Kein Urlaubanspruch über den Übertragungszeitraum hinaus bei Arbeitsunfähigkeit

Gericht

BAG 6. Senat


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

13. 05. 1982


Aktenzeichen

6 AZR 360/80


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Gewährung von Erholungsurlaub besteht nach dem Bundesurlaubsgesetz nur jeweils während des Urlaubsjahrs sowie bei Vorliegen der Merkmale nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG bis zum Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des folgenden Jahres.

  2. Daran ändert sich nichts, wenn ein Arbeitnehmer infolge lang dauernder Arbeitsunfähigkeit gehindert war, den Urlaub vor Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums zu nehmen. Auch dann ist der Urlaubsanspruch in seinem Bestand auf die genannten Zeiträume beschränkt (Abweichung von BAG 22, 211 ff. = AP Nr. 2 zu § 7 BUrlG Übertragung).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. war bei der Bekl. seit dem Jahre 1973 als Spinnereiarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft beiderseitiger Tarifbindung die tarifl. Bestimmungen für die Arbeiter der Textilindustrie Westfalens des RegBezirks Osnabrück anzuwenden. Nach § 2 des Urlaubsabkommens für Arbeiter und Angestellte i. d. F. vom 21. 5. 1977 (UA) steht dem Kl. ein Urlaubsanspruch von 26 Tagen zu. § 4 UA verweist im übrigen auf die Bestimmungen des BUrlG.

Die Bekl. hatte dem Kl. im Jahre 1977 6 Tage Urlaub gewährt und auch das tarifl. Urlaubsgeld gezahlt. Am 8. 7. 1977 erlitt der Kl. während einer Urlaubsfahrt in sein Heimatland einen Verkehrsunfall, infolge dessen er bis einschließl. 7. 1. 1979 ununterbrochen arbeitsunfähig krank war. Seine Tätigkeit im Betrieb der Bekl. nahm der Kl. am 8. 1. 1979 wieder auf.

Nachdem der Kl. die Bekl. am 23. 1. 1979 schriftlich ohne Erfolg gebeten hatte, ihm Resturlaub für das Jahr 1977 zu gewähren, hat der Kl. am 19. 6. 1979 deswegen Klage erhoben und die Gewährung eines Resturlaubs von 20 Tagen begehrt. Diesen Urlaub habe er bereits in den Monaten Oktober, November und Dezember 1977 geltend gemacht.

Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, ihm im Kalenderjahr 1979 zusätzl. 20 Tage Urlaub zu gewähren und dafür ein Urlaubsentgelt in Höhe von 1643,40 DM brutto zu zahlen, hilfsweise an den Kl. zur Abgeltung von 20 Tagen Urlaub im Jahre 19771643,40 DM brutto zu zahlen. Die Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das ArbG hat auf den Hilfsantrag die Bekl. zur Zahlung von Urlaubsabgeltung verurteilt. Die Berufung der Bekl. blieb erfolglos. Auf die Anschlußberufung des Kl. hat das LAG dem geänderten nunmehr auf Feststellung gerichteten Hauptantrag des Kl. stattgegeben. Es hat angenommen, der Urlaubsanspruch des Kl. sei auf das Jahr 1979 übergegangen.

Die Revision der Bekl. führte zur Klageabweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Dem Kl. steht der von ihm geltend gemachte Urlaubsanspruch aus dem Jahre 1977 nicht mehr zu.

Nach § 2 UA hatte der Kl. im Urlaubsjahr 1977 einen Urlaubsanspruch von 26 Urlaubstagen. Da dieser Urlaubsanspruch zur Zeit des Verkehrsunfalls des Kl. erst teilweise erfüllt war, konnte der Kl. im Urlaubsjahr 1977 noch 20 Urlaubstage beanspruchen. Dieser Anspruch ist jedoch mit Ablauf des Übertragungszeitraums (§ 4 UA i. V. mit § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG) entgegen der Auffassung des LAG erloschen, so daß die Klage insgesamt keinen Erfolg haben konnte. Eine tarifl. Regelung, daß der Urlaubsanspruch über den in § 7 Abs. 3 BUrlG genannten Übertragungszeitraum hinaus erhalten bleibt, enthält das tarifl. Urlaubsabkommen nicht.

II. 1. Das LAG hat angenommen, daß wegen der lang dauernden Krankheit des Kl. dessen Urlaubsanspruch auf das Jahr 1979 übergegangen sei.

2. Dieser Auffassung, mit der das LAG an die Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 13. 11. 1969 - 5 AZR 82/69 - BAG 22, 211 = AP Nr. 2 zu § 7 BUrlG Übertragung - anknüpft, kann nicht gefolgt werden. Der nunmehr für die Entscheidung von Urlaubsrechtsfragen zuständige erk. Senat hält in Abweichung vom bisher zuständigen 5. Senat des BAG nicht daran fest, daß nach dem BUrlG entstandene Urlaubsansprüche, die wegen Krankheit eines Arbeitnehmers nicht gewährt und nicht genommen werden können, auf das ganze nachfolgende Urlaubsjahr übergehen. Damit scheidet auch ein Übergang auf ein weiteres (übernächstes) Urlaubsjahr aus.

3. Der 5. Senat des BAG (aaO) hat die Auffassung vertreten, die Übertragungsregelung nach § 7 Abs. 3 BUrlG habe nicht den Fall im Auge, daß die Verwirklichung des Urlaubs im Kalenderjahr und im Übertragungszeitraum wegen der bestehenden Krankheit, also aus nicht zu behebenden Gründen, unmögl. gewesen ist. Hier vollziehe sich nicht i. S. des § 7 Abs. 3 BUrlG eine Übertragung des Urlaubs auf das erste Vierteljahr des Nachjahres, sondern kraft der gegebenen Umstände unvermeidbar und automatisch der Übergang des Urlaubs auf einen späteren Zeitraum (vgl. ebenso im Grundsatz BAG vom 21. 7. 1973 - 5 AZR 105/73 - AP Nr. 3 zu § 7 BUrlG Übertragung: "infolge Arbeitsunfähigkeit erzwungener Übergang des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr"). Offengelassen ist in dieser Entscheidung, auf welchen Zeitraum dieser Übergang des Urlaubs beschränkt ist, insbesondere ob das Ende des nachfolgenden Jahres eine unüberwindbare zeitl. Schranke bildet.

4.a) Der erkennende Senat geht auch von der vom 5. Senat des BAG zugrunde gelegten Auffassung zum BUrlG aus, daß der Urlaubsanspruch nur im Urlaubsjahr und ggf. bei Vorliegen der besonderen in § 7 Abs. 3 BUrlG genannten Merkmale darüber hinaus noch im Übertragungszeitraum besteht, danach aber erlischt (BAG vom 26. 6. 1969 - 5 AZR 393/68 - AP Nr. 1 zu § 7 BUrlG Urlaubsjahr). Dies entspricht der gesetzl. Regelung in § 1 und § 7 Abs. 3 BUrlG: Danach hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub (§ 1 BUrlG). Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muß der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Der Urlaubsanspruch besteht im Urlaubsjahr, nicht für das Urlaubsjahr.

Das Entstehen des Urlaubsanspruchs nach dem BUrlG ist, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urt. vom 28. 1. 1982 - 6 AZR 571/79 - AP Nr. 11 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch - dargelegt hat, abgesehen vom Bestand des Arbeitsverhältnisses nur an die Erfüllung der Wartezeit nach § 4 BUrlG geknüpft und in seinem Bestand an das Urlaubsjahr bzw. weiter den Übertragungszeitraum gebunden. Es besteht keine Veranlassung und kein Anhaltspunkt im Ges., hiervon abzugehen, wenn der Arbeitnehmer als Gläubiger des Freistellungsanspruchs durch Krankheit gehindert ist, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen.

b) Die Unmöglichkeit der Urlaubsverwirklichung wegen Krankheit ist im Ges. nicht übergangen worden, sondern in § 7 Abs. 3 BUrlG mitgeregelt: Die Vorschrift über die Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG greift nur ein, wenn im Urlaubsjahr dringende betriebl. oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Durch diese Bestimmung wird damit die Befugnis, Urlaub zu nehmen, auf einen weiteren Zeitraum von 3 Monaten bis zum 31. 3. des folgenden Jahres erstreckt. Für diesen Zeitabschnitt ist im Gegensatz zur Regelung über das Urlaubsjahr nicht die Möglichkeit vorgesehen, den Anspruch auf Urlaub weiter zu erhalten, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit den Urlaub nicht antreten kann. Entsprechend hat nunmehr anders als während des Urlaubsjahres auch der Arbeitgeber kein Recht gegenüber dem Arbeitnehmer, die Gewährung von Urlaub aus dringenden betriebl. Gründen zu verweigern. Der Urlaub muß vielmehr - ist er einmal auf den Übertragungszeitraum übergegangen, gewährt und genommen werden, oder er erlischt mit Ablauf dieses Zeitraums jedenfalls dann, wenn wie hier die Bekl. als Schuldner der Pflicht zur Urlaubserteilung die Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung nicht zu vertreten hat. Der Kl. hat den Unfall im Straßenverkehr erlitten; ein Verschulden der Bekl. an der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit des Kl. ist ausgeschlossen. Damit ist für einen "unvermeidbaren Übergang des Urlaubsanspruchs" auf einen späteren Zeitabschnitt kein Raum.

Da nach der gesetzl. Regelung im BUrlG der Urlaubsanspruch von vornherein als auf das Urlaubsjahr befristet entsteht, die Befristung sich nur ausnahmsweise auf die ersten 3 Monate des folgenden Jahres erstreckt, bedurfte es auch keiner Vorschrift über den Verfall des Urlaubs (a. A. Dersch/Neumann, BUrlG, 6. Aufl., § 7 Rz. 93 m. w. N. über den Meinungsstand).

c) Auch aus § 9 BUrlG kann ein anderes Ergebnis nicht hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift sind nachgewiesene Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen. Damit trägt das BUrlG einmal der Tatsache Rechnung, daß eine doppelte Freistellung von der Arbeitspflicht sowohl wegen Krankheit als auch wegen Urlaubsgewährung nicht möglich ist (vgl. das Senatsurteil vom 28. 1. 1982 - AP Nr. 11 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch). Weiterhin besteht der Inhalt der Regelung darin, für diese Zeiten die Wirkungen der zeitweisen Unmöglichkeit der Urlaubserteilung gegenüber dem Arbeitnehmer auszuschließen. Eine zeitl. Ausdehnung des Urlaubsanspruchs über den Übertragungszeitraum hinaus kann der Bestimmung aber nicht entnommen werden.

d) Entgegen der Auffassung von Neumann (Dersch/Neumann, aaO, § 7 Rz 95) ist dies auch nicht etwa unter Hinweis auf § 4 Arbplatz-SchutzG und § 55 SeemG zu rechtfertigen. Abgesehen davon, daß die genannten Regelungen keine Bestimmungen über die Übertragung von Urlaub wegen Krankheit enthalten, kann aus diesen Vorschriften für den Urlaub nach dem BUrlG nichts hergeleitet werden, weil sie als Sonderbestimmungen für eine bestimmte Berufsgruppe oder für die Suspendierung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis wegen der Ableistung des Wehrdienstes nicht auf Sachverhalte übertragbar sind, die den in diesen Vorschriften enthaltenen Merkmalen nicht entsprechen.

e) Schließl. ist auch der Umstand, daß der Kl. vor seiner Arbeitsunfähigkeit wegen des am 8. 7. 1977 erlittenen Unfalls Arbeitsleistungen für die Bekl. erbracht hat, nicht geeignet, den Urlaubsanspruch für einen Zeitabschnitt nach dem Übertragungszeitraum aufrechtzuerhalten. Der Urlaubsanspruch nach dem BUrlG knüpft weder an die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers an noch an ein (abstraktes oder individuelles) Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers, auch nicht daran, daß der Urlaub etwa durch Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr verdient ist, sondern setzt als gesetzl. bedingter Freistellungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis ledigl. die in § 1 und § 4 BUrlG genannten Merkmale voraus. Damit kann weder die Tatsache, daß der Arbeitnehmer keine oder nur geringe Arbeitsleistungen erbracht hat, den Urlaubsanspruch ausschließen (vgl. Senatsurteil vom 28. 1. 1982 - AP Nr. 11 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch), noch ist umgekehrt der Umstand, daß der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr gearbeitet hat, geeignet, ihm den Urlaubsanspruch über den Übertragungszeitraum hinaus zu erhalten, wenn er diesen Urlaub wegen Krankheit, also aus vom Arbeitgeber nicht zu vertretenden Gründen, nicht hat nehmen können. Wie zu entscheiden ist, wenn der Arbeitgeber die Nichtgewährung des Urlaubs während des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zu vertreten hat, etwa weil dieser die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verschuldet oder den Urlaub nicht erteilt hat, obwohl der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht hätte freigestellt werden können und dies vom Arbeitgeber begehrt hat, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits, ebenso nicht, in welchem Umfang Urlaubsansprüche durch tarifl. Regelungen auf nachfolgende Jahre übertragbar sind.

Der Senat hat bei der Entscheidung berücksichtigt, daß die vom BUrlG gegebenen Voraussetzungen für die Regelung des Urlaubs nur einen Mindestrahmen umfassen. Diesen zu erweitern und ggf. andere Übertragungsmöglichkeiten vorzusehen ist Aufgabe der TVParteien (§ 13 Abs. 1 BUrlG, vgl. dazu BAG AP Nr. 3 zu § 7 BUrlG Übertragung).

5. War damit der Urlaubsanspruch des Kl. für das Urlaubsjahr 1977 jedenfalls mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. 3. 1978 erloschen, kommt es auf das Vorbringen des Kl. nicht an, er habe bereits im Oktober, November und Dezember 1977 seinen Urlaubsanspruch geltend gemacht, da die Erfüllung des Urlaubsanspruchs bis zu dessen Erlöschen nicht möglich war. Bereits aus diesem Grunde mußte auch die hilfsweise geforderte Abgeltung scheitern.

Vorinstanzen

LAG Hamm

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht