Strafvereitelung durch Verteidiger

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

26. 11. 1998


Aktenzeichen

4 StR 207/98


Leitsatz des Gerichts

Die Grenzen sachgerechter erlaubter Strafverteidigung sind regelmäßig überschritten, wenn der Verteidiger seinem Mandanten Informationen über Eigenschaften, Wirkungsweise und Dosierung von tatsächlich nicht eingenommenen Medikamenten beschafft, um damit unter Verletzung seiner Wahrheitspflicht wissentlich wahrheitswidrige Einlassungen seinesMandanten zu ermöglichen. Ein solches Verhalten kann als sachwidrige Erschwerung der Strafverfolgung den Tatbestand der Strafvereitelung nach § 258 StGB erfüllen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Angekl. ist im LG-Bezirk als Rechtsanwalt zugelassen. Von 1988 bis 1990 vertrat er den mit ihm eng befreundeten Franz St in zahlreichen Straf- und Ermittlungsverfahren, u.a. in einem Strafverfahren beim LG Göttingen wegen Betruges und Geiselnahme in Tateinheit mit Nötigung, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie schwerer räuberischer Erpressung. Dem seinerzeit inhaftierten St wurde vorgeworfen, bei einer Ausführung Justizbedienstete unter Vorhalt einer Gaspistole als Geiseln genommen undauf der anschließenden Flucht eine schwere räuberische Erpressung begangen zu haben. Am 12. 3. 1990 schrieb St an den Angekl., seinen damaligen Verteidiger, einen später beschlagnahmten Brief, der auszugsweise (wörtlich) folgenden Inhalt hat (bei der dort mehrfach erwähnten „R„ handelt es sich um eine dem früheren Mitangekl. St bekannte Ärztin).

„Lieber Eberhard . . .

Nun zu der Sache mit der Geiselnahme . . .

Noch was, R schrieb mir, sie will mir nichts dazu schreiben wegenmeinem Verfahren, aber Du sollst Dich bei ihr melden, sie sagt Dir dann - welches Amphetatamin-Präparat ich angeben soll, was ich vor meiner Geiselnahme einnahm;

- welche Dosis (Aussehen und Beschaffenheit des Medikaments)

- Laß Dir noch sagen, die Wirkung des Medikaments auf denmenschlichen Organismus besonders was die Enthemmung-Zurechnungsfähigkeit betrifft.

Sage R auch ob Du was schriftliches brauchst (Veröffentlichungen aus Ärztezeitschriften zu dem Medikament oder so).

R traut meiner Post nicht, da hat sie auch Recht, man weiß ja nie. Heute habe ich daher Mitteilung von R bekommen, Du sollst Dich beiihr melden . . .

Wir erfahren dann alles was wir brauchen um die Grundlage für den § 21 StGB zu legen und das ist wichtig wegen des Strafmaßes und auch in der Revision, da gerade die Anwendung des § 21 StGB unerschöpfliche Quelle für die Revision ist wie Du weißt.

Bitte spreche dazu mit R, schreibe mir was sie sagte, ok? Für michist vor allem wichtig, der (bitte R fragen)

Name des Amphetatamin-Präparats

weil ich hier noch durch Zeugenaussagen den Hintergrund belegen muß (ich laß mir eidesstattliche Versicherungen geben) -ein verläßlicher Mitgefangener hier arbeitet im Krankenrevier -und gibt mir eidesstattlich das er mir das Medikament aus der Krankenabteilung beschafft hat. Damit wir auch glaubhaft die Herkunft des Medikaments belegen können, so daß meine Einlassung nicht als Schutzbehauptungabgetan werden kann.

Von R brauchen wir noch Angaben zur Wirkung des Medikaments, die nur ein Arzt weiß oder der Betreffende, der es eingenommen hat . . .

Wie gesagt bitte rufe R an, schreibe mir und ich muß dann hier für die eidesstattliche Versicherung etc. sorgen, feststellen ob das Medikament hier überhaupt gibt usw. Es muß ja Hand und Fuß haben, daherkläre Du das bald (!!) mit R und ich erledige hier den Rest.

Wenn das alles klar ist, überlegen wir uns das weitere Vorgehen, denn du mußt dann das Gericht verständigen, die Initiative muß von Dir ausgehen, in der meine Zurechnungsfähigkeit wegen des Medikaments in Frage gestellt wird. Die Zeit drängt aber, ich möchte nichtwieder bis zum letzten Tag zuwarten, das bringt immer nichts . . .

Gerade deshalb müssen wir frühzeitig unsere Strategie festlegen. Wenn wir erst kurz vor der Hauptverhandlung mit unserem Argument kommen, glaubt das Gericht wir wollen nur den Prozeß verzögern.Daher müssen wir meine Medikamenteneinnahme und die daraus folgende bedingte Unzurechnungsfähigkeit frühzeitig im Verfahren einführen, ok?

Deshalb sollten wir nun auch schon beantragen das Du Pflichtverteidiger im Verfahren bestellt wirst, es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor . . .„

Ein Schreiben des Angekl. vom 9. 4. 1990 an seinen Mandanten St lautete auszugsweise wie folgt:

„Lieber Franz . . .

2. Captagon: Ich glaube nicht so recht daran, daß dieses Medikament das richtige ist. Käthe meint allerdings auch, daß es recht unterschiedlich wirken kann. Nun ja, R müßte es am besten wissen und von daher kannst Du es ja ins Kalkül ziehen.„

Dieses Schreiben beantwortete St am 16. 4. 1990 wie folgt:

„Lieber Eberhard,

nun will ich heute dir im Nachgang zu unseren Telefonaten nochschreiben . . .

Wegen Captagon, da kann ich dir nur sagen, das R in einem Fall den Sie zur Begutachtung hatte vor dem LG Nürnberg selbst Versuche an sich durchführte (!!), an sich selbst, denn sie glaubte das was der Probandt gesagt hat auch nicht und führte an Sich (!!) Versuche mit demMedikament durch. Die Ergebnisse überraschten sie selbst. Wir können uns daher in dem Punkt auf R schon verlassen, sie spricht aus Erfahrung nicht nur aus der Theorie wie andere Sachverständige sie erprobte das Medikament selbst an sich. In dem Punkt habe ich ohnehin noch einige Fragen an R und kläre da noch einiges ab, erst dann werde ich nach Klärung aller Fragen meine Strategie ausarbeiten, ich informiere Dich rechtzeitig und erst nach Deiner Zustimmung werde ichdann weiteres veranlassen, ok?

In einem Nachsatz dieses Schreibens forderte St den Angekl. auf, nicht zu vergessen, ihm einen Auszug aus der roten Liste zu Captagon zu kopieren.

In seinem Gutachten vom 6. 11. 1991 kam der psychologischeSachverständige aufgrund der behaupteten Medikamenteneinnahme (3 bis 4 Tabletten Captagon täglich) und der geschilderten Wirkungsweise des Medikaments zu dem Ergebnis, Captagon habe als amphetaminverwandtes Stimulans zu einer „physiologischen Aktivierung und damit zu einer Steigerung des Erregungsniveaus„ geführt.

Mit Schriftsatz vom 29. 11. 1991 trug Rechtsanwältin F B, die neben dem Angekl. als Pflichtverteidigerin bestellt worden war, u.a. folgendes vor:

„In der Strafsache gegen Franz St wird zur Vorbereitung der medizinischen Begutachtung des Herrn St folgendes zur Kenntnis gegeben:

Am Tag der „Geiselnahme„ nahm der Angekl. ca. 2 bis 3 KapselnCaptagon zu sich, die letzte 2 Stunden vor der Tat. In der Nacht vorher nahm er eine Schlaftablette Rohypnol.

Da diese Medikamente in Haft in der Regel nicht erhältlich sind, ließ sich der Angekl. auf Raten seines damaligen Anwaltes im Januar1991 zwei Versicherungen an Eides statt übergeben . . .„

Das LG Göttingen stellte schließlich in seinem Urteil vom 12. 12. 1991 die von dem Angekl. St wahrheitswidrig behauptete Medikamenteneinnahme fest und konnte deshalb - den psychologischen und medizinischen Gutachten folgend - eine erhebliche Minderung derSchuldfähigkeit nicht ausschließen (Verstärkung der Affektivität und Steigerung der emotionalen Erregbarkeit infolge der Tabletteneinnahme). Die Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB führte zur Anwendung der gemilderten Strafrahmen der §§ 239b II , 250 II und 315b III Alt. 2 StGB.

Das LG hat den Angekl. wegen Beihilfe zum Betrug in 34 Fällenund wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf der Strafvereitelung hat es den Angekl. freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch hat die StARevision eingelegt.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Es führte zur Aufhebung des Freispruchs und der Gesamtstrafe.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das LG der Auffassung, der Angekl. habe nur eine straflose Beihilfe zur straflosen Selbstbegünstigung seines Mandanten begangen. Dem Angekl. habe schon deshalb die Tatherrschaft gefehlt, weil er den - objektiv falschen - Vortrag zur Medikamenteneinnahme der - wie die StrK angenommen hat - gutgläubigen zweiten Pflichtverteidigerin überlassen habe.Seine Tatbeteiligung sei allenfalls eine Art Vorbereitungshandlung für das straflose Vorgehen des Franz St zu werten.

2. Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand:

a) Der Verteidiger ist als Rechtsanwalt ein selbständiges, dem Gericht und der StA gleichgeordnetes Organ der Rechtspflege. In seiner Beistandsfunktion darf er sich nur der prozessual- und standesrechtlich erlaubten Mittel bedienen, einRecht zur Lüge hat er ebensowenig (Tröndle 48. Aufl., § 258 Rn 7) wie ein Recht zur Beratung bei der Lüge (Beulke JR 1994, 116ff.; Bottke ZStW 96 [1984], 726, 757, 758 ). Insbesondere ist es ihm untersagt, durch aktive Verdunkelung undVerzerrung des Sachverhalts die Wahrheitserforschung zu erschweren (BGHSt 9, 20, 22; 38, 345, 348) oder Beweisquellen zu verfälschen (BGHSt 38, 345, 348; Dahs Hdb. des Strafverteidigers, 5. Aufl., Rn 15). Die Grenzen sachgerechter erlaubter Strafverteidigung sind regelmäßig überschritten, wenn der Verteidiger seinem Mandanten Informationen über Eigenschaften, Wirkungsweise und Dosierung von tatsächlich nichteingenommenen Medikamenten beschafft, um damit unter Verletzung seiner Wahrheitspflicht wissentlich wahrheitswidrige Einlassungen seines Mandanten zu ermöglichen (vgl. Dahs aaO, Rn 49). Ein solches Verhalten kann als sachwidrigeErschwerung der Strafverfolgung (BGHSt 2, 375, 377) den Tatbestand der Strafvereitelung nach § 258 StGB erfüllen.

b) Die bisherigen Feststellungen lassen indes keine abschließende Bewertung zu, ob sich der Angekl. wegen Strafvereitelung strafbar gemacht hat. Die Urteilsgründe beschränken sich weitgehend auf eine (auszugsweise) Wiedergabe des zwischendem Angekl. und seinem früheren Mandanten St geführten Schriftverkehrs. Aus dessen Gesamtzusammenhang könnte zwar entnommen werden, daß der Angekl. auf die gerichtlicheWahrheitsfindung in bewußt verfälschender Weise eingewirkt hat, indem er die unrichtige Einlassung seines inhaftierten Mandanten zur Medikamenteneinnahme nicht nur gefördert,sondern überhaupt erst durch seine aktive Informationsverschaffung ermöglicht hat. Das LG hat es jedoch unterlassen, hierzu eigene konkrete Feststellungen zu treffen. Insbesondere bleibt offen, ob und in welchem Umfang eine Information St’s unmittelbar, d.h. ohne Einschaltung des Angekl., durch dieÄrztin „R„ erfolgt ist.

Die getroffenen Feststellungen bieten auch im übrigen keine hinreichende Grundlage für die Prüfung, ob das weitere Verhalten des Angekl. in seiner Eigenschaft als Verteidiger St’s im Ermittlungs- oder Strafverfahren den Tatbestand der Strafvereitelung erfüllt. Hierfür können insbesondere folgende, vomLG nicht aufgeklärte Umstände von Bedeutung sein:

• Sind die Einlassungen zu der angeblichen Medikamenteneinnahme durch den Angekl. oder jedenfalls noch vorausgegangener Absprache mit ihm und mit seiner Zustimmung in das Verfahren eingeführt worden?

• Ist die Einholung des psychologischen Sachverständigengutachtens im Zwischenverfahren (auch) auf Initiative des Angekl. erfolgt?

• Welche Anträge und Erklärungen hat der Angekl. zur angeblichen Medikamenteneinnahme seines Mandanten inder Hauptverhandlung getätigt?

• Hat der Angekl. - wie die Mitverteidigerin vorgetragen hat - seinem Mandanten geraten, sich von Mithäftlingen zwei (falsche) eidesstattliche Versicherungen übergeben lassen?

Allein der Umstand, daß der Angekl. möglicherweise denfalschen Sachvortrag gegenüber dem Gericht seiner - wie die StrK angenommen hat - gutgläubigen Mitverteidigerin überlassen hat, würde seiner Täterschaft nicht entgegenstehen. Vielmehr hätte dann der Angekl. gegebenenfalls die gutgläubige Mitverteidigern als (undoloses) Werkzeug benutzt, um demLG Göttingen die angebliche Medikamenteneinnahme zu unterbreiten ...

Vorinstanzen

LG Hannover

Rechtsgebiete

Strafrecht

Normen

StGB § 258