Kündigung: Widerspruch des Betriebsrats nur mit E-Mail unwirksam

Gericht

ArbG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

16. 03. 2004


Aktenzeichen

4 Ga 43/04


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob der antragstellende Arbeitgeber (im Folgenden Kläger) von der Weiterbeschäftigungspflicht gegenüber der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) zu entbinden ist.

Die Beklagte ist seit dem 1.7.1983 zunächst bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin und zuletzt bei der Klägerin als Beraterin Personalsysteme innerhalb der Geschäftsstelle Personalsysteme zu einer Jahresbruttovergütung i.H.v. zuletzt 58.461 Euro beschäftigt.

Mit Schreiben v. 3.12.2003, dem Betriebsrat am 8.12.2003 übergeben, hörte die Klägerin den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses an ( ...). Mit E-Mail, gesendet am 12.12.2003, erklärte der Betriebsrat u.a. Folgendes:

"... Der Betriebsrat widerspricht der geplanten Kündigung von Frau ... gem. § 102 Abs. 3 Ziff. 3 und 5 BetrVG. ( ... )"

Die E-Mail ist - naturgemäß - handschriftlich nicht unterzeichnet. Mit Schreiben v. 3.12.2003, der Beklagten zugegangen am 18.12.2003, kündigte die Klägerin das mit der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis zum 30.6.2004. Mit am 19.12.2003 bei Gericht eingegangener Klageschrift hat sich die Beklagte in dem Verfahren zum Aktenzeichen 4 Ca 12693/03 gegen diese Kündigung gewandt. Mit Schreiben v. 19.12.2003 verlangte die Beklagte von der Klägerin die Weiterbeschäftigung über den 30.6.2004 hinaus.

Nachdem am 26.2.2004 im Verfahren zum Aktenzeichen 4 Ca 12693/03 der Gütetermin gescheitert war, hat die Klägerin mit am 2.3.2004 bei Gericht eingegangener Antragsschrift ihre Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht beantragt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist zum großen Teil begründet, denn der Widerspruch des Betriebsrats ist offensichtlich unwirksam.

Der Klägerin steht ein Rechtsschutzinteresse zu hinsichtlich der Frage, ob sie die Beklagte weiter beschäftigen muss oder nicht. Liegt schon formell gesehen ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats nicht vor, so ist in der Rechtsprechung umstritten, ob in einem solchen Fall, wenn der Arbeitgeber dennoch eine einstweilige Verfügung beantragt, eine entsprechende Verfügung ggf. wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses nicht erlassen werden kann (LAG Berlin v. 11.6.1974, DB 1974, 1629; LAG Baden-Württemberg v. 15.5.1974, DB 1975, 43). Aus Gründen der Rechtsklarheit und des Rechtsfriedens ist derjenigen Ansicht zu folgen, die auch im Falle eines formell nicht ordnungsgemäßen Widerspruchs das Interesse auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht bejaht.

Der Verfügungsanspruch der Klägerin ergibt sich daraus, dass der Betriebsrat mit seinem per E-Mail erhobenen Widerspruch die Formvorschrift des analog anzuwendenden § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG nicht eingehalten hat. Rechtsprechung und arbeitsrechtliche Literatur gehen ganz überwiegend davon aus, dass zur Wahrung der Schriftform bei einem ordnungsgemäßen Widerspruch die eigenhändige Unterschrift des zur Abgabe der Erklärung zuständigen bzw. ermächtigten Betriebsratsmitglieds gehört (vgl. Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz. 177 m.w.N.). Es ist auch, zumal im einstweiligen Verfügungsverfahren, kein Grund ersichtlich, von der Formvorschrift des § 126 BGB im Rahmen des Widerspruchsverfahrens abzuweichen.

Die neuere BAG-Rechtsprechung zum Schriftformerfordernis bei der Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG ist nicht einschlägig (vgl. BAG v. 11.6.2002 - 1 ABR 43/01, BAGReport 2003, 78 = NZA 2003, 226). Nach dieser Rechtsprechung genügt die Übermittlung der Zustimmungsverweigerung per Telefax durch den Betriebsrat dem Gebot der Schriftlichkeit gem. § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Unabhängig von der Frage, ob diese Rechtsprechung auf den Widerspruch des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 5 BetrVG übertragen werden kann, ist eine E-Mail einem Telefaxschreiben nicht gleichzusetzen. I.Ü. liegen die Voraussetzungen der elektronischen Form gem. § 126a BGB nicht vor.

Die Klägerin handelt auch nicht rechtsmissbräuchlich. Das Gericht unterstellt zu Gunsten der Beklagten, dass im Betrieb der Klägerin üblicherweise über E-Mail kommuniziert wird und dass der Betriebsrat bisher alle Widersprüche auf diese Weise erhoben hat, ohne dass dieses von der Klägerin beanstandet worden ist. Angemerkt sei allerdings, dass das Anhörungsschreiben der Klägerin an den Betriebsrat v. 3.12.2003 handschriftlich unterzeichnet ist. Doch unabhängig davon handelt eine Partei nicht ohne Weiteres, d.h. ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, rechtsmissbräuchlich, wenn sie über längere Zeiträume einen Formmangel hinnimmt und sich sodann in einem Einzelfall auf diesen Formmangel beruft. Aus der Hinnahme des Formmangels über einen längeren Zeitraum darf die Gegenseite ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht darauf vertrauen, dass der Formmangel auch in Zukunft nicht gerügt wird. ...

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BetrVG § 102 Abs. 2 S. 1