Ermittlung des dem Kapitalanleger entgangenen Gewinns

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

02. 05. 2002


Aktenzeichen

III ZR 100/01


Leitsatz des Gerichts

Zur Ermittlung des dem Kapitalanleger entgangenen Gewinns (hier: Gewinn aus Spekulationsgeschäften in Aktien), wenn der Vermögensverwalter die vertraglich vereinbarte Anlagestrategie („konservativ, Wachstum“) missachtet.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Im März 1997 beauftragte der Kl. die Bekl., ein international tätiges Finanzdienstleistungsunternehmen, sein Vermögen in Aktien anzulegen. Nach dem schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrag sollte die Vermögensanlage nach folgender Konzeption erfolgen: „konservativ, Wachstum, 5% Aktienoptionen (Gewinne aus Optionsgeschäften können reinvestiert werden)“. Als Entgelt hatte der Kl. eine Erfolgsprämie in Höhe von 25% des jährlichen Wertzuwachses, der über 40% des Eigenkapitals hinausging, zu zahlen. Am 21. 4. 1997 eröffnete der Kl. bei der Bekl. ein Anlagekonto mit einem Guthaben von 215671 US-Dollar. Die Bekl. kaufte für den Kl. Optionen und investierte vor allem in Aktien, die an der NASDAQ notiert wurden. Am 6. 4. 1998 kündigte der Kl. den Vermögensverwaltungsvertrag. Die Bekl. errechnete zum 24. 4. 1998 einen Depotbestand von 147645,77 US-Dollar und zahlte dem Kl. 130639,15 US-Dollar zurück. Der Kl. macht geltend, die Bekl. habe abredewidrig mehr als 5% des Anlagekapitals in Optionen angelegt. Sie habe bei den Aktien hochspekulative Nebenwerte erworben. Bei vertragsgemäßer Anlage von 95% des Anlagekapitals in konservativ-wachstumsorientierte Aktien hätte er dieses nahezu ganz (95%) behalten und darauf einen Zuwachs von 56% erzielt. Die Bekl. müsse das verlorene Kapital und den entgangenen Gewinn ersetzen.

Das LG hat die Klage in Höhe eines Betrags von 215863,80 DM durch Teilurteil abgewiesen. Das BerGer. hat über die Klage insgesamt entschieden und dem Kl. 294524,75 DM nebst Zinsen zugesprochen. Die Revision der Bekl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Bekl. sei dem Kl. schadensersatzpflichtig, weil sie das ihr zu Anlagezwecken überlassene Vermögen des Kl. nicht entsprechend den vertraglichen Bedingungen verwaltet habe. Die vereinbarte Begrenzung der Aktienoptionen auf 5% des Anlagekapitals sei nicht eingehalten worden. Bei der Anlage in Aktien sei die Vorgabe „konservativ, Wachstum“ nicht beachtet worden. Hätte die Bekl., wie vom Kl. ausbedungen, 95% des Depots in konservativ-wachstumsorientierte Werte investiert, hätte dieser sein Anlagekapital behalten und einen Kursgewinn von 56% erzielt. Auch unter Berücksichtigung der von der Bekl. in diesem Fall verdienten Erfolgsprämie errechne sich für den Kl. ein Schaden in Höhe von (mindestens) 294524,75 DM.

II. Die Erwägungen des BerGer. halten in entscheidenden Punkten der rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Bekl. den mit dem Kl. geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrag schuldhaft verletzt hat.

a) Der Bekl. war gestattet, 5% des Anlagekapitals in Aktienoptionen zu investieren; weitere Optionsgeschäfte waren lediglich aus den Gewinnen der jeweils vorherigen Anlagen dieser Art, nicht aber aus dem restlichen Kapital zulässig. Nach den unangefochtenen Feststellungen des BerGer. hat die Bekl. von Anfang an diese Risikobegrenzung missachtet. Die Summe der Optionskäufe lag - mit einer Ausnahme - jeweils über derjenigen der Verkäufe und damit über den hieraus erzielten Gewinnen; die fehlenden Beträge wurden dem für Anlagen in Aktien bestimmten Kapital entnommen. Die weisungswidrige Ausweitung der Optionsgeschäfte geschah vorsätzlich.

b) Nach den Feststellungen des BerGer. haben die Investitionen im Aktienbereich ebenfalls nicht den vertraglichen Vereinbarungen entsprochen. Die Vermögensanlage in in- und ausländischen Wertpapieren habe einer mit „konservativ, Wachstum“ beschriebenen Anlagepolitik folgen sollen. Die Bekl. habe indes ganz überwiegend in Technologiewerte investiert, die an der Börsenplattform NASDAQ gehandelt würden und schon im Ansatz nicht als konservativ eingeordnet werden könnten. Auch die in das Portefeuille genommenen, an der New Yorker Börse (New York Stock Exchange) notierten Werte seien nicht als konservativ zu beurteilen. Gegen diese Feststellungen erhebt die Revision Verfahrensrügen; sie greifen nicht durch. Der Senat sieht gem. § 565a S. 1 ZPO von einer Begründung ab.

Das BerGer. hat die von der Bekl. bei den Investitionen in Aktien verfolgte Anlagepolitik als „grobe“, mithin von der Haftungsbeschränkung nach Nr. 5 Satz 3 des Vermögensverwaltungsvertrags nicht erfasste Vertragsverletzung beurteilt. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision hingenommen.

2. Die Revision weist jedoch mit Recht darauf hin, das BerGer. habe das Schreiben des Kl. vom 9. 9. 1997, worin er sich mit der von der Bekl. betriebenen Anlagepolitik teilweise einverstanden erklärt habe, nicht gewürdigt. Zu der danach gebotenen Auslegung ist der Senat selbst befugt, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind.

a) Der Kl. hat mit Schreiben an die Bekl. vom 9. 9. 1997 erklärt, er sei, was die getätigten Geschäfte bzw. das Anlagevolumen betreffe, „in den ersten sechs Wochen Ihrer Betreuung sehr zufrieden“ gewesen. Darin kann nicht, wie die Revisionserwiderung meint, ein bloßes „Stilmittel“ gesehen werden. Das vorangegangene Schreiben des Kl. an die Bekl. vom 30. 8. 1997 belegt, dass er ein „Zwischenfazit“ gezogen und die vertragswidrige Ausweitung der Aktienoptionen erkannt hatte. Wenn er dennoch mit dem Schreiben vom 9. 9. 1997 seine „Zufriedenheit“ mit der Vermögensverwaltung während der ersten sechs Wochen äußerte, konnte das von der Bekl. nur dahin verstanden werden, er billige die Überschreitung der für Aktienoptionen vereinbarten Grenze von 5% des Gesamtportefeuilles in der Zeit vom 21. 4. 1997 (Eröffnung des Anlagekontos) bis - sechs Wochen später - zum 2. 6. 1997.

b) Eine weitergehende Billigung der Anlagestrategie, die die Bekl. in den ersten sechs Wochen verfolgte, ist dem Schreiben des Kl. vom 9. 9. 1997 aber nicht zu entnehmen. Der Kl. konnte damals noch nicht übersehen, dass die von der Bekl. ganz überwiegend an der NASDAQ erworbenen Aktien - wegen der an dieser Börse bestehenden besonderen Risiken, wegen der unterbliebenen Diversifikation und wegen des Fehlens einer langfristigen Strategie - den vereinbarten Anlagezielen („konservativ, Wachstum“) nicht entsprachen. Dem vorgenannten Schreiben kann auch nicht entnommen werden, dass der Kl. allgemein in eine Abkehr von der vertraglichen Anlagestrategie („konservativ, Wachstum“) - hin zu einer spekulativeren Strategie - eingewilligt hätte. Ebenso wenig ist ein den Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung ausschließendes Einverständnis darin zu sehen, dass der Kl. die Depotauszüge der Bekl. („Brokerage Account Statement“), denen die An- und Verkäufe sowie die prozentuale Aufteilung der „Assets“ in „Cash Balance“, „Stocks, Rights, Warrants“, „Options“ zu entnehmen waren, zunächst widerspruchslos zur Kenntnis nahm (vgl. BGH, NJW 1995, 1225 = LM H. 6/1995 EGÜbK Nr. 52 = BGHR BGB § 826 Churning 1).

c) Ist davon auszugehen, dass der Kl. die Überschreitung der Marge für Aktienoptionen (5% des Anlagekaptials) für die Zeit vom 21. 4. 1997 bis zum 2. 6. 1997 genehmigte, kann die Schadensberechnung des BerGer. nicht bestehen bleiben. Denn sie legt zu Grunde, dass während der gesamten Dauer der Vermögensverwaltung (21. 4. 1997 - 24. 4. 1998) 95% des Anlagekapitals (= 204887,45 US-Dollar) in Aktien hätten angelegt sein müssen. Der Kl. kann nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn die Bekl. während der ersten sechs Wochen des Vertrags (21. 4. 1997 - 2. 6. 1997) den tatsächlich nicht für Aktienoptionen verwandten Teil des Anlagekapitals (215671 US-Dollar abzüglich des genehmigten Anteils für Aktienoptionen) und danach (3. 6. 1997 - 24. 4. 1998) 95% des Anlagekapitals nach der vereinbarten Anlagestrategie „konservativ, Wachstum“ in Aktien investiert hätte.

3. Das BerGer. hat sachverständig beraten den Gewinn, der dem Kl. entgangen sein soll, gem. den § 252 BGB, § 287 ZPO nach der Kursentwicklung geschätzt, die der Fonds A der I genommen hatte. Der Fonds A habe eine Anlagekonzeption gehabt, die derjenigen, die die Parteien vereinbart haben, weitgehend entsprochen habe, und damit in der Zeit von April 1997 bis April 1998 ein Plus von 56% des Anlagekapitals erzielt. Diese Schadensbemessung wird von den Feststellungen des BerGer. nicht getragen.

a) Zu Recht hat das BerGer. allerdings nicht ein durchschnittliches, sondern das - außerordentlich gute - Börsenjahr 1997 zu Grunde gelegt. Denn es ging gerade um den Gewinn, den der Kl. in der Zeit von April 1997 bis April 1998 - bei vertragsgerechter Anlagepolitik - gemacht hätte.

b) Gemäß § 252 S. 2 BGB gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dazu kann auch der Gewinn aus Spekulationsgeschäften in Aktien gehören (vgl. BGH, NJW 1983, 758 = LM § 252 BGB Nr. 31, und NJW 2002, 2553 [in diesem Heft]). Der Geschädigte muss lediglich die Umstände dartun und beweisen, aus denen sich mit Wahrscheinlichkeit ergibt, dass er einen solchen Gewinn erzielt hätte.

Im Streitfall ist für die Schadensberechnung zu Grunde zu legen, dass die Bekl. bei vertragsgerechtem Verhalten während der ersten sechs Wochen des Vermögensbetreuungsvertrags den nach den genehmigten Optionsgeschäften verbliebenen Teil des Anlagekapitals, danach bis zur Schließung des Depots am 24. 4. 1998 95% des Anlagekapitals in konservativ-wachstumsorientierte Aktien investiert hätte. Solche Aktien hätten - die Zulässigkeit des Vergleichs mit dem Fonds A von I unterstellt (vgl. dazu im Folgenden unter c) - in der Zeit von April 1997 bis April 1998 einen Kursgewinn von 56% erzielt. Bei der Prüfung, ob nach den besonderen Umständen des Falls ein Gewinn mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 S. 2 BGB), kam es aber nicht nur auf die Kurse am 21. 4. 1997 (Eröffnung des Depots) und 24. 4. 1998 (Schließung des Depots), sondern auch auf die zwischenzeitliche und die weitere Kursentwicklung an (vgl. BGH, NJW 1983, 758 = LM § 252 BGB Nr. 31).

c) Das BerGer. hat die Kursentwicklung des Fonds A der I zum Anhaltspunkt für den - fiktiven - Depotwert genommen, den die Bekl. von April 1997 bis April 1998 bei vertragsgemäßer konservativ-wachstumsorientierter Anlagepolitik erwirtschaftet hätte. Nach den derzeitigen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Vergleich nicht sachgerecht ist. Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass es hier um die Betreuung eines Einzeldepots, nicht um die Beteiligung an einem Fonds ging. Die voraussichtliche Wertentwicklung eines Einzeldepots kann nicht ohne weiteres mit derjenigen eines Fonds gleichgesetzt werden, wovon das BerGer. aber ausgegangen ist. Ein Fonds kann auf Grund des größeren Anlagekapitals anders diversifizieren und damit Risiken ausgleichen als ein Einzeldepot, das im Fall des Kl. ein Anfangskapital von 215671 US-Dollar hatte. Möglicherweise kann ein Fonds zudem auf Grund seiner starken Marktmacht günstigere Bedingungen beim An- und Verkauf der Wertpapiere erreichen. Diese - jedenfalls für die rechtliche Prüfung zu Grunde zu legenden - Vorteile der Fondsverwaltung müssten bei einem Vergleich der Gewinnentwicklung eines Fonds einerseits, eines nach der gleichen Anlagekonzeption geführten Einzeldepots andererseits berücksichtigt werden, gegebenenfalls durch einen nach § 287 ZPO zu schätzenden pauschalen Abschlag.

III. Erreicht der von dem BerGer. nach den vorbeschriebenen Grundsätzen neu ermittelte Schaden (Verlust bei dem für Aktien vorgesehenen Anlagekapital, entgangener Gewinn) nicht die Klagesumme, ist zu prüfen, ob dem Kl. - auf positive Vertragsverletzung und § 826 BGB (i. V. mit §§ 31 , 831 BGB) gestützte - Schadensersatzansprüche wegen Churnings zustehen (vgl. BGH, NJW 1995, 1225 = LM H. 6/1995 EGÜbK Nr. 52 = BGHR BGB § 826 Churning 1, und Senat, NJW-RR 2000, 51 = LM H. 4/2000 KWG Nr. 19 = BGHR BGB § 826 Churning 2). Der Kl. hat geltend gemacht, die Bekl. habe die Aktien viel zu häufig ge- und verkauft; ihre Vermögensverwaltung sei ein unsystematisches „Herumgezocke“ mit dem Ziel der Spesenschinderei gewesen. Das BerGer. hat Feststellungen, die bei konkreter Schadensberechnung einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher Vertragsverletzung und sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung dem Grunde nach rechtfertigen können, getroffen.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

BGB § 252; ZPO § 287