Pflicht zur Verhinderung von Schäden am Nachbargrundstück durch Dachlawinen

Gericht

LG Schweinfurt


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

04. 06. 1986


Aktenzeichen

3 S 83/85


Leitsatz des Gerichts

Bei Belästigungen und Schäden durch Dachlawinen vom Nachbargrundstück gibt es in der Regel einen Unterlassungsanspruch gegen den Nachbarn. Eine Duldungspflicht des betroffenen Eigentümers kann allenfalls dann angenommen werden, wenn die Geltendmachung des Abwehranspruchs bei der unter Nachbarn gebotenen Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen für den Störer grob unbillig und unzumutbar erscheint.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, auf denen sich jeweils Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Hofraum und Garten befinden. Unmittelbar an der Grundstücksgrenze befindet sich auf dem Grundstück des Bekl. dessen früheres altes Wohnhaus, das nunmehr als Wirtschaftsgebäude genutzt wird. An dieses Gebäude des Bekl. schließt sich auf dem Grundstück des Kl. auf der gesamten Länge ein betonierter Gang an, der eine Breite von etwa 1 m aufweist. Anschließend ist eine betonierte Rinne in einer Breite von ca. 40-50 cm. Neben dem Gang stehen Nebengebäude des Kl. Unter anderem hat der Kl. dort seine Fahrzeuge untergebracht. Außerdem befinden sich dort Ställe. Das alte Wohnhaus des Bekl. steht bereits länger als 100 Jahre, während der Kl. seit etwa 25 Jahren dort wohnt. Der Kl. behauptet, daß das Dach des alten Wohnhauses auf dem Grundstück des Bekl. sehr steil sei. Außerdem handle es sich bei der Dachseite, die zum Grundstück des Kl. hinzeige, um eine Nordseite. Er trägt vor, daß bei stärkeren Schneefällen Dachlawinen vom ehemaligen alten Wohnhaus des Bekl. und nunmehrigen Wirtschaftsgebäude in den Gang zwischen den Gebäuden herabfielen. Dies führe zu einer erheblichen Gefährdung der Personen, die diesen Gang benutzen müßten. Außerdem seien stets die Ställe des Kl. dadurch beschädigt worden und auch der Zaun in Mitleidenschaft gezogen worden. Darüber hinaus müsse der Kl., um den Gang wieder begehbar zu machen, jedesmal den Schnee mit Schubkarren wegfahren. Diese Beeinträchtigungen, die vom Grundstück des Bekl. ausgingen, seien dem Kl. nicht mehr zumutbar. Er verlangt mit der Klage Verurteilung zu Maßnahmen, die zukünftig Dachlawinen verhindern.

Das AG hat die Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. kann gem. § 1004 I 2 BGB vom Bekl. die Abwehr von Beeinträchtigungen verlangen, die dadurch entstehen, daß Schnee vom Dach des alten Wohnhauses auf dem Grundstück des Bekl. herabrutscht und auf das Grundstück des Kl. fällt. An der Geltendmachung dieses Anspruches ist der Kl. auch entgegen der Auffassung des AG nicht durch die Grundsätze über das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis gehindert. Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind nämlich nicht - wovon offensichtlich das Erstgericht ausgegangen ist - anspruchsbegründender Inhalt des Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruches selbst mit der Folge, daß ein solcher von vornherein etwa nur bei ungewöhnlich schweren Nachteilen geltend gemacht werden könnte. Vielmehr dienen die Grundsätze über das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis allenfalls der Abwehr des Anspruches im Rahmen der vom Störer darzulegenden und zu beweisenden Duldungspflicht.

1. Gem. § 1004 I 1 BGB kann der Eigentümer, wenn sein Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird, vom Störer die Beseitigung verlangen. Er kann gem. § 1004 I 2 BGB auf Unterlassung für die Zukunft klagen, wenn weitere Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Das kl. Grundstück ist durch herabfallende Dachlawinen beeinträchtigt worden, wie der Kl. hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt hat. Die von der Berufungskammer durchgeführte Beweisaufnahme hat überzeugend erbracht, daß in den vergangenen Jahren und auch in diesem Jahr wiederholt größere Schneemengen vom Dach des alten Wohnhauses auf dem Grundstück des Bekl. auf den angrenzenden Weg des kl. Grundstückes gefallen sind. Hierbei ist es zu Beschädigungen am Zaun auf dem Grundstück des Kl. gekommen, aber auch zur Gefährdung von Personen, wie sich aus den Aussagen der Zeugen ergibt. Anhaltspunkte dafür, daß die Zeugen ihrer Wahrheitspflicht nicht genügt hätten, vermochte die Kammer nicht zu erkennen. Die durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellte allgemeine Behauptung, auf der Nordseite eines unbeheizten Hauses könnten aus „wärmetechnischen Gründen“ Dachlawinen nicht entstehen, mußte schon deswegen unbeachtlich bleiben, weil sie den Vortrag der erforderlichen Anknüpfungstatsachen für den konkreten Fall (Dachneigung, Temperaturen, Schneehöhen usw.) vermissen läßt. Da der Bekl. keine Anstrengungen unternommen hat, hinsichtlich der Beeinträchtigungen Abhilfe zu schaffen, besteht die objektive, auf Tatsachen begründete ernstliche Besorgnis weiterer Störungen, also Wiederholungsgefahr i. S. von § 1004 I 2 BGB. Überdies ist die Besorgnis weiterer Störungen nach vorangegangener Eigentumsverletzung zu vermuten und deshalb v. Bekl. zu widerlegen (RGZ 125, 393). Der Bekl. ist als Zustandsstörer auch für die Beeinträchtigungen durch herabfallenden Schnee verantwortlich, denn diese sind nicht allein durch das Wirken von Naturkräften bedingt. Vielmehr ist auch durch die Dachneigung des der Einwirkungsbefugnis des Bekl. unterliegenden Anwesens eine Mitbedingung dafür geschaffen, daß es zu den Beeinträchtigungen kommen kann.

2. Der Anspruch des Kl. ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß er etwa gem. § 1004 II BGB zur Duldung verpflichtet wäre. Eine rechtsgeschäftliche Duldungspflicht behauptet der Bekl. selbst nicht, eine Duldungspflicht kraft gesetzlicher Vorschriften greift nicht ein.

a) Sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 906 BGB. Nach § 906 BGB kann der Eigentümer die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen dann nicht verbieten, wenn diese Benutzung das Grundstück nur unwesentlich beeinträchtigen oder aber ortsüblich und durch zumutbare technische Maßnahmen nicht zu beseitigen sind. Die Zuführung von Dachlawinen fällt nicht unter die in § 906 I BGB aufgeführten Stoffe, aber auch nicht unter die „ähnlichen von einem anderen Grundstück ausgehenden Einwirkungen". Aus den beispielhaft genannten Fällen geht nämlich hervor, daß damit nur unwägbare Stoffe gemeint sind, nicht aber feste Körper von nicht ganz unerheblichem Umfang. Um solche handelt es sich aber bei Dachlawinen im Zeitpnkt der von ihnen ausgehenden Störung und Gefährdung.

b) Eine Duldungspflicht des Kl. ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen über das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis (§ 242 BGB), wie sie von der Rechtsprechung entwickelt worden sind (BGHZ 28, 110 (114) = NJW 1958, 1580 = LM § 242 (D ) BGB Nr. 29; BGHZ 28, 225 (229 f.) = NJW 1959, 97 = LM § 26 GewO Nr. 2). Hiernach kann die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme die Ausübung eines an sich aus dem Eigentum fließenden Rechts, auch ohne daß ein Verstoß gegen die guten Sitten vorzuliegen bräuchte, als unzulässig erscheinen lassen. Nachdem der Gesetzgeber die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn durch die nachbarrechtlichen Gesetzesbestimmungen, insbesondere die §§ 905 ff. BGB hinreichend bestimmt hat, muß der Rückgriff auf die Grundsätze des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses als einem Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben die aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben. Eine über § 906 BGB hinausreichende Duldungspflicht ergibt sich deswegen allenfalls dann, wenn die Geltendmachung des Abwehranspruches bei der unter Nachbarn gebotenen Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen für den Störer grob unbillig und unzumutbar erschien, wie es etwa von der Rechtsprechung dann angenommen wurde, wenn die Durchsetzung des Eigentumsanspruches zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Nachbarn führen würde. Umstände, die die Durchsetzung des klägerischen Anspruches in diesem Sinne als von dem Bekl. völlig untragbar und etwa wirtschaftlich nicht zumutbar erscheinen ließen, hat der Bekl. selbst nicht behauptet.

Da letztlich die Geltendmachung des Unterlassungsanspruches auch nicht gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB) verstößt, weil nach Lage der gesamten Umstände auch ein anderer Zweck des klägerischen Handelns als Schadenszufügung in Betracht kommt, war der Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu entsprechen.

Rechtsgebiete

Schnee und Glatteis

Normen

BGB §§ 1004, 906, 242, 226