Erholungsurlaub und Rechtsmißbrauch

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

08. 03. 1984


Aktenzeichen

6 AZR 600/82


Leitsatz des Gerichts

Der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz ist nicht an Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers gebunden. Damit wird ein solcher Anspruch nicht wegen Rechtsmißbrauchs ausgeschlossen, wenn ein Arbeitnehmer im Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum wegen Krankheit nicht gearbeitet hat (Bestätigung von BAGE 37, 382 = NJW 1982, 1548).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. war bei der Bekl. seit 7. 9. 1978 mit einem jährlichen Urlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen beschäftigt. Seit Ende des Jahres 1979 war die Kl. schwanger. Vom 1. bis zum 6. 1. 1980 hatte sie von der Bekl. drei Arbeitstage Urlaub erhalten. Vom 7. bis zum 20. 1. 1980 war die Kl. arbeitsunfähig krank. Nachdem sie am 21. 1. 1980 versucht hatte, die Arbeit wieder aufzunehmen, wurde sie bis zum 27. 6. 1980 wegen ihrer Schwangerschaft nicht beschäftigt (§ 3 I MuSchG). Danach begann die Mutterschutzfrist i.S. von § 3 II MuSchG. Am 21. 8. 1980 wurde das Kind der Kl. geboren. Nach dem Ende der Mutterschutzfrist am 16.10. nahm die Kl. Mutterschaftsurlaub bis zum 22. 2. 1981 in Anspruch. Nachdem die Parteien das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 28. 2. 1981 beendet hatten, begehrte die Kl. mit der vorliegenden Klage von der Bekl. die Zahlung einer Urlaubsabgeltung für 17 Urlaubstage aus dem Jahr 1980. Zuvor war die Urlaubsabgeltung von der Bekl. mit dem Argument verweigert worden, der Kl. sei wegen deren langandauernder Erkrankung kein Urlaubsanspruch entstanden.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. blieb erfolglos. Die / zugelassene / Revision der Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... II. 1. Zu Unrecht meint das LAG, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits offenbleiben könne, ob der Urlaubsanspruch auf das Jahr 1981 übertragen worden sei und ob darüber hinaus die Voraussetzungen für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung erfüllt seien. Dem Anspruch der Kl. stehe der von der Bekl. erhobene Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegen, weil sie im Jahre 1980 Arbeitsleistungen in nennenswertem Umfang nicht erbracht habe.

2. Diese Auffassung des LAG stimmt mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht überein. Sie wird zu Recht von der Revision angegriffen.

a) Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 28. 1. 1982 (BAGE 37, 382) unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung entschieden, daß ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Erholungsurlaub nicht dadurch verliert, daß er infolge Krankheit im Urlaubsjahr nur eine geringe oder auch gar keine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers ist danach nicht wegen Rechtsmißbrauchs ausgeschlossen, wenn dieser allein durch langdauernde Krankheit verhindert war zu arbeiten. Maßgeblich ist nur, daß der Urlaub im Urlaubsjahr bzw. im Übertragungszeitraum genommen werden kann. Die in dieser Entscheidung vertretene Grundauffassung hat der Senat inzwischen in weiteren Entscheidungen bestätigt (Betr 1982, 2193, 2470; v. 26. 5. 1983 / 6 AZR 273/82 /, NJW 1984, 1835, und v. 23. 6. 1983 / 6 AZR 180/80 /, NJW 1984, 1836 L).

b) Bereits im Urteil vom 13. 5. 1982 hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, daß der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz ein durch dieses Gesetz bedingter Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber von den nach dem Arbeitsverhältnis entstehenden Arbeitspflichten ist (vgl. ebenso zuletzt die Senatsentscheidung v. 1. 12. 1983, NZA 1984, 194 [in diesem Heft]). Damit folgt der erkennende Senat nicht der Auffassung, der Urlaubsanspruch sei ein Einheitsanspruch, der untrennbar aus den Wesenselementen Freizeitgewährung und Fortzahlung der Vergütung für die Urlaubszeit bestehe (vgl. z.B. Dersch/Neumann, BUrlG, 6. Aufl., § 1 Rdnrn. 68. 69; Bleistein, GK/BUrlG, 4. Aufl., § 1 Rdnr. 9, jeweils m.w. Nachw. auf das Schrifttum sowie die Rechtsprechung). Diese Ansicht, die an die Formulierung in § 1 BUrlG ("bezahlter Erholungsurlaub") anknüpft, berücksichtigt nicht, daß durch diese Vorschrift und auch die übrigen Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht etwa ein besonderer Urlaubsentgeltanspruch unter Wegfall des Arbeitsentgeltanspruchs begründet, sondern sichergestellt wird, daß der dem Arbeitnehmer zustehende Lohnanspruch trotz Nichtleistung der Arbeit während der Urlaubszeit unberührt bleibt von der Urlaubsgewährung, also der Freistellung von der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber. Mit der Annahme des Einheitsanspruchs wird dem Arbeitnehmer damit Urlaubsentgelt zuerkannt, das ihm als Arbeitslohn aufgrund seines Arbeitsverhältnisses ohnehin zusteht. Daraus folgt, daß die Ansicht, der Urlaubsanspruch sei ein Einheitsanspruch mit zwei Wesenselementen, rechtlich keinen Inhalt hat, soweit mit dieser Auffassung die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltzahlung während des Urlaubs in den Urlaubsanspruch als Element einbezogen wird.

3. Ist damit der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers nach dem Bundesurlaubsgesetz nur darauf gerichtet, die Arbeitsleistungspflicht des Arbeitnehmers für die nach dem Urlaubsanspruch sich ergebende Zeitdauer auszuschließen, nicht jedoch die Pflichten der Arbeitsvertragsparteien im übrigen zu verändern, wird dadurch auch die Zuordnung der Pflicht zur Erteilung von Urlaub im Verhältnis der arbeitsvertraglichen Pflichten zueinander bestimmt: Die Pflicht zur Erteilung von Urlaub ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis, deren Erfüllung darin besteht, eine Hauptpflicht des Arbeitnehmers, dessen Arbeitspflicht, für die Urlaubsdauer auszuschließen. Auf das Fortbestehen der Pflicht des Arbeitgebers zur Lohnzahlung hat dies keinen Einfluß. Unter diesen Umständen kommt es für den Urlaubsanspruch nicht darauf an, ob ein Arbeitnehmer nach Entstehen des Urlaubsanspruchs bis zu dessen Ausübung seine Arbeitsleistungspflichten erfüllt hat, sondern nur darauf, ob Arbeitspflichten durch Suspendierung beseitigt werden können. Damit besteht entgegen der Kritik im Schrifttum (vgl. Buchner, Betr 1982, 1823 ff.; Peterek, Anm. zu EzA § 3 BUrlG Nr. 13; Franke, BB 1983, 1039; Bleistein, § 1 Rdnr. 129; Stahlhacke, GK/BUrlG, 4. Aufl., § 9 Rdnr. 20; Boldt, Anm. AP § 7 BUrlG Nr. 4; vgl. andererseits Bachmann, GK/BUrlG, 4. Aufl., § 5 Rdnr. 3 m.w. Nachw. und vorher bereits im Grundsatz Renaud, Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach dem Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer, 1972, S. 53, anders allerdings in Widerspruch dazu S. 112 ff, 116) kein Verhältnis zwischen geleisteter Arbeit und Urlaub, sondern allenfalls zwischen zu leistender Arbeit und Urlaubsanspruch. Auch darauf hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. 1. 1982 hingewiesen, indem er ausgeführt hat, daß der Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubserteilung nicht davon abhängig ist, daß dieser zuvor die Freizeit "verdient" hat. Der aufgrund des Bundesurlaubsgesetzes zu gewährende Urlaub ist keine Gegenleistung des Arbeitgebers für erbrachte oder noch zu erbringende Arbeitsleistungen, sondern eine gesetzlich bedingte Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis, den Arbeitnehmer von dessen Verpflichtung zur Arbeitsleistung für die Dauer des Urlaubs freizustellen. Damit beruht die Kritik an der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Buchner, Betr 1982, 1826, unter Bezugnahme auf Roth, in: Münch Komm, § 242 Rdnrn. 381, 283; ders., SAE 1983, 82; ArbG Kassel, Betr 1983, 178), die den Ausschluß des Urlaubsanspruchs eines Arbeitnehmers an dessen fehlender Arbeitsleistung messen will, auf rechtlich unzutreffenden Voraussetzungen.

Ein für den Urlaubsanspruch maßgebliches Verhältnis zwischen geleisteter Arbeit und Urlaubsbegehren ist auch nicht durch die Erwägung herstellbar, der Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz solle zur Erholung von geleisteter Arbeit dienen. Auch eine solche Verknüpfung enthält das Bundesurlaubsgesetz nicht (vgl. dazu unten 5). Soweit dennoch für die These, der Urlaub werde durch frühere Arbeit verdient, um sich für künftige Arbeit zu kräftigen, oder von arbeitsbedingter Erholungsbedürftigkeit unter Hinweis auf §§ 1 , 8 BUrlG gesprochen wird (vgl. Soergel/Wlotzke/Volze, BGB, 10. Aufl., § 611 Rdnr. 176; außerdem ArbG Kassel, Betr 1983, 178; ArbG Reutlingen, BB 1984, 341), ergibt sich nichts anderes. Beide Bestimmungen erfordern nicht, daß ein Arbeitnehmer vor Erfüllung des Urlaubsanspruchs aufgrund des Arbeitsverhältnisses Arbeitsleistungen erbracht hat.

4. a) Diesen Zusammenhang hat das LAG nicht erkannt. Dementsprechend gehen auch seine Erwägungen zum Ausschluß des Urlaubsanspruchs wegen Rechtsmißbrauchs fehl. Auch nach nochmaliger Prüfung besteht für den erkennenden Senat keine Veranlassung, die erstmals im Urteil vom 28. 1. 1982 dargelegte Auffassung zu ändern. Der Senat ist in diesem Urteil nicht davon ausgegangen, daß Ansprüchen eines Arbeitnehmers auf Urlaubsgewährung etwa grundsätzlich nicht der Einwand rechtsmißbräuchlichen Verhaltens entgegengesetzt werden könnte (das übersieht z.B. Buchner, Betr 1982, 1826), sondern hat vielmehr geprüft, ob außer den als Grundlage des Rechtsmißbrauchs genannten Fehlzeiten andere Tatsachen festgestellt waren, aus denen sich ein Ausschluß des Anspruchs auf Urlaubsgewährung hätte herleiten lassen. Dies traf nicht zu (vgl. BAGE 37, 382 [zu II 2 c]). Andererseits ist ein Gericht aber auch nicht befugt, beliebige Umstände als Rechtsmißbrauch zu behandeln. § 242 BGB als Grundlage des Rechtsmißbrauchseinwands ist keine allgemeine Billigkeitsnorm, der die Lösung aller neuen Rechtsprobleme entnommen werden könnte (vgl. Soergel/Knopp, BGB, 10. Aufl., § 242 Rdnr. 4). Wenn in der Kritik im Anschluß an die Ausführungen von Buchner auf die Kontinuität der bisherigen Rechtsprechung und das "Gerechtigkeitsempfinden weiter Teile der Bevölkerung" (ArbG Reutlingen, BB 1984, 341) oder das "ungläubige Staunen ehrenamtlicher Richter gleich welcher Couleur" (ArbG Kassel, Betr 1983, 179) verwiesen wird, ist dies nicht geeignet, eine auch bei Anwendung von § 242 BGB erforderliche Begründung zu ersetzen, die im übrigen nicht zu einer in die Lehre vom Rechtsmißbrauch gehüllte Korrektur des geltenden Rechts führen darf (vgl. zutr. Herschel, Anm. zur Entscheidung des Senats vom 28. 1. 1982, ARBlattei [D] Urlaub, Entscheidung Nr. 246; vgl. außerdem Herschel, Anm. zur Entscheidung des Senats vom 26. 5. 1983 / 6 AZR 273/82 /, EzA § 7 BUrlG Nr. 27). Selbst wenn die genannten Darlegungen gegen die Rechtsprechung des erkennenden Senats beachtlich sein könnten, hätte es dazu jeweils substantiierter, nachprüfbarer Feststellungen der Tatsachengerichte über die Voraussetzungen eines Rechtsmißbrauchs bedurft.

b) Nach der vom LAG für zutreffend gehaltenen früheren Rechtsprechung des BAG war für die Behandlung des Urlaubsverlangens eines Arbeitnehmers als rechtsmißbräuchlich ein zwischen geleisteter Arbeit und Urlaubsbegehren angenommenes Mißverhältnis entscheidend. Nur auf dieses angebliche Mißverhältnis hat das BAG in der Rechtsprechung des 1. und ihm folgend des 5. Senats als Ansatzpunkt für den Ausschluß des Urlaubsanspruchs wegen Rechtsmißbrauchs abgestellt.

In dem allgemein als Ausgangsentscheidung genannten Urteil des 1. Senats des BAG vom 22. 6. 1956(BAGE 3, 77 [79]) hat dieser zunächst darauf hingewiesen, daß der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin wegen deren vorangegangenen dauernden Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis hätte fristlos kündigen können; die Möglichkeit, noch Urlaubsansprüche geltend zu machen, beruhe also auf dem rücksichtsvollen Verhalten der Bekl. gegenüber der erkrankten Kl. Unter diesen Umständen könne es nicht ohne Bedeutung sein, wenn sich das Verhältnis von Arbeitsleistung und Urlaub bis in die äußersten Möglichkeiten eines Mißverhältnisses verschieben, wenn also die Arbeitstage noch nicht einmal die abzugeltende Urlaubszeit erreichen. Hier fehle dem Urlaubsverlangen des Arbeitnehmers schlechthin jede noch vernünftige Beziehung zur Arbeitsleistung. Auch die Rücksichtnahme auf seine Mitarbeiter, die überwiegend das ganze Urlaubsjahr gearbeitet haben, noch mehr aber die Rücksichtnahme darauf, daß der Arbeitgeber nicht gekündigt habe, gebieten dem Arbeitnehmer nach Auffassung des Senats, ein solches Verlangen zu unterlassen. Auf das Mißverständnis zwischen Urlaubs/ und Arbeitstagen stellen ohne weitere Erwägungen auch die folgenden Urteile ab. Dabei wird nicht unterschieden, ob die fehlende Arbeitsleistung auf Krankheit, Wehrdienst oder auch auf Beschäftigungsverboten nach dem Mutterschutzgesetz beruht hat (vgl. BAG, AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nr. 13; AP § 5 UrlaubsG Hamburg Nr. 1; AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nr. 59 später auch 5. Senat, § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 4). Gegen die unterschiedslose Einbeziehung dieser auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhenden Unterbrechungen der Arbeit in die, Mißverhältnisrechnung" sprechen einmal die nicht miteinander zu vergleichenden Rechtsgründe für die zeitweilige Aufhebung der Arbeitspflichten. Zum anderen enthalten § 4 I 1 ArbPlSchutzG und nunmehr für den Mutterschaftsurlaub § 8d S. 1 MuSchG Kürzungsmöglichkeiten für den Anspruch auf Erholungsurlaub (jeweils 1/12 für jeden vollen Kalendermonat der Verhinderung). Die Einbeziehung solcher Fehlzeiten in die Beurteilung des Rechtsmißbrauchs wirkt sich für die betreffenden Arbeitnehmer doppelt negativ aus. Im übrigen enthält das Mutterschutzgesetz aus wohlerwogenen sozialpolitischen Gründen für die Zeit von Beschäftigungsverboten nach §§ 3 , 4 und 6 MuSchG keine Kürzungsmöglichkeit für den Anspruch auf Erholungsurlaub. Für die Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit wären mit Rücksicht auf § 9 BUrlG nach der Auffassung vom Mißverhältnis zwischen Arbeit und Urlaubsanspruch eher gegenteilige Schlüsse zu ziehen als dies geschehen ist.

Nähere Ausführungen zum begrifflichen Inhalt des Rechtsmißbrauchs oder zur Ableitung dieses Einwands finden sich auch in den Entscheidungen des 5. Senats des BAG nicht, der seit 1961 für das Urlaubsrecht zuständig war. Der 5. Senat hat der Auffassung des 1. Senats lediglich das Abwägungserfordernis der "Gesamtumstände des Einzelfalls" hinzugefügt(BAG, AP § 61 BGB/Urlaubsrecht/Nrn. 82, 87), dessen Prüfung durchaus ergeben könne, daß bei langdauernder Arbeitsunfähigkeit wegen unverschuldeter Krankheit oder wegen eines Arbeitsunfalls trotz geringer Arbeitsleistung Urlaub oder Urlaubsabgeltung zu gewähren sei. Nach Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes hat der 5. Senat an dieser Auffassung festgehalten und sie auch für das Bundesurlaubsgesetz mit der Begründung für anwendbar erklärt, sie habe durch die seit dem Bundesurlaubsgesetz bestehende Rechtslage keine Änderung erfahren (BAG, AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 2). Bis zur erneuten Änderung der Geschäftsverteilung für das Jahr 1978 hat der 5. Senat diese Rechtsprechung beibehalten (BAG, AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 10).

Zusammengefaßt ergibt dieser Überblick, daß die Entscheidungen des BAG das rechtmißbräuchliche Urlaubsverlangen nicht am Einwand des Rechtsmißbrauchs selbst messen, sondern das Vorliegen eines nicht näher bestimmten Mißverhältnisses als Rechtsmißbrauch bezeichnen, der je nach Einzelfall strenger oder milder zu beurteilen sei. Meisel (Anm. zu BAG, AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 7) hat dementsprechend darauf hingewiesen, daß als einziger Maßstab für den Einwand des Rechtsmißbrauchs gegenüber einem Urlaubsanspruch das Mißverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und beanspruchtem Urlaub im Urlaubsjahr übrig blieb.

Trotz der Verneinung einer Wechselwirkung von geleisteter Arbeit und Urlaubsverlangen für das Entstehen und den Bestand des Urlaubsanspruchs hat das BAG in den genannten Urteilen dennoch ein angebliches Mißverhältnis für den Fall nur geringer Arbeitsleistung angenommen. Dieses "Mißverhältnis" wird sodann ohne weiteres als Rechtsmißbrauchstatbestand bezeichnet, der / vorbehaltlich der Prüfung "aller Umstände des Einzelfalls" / geeignet sei, den Urlaubsanspruch zu vernichten. Das ist widersprüchlich. Der erkennende Senat hat schon in seinem Urteil vom 28. 1. 1982 darauf hingewiesen, daß der Urlaubsanspruch in seiner Entstehung nicht von geleisteter Arbeit abhängig ist und demzufolge auch nicht wegen Nichtleistung der Arbeit als rechtsmißbräuchlich ausgeschlossen sein kann. Wird von der Begriffsvertauschung zwischen Mißverhältnis und Rechtsmißbrauch abgesehen, bleibt damit die Behauptung des Ausschlusses wegen eines Mißverhältnisses bestehen, das seinerseits nicht nach Merkmalen begründet wird und auch nicht begründbar ist.

Die Einbeziehung von Fehlzeiten einer Arbeitnehmerin während der Mutterschutzfrist als leistungsmindernd für die Gewährung von Jahressonderleistungen hat der 5. Senat des BAG inzwischen grundsätzlich ausgeschlossen (Urt. v. 13. 10. 1982 / 5 AZR 370/80 /, NJW 1983, 1446, und / 5 AZR 401/80 /, NJW 1983, 1343). Danach darf die Zeit der Mutterschutzfrist sich nicht lohnmindernd auswirken, eine jährlich zu zahlende Jahressonderleistung wegen Fehlzeiten, die durch die Inanspruchnahme der Mutterschutzfristen (§§ 3 II , 6 I MuSchG) entstehen, auch durch Regelungen in einem Tarifvertrag nicht anteilig gekürzt werden. Entsprechend hatte der 5. Senat schon zuvor die Berücksichtigung krankheitsbedingter Fehlzeiten bei der Gewährung von Anwesenheitsprämien wegen Verstoßes gegen das Lohnfortzahlungsgesetz für unwirksam erklärt (BAG, AP § 611 BGB/Anwesenheitsprämie/Nr. 12). Unter diesen Umständen hätte auch vom Standpunkt des LAG Veranlassung bestanden, jedenfalls die Fehlzeiten der Kl., die sowohl aus krankheitsbedingten Gründen als auch wegen der Mutterschutzfristen (§§ 3 I und II , 6 MuSchG) nicht gearbeitet hat, differenzierend zu beurteilen. Unter Berücksichtigung dieser geänderten Rechtsprechung, die auf Leistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis also auf Hauptpflichten der Arbeitsvertragsparteien bezogen ist, sind der Auffassung des LAG unabhängig von der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Grundlagen entzogen.

5. Auch wenn entgegen der Auffassung des erkennenden Senats mit dem LAG davon ausgegangen werden könnte, daß Fehlzeiten eines Arbeitnehmers im Urlaubsjahr dennoch als Grundlage für den Ausschluß des Urlaubsanspruchs in Betracht kommen, scheidet hier der Einwand des Rechtsmißbrauchs aus, weil auch im übrigen die Voraussetzungen, die der 5. Senat des BAG für diesen Einwand in rechtlicher Hinsicht angenommen hat, nicht zutreffen.

a) Die frühere Rechtsprechung des BAG hat den auf Fehlzeiten des Arbeitnehmers infolge Krankheit gegründeten Einwand des Arbeitgebers gegenüber dem Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers dem sogenannten institutionellen Rechtsmißbrauch zugeordnet (vgl. im Anschluß an die vorangegangene Rechtsprechung AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nr. 82; wörtlich damit übereinstimmend AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nr. 87; AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nr. 88; AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 2). Dies entsprach auch der Auffassung im arbeitsrechtlichen Schrifttum (vgl. z.B. Lorenz, SAE 1962, 63; Isele, Anm. zu AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 2; Neumann/Duesberg, Anm. zu AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 3; Thiele, Anm. zu AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 6) und ist ebenso von der Kritik gegen die Rechtsprechung des erkennenden Senats vorgebracht worden (vgl. z.B. Franke, Betr 1983, 1039).

Als "institutioneller Rechtsmißbrauch" wird die Ausübung von Ansprüchen außerhalb ihres sozialen Schutzzwecks oder des Schutzbereichs der anspruchsbegründenden Norm aufgefaßt (vgl. dazu Thiele, Anm. zu AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 6; Franke, Betr 1983, 1039; Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 689; Boldt, Anm. zu AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 11; Soergel/Knopp, § 343 Rdnrn. 249 ff.).

Der 5. Senat des BAG hatte in den Urteilen vom 2. 5. 1961 und wörtlich damit übereinstimmend vom 27. 9. 1962 (AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nrn. 82, 87) ausgeführt, der Sinn des Urlaubsanspruchs bzw. des Urlaubsabgeltungsanspruchs gehe dahin, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von geleisteter Arbeit zu erholen und sich für neue Arbeit zu kräftigen (vgl. ebenso BAG, AP § 611 BGB/Urlaubsrecht/Nr. 88). Dies hat der 5. Senat als sozialen Schutzzweck für die Beurteilung des Rechtsmißbrauchs herangezogen und hieran das "Erholungsbedürfnis" des Arbeitnehmers gemessen. Im Urteil vom 23. 6. 1966 (AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 2) hat der 5. Senat erklärt, daß er an den von ihm vertretenen Rechtsgrundsätzen zum Rechtsmißbrauch festhalte, die durch die seit dem Inkrafttreten des BUrlG bestehende Rechtslage keine Änderung erfahren habe und hat auf sie in den folgenden Entscheidungen (AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 4; AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nrn. 6, 9, 10) ohne weitere Stellungnahme verwiesen. Im Urteil vom 6. 6. 1968 (AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 5) hat der 5. Senat des BAG zwar das von ihm bisher als Anspruchsvoraussetzung genannte individuelle Erholungsbedürfnis aufgegeben, aber gleichwohl für den Ausschluß des Rechtsmißbrauchs an diesem Merkmal festgehalten. Auch auf die darin liegende Widersprüchlichkeit hat der erkennende Senat im Urteil vom 28. 1. 1982 hingewiesen.

Der 5. Senat des BAG hat im übrigen zwar durchgängig an dem von ihm angenommenen Urlaubszweck festgehalten, ihn aber je nach Sachlage anders angewandt: Wenn ein Arbeitnehmer etwa nach vorangegangener Arbeitsunfähigkeit als erwerbsunfähig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden war, behielt er nach Auffassung des 5. Senats dennoch den Urlaubsabgeltungsanspruch, obwohl eine Kräftigung für zukünftige Arbeit in einem solchen Fall nicht in Betracht kommen konnte (vgl. z.B. Urteil vom 6. 8. 1968; hierzu Urteil des erkennenden Senats v. 6. 6. 1983 / 6 AZR 180/80 /, NJW 1984, 1836 L).

b) Das Bundesurlaubsgesetz geht nicht von dem vom 5. Senat des BAG zugrundegelegten Zweck, sondern von einem davon verschiedenen Inhalt des Urlaubsanspruchs aus...

Damit dem Bundesurlaubsgesetz nicht die vom 5. Senat vertretene Auffassung zugrunde, daß der Urlaub u.a. der Erholung von geleisteter Arbeit diene, sondern es ist lediglich auf die Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft abgestellt worden. Der Urlaubsanspruch ist demnach vom Gesetz nicht an vorherige Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers geknüpft, sondern wird als gesetzlich bedingte soziale Mindestleistung des Arbeitgebers zur Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft des bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers aufgefaßt, der ebenso wie der Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall im gesetzlich geregelten Umfang unabdingbar und unentziehbar ist. Der Inhalt des Urlaubs nach dem Bundesurlaubsgesetz ist damit die gesetzlich gesicherte Möglichkeit für einen Arbeitnehmer, die ihm eingeräumte Freizeit selbstbestimmt zur Erholung zu nutzen. Der Urlaubsanspruch eröffnet dem Arbeitnehmer in den Grenzen von § 8 BUrlG die freie Verfügbarkeit über seine Urlaubszeit (vgl. dazu schon BAGE 12, 311 = AP § 611 BGB/Urlaub und Kur/Nr. 1 m. Anm. Zöllner). Er ist in seinem Bestand zeitlich an das Kalenderjahr sowie gegebenenfalls an den Übertragungszeitraum geknüpft (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 13. 5. 1982, Betr 1982, 2193, zustimmend Bachmann, Rdnrn. 112/115 m.w. Nachw.) Entfällt damit die Bindung an die für den Ausschluß des Rechtsmißbrauchs geforderte vorherige Arbeitsleistung, kann das Urlaubsverlangen eines Arbeitnehmers, der an der Erbringung seiner Arbeitsleistung infolge Krankheit gehindert war, nicht als Anspruchsausübung außerhalb des Urlaubszwecks unzulässig sein, sondern ist durch die soziale Schutzfunktion gedeckt, die das Bundesurlaubsgesetz für den gesetzlichen Mindesturlaub gewährleistet.

6. Nicht gefolgt werden kann schließlich dem Hinweis des LAG auf die Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 15. 2. 1962 (AP § 1 ArbkrnkhG Nr. 35), daß die Gerichte von einer bisherigen Rechtsprechung dann nicht abweichen sollen, wenn sowohl für die alte wie für eine neue Ansicht gute Gründe sprechen (dies meinen auch Buchner, Betr 1982, 1826, und Boldt, Anm. zu AP § 3 BUrlG/Rechtsmißbrauch/Nr. 11 [Bl. 341]). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 28. 1. 1982 eingehend die Gründe dargelegt, die ihn zur Aufgabe der früher vom BAG vertretenen Auffassung zum Ausschluß von Urlaubsansprüchen bei Fehlzeiten des Arbeitnehmers bewegt haben. Im übrigen wird insoweit auf die Ausführungen im Urteil des 3. Senats des BAG vom 13. 9. 1983 (3 AZR 537/82 / zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen [zu IVa und b]) Bezug genommen, denen der Senat sich anschließt.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BUrlG §§ 1, 3, 4, 8, 7 IV; BGB § 242