Kein „Schmerzensgeld” im Rechtsstreit Anders ./. Bohlen

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

17. 02. 2005


Aktenzeichen

27 O 877/04


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kläger verlangt von den Beklagten wegen einer unzulässigen Buchpassage eine Geldentschädigung in Höhe von mindestens 1 Mio. €.

Der Kläger und der Beklagte zu 2. bildeten gemeinsam das Popmusikduo "Modern Talking". Unter diesem Namen arbeiteten sie von 1983 bis 1987 mit beträchtlichem kommerziellen Erfolg zusammen sowie vom Herbst 1998 bis zum Juni 2003.

Die Beklagte zu 1. ist Verlegerin des vom Beklagten zu 2. gemeinsam mit der Co-Autorin Katja Kessler verfassten Buchs "Hinter den Kulissen", in welchem es auszugsweise wie folgt heißt: ...

Am 25. September 2003 veröffentlichte die "BILD"-Zeitung den nachfolgend wiedergegebenen Vorabdruck eines Teils des Buchs: ...

Noch am selben Abend setzte sich der Kläger im Fernsehen in der "Johannes B. Kerner-Show" gegen die erhobenen Vorwürfe zur Wehr, rügte das "Hanni-und Nanni-Niveau" der Darstellungen, die Teil einer "Strategie" seien, um den Verkauf des Buchs anzuheizen (so "stern.de": "Kanalratte" gegen "arme Wurst", Anlage B 6).

Der Kläger hat die Beklagten erfolgreich vor der Kammer im einstweiligen Verfügungsverfahren sowie im Haupsacheverfahren (27 O 872/03 und 27 O 873/03) auf Unterlassung in Anspruch genommen. Mit Urteilen vom 24. Juni 2004 hat das erkennende Gericht die Beklagten unter Androhung der gesetzlichen vorgesehenen Ordnungsmittel verurteilt,

es zu unterlassen, zu behaupten/behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten/verbreiten zulassen:

"Wie viel kriminelle Energie aber wirklich in ihm steckte und wie hemmungslos und skrupellos er sein konnte, das hatte ich erst vor ein paar Monaten gecheckt. Mit seinen kleinen Grabbelfingern erwischte ich ihn nämlich in der Haushaltskasse, wo er sich auf meine Kosten fleißig bediente (...)

Da hatten sich also zwei kleine Eichhörnchen gefunden, die sich fleißig die Backentaschen voll machten und hamsterten, was sie kriegten (...). So hatten Sie gern mal ein paar tausend Mark für Suiten abgezwackt, die uns von Hotels umsonst zur Verfügung gestellt worden waren. Oder es waren Bodyguards bezahlt worden, die nie einen Body geguarded hatten. Wenn ich alles hoch rechnete, kam ich darauf, dass auf mindestens siebentausendneunhundertneunundneunzig der achttausend Kacheln im Pool von Thomas Villa auf Ibiza stand: "Inofficial Sponsor: Dieter Bohlen (...)"
Mit einem Mal wurde mir klar, wie viel Freiraum Thommy und der Tourmanager für kreative Geldgeschäfte gehabt hatten. (...)

Sagt mal ihr zwei! Wie lange habt ihr eigentlich geglaubt, mich so bescheißen zu können?

Klar, es war offensichtlich, das die beiden mich betrogen hatten."

Noch vor Zustellung der vor der Kammer am 2. Oktober 2004 erwirkten, mit einem Rückrufgebot versehenen einstweiligen Verfügungen am 7. Oktober 2004 ist das Buch Anfang Oktober 2004 in den Verkauf gelangt. Die Verfahren vor dem erkennenden Gericht bzw. die Prozesserfolge des Klägers sind in der Folge Gegenstand umfangreicher Presseberichterstattung gewesen, hinsichtlich derer auf die Anlagen B7 bis B 20 verwiesen wird.

Zeitlich einhergehend mit der Vermarktung seiner Single "Just Dream" hat der Kläger der Presse gegenüber die Einreichung der vom 18. Oktober 2004 datierenden "MiIlionenklage" angekündigt.

Der Kläger sieht sich durch die angegriffenen unwahren, ehrverletzenden Äußerungen schwerwiegend in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Beiden Beklagten fiele ein schweres Verschulden zur Last. Beweggrund auch für den in der BILD veröffentlichten Vorabdruck sei die Provozierung eines publicityträchtigen Skandals gewesen, um die Verkaufszahlen des Buchs in die Höhe zu treiben und den eigenen Gewinn zu maximieren. Unter Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Beklagten und im Hinblick auf die erforderliche Präventionswirkung hält er eine Geldentschädigung von mindestens 1 Mio. € für angemessen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an ihn eine Geldentschädigung in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe, mindestens jedoch in Höhe von € 1.000.000,00 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreiten den geltend gemachten Geldentschädigungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach. Abgesehen davon, dass es sich bei der im Buch abgegebenen Schilderung um eine auf wahren Tatsachen basierende zulässige Meinungsäußerung handele, fehle es an einem massiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Der Kläger werde mitnichten als "Schwerverbrecher" dargestellt. Schon die im Buch gewählte Sprache ("Grabbelfinger", "Haushaltskasse", "Eichhörnchen") zeige, dass es allenfalls um eine Kritik an der "Abgreifmentalität" des Klägers gehe, um "Schummeleien", nicht um den Vorwurf strafbaren Verhaltens. Zudem sei eine etwaige Beeinträchtigung durch die breite Medienberichterstattung zugunsten des Klägers bereits mehr als ausgeglichen. Von einer derart intensiven Rehabilitierung wie durch die hier erfolgte Folgeberichterstattung könnten die allermeisten "Medienopfer" nur träumen. Nicht am Kläger sei ein Makel "hängen geblieben", sondern an ihnen selbst (vgl. Presseartikel B 22 bis 30). Ein immaterieller Nachteil des Klägers aus der Buchveröffentlichung sei nicht feststellbar. Unter Einbeziehung materieller Effekte sei es sogar zu einer Überkompensation gekommen, denn die "Bohlen-Schelte" habe der Karriere des Klägers eine schon nicht mehr für möglich gehaltene positive Wendung zum Positiven gegeben. Insbesondere die klägerseits in den Medien seit dem 16. Oktober 2004 angekündigte "Millionenklage" sei für die am selben Tag startende öffentliche Vermarktung seiner neuen Single "Just Dream" und erstmals stattfindende Interpretation des Songs für die Schlittschuh-Revue "Holiday on Ice" im Fernsehen förderlich gewesen. Hinsichtlich der klägerischen Medienpräsenz in der Folge wird verwiesen auf die mit Bl. 133 bis 137 eingereichten Presseartikel.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Geld aus §§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, §§ 185 ff StGB. Die Beklagten haben mit den angegriffenen Textpassagen in dem Buch "Hinter den Kulissen" nicht in einer Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen, die eine Geldentschädigung unabweisbar macht.

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen kommt eine Geldentschädigung zum Ausgleich für erlittene Persönlichkeitsrechtsverletzungen dann in Betracht, wenn es sich um eine schwerwiegende Verletzung handelt und wenn sich die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgleichen lässt. Die Gewährung des Anspruchs auf eine Geldentschädigung findet ihre Rechtfertigung in dem Gedanken, dass der Verletzte andernfalls wegen der erlittenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts ohne Rechtsschutz und damit der vom Grundgesetz vorgesehene Schutz der Persönlichkeit lückenhaft bliebe (BGH NJW 1995, 861, 864; BVerfG NJW 1973, 1221, 1224; Kammergericht AfP 1974, 720, 721). Aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung und des Fehlens anderweitiger Ausgleichsmöglichkeiten muss dabei ein unabwendbares Bedürfnis für einen finanziellen Ausgleich bestehen (BGH LM BGB § 847 Nr. 51). Ob eine schuldhafte Verletzung des Persönlichkeitsrechts schwer ist, bestimmt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Art und Schwere der zugefügten Beeinträchtigung, dem Grad des Verschuldens sowie Anlass und Beweggrund des Handelns des Verletzers (BGH NJW 1996, 1131, 1134). Dabei kann schon ein einziger jener Umstände zur Schwere des Eingriffs führen (Kammergericht a. a. O.).

Zwar hält die Kammer an ihrer in den Unterlassungsverfahren vertretenen Auffassung fest, wonach die Beklagten dem Kläger nicht wie im streitgegenständlichen Buch geschehen zum Vorwurf machen durften, er habe sich zu Unrecht und in krimineller Weise zum Nachteil des Beklagten zu 2. bereichert; es fehlt hier jedoch am unabweisbaren Bedürfnis für eine Geldentschädigung.

Dass der Kläger sich mit "seinen kleinen Grabbelfingern in der Haushaltskasse fleißig bedient" haben und "sich als kleines Eichhörnchen die Backentaschen voll gemacht" haben soll, führt nicht zu einer derart schwerwiegenden, nicht anders ausgleichbaren Diskriminierung des Klägers. Zu berücksichtigen ist insbesondere der Standort, in dem sich die keineswegs auf einen um Ernsthaftigkeit bemühten Aufklärungsjournalismus hindeutenden Formulierungen finden, nämlich das von Prof. Dr. Karl-Heinz Ladeur, in "Die Anpassung des privaten Medienrechts an die "Unterhaltungsöffentlichkeit", NJW 2004, 393 ff., als "biografisches Klatschbuch" bezeichnete Werk des Beklagen zu 2., "welches nichts weniger ist als ein autobiografischer Text" ist. So beispielsweise Christoph Stölzl, der in dem als Anlage B 4 zur Akte gereichten "Welt"-Artikel vom 6. Oktober 2003 das Buch "Hinter den Kulissen" beschreibt als "ein Kollektivwerk, in dem sich die Mitteilungen des Unterhaltungsmusikers, die Erwartungen der Leser an sein Image, die Vorgaben der Boulevardpresse in Sachen kalkulierter Provokation, die Gesetze des Marketings auf dem Massenbuchmarkt und ein perfekt funktionierendes Ghostwritersystem so unentwirrbar vermischen, dass die individuellen Anteile kaum identifiziert werden können". und nach Ansicht der Kammer folgerichtig feststellt, dass "Bohlens Buch ein arbeitsteiliges Fließbandprodukt, absolut virtuell ist" und "Wer nach seiner "Wahrheit" oder "Unwahrheit" fragt, hat die Sache nicht verstanden." Die Kammer geht davon aus, dass der durchschnittliche Rezipient des Buchs sich dessen nicht zur Wahrheitsfindung bedient, sondern es hinnimmt als Phänomen der "neuen deutschen Massenkultur" bzw. als "Dokumentation dessen, wie es sich so denkt und daher redet auf den Umschlagplätzen der Unterhaltung, in Fernsehstudios und Musikkonzernen" (so Stölzl a.a.O.). Die "Unterhaltungsöffentlichkeit" ist gewissermaßen gewöhnt an zuspitzende und übertreibende Berichte in der Unterhaltungspresse und wertet diese auch so wie sie zu verstehen sind, als überpointierte Personality-Geschichten, die sich von den in wohlabgewogener Sprache verfassten Berichten aus Politik, Wirtschaft und Kultur unterscheiden (so OLG Köln AfP 1982, 181, 182 m.w.N.).

Wenn es dem Kläger auch nicht verwehrt werden durfte, sich in gerichtlichen Verfahren gegen die dort aufgestellten unwahren Tatsachenbehauptungen zur Wehr zusetzen, ist allerdings seinem Genugtuungsbedürfnis durch die breite Medienberichterstattung über den Erfolg seiner Bemühungen weitestgehend genüge getan worden. Dem Kläger war es weiter vergönnt in der "Johannes B. Kerner Show" in Bezug auf die klatschartigen Beschuldigungen seine Version der Geschichte zu verbreiten, wobei er sich offensichtlich im Streit von "Kanalratte" gegen "arme Wurst" eines - wenn auch nicht zu verdenkenden - ähnlich rauen Umgangstons bediente und sich wie die Beklagten auf "Hanni-und Nanni-Niveau" begab. Letzteres lässt sich jedenfalls "als eine der Unterhaltungsöffentlichkeit angemessene prozedurale Verarbeitung seines Problems betrachten" (so Ladeur a.a.O. S. 396)
Dadurch, dass die Medien unübersehbar, umfangreich, detailliert und flächendeckend über das erfolgreiche Vorgehen des Klägers gegen die Schilderungen zu seiner Person im streitgegenständlichen Buch berichteten, ist es dem Kläger, der als Unterhaltungsmusiker wie sein ehemaliger Partner und nunmehriger Kontrahent vom Medieninteresse und wettbewerbswirksamen Maßnahmen lebt, gelungen auch seinen Anteil an Aufmerksamkeit zu steigern.

Nicht außer Acht gelassen werden darf hier, dass der Kläger als Künstler der Unterhaltungsbranche anders als ein Normalbürger in der Regel die Publizität in den Medien sucht und bis zu einem gewissen Grad die dadurch mit oder ohne sein Zutun gelegentlich einhergehenden negativen Begleiterscheinungen hinzunehmen bereit ist (hierzu OLG Stuttgart NJW 1981, 2817, 2818 m.w.N.). Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass die Buchveröffentlichung und seine anschließende Präsentation in den Medien zur Steigerung seines Aufmerksamkeitswerts führten. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Rufschädigung, eingetreten allenfalls bei dem geringfügigen Teil der Leserschaft, der Bohlens Buch für bare Münze und die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe ernst nahm, kompensiert werden konnte.

Dass der Kläger sich hinsichtlich des in der BILD-Zeitung veröffentlichten Vorabdrucks nicht um eine Richtigstellung bemüht hat, lässt den Rückschluss auf sein eher geringes Genugtuungsbedürfnis zu.

Sonstige beeinträchtigende Folgen der Buchveröffentlichung hat der Kläger nicht genannt. Er hat gänzlich davon abgesehen, zu den schwerwiegenden immateriellen Schadensfolgen der Publikation vorzutragen. Im konkreten Fall kann auch nicht mit Hilfe der Lebenserfahrung oder gerichtsbekannter Umstände wenigstens von einem Mindestmaß an bestimmten Beeinträchtigungen (z.B. einem Schamgefühl, einer Peinlichkeit im Umgang mit Bekannten, Kollegen, beruflichen Schwierigkeiten usw.) ausgegangen werden (so auch OLG Stuttgart a.a.O.). Angesichts des Vortrags der Beklagten, dem der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten ist, ist davon auszugehen, dass die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Buchs gar zu einer Steigerung der - für seine weitere Karriere unerlässlichen - Bekanntheit seiner Person führte.

Nicht nur, dass der Kläger von der Buchveröffentlichung profitiert hat; durch seine gänzlich überzogene, ohne jeglichen schlüssigen Vortrag untermauerte Geldentschädigungsforderung in Millionenhöhe - zeitgleich geltend gemacht und gegenüber den Medien angekündigt mit der Präsentation seiner neuesten Single - hat er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm mit der hiesigen Klage nicht in erster Linie um den Ausgleich persönlicher Beeinträchtigungen, sondern um weiteren Aufmerksamkeitsgewinn geht.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.


Mauck Gollan Becker

Rechtsgebiete

Presserecht