich derart in den Vordergrund gedrängt, daß ihm von den anwesenden Journalisten die Frage gestellt worden sei, ob er nicht mit Konsequenzen rechne, nachdem sein Betrieb schon mutmaßlichen Rädelsführern mit fristloser Kündigung gedroht habe. Hierauf habe der Kläger geantwortet, daß er für sich keine Repressalien befürchte. Die Begriffe "radikaler Rädelsführer" sowie "Scharfmacher" seien durch den Schutz der Pressefreiheit gedeckt; der Kläger bestreite selbst nicht, Mitglied der MLPD zu sein. Der Begriff "Luntenleger" beziehe sich nicht auf den Kläger. Soweit es um die Textpassage "Viel mehr als die Agitation vor Ort..." gehe, stelle sie die Wiedergabe eines Zitats der Werksleitung dar. Dies sei durch die Verwendung der Anführungsstriche hinreichend deutlich geworden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Gericht überreichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger nicht zu. Der Kläger wird durch die ihn betreffende Darstellung in dem streitgegenständlichen Artikel nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Die Frage, ob eine Presseberichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen verletzt und ob deshalb ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 12 Satz 2, 862 Abs. 1 Satz 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog gegeben ist, kann nur mittels einer Abwägung der betroffenen Grundrechte, also der hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht stehenden Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz einerseits und der Meinungs-/Pressefreiheit des Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz andererseits entschieden werden.
Dabei unterfallen nicht nur Werturteile, sondern auch meinungsbezogene Tatsachenbehauptungen dem Schutzbereich des Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz (BVerfG, NJW 2000, 199, 200). Für den Umfang des Schutzes ist aber gleichwohl danach zu differenzieren, ob es sich bei der angegriffenen Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt.
Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert; gerade unabhängig von den subjektiven Auffassungen des sich Äußernden soll etwas als objektiv gegeben hingestellt werden (BVerfG, NJW 1996, 1529 ff.). Tatsachenbehauptungen können daher wahr oder unwahr sein und sind grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG, am angegebenen Ort). Insoweit gilt: Unwahre Tatsachenbehauptungen sind generell zu unterlassen, da an der Verbreitung unwahrer Behauptungen kein schutzwürdiges Interesse bestehen kann (BHG, NJW 1997, 2513). Wahre Tatsachenbehauptungen sind jedoch grundsätzlich zulässig; ihre Verbreitung ist rechtswidrig nur, wenn die Aussage entweder die Privat-, Intim- oder eine vertrauliche Sphäre betrifft und sich nicht durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt, oder wenn die Aussage einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht (Palandt-Sprau, 63. Auflage, § 823 BGB, Rdnr. 101 mit weiteren Nachweisen).
Werturteile sind dagegen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage, durch Elemente der Stellungnahme, des Meinens und Dafürhaltens gekennzeichnet (BVerfG, NJW 1996, 1529 ff.); sie können nicht auf ihren Wahrheitsgehalt im Beweisweg objektiv überprüft werden, sondern nur - gemäß dem jeweils eigenen Standpunkt - als falsch abgelehnt oder als richtig akzeptiert werden (BGH, NJW 1982, 2246; Palandt-Sprau, 63. Auflage, § 824 BGB, Rdnr. 2). Insoweit gilt: Bei Werturteilen streitet jedenfalls in Fragen von öffentlichem Interesse eine Vermutung für die Freiheit der Rede (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305). Es spielt keine Rolle, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil "richtig" ist (BVerfG, am angegebenen Ort, Seite 3304). Die abwertende Kritik darf, solange sie sachbezogen ist, scharf, schonungslos, ausfällig und polemisch sein; der Schutz der Persönlichkeit hat erst dann Vorrang, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt (BVerfG, am angegebenen Ort; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Auflage, Kapitel 42, Rdnr. 30 ff.).
Bei gemischten Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander untrennbar durchdringen (Werturteil mit Tatsachenkern), ist bei der Grundrechtsabwägung die Frage der Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, zu berücksichtigen (BVerfG, NJW 1996, 1529, 1530). Ein an sich zulässiges Werturteil ist als unzulässig anzusehen, wenn sich der darin enthaltene maßgebende Tatsachenkern als unwahr erweist und der Wertung so die Grundlage entzieht. Eine unwahre und damit nicht geschützte Tatsachenbehauptung kann dem berechtigten Begehren auf Unterlassung nicht dadurch entzogen werden, daß sie in das Gewand eines Werturteils gekleidet wird.
Für das vorliegende Verfahren bedeuten diese Grundsätze folgendes:
Bei der mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 a) von dem Kläger beanstandeten Textpassage "Reichelt und Konsorten hätten mit Beginn der Arbeitsniederlegung bei Opel in Bochum Gesinnungsgenossen aus dem gesamten Bundesgebiet mobilisiert, um das Stimmungsbild vor dem Werk zu manipulieren" handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung, nämlich die Wiedergabe einer entsprechenden Stellungnahme der Werksleitung. Der diesbezügliche Unterlassungsantrag des Klägers krankt bereits daran, daß er den betreffenden Satz des Artikels nur teilweise und damit sinnentstellend wiedergibt. Die Beklagte hat, ermittelt man den Bedeutungsgehalt der beanstandeten Textpassage ohne die von dem Kläger vorgenommenen Auslassungen, nicht selbst behauptet, der Kläger habe Gesinnungsgenossen mobilisiert, um das Stimmungsbild vor dem Werk zu manipulieren. Vielmehr gibt diese Textpassage die Stellungnahme der Leitung der Bochumer Opel-Werke wieder, und zwar teilweise durch ein durch Anführungsstriche hinreichend kenntlich gemachtes wörtliches Zitat. Ein Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung dieser Tatsachenbehauptung (daß die Geschäftsleitung sich so wie dargestellt geäußert hat), steht dem Kläger nur dann zu, wenn die Geschäftsleitung keine Stellungnahme dieses Inhalts abgegeben hätte, es sich mithin um eine unwahre Tatsachenbehauptung handeln würde. Denn die beanstandete Textpassage ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht als ehrenrührig zu qualifizieren. Wer für seine Interessen Dritte mobilisiert, handelt selbst dann nicht ehrenrührig, wenn durch diese Mobilisierung der Eindruck eines größeren Rückhalts erweckt, das Stimmungsbild damit "manipuliert" wird. Für die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Dieser Darlegungs- und Beweislast ist der Kläger trotz eines entsprechenden Hinweises der Kammer nicht nachgekommen. Er ist vielmehr dabei verblieben, die von der Beklagten behauptete Richtigkeit der Tatsachenbehauptung unzulässig mit Nichtwissen zu bestreiten und hat sich auf die nicht relevante Darlegung beschränkt, ihm gegenüber sei der Vorwurf der Manipulation unberechtigt. Hierauf kommt es jedoch, wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht an.
Das Unterlassungsbegehren ist hinsichtlich des Klageantrages zu 1 a) auch nicht deshalb begründet, weil die Beklagte sich nicht hinreichend von der wiedergegebenen Stellungnahme der Geschäftsleitung distanziert hätte. Eine Distanzierung liegt ersichtlich in der durch die Verwendung der Anführungszeichen erfolgten deutlichen Kennzeichnung der Textpassage als Zitat. Mehr kann der Kläger nicht verlangen. Insbesondere ist es nicht von Bedeutung, ob er selbst aktiv und unmittelbar Dritte zur Teilnahme an der Demonstration vor den Werkstoren bewegt hat. Mit der Wendung "Reichelt und Konsorten" kommt hinreichend zum Ausdruck, daß ein bestimmter kleiner Teil der Belegschaft gemeint ist; eine Mobilisierung kann mittelbar auch allein durch die aktive Teilnahme an der Arbeitsniederlegung erfolgen, die der Kläger selbst ebenso zugesteht, wie die von der Beklagten zitierten Äußerungen, die ebenfalls geeignet sind, Dritte mit einem vergleichbaren politischen Standpunkt zur Solidarisierung mit dem Anliegen des Klägers zu bewegen.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1 b) gilt:
Die Bezeichnung als "Luntenleger" steht schon textlich in keinerlei Zusammenhang mit dem Kläger, so daß sein diesbezüglicher Unterlassungsanspruch bereits aus diesem Grund ohne Erfolg ist.
Die Begriffe "Scharfmacher" und "radikaler Rädelsführer" stellen äußerliche Werturteile dar, die als Tatsachenkern die Behauptung beinhalten, der Kläger habe bei der Arbeitsniederlegung eine aktive Rolle gespielt. Dies ist indes unstreitig und ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers selbst, der nicht bestreitet, "vor dem Tor Redebeiträge gehalten und auf Fragen von Journalisten geantwortet sowie gelegentlich die Rolle des Moderators übernommen" zu haben. Unstreitig hat sich zwar nicht nur der Kläger in einer derartigen Weise engagiert. Durch dieses Verhalten hat der Kläger sich jedoch aus der Mehrheit der an dem Ausstand Beteiligten eindeutig herausgehoben. Es kann insbesondere nicht angenommen werden, die mehreren hundert streikenden Beschäftigten seien alle in gleicher Weise wie der Kläger aktiv geworden. Dies ist angesichts der schieren Anzahl der Teilnehmer schlicht nicht denkbar. Auch der Umstand, daß über Beginn und Fortsetzung der Arbeitsniederlegung jeweils von der gesamten Belegschaft abgestimmt wurde, besagt nichts anderes. Denn über das Geschehen außerhalb der Abstimmungen ergibt sich hieraus nichts.
Gründe für eine Unzulässigkeit der Verbreitung des Tatsachenkerns trotz seiner feststehenden Wahrheit sind hier nicht gegeben. Der Kläger ist weder in seiner Privat- noch sonst in einer vertraulichen Sphäre betroffen. Auch droht dem Kläger durch eine etwaige weitere Verbreitung kein ersichtlicher Nachteil. Insbesondere sind gegen ihn nach seinem eigenen Bekunden bis heute keinerlei arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet worden. Bereits aufgrund des Zeitablaufs sind derartige arbeitsrechtliche Konsequenzen heute nicht mehr möglich.
Ist mithin die Verbreitung des zugrunde liegenden Tatsachenkerns zulässig, so wäre nicht bloß die neutrale Bewertung des Klägers als "Anführer", von der Meinungsfreiheit gedeckt. Vielmehr gilt dies auch für die negative, abwertende Beurteilung als "radikaler Rädelsführer" und "Scharfmacher".
Daß der Kläger durch diese Bezeichnung nicht in seiner Menschenwürde betroffen, seiner Würde als Mensch entkleidet wird, steht außer Frage und wird auch von ihm selbst nicht gerügt. Es handelt sich aber auch nicht um eine Formalbeleidigung oder Schmähung. Merkmal der Schmähung ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BVerfG, NJW 1995, 3303, 3307). Die Bezeichnung ist in ihrer konkreten Verwendung in dem angegriffenen Artikel aber sachbezogen. Anders als in dem von dem OLG Braunschweig entschiedenen Fall, in dem die Bezeichnung als "Rädelsführer" ohne jede Mitteilung eines dieser Bewertung zugrunde liegenden Verhaltens des Betroffenen erfolgte (OLG Braunschweig, MMR 2001, 163, 164), liegt hier noch nicht einmal ein Grenzfall vor. Denn hier steht die Bezeichnung als "radikaler Rädelsführer" und "Scharfmacher" in klarem Zusammenhang zu der recht ausführlichen Schilderung von - unstreitig zutreffend wiedergegebenen - Ansichten und Meinungsäußerungen des Klägers.
Dem Leser des Artikels wird also offengelegt, weshalb der Verfasser den Kläger für einen "radikalen Rädelsführer" bzw. "Scharfmacher" hält. Damit wiederum wird der Leser in die Lage versetzt, sich sein eigenes Urteil über den Kläger und auch über die den Kläger betreffende Berichterstattung zu bilden, nämlich selbst zu entscheiden, ob die Bewertungen des Artikelverfassers zutreffend, mindestens nachvollziehbar oder aber fragwürdig, überzogen, polemisch, womöglich abwegig sind. Der Kläger wird durch die Bezeichnung als "Rädelsführer" auch nicht kriminalisiert. Ein gegenteiliges Verständnis wird von dem Begriff jedenfalls angesichts seiner konkreten Verwendung im Kontext des hier in Rede stehenden Artikels nicht getragen. Es ist bereits zweifelhaft, ob juristisch nicht vorgebildeten Lesern überhaupt bekannt ist, daß der Begriff in einigen Straftatbeständen des Strafgesetzbuches auftaucht. Jedenfalls aber dient der Begriff im Rahmen dieser Tatbestände nur zur Bestimmung des Grades der Beteiligung an dem jeweiligen Delikt. Anders als durch Bezeichnungen als "Dieb", "Betrüger" oder "Mörder" wird deshalb beim Leser schon nicht unmittelbar die Vorstellung einer bestimmten Straftat hervorgerufen. Hinzu kommt, daß eine Anwendung derjenigen Deliktstatbestände, bei denen das Merkmal "Rädelsführer" Verwendung findet, auf die in dem ...-Artikel beschriebenen Ereignisse in den Bochumer Opel-Werken offensichtlich unter keinerlei Gesichtspunkt auch nur ansatzweise in Betracht kommt. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus der Verwendung des Zusatzes "radikal" zu dem Begriff Rädelsführer. Der Begriff "radikal" ist nicht generell negativ besetzt. Er bezeichnet lediglich eine besonders konsequente und kompromisslose Einstellung des Betroffenen.
Schließlich kann der Kläger auch nicht die Unterlassung der Aufstellung/Verbreitung der Behauptung, er sei ein "MLPD-Mann" verlangen. Bei dieser Behauptung handelt es sich offenkundig um eine der Beweisführung zugängliche Tatsachenbehauptung. Daß diese Tatsachenbehauptung falsch ist, behauptet der Kläger indes selbst nicht. Sein Vorbringen beschränkt sich vielmehr auf die Darlegung, die Beklagte könne für seine MLPD-Mitgliedschaft, die mit seiner Bezeichnung als "MLPD-Mann" nicht einmal behauptet worden ist, keinen Beweis erbringen. Dies rechtfertigt kein Unterlassungsbegehren.
Die Klage war somit insgesamt mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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