Bildveröffentlichung 15 Jahre nach der Tat

Gericht

OLG Hamburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

28. 09. 2004


Aktenzeichen

7 U 33/04


Entscheidungsgründe


Auszüge aus dem Urteil:

I. Die Klägerin ist die Mutter der im Jahre 1988 bei einer spektakulären Geiselnahme getöteten ... Sie begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, eine im Verlauf des Verbrechens entstandene Fotografie zu veröffentlichen, die ihre Tochter zeigt, während ihr der Geiselnehmer ... seine Pistole an den Hals hält. Dieses Bild erschien in den Ausgaben vom 11. und 12. August 2003 der von der Beklagten verlegten Tageszeitung »Bild« in Zusammenhang mit einem Bericht über einen Ausgang von ... aus der Haftanstalt.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin kann nicht von der Beklagten verlangen, dass diese es unterlässt, das beanstandete Bild erneut zu veröffentlichen. Ihr steht ein dahin gehender Unterlassungsanspruch, der sich aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit §§ 22, 23 KUG bzw. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ergeben könnte, nicht zu; denn die beanstandeten Bildveröffentlichungen sind nach Auffassung des Senats nicht rechtswidrig.

1. Einem Unterlassungsanspruch der Klägerin aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 1004 BGB analog i. V. m. § § 22, 23 KUG wegen einer Verletzung des Bildnisrechts ihrer verstorbenen Tochter steht entgegen, dass ihr als Angehörige eine Befugnis zur Wahrnehmung dieser Rechte nunmehr nicht mehr zusteht. Wie sich aus § 22 Satz 3 KUG ergibt, bedurfte es nach Ablauf von 10 Jahren nach dem Tode der Abgebildeten der Einwilligung der Angehörigen in die Veröffentlichung nicht mehr, sodass eine Klage auf Unterlassung einer ohne Einwilligung vorgenommenen Veröffentlichung nicht mehr auf § 22 KUG gestützt werden kann.

2. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, besteht auch kein Unterlassungsanspruch der Klägerin wegen Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter.

Derartige aus der Wertordnung des Grundgesetzes herzuleitende Ansprüche, mit denen das fortwirkende Lebensbild des Verstorbenen weiterhin gegen grobe Beeinträchtigungen geschützt wird, bestehen nur in besonderen Fällen insbesondere dann, wenn das Lebensbild der Verstorbenen durch die beanstandete Berichterstattung schwerwiegend entstellt oder verfälscht wird (vgl. insbes. BGH NJW 1968, 1773 ff., BVerfG NJW 1971, 1645). Eine Verfälschung des Lebensbildes der Tochter der Klägerin ist durch die beanstandeten Bildveröffentlichungen jedoch nicht eingetreten. Die Fotografie zeigt sie zwar als Verbrechensopfer in einer Situation der Todesangst, hierin liegt indessen weder eine Abwertung noch eine Entwürdigung. Auf der Abbildung, die sie mit geschlossenen Augen zeigt, sind ihre Gesichtszüge nicht entstellt, sie entsprechen vielmehr der dargestellten Situation extremer Bedrohung, Angst und Anspannung. Eine sie verächtlich machende oder ihre Ehre verletzende Wirkung geht von der Abbildung nicht aus. Die Fotografie weckt im Gegenteil Mitgefühl für die Tochter der Klägerin, weil sie insbesondere dem Betrachter, der den für sie tödlichen Ausgang des Verbrechens kennt, ihre ausweglose Not offenbart, während sie den zum Äußersten entschlossenen Geiselnehmern ausgeliefert war.

3. Ein Unterlassungsanspruch folgt ferner nicht aus einer rechtswidrigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit der Klägerin.

a) Im Gegensatz zum Landgericht hat der Senat Zweifel, ob die beanstandeten Bildveröffentlichungen überhaupt das Persönlichkeitsrecht der Klägerin als Mutter des abgebildeten Opfers eines Verbrechens zu verletzen geeignet sind, da die Veröffentlichung als solche die Klägerin nicht beeinträchtigt.

Zwar trifft es zu, dass die Klägerin selbst mittelbar Opfer der Straftat wurde, bei der ihre Tochter ums Leben gekommen ist. Dies ergibt sich aus der Schwere des Verlustes infolge ihrer engen persönlichen Beziehung, in der sie zu der Getöteten stand. Ob hieraus indessen der Schluss zu ziehen ist, dass sie auch von Berichten über diese Straftat und die Veröffentlichung von Abbildungen von der Tatsausübung, auf denen sie nicht genannt oder gezeigt wird und bei denen ihr Verhältnis zu der Getöteten nicht offen gelegt wird, in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt wird, erscheint zumindest zweifelhaft.

Die hierzu vom Landgericht zitierte Entscheidung eines anderen Senats des Hanseatischen Oberlandesgerichts (NJW 1975, 649 f.) betrifft einen nicht vergleichbaren Fall, da dort das unmittelbare Opfer eines Verbrechens sich gegen die Ausstrahlung eines auch Details aus seinem Privatleben enthaltenden Films über die Straftat gewandt hatte.

Die Klägerin macht im Übrigen mit ihrer Klage nicht geltend, durch die Veröffentlichung des Bildes selbst in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu werden, sondern behauptet eine Beeinträchtigung ihrer psychischen und physischen Gesundheit, die dadurch entstehe, dass sie selbst durch die erneute Veröffentlichung an der Verarbeitung ihrer Trauer gehindert werde.

Ob bereits aus diesem Grunde eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin ausscheidet, kann jedoch dahin stehen; denn die gebotene Interessen- und Güterabwägung zwischen den persönlichkeitsrechtlichen Belangen der Klägerin und den durch die Presse- und Informationsfreiheit geschützten Interessen der Beklagten würde nach der Überzeugung des Senats nicht zu einem Vorrang des Persönlichkeitsrechts führen. Insoweit gilt das, was im Folgenden unter Ziff. b) im Rahmen der Interessen- und Güterabwägung zwischen dem Schutz der Gesundheit der Klägerin und der Pressefreiheit ausgeführt wird.

b) Bezüglich der Beeinträchtigung ihrer Gesundheit legt die Klägerin das oben genannte Attest ihres behandelnden Arztes vom 19.6.2003 in Kopie vor, der unter anderem bescheinigt, dass Essstörungen, Herzrasen. Depressionen und Suizidgefahr immer wieder durch Presseröffentlichungen von Bildern der Entführung der Tochter ausgelöst werden, durch die die Klägerin sich gezwungen sehe, den Tod ihrer Tochter immer wieder zu erleben, und dass dies eine Trauerverarbeitung verhindere.

Ob dieses Attest ausreicht, um die behauptete und bestrittene Beeinträchtigung der Gesundheit zu belegen, kann offen bleiben; denn selbst bei Unterstellung einer solchen Beeinträchtigung fehlt es nach der anzustellenden Interessen- und Güterabwägung an einer Rechtswidrigkeit der Verletzung.

Auslösendes Moment fur die behauptete Beeinträchtigung der Gesundheit der Klagerin ist nicht schon die Veröffentlichung des beanstandeten Fotos, sondern erst deren Wahrnehmung durch die Klägerin.

Die Verletzung kann daher nicht unmittelbar durch das Handeln der Beklagten, sondern lediglich mittelbar eingetreten sein.

In Fällen mittelbarer Verletzungen ist indessen nicht schon aufgrund des Handlungserfolgs von der Rechtswidrigkeit des Handelns auszugehen, sondern es bedarf vielmehr einer positiven Feststellung der Rechtswidrigkeit der Handlung.

Der Senat folgt insoweit der heute herrschenden Meinung, wonach bei mittelbar eingetretenen Schäden die Rechtswidrigkeit nicht schon mit dem Eingriff in ein nach § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut gegeben ist, sondern zusätzlich eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen muss (vgl. Münchener Kommentar/Wagner, BGB, 4. Aufl., § 823 Rn. 18 m. w. N.). Dem liegt die Einsicht zu Grunde, dass Existenz und Reichweite deliktischer Sorgfaltspflichten sich bei eigenhändiger Zufügung der Rechtsgutsverletzung in der Regel von selbst verstehen, während sie umso problematischer werden, je komplexer die kausale Struktur ist, die das Verhalten des in Anspruch Genommenen mit der Rechtsgutsverletzung verbindet (Münchener Kommentar, aaO., Rn. 19).

Dass es der positiven Feststellung einer Rechtswidrigkeit des Handelns bedarf, folgt des Weiteren im vorliegenden Fall auch daraus, dass die behaupteten Beeinträchtigungen zunächst die psychische Gesundheit betreffen, die sodann psychosomatische Krankheitsfolgen nach sich ziehen. Im Hinblick auf die Nähe psychischer Beeinträchtigungen zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts liegt es nahe, auch in derartigen Fällen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verletzung durch eine Abwägung und fallbezogene Konkretisierung der Schutzgüter vorzunehmen (vgl. Erman/Schiemann, BGB, 11. Aufl., § 823 Rn. 20).

Bei der vorzunehmenden Interessen- und Güterabwägung sind die Gesundheit der Klägerin einerseits und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits zu gewichten.

Ohne Zweifel kommt der Gesundheit der Klägerin der Stellenwert eines hohen Gutes zu. Es liegt auf der Hand, dass die immer wiederkehrende Konfrontation mit dem damaligen tragischen Geschehen bei den nächsten Angehörigen zu einer Perpetuierung ihres Leidens und damit zu einer erheblichen auch gesundheitlichen Beeinträchtigung führen kann. Zu beachten ist allerdings, dass sich die Klägerin in gewissem Umfang vor der erneuten Wahrnehmung des beeinträchtigenden Bildes in einem von der Beklagten verlegten Blatt schützen kann, etwa indem sie die jeweilige Tageszeitung erst nach vorheriger Durchsicht durch eine Person ihres Vertrauens liest.

Demgegenüber bestand allerdings ein erhebliches öffentliches Interesse an den erneuten Veröffentlichungen des Fotos im Zusammenhang mit der Berichterstattung aus dem gegebenen Anlass. Wie die Beklagte zu Recht hervorhebt, handelt es sich bei dem Foto um ein zeitgeschichtliches Dokument, weil es Täter und Opfer bei der Ausführung des Verbrechens, hier der Geiselnahme, selbst zeigt. Die Tat ist nicht nur wegen der Brutalität der Täter, sondern insbesondere auch wegen ihrer Dauer über mehrere Tage hinweg, des Verhaltens der Medien und der Polizei sowie der anschließenden öffentlichen Diskussion hierüber in die bundesdeutsche Kriminalgeschichte eingegangen. Gerade das beanstandete Foto zeigt in eindruckvoller Weise, wie die Täter vorgingen und wie sie sich den Medienvertretern ungehindert durch die Polizei mit ihren hilflosen Geiseln präsentieren konnten. Dieses Bild demonstriert der Öffentlichkeit eindrucksvoller, als eine Wortberichterstattung dies je könnte, die besondere Qualität dieses Verbrechens, sodass seine Verwendung im Zusammenhang mit einer aktuellen Wortberichterstattung, die in irgendeinem Zusammenhang mit der damaligen Tat oder den Tatbeteiligten steht, grundsätzlich von großem Informationswert ist.

Auch nach Ablauf von 15 Jahren hat dieses Bild seine Aktualität jedenfalls im Zusammenhang mit einer aktuellen Berichterstattung über die Täter behalten. Anlass der konkreten Veröffentlichung war die Ausführung des Häftlings ... und die sich daran anschließende Diskussion über ihm zu gewährende Haftlockerungen bzw. eine etwaige Entlassung aus der Haft. Dies war auch Gegenstand der Wortberichterstattung, die durch das Foto bebildert wurde.

In Anbetracht des bundesweiten Aufsehens, das das Verbrechen im Jahre 1988 ausgelöst hatte, nicht nur, weil es drei Todesopfer forderte, sondern auch, weil die Täter und die Medien Gelegenheit hatten, das Schreckensgeschehen über viele Stunden der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist die berichtete Haftlockerung für einen der Täter auch noch fünfzehn Jahre nach dem Verbrechen als ein zeitgeschichtliches Geschehen anzusehen. An dieser Berichterstattung und an der Folgeberichterstattung bestand ein besonderes öffentliches Interesse. Vor diesem Hintergrund diente die zur Illustration der Artikel verwendete Fotografie nicht der bloßen Sensationslust, sondern zog die Aufmerksamkeit der Leser auf die im Text befindlichen Informationen über die Haftbedingungen des Täters auf sich und veranschaulichte das damalige, vor den Augen der Öffentlichkeit vollzogene Verbrechen in eindringlicher Weise. Mit ihr wird Lesern, die das Tatgeschehen im Jahre 1988 mitverfolgt haben, die Tat wieder in Erinnerung gerufen. Anderen wird damit die Skrupellosigkeit des Täters, mit dessen Haftlockerung sich die Artikel befassen, eindrucksvoll vor Augen geführt.

Die besondere Bedeutung der beanstandeten Abbildung im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse an der Information über den Gegenstand der Textberichterstattung sowie der anschließenden rechtspolitischen Diskussion über die Bestrafung derartiger Täter führt im vorliegenden Fall zu einer höheren Gewichtung der Presse- und Informationsfreiheit im Verhältnis zu den geschützten Rechten der Klägerin. Ihr ist es vielmehr zuzumuten, wie oben angezeigt, Vorkehrungen gegen eine erneute Konfrontation mit einer etwaigen weiteren Veröffentlichung der beanstandeten Abbildung zu treffen.

Soweit das Landgericht seine Entscheidung insbesondere auch darauf stützt, dass sogar der Täter nach der seit langem gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbes. BVerfGE 35, 202 ff. - Lebach) beanspruchen könnte, dass nicht zeitlich unbegrenzt identifizierbar über die Straftat berichtet wird, woraus zu folgern sei, dass dies erst recht für das Opfer einer Straftat gelten müsse, ist dem entgegenzuhalten, dass der vorliegende Fall verschiedene Besonderheiten aufweist.

In der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging es nicht um ein Verbot über die Darstellung des Verbrechens überhaupt, sondern insbesondere um die Frage, ob nach einem längeren Zeitablauf noch identifizierbar über den Täter berichtet werden darf. Während in der Entscheidung ausdrücklich das berechtigte Interesse der Allgemeinheit an der vollständigen Information über begangene Verbrechen betont wird, deren Vermittlung Aufgabe der Medien sei, sieht das Bundesverfassungsgericht kein berechtigtes Interesse an der identifizierbaren Berichterstattung über die Person des Täters und sein Privatleben, die angesichts einer anstehenden vorzeitigen Entlassung seine Resozialisierung gefährden würde. Bezogen auf das vorliegende Bild könnte nach diesen Grundsätzen daher allenfalls eine Veröffentlichung des nicht anonymisierten Fotos die Rechte des abgebildeten Täters beeinträchtigen.

Die Klägerin begehrt im Übrigen nicht die Anonymisierung des Abbildes ihrer Tochter, sondern das Verbot der Veröffentlichung des Bildes selbst. Ihre vorgetragene Beeinträchtigung folgt nicht daraus, dass ihre Tochter auf dem Abbild erkannt werden kann, sondern daraus, dass sie bei dessen eigener Wahrnehmung erneut an das tragische Geschehen erinnert wird, was auch dann der Fall wäre, wenn das Abbild ihrer Tochter verfremdet und anonymisiert wäre. Insofern begehrt die Klägerin mehr als der Täter nach den oben genannten Grundsätzen erreichen könnte. Angesichts der hohen Bedeutung der Berichterstattung über Straftaten für die Allgemeinheit würde ein solches Totalverbot der Veröffentlichung im erheblichen Maß die Pressefreiheit einschränken.

Im Übrigen erscheint es fraglich, ob die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze überhaupt für den abgebildeten ... Anwendung fänden, weil es sich bei der Abbildung um ein Foto der Tatausübung selbst handelt, und weil .... der mit seinem Opfer vor der Kamera posiert und sogar ein Interview gegeben hat, der Veröffentlichung zugestimmt hat.

Zusammenfassend ergibt die Abwägung zwischen dem nach Art. 1, 2 GG geschützten Recht der Klägerin auf seelische und körperliche Unversehrtheit einerseits und dem durch Art. 5 GG geschützten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Freiheit der Medienberichterstattung im vorliegenden Fall ein überwiegendes Interesse an der Veröffentlichung des Bildes jedenfalls im Zusammenhang mit einer aktuellen Berichterstattung über die Täter und deren Haftbedingungen, sodass die Veröffentlichung keinen rechtswidrigen Eingriff in die Unversehrtheit der Klägerin darstellte. Damit entfällt eine etwaige Wiederholungsgefahr, sodass kein Unterlassungsanspruch besteht.

Rechtsgebiete

Presserecht