Keine Verpflichtung zur Lieferung von Zeitschriften an Lesezirkelunternehmen

Gericht

AG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

02. 12. 2004


Aktenzeichen

315 O 558/04


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.500,- vorläufig, vollstreckbar.

Tatbestand


Tatbestand:

Die Klägerin ist eine neu gegründete Gesellschaft. Sie kooperiert mit der ... AG, die ihrerseits in Deutschland mit ca. 40.000 Frisören durch eine Bezugsbindung für Frisörbedarf vertraglich verbunden ist. Die Geschäftsidee der Klägerin geht dahin, in einem ...-Lesezirkel diese Frisöre mit attraktiven Zeitschriften zu günstigen Preisen zu versorgen, wobei die Lesemappen mit ...-Werbung versehen sein sollen. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin tatsächlich einen Lesezirkel (in dem nachstehend beschriebenen Sinn) aufzubauen möchte oder ob sie durch Inanspruchnahme der äußerst günstigen Lesezirkel-Bezugspreise den Frisören quasi ein günstiges, rabattiertes Zeitschriftenabonnement anbieten will.

Die Beklagte gibt u.a. die Zeitschriften ... heraus. Diese vertreibt sie über den Grosso, im Einzelhandel, über das Abonnement oder über Lesezirkel.

Der Vertrieb von Zeitschriften über Lesezirkel ist ein vertriebspolitisches Steuerungsinstrument der Verlage. Die Verlage finanzieren ihre Zeitschriftentitel zu über der Hälfte aus Anzeigenerlösen. Für das Anzeigengeschäft und dessen Preisgestaltung ist die hohe Reichweite von Zeitschriftentiteln von entscheidender Bedeutung. Zum Zwecke der Reichweitenmaximierung werden attraktive Zeitschriftentitel, ggf. zu deren Förderung kombiniert mit anderen Titeln, zu z.T. unter den Produktionskosten liegenden Preisen an Lesezirkelunternehmen verkauft. Diese vermieten sie ihrerseits an die Kunden mit öffentlicher Auslage, z.B. in Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder auch Frisörsalons. Die Vermietung erfolgt in sogenannten Lesemappen, in denen die gewählten Zeitschriften (in einer Durchschnittsmappe üblicherweise zehn, in einer Wahlmappe fünf bis acht Zeitschriftentitel) enthalten sind. In der Woche des Erscheinens der Zeitschriften werden die Zeitschriften in einer Erstmappe an einen Kunden vermietet, nach Ablauf der Woche in einer Zweitmappe für ein günstigeres Lesezirkelentgelt an einen anderen Kunden usw.

Branchenüblich werden auch die Zeitschriften der Beklagten deutlich unter den üblichen Einzelhandel- oder Abonnementpreisen an Lesezirkelunternehmen verkauft.

Das Gegenstück zu den günstigen Zeitschriftenpreisen sind Pflichten der Lesezirkelunternehmen, die die Reichweitenmaximierung absichern sollen. Die Lesezirkeluntemehmen sind danach verpflichtet, nicht nur Erst-, sondern auch Folgemappen anzubieten. Das bedeutet, dass die Zeitschriften als Erstmappe ausgeliefert, nach Ablauf einer Woche wieder abgeholt, ggf. neu konfektioniert und an einen Zweitkunden ausgeliefert werden, entsprechend für die Folgemappen. Für die Verlage ist es essentiell, dass die Zeitschriften tatsächlich vermietet werden. Sie dürfen nicht in den Einzelverkauf gelangen. Daher müssen sie nach dem letzten Durchgang vernichtet werden.

Die vollständigen Bedingungen der Beklagten für die Lesezirkelunternehmen sind in den "Liefer- und Zahlungsbedingungen ... für Lesezirkel (LZ)-Unternehmen" (Anlage JS 3) enthalten. Wegen deren Inhalt wird auf die Anlage JS 3 Bezug genommen.

In "Testläufen", in denen die Klägerin die streitgegenständlichen Zeitschriftentitel im Einzelhandel erworben und diese in Lesemappen den Kunden (Frisörsalons) der ... AG zu Verfügung gestellt hatte, konnte sie weder die fristgerechte Auslieferung, die Rückholung noch die Folgevermietung nachweisen. Die Beklagte ist daher nicht bereit, der Klägerin die gewünschten Zeitschriften zu den Lesezirkel-Konditionen zu verkaufen.

Die Klägerin macht geltend, der von ihr begehrte Anspruch folge aus § 20 GWB. Es stelle einen nicht tolerierbaren und kartellrechtswidrigen Eingriff der Beklagten in die Strukturen des freien Marktes dar, wenn sie die Klägerin als Lesezirklerin nicht beliefere.

Die Beklagte sei marktbeherrschend, jedenfalls marktstark.

Die Beklagte behindere rechtswidrig die Aufnahme des Geschäftsbetriebs durch die Klägerin. Sie, die Klägerin, erfülle die Anforderungen an einen Lesezirkel. Insbesondere habe sie die Liefer- und Zahlungsbedingungen der Beklagten für Lesezirkelunternehmen anerkannt. Damit bestehe die Verpflichtung der Beklagten, sie, die Klägerin, auch zu diesen Bedingungen zu beliefern.

Welche Ergebnisse Testläufe mit im Einzelhandel erworbenen Zeitschriften ergeben hätten, sei für den kartellrechtlichen Anspruch unerheblich. Da es sich nicht um Zeitschriftenexemplare handele, die zu den Bedingungen und Preisen für Lesezirkelunternehmen gekauft worden seien, verböten sich Rückschlüsse darauf, ob die Klägerin die Voraussetzungen erfüllen könne, die die Beklagte an Lesezirkelunternehmen stelle.

Die Klagschrift enthält zu Ziffer 1. den Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die Zeitschriften ... nach Maßgabe ihrer Liefer- und Zahlungsbedingungen für Lesezirkel zu liefern. Nunmehr konkretisiert die Klägerin ihren Antrag und beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin je 600 Exemplare der Zeitschriften ... nach Maßgabe ihrer Liefer- und Zahlungsbedingungen für Lesezirkel zu liefern;

  2. a) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die Nichtbelieferung mit den in Ziffer 1. genannten Zeitschriften entstanden ist und noch entsteht;

    b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auf die seitens der Klägerin verauslagten Gerichtskosten Zinsen gem. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB seit dem Zeitpunkt ihrer Einzahlung bis zur Beantragung der Kostenfestsetzung nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, unter Herrschaft von §§ 15, 16 GWB selbst zur Einhaltung der Preisbindung verpflichtet zu sein. Schon aus diesem Grunde müsse sie sicherstellen, dass ein von ihr zu Lesezirkelbedingungen beliefertes Unternehmen auch die Voraussetzungen erfülle, die allgemein und auch von ihr an Lesezirkel gestellt würden. Das bedeute, dass sich der Beziehende ihr gegenüber verpflichten müsse, die Lesezirkelbestimmungen einzuhalten, d.h. der Bezieher müsse sicherstellen, die Zeitschriften im Lesezirkel an mehrere Bezieher hintereinander zu vermieten, sie beim Letztnutzer abzuholen und zu entsorgen. Nur bei strikter Einhaltung dieser Bedingungen seien - unzulässige - Vermischungen im Presseeinzelhandel usw. zu vermeiden.

Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht. Substantiierter Vortrag der Klägerin, wie sie die Einhaltung der Bedingungen gewährleisten könnte, fehlte. Das bisherige Vorgehen der Klägerin habe vielmehr gezeigt, dass sie die Bedingungen missachte. Untersuchungen der Beklagten im Hinblick auf die an sich schon rechtswidrigen "Testläufe" der Klägerin hätten gezeigt, dass die in den Frisörsalons ausgelegten Zeitschriften nicht aktuell gewesen seien, die Anlieferung häufig per Post erfolgt sei und eine regelmäßige Rückholung bei 20 Frisörsalons nur in 2 Fällen habe festgestellt werden können. In zahlreichen Fällen sei es zu Aussetzern in der Belieferung gekommen, die Verteilung der Lesemappen auf die Filialen sei durch die Frisörkette erfolgt, die Frisörsalons seien angewiesen worden, die Zeitschriften in Eigenregie zu entsorgen und die Vermittlung der jeweils in Plastik eingeschweißten Zeitschriften sei per Post ohne Lesemappe erfolgt, weil die Salons die Zeitschriften selbst entsorgen müssten. Vor allem sei aber zu beanstanden, dass die Klägerin bei Frisörkunden der ... AG, die von dieser einen festen Rabatt auf alle Frisörprodukte erhielten, diesen Rabatt auch auf die Zeitschriften erstrecke. Der Zeitschriftenbezug sei nur bei komplettem Produktwechsel kündbar. Bei besonders hohen Umsätzen verauslage die Klägerin zusätzliche Zeitschriften.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die darin enthaltenen Beweisangebote Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Klagantrag zu I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Belieferung von je 600 Exemplaren der Zeitschriften ... nach Maßgabe ihrer Liefer- und Zahlungsbedingungen für Lesezirkel zu. Ein derartiger Anspruch ergibt sich weder aus § 20 GWB noch aus einer sonstigen Anspruchsgrundlage.

Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel, ob die Beklagte auf dem sachlich relevanten Teilmarkt ein marktbeherrschendes Unternehmen i.S.d. § 20 I GWB oder jedenfalls ein marktstarkes Unternehmen i.S.d. § 20 II GWB darstellt. Sunstantiierten Vortrag, der den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast entspricht, hat die Klägerin jedenfalls nicht erbracht.

Aber selbst unterstellt, die Beklagte sei ein marktbeherrschendes oder zumindest marktstarkes Unternehmen und nach dem großzügigen Prüfungsmaßstab der Rechtsprechung handele es sich bei dem Lesezirkelmarkt um einen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr i.S.d. § 20 I GWB - wobei insoweit erhebliche Bedenken angesichts der von der Klägerin beabsichtigten Durchführung eines markenbezogenen Lesezirkels ("...-Lesezirkel") bestehen - wäre die Nichtbelieferung der Klägerin durch die Beklagte zu deren Liefer- und Zahlungsbedingungen jedenfalls keine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 I GWB.

Ob eine Behinderung unbillig ist oder einer unterschiedlichen Behandlung die sachliche Rechtfertigung fehlt, ist - ständige Rechtsprechung des BGH - aufgrund einer Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen zu beurteilen, die sich an der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Funktion des Gesetzes zu orientieren hat (vgl. BGHZ 38, 90 (102) - Treuhandbüro; 52, 65 (71) - Sportartikelmesse, 107, 273 (280) - Staatslotterie; BGH WuW/E 2479, 2482 - Reparaturbetrieb; BGH GRUR 2000, 95 (96) Feuerwehrgeräte). Dabei fällt zunächst ins Gewicht, dass die Begründung einer Kontrahierungspflicht in besonderer Weise in den Rechtskreis des Normadressaten und seine wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit eingreift. Ein solcher Eingriff ist auch vor dem Hintergrund der Funktion des Kartellrechts, die Freiheit des Wettbewerbs zu gewährleisten, nur dann zu rechtfertigen, wenn die gebotene Abwägung ergibt, dass die Interessen des Normadressaten jedenfalls nicht überwiegen (vgl. BGHZ 129, 53 (61) Importarzneimittel). Vorliegend überwiegen aber die Interessen der Beklagten.

Zunächst konnte die Klägerin nicht darlegen, dass sie die Anforderungen erfüllt, die die Beklagte an Lesezirkel stellt und aufgrund der von ihr, der Beklagten, durchgeführten Preisbindung im Zeitschriftenhandel gem. §§ 15, 16 GWB bzw. §§ 8, 3 UWG auch selbst einzuhalten verpflichtet ist. Angesichts der Preisbindung im Zeitschriftenhandel und der eigenen wettbewerbsrechtlichen Verpflichtung der Beklagten, selbst nicht ohne sachlichen Grund von dieser Vorgabe abzuweichen, müsste die Klägerin zumindest substantiiert vortragen und darlegen, dass sie die Anforderungen als Lesezirkel erfüllt. Dies ist nicht geschehen.

Der Umstand, dass die Klägerin die Liefer- und Zahlungsbedingungen der Beklagten unterschrieben und erklärt hat, diese anzuerkennen, genügt hierfür nicht. Die konkrete Umsetzung des - den ausgesprochen niedrigen Preisen gegenüberstehenden, der Reichweitenmaximierung im Anzeigengeschäft dienenden - Logistikaufwands, der erforderlich ist, um die Lesemappen beim Erst-, dem Zweit- und ggf. weiteren Kunden abzuholen, sie ggf. neu zu konfektionieren und sodann in einer Folgemappe weiter auszuliefern, wird von der Klägerin nicht annähernd vorgetragen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin Kunden oder zumindest Interessenten für die Folgemappen hat, so dass sie auch aus diesem Grunde nicht die Anforderungen erfüllt, die die Beklagte - berechtigterweise - an die Lesezirkler stellt.

Darüber hinaus weist die Kammer auf folgendes hin:

In der Sache verkauft die Beklagte zum Zwecke der Förderung ihres Anzeigengeschäfts begehrte Zeitschriftentitel an Lesezirkel mit Verlusten. Es ist offensichtlich, dass sich ihr Anzeigengeschäft nur auszahlt, wenn sie bei dem Vertrieb ihrer Zeitschriftenartikel gegenüber ihren Anzeigenkunden Neutralität wahrt und nicht den Eindruck erweckt, lediglich einen einzelnen Markenartikler zu fördern und zu unterstützen. Dies hätte nämlich den Verlust anderer, mit dem Markenartikler konkurrierender Anzeigenkunden zur Folge. Auch wenn die nunmehr mit dem Klagantrag begehrte Anzahl der jeweiligen Zeitschriften (600 Exemplare) nicht allzu erheblich ist, würde doch der sich im Anzeigengeschäft bereits auszahlende Anschein der konkreten Unterstützung eines bestimmten Markenartiklers (der ... AG) durch ...-Werbung auf den Umschlägen der Zeitschriftentitel im "...-Lesezirkel" entstehen und das Anzeigengeschäft der Beklagten behindern statt es zu fördern.

Bei dieser Interessenlage wäre die Nichtbelieferung der Klägerin aus Sicht der Kammer selbst dann nicht unbillig, wenn die Klägerin im Übrigen die Voraussetzungen erfüllen würde, die die Beklagte im Hinblick auf den Logistikaufwand und die Vermietung der Zeitschriftentitel in Erst- und Folgemappen und die Sicherstellung der anschließenden Vernichtung an Lesezirkelunternehmen stellt. Vielmehr würde ein entsprechender Kontrahierungszwang der Beklagten unangemessen in ihre wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit eingreifen.

2. Klagantrag zu II.

Da die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Belieferung von Zeitschriften nach den Lesezirkelkonditionen hat, können ihr auch keine aus der Nichtbelieferung resultierenden Schadenersatzansprüche zustehen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 269 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


Schneider Perels Hölk

Rechtsgebiete

Kartellrecht