Absicherung eines Räumfahrzeugs auf der Autobahn

Gericht

OLG Braunschweig


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

04. 02. 2002


Aktenzeichen

7 U 67/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Ein Räumfahrzeug muss nicht weiter abgesichert werden, wenn es mit 15 km/h bei Dunkelheit auf dem linken Fahrstreifen einer Autobahn fährt und mit weiß-rotem Warnanstrich und Rundumleuchte gekennzeichnet ist.

  2. Verursacht ein anderer Fahrzeugführer einen Unfall mit dem Räumfahrzeug, weil er gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 I StVO verstoßen hat, so haftet er für die an beiden Fahrzeugen entstandenen Schäden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 26. 12. 1999 auf der BAB 7 zwischen K. und G. in nördlicher Fahrtrichtung bei Km 291,65 auf Höhe der Ortschaft L. ereignete.

Zwischen 15.30 Uhr und 16.15 Uhr befuhr der Drittwiderbeklagte zu 1) den von dem Kl. gehaltenen und bei der Drittwiderbekl. zu 2) gegen die gesetzliche Haftpflicht versicherten Pkw der Marke Mazda 626 GLX Kombi auf der oben genannten Autobahn. Zur gleichen Zeit befuhr dieselbe Autobahn das Räumfahrzeug des beklagten Landes, ein Lkw der Marke Daimler Benz, das von dem Zeugen S gesteuert wurde, zum Winterdienst. Beifahrer war der Zeuge L. Das Fahrzeug des beklagten Landes war neben einem Schneepflug mit einem weiß-rot-weißen Warnanstrich, drei gelben Rundumleuchten und zwei weiteren Gelblichtscheinwerfern respektive Richtstrahlern ausgestattet. Zum Unfallzeitpunkt war nach vorangegangenen Schneefällen die Witterung bedeckt. Die Straße war nass. Ob sie auch mit Schneeresten bedeckt war, ist zwischen den Parteien streitig. Das Räumfahrzeug befuhr die linke Fahrbahn mit einer maximalen Geschwindigkeit von 15 km/h, um ein Hinüberwerfen des Schneematsches auf die Gegenfahrbahn zu vermeiden. Als sich der Drittwiderbekl. mit dem Fahrzeug des Kl. von hinten mit einer von ihm geschätzten Geschwindigkeit von ca. 110 km/h näherte, befand sich das Räumfahrzeug in einer Linkskurve der bis zu 8% starken Gefällstrecke der BAB 7, ca. 500 Meter vor der W-Brücke entfernt. Der Drittwiderbekl., der ebenfalls die linke Überholspur befuhr, bemerkte das Räumfahrzeug zu spät, leitete eine Bremsung ein und versuchte das Fahrzeug auf die mittlere Fahrspur hinüberzuziehen. Dies gelang ihm auch. Allerdings geriet das Fahrzeug ins Schleudern und berührte den seitlich nach rechts hervorstehenden Schneepflug des Räumfahrzeugs, stieß gegen die Leitplanke und kam schließlich vor dem Räumfahrzeug zum Stehen. An beiden Fahrzeugen entstand ein materieller Schaden. Die auf vollen Ersatz des materiellen Schadens gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Dem Kl. stehen Schadensersatzansprüche auf Grund des Verkehrsunfalls, der sich am 26. 12. 1999 auf der Bundesautobahn 7 K.-G. ereignet hat, weder gemäß § 7 I StVG noch gem. §§ 823 ff. BGB zu.

a) Schadensersatzansprüche gem. § 7 I StVG scheiden aus, weil das beklagte Land gem. § 7 II StVG den Beweis für die Unabwendbarkeit des Unfalls für den Fahrer des an dem Unfall beteiligten Räumfahrzeuges erbracht hat, während das alleinige Verschulden am Zustandekommen des Unfalls den Sohn des Klägers trifft:

aa) Unabwendbar ist ein Verkehrsunfall dann, wenn auch ein besonders sorgfältiger Fahrer ihn bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht hätte vermeiden können. Dies ist bei dem Fahrer des Räumfahrzeuges, dem Zeugen S, der Fall. Maßgebend für die Unabwendbarkeit des Unfalls auf seiten des Zeugen S ist zunächst, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Drittbekl. zu 1), sich dem auf der linken Fahrspur der Bundesautobahn befindlichen Räumfahrzeug des bekl. Landes unter Verstoß gegen das Sichtfahrgebot des § 3 I 2, 4 StVO von rückwärts genähert hat und durch diesen Verkehrsverstoß das zum Unfall führende heftige Bremsmanöver selbst schuldhaft herbeigeführt hat. Das Sichtfahrgebot gilt auch auf Autobahnen (vgl. OLG Bamberg, NZV 2000, 49; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., Rz. 15 zu § 3 m.w.N.).

Der Drittwiderbekl. zu 1) hat zunächst die linke Fahrspur der Bundesautobahn mit einer so hohen Geschwindigkeit befahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke nicht zum Stillstand kommen konnte. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob seine tatsächliche Geschwindigkeit nur 100 km/h betrug oder aber - wie der Kl. selbst in erster Instanz vorgetragen hat - 110 km/h. Die Fahrbahn, die der Drittwiderbekl. zu 1) befuhr, war für ihn nach Angaben des Kl. wegen ihres kurvigen Verlaufs und der auf dem Mittelstreifen befindlichen Buschkante nur in geringem Umfang einsehbar. Diese Tatsache sowie der Umstand, dass sich der Bremsweg durch die abschüssige Strecke und durch die Witterungsverhältnisse verlängern musste, hätten den Drittwiderbekl. zu 1) zu einer Verringerung der Geschwindigkeit veranlassen müssen. Hinzu kommt, dass es nach Angaben des Kl. zum Unfallzeitpunkt bereits dunkel war, er also mit Beleuchtung fahren musste.

Eine Einschränkung des Sichtfahrgebots des § 3 I 2 StVO gem. § 18 StVO kommt hier nicht in Betracht. Denn die in § 18 VI StVO aufgeführten Sonderfälle liegen nicht vor. Der Drittwiderbekl. zu 1) konnte sich an den Schlussleuchten eines vor ihm fahrenden Fahrzeuges nicht orientieren. Denn er hat das vor ihm befindliche Räumfahrzeug des beklagten Landes nach Angaben des Kl. wegen der Kurve und des Buschstreifens gerade nicht gesehen. Auch der zweite Ausnahmefall des § 18 VI StVO liegt nicht vor. Auch auf Autobahnen muss prinzipiell mit Hindernissen gerechnet werden, und zwar sogar mit unbeleuchteten. Ein Autobahnbenutzer braucht seine Geschwindigkeit lediglich nicht so gering zu bemessen, dass er selbst außergewöhnlich schwer erkennbare auf der Fahrbahn liegende Gegenstände noch rechtzeitig erkennen kann. Dazu gehören Fahrzeuge aber gerade nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn sie nachts unbeleuchtet auf der Fahrbahn einer Autobahn stehen (vgl. OLG Bamberg, NZV 2000, 49; Hentschel, a.a.O., Rz. 27). Diese Erwägungen müssen erst recht für ein langsam fahrendes Räumfahrzeug gelten, zumal man am zweiten Weihnachtstag bei noch vorhandenen Schneeresten gerade vor Einbruch der Nacht mit einem solchen rechnen muss.

Das Verschulden des Drittwiderbekl. zu 1) ist als schwerwiegend anzusehen. Nach der Entscheidung des OLG Frankfurt NZV 1990, 154, ist bei Fahren mit Abblendlicht eine Geschwindigkeit von 60 km/h und mehr schon als grob fahrlässig anzusehen. Hier ist zwar unklar, ob der Drittwiderbekl. zu 1) bei Dunkelheit mit Fernlicht oder Abblendlicht gefahren ist. Das Befahren der Autobahn unter den bestehenden Witterungs- und Streckungsverlaufsverhältnissen mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h wird man aber ebenfalls als grob fahrlässig ansehen müssen.

Der Drittwiderbekl. zu 1) hat unter Zugrundelegung des Klägervortrages, er habe die Kurve nicht einsehen können, einen „Blindflug“ in die Kurve hinein bei Dunkelheit, abschüssiger Fahrstrecke, Winterwetter und zumindest nasser Fahrbahn gemacht. Soweit sich aus den bei der Akte befindlichen Lichtbildern vom Unfallort entnehmen lässt, dass das Räumfahrzeug trotz der vorhandenen Kurve auf eine Entfernung von 180 m bereits sichtbar war, hätte diese Strecke bei Einhaltung einer den Umständen angemessenen Geschwindigkeit bei weitem ausgereicht, um den Unfall zu vermeiden. Soweit der Drittwiderbekl. zu 1) das Räumfahrzeug bereits aus größerer Distanz bemerkt und nicht sofort reagiert haben sollte, wäre ihm darüber hinaus eine unaufmerksame Fahrweise und damit ein schwerwiegender Verstoß gegen § 1 II StVO vorzuwerfen.

bb) Angesichts dieses schwerwiegenden Verstoßes des Drittwiderbekl. zu 1) gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung konnte der Fahrer des Fahrzeugs des beklagten Landes den Unfall nicht vermeiden. Denn er hat selbst unter Einhaltung der gebotenen Sorgfalt gehandelt:

Zwar haben die Zeugen S und L die linke Fahrspur der Bundesautobahn mit der selbst für ein im Einsatz befindliches Räumfahrzeug äußerst geringen Geschwindigkeit von 15 km/h, nach Angaben des Zeugen S möglicherweise auch weniger, befahren. Gleichwohl ist dem Fahrer S ein Verstoß gegen § 3 II StVO nicht vorzuwerfen, denn das Räumfahrzeug hat die Bundesautobahn nicht ohne triftigen Grund mit der geringen Geschwindigkeit befahren.

Der Fahrer des Räumfahrzeugs kann nämlich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 VI StVO für sich in Anspruch nehmen. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass das Räumfahrzeug als solches ordnungsgemäß gekennzeichnet war. Dies hat das bekl. Land bewiesen. Unstreitig vorhanden war der gem. § 35 VI StVO erforderliche weiß-rot-weiße Anstrich des Räumfahrzeuges. Darüber hinaus ist nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme aber auch davon auszugehen, dass die am Fahrzeug befindlichen Rundumleuchten eingeschaltet waren (wird ausgeführt).

Der Fahrer und der Beifahrer des Räumfahrzeuges haben bei ihrer in langsamem Tempo durchgeführten Einsatzfahrt auch nicht gegen das Übermaßverbot (§ 35 VIII StVO) verstoßen. Der Fahrer eines bevorrechtigten Fahrzeuges darf unter Berücksichtigung der Wichtigkeit und Dringlichkeit seiner Aufgabe, die er im Einzelfall zu erfüllen hat, ein gewisses erhöhtes Risiko in Kauf nehmen; er muss aber auch prüfen, welches Maß an Wagnis im Einzelfall noch als zulässig anzusehen ist (OLG Bamberg, VM 76, 94, 95). Diese Abwägung haben der Fahrer S und sein Beifahrer L sachgerecht vorgenommen. Der Einsatz des Räumfahrzeuges an diesem zweiten Weihnachtstag war wichtig und dringlich. Denn auf der linken Fahrspur der Bundesautobahn waren nach erfolgten Schneefällen noch Schneematschreste vorhanden. Diese Schneematschreste waren vor Einbruch der Nacht von der Fahrbahn zu räumen. Dazu bedurfte es, wie der Zeuge S überzeugend bekundet hat, eines besonders langsamen und vorsichtigen Fahrens, um den Schnee nicht auf die Gegenfahrbahn zu werfen. Dass das Räumfahrzeug hierbei nur mit geringer Geschwindigkeit gefahren werden konnte, ist plausibel. Hinzu kommt, dass niemand freiwillig mit einem Räumfahrzeug den linken Fahrstreifen der Bundesautobahn mit einer derart geringen Geschwindigkeit befahren wird, wenn es dafür keinen triftigen Grund gibt. Denn die geringe Geschwindigkeit bedeutet ein Risiko nicht nur für den nachfolgenden, gerade auf der linken Fahrspur besonders schnellen Verkehr, sondern auch für die Insassen des Räumfahrzeuges selbst.

Weitere Sicherheitsmaßnahmen wie etwa das Aufstellen eines Warnpostens oder die Beteiligung eines nachfahrenden Fahrzeugs mit Signaltafel waren entgegen der Auffassung des Kl. nicht erforderlich. Das Aufstellen eines Postens wäre schon deshalb eine ungeeignete Maßnahme gewesen, weil das Räumfahrzeug sich weiterbewegte und der Posten selbst in der Dunkelheit nur schwer erkennbar gewesen wäre. Eine denkbare zusätzliche Sicherungsmaßnahme wäre danach allein der Einsatz eines in ausreichendem Abstand hinter dem Räumfahrzeug fahrenden weiteren Fahrzeuges mit einer Signaltafel gewesen. Diese Maßnahme ist aber im Rahmen des ohnehin schon schwer zu bewerkstelligenden Wintereinsatzes unzumutbar. Im Übrigen kann von den Verkehrsteilnehmern erwartet werden, dass sie nicht nur das Sichtfahrgebot einhalten, sondern sich insbesondere nach erfolgtem Schneefall bei noch vorhandenen Schneematschresten kurz vor Einbruch der Dunkelheit an einem Feiertag auf den Einsatz von Räumfahrzeugen einstellen. Abgesehen davon war das Räumfahrzeug des bekl. Landes auch aus einer Geschwindigkeit von mindestens 180 m noch sehr gut zu erkennen; selbst auf dem Lichtbild, das die Polizeibeamten aus einer Entfernung von ca. 280 m bis 300 m vom Unfallort aufgenommen haben, ist die eingeschaltete Beleuchtung des Fahrzeuges noch erkennbar.

b) Ansprüche aus § 823 I , II BGB scheiden danach ebenfalls aus. Denn ein Verschulden des Fahrers des Räumfahrzeuges liegt nicht vor.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht; Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

BGB § 823 I; StVO §§ 3 I, 35 VI, VIII