Verwendung einer Top-Level-Domain „.ag” durch eine GmbH irreführend

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

02. 09. 2003


Aktenzeichen

312 O 271/03


Leitsatz des Gerichts

Eine GmbH führt den Verkehr durch die Verwendung der Top-Level-Domain „.ag“ in die Irre, da der Verkehr hier in der Regel eine Aktiengesellschaft als Unternehmensform erwartet.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Bekl. zur Verwendung der Bezeichnung „tipp.AG“ und/oder „tipp.ag“, insb. zur Kennzeichnung eines Teledienstes, der Kunden die Teilnahme an Lottospielgemeinschaften ermöglicht. Die Kl., die u.a. ebenfalls über das Internet Lottospielgemeinschaften organisiert und die Teilnahme daran anbietet, nimmt die Bekl. auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch und begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Bekl. dem Grunde nach.

Bei dem Domain-Bestandteil „.ag“ handelt es sich um eine Länderkennung (Top-Level-Domain - TLD) für Antigua & Barbuda, für die von der zuständigen Vergabestelle u.a. damit geworben wird, dass sie einer Abkürzung für in Deutschland und Österreich bestehende Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften - AG) entspreche.

Die Kl. ist der Ansicht, der Verkehr werde auch dann über die Gesellschaftsform der Bekl. in die Irre geführt, wenn die Bekl. die Buchstaben „ag“ innerhalb der Bezeichnung „tipp.ag“ nicht in Großbuchstaben, sondern ebenfalls in Kleinbuchstaben verwende. Die Bezeichnung „Abgabegemeinschaft“ sei dem Verkehr als solche nicht bekannt, weshalb er die Abkürzung „ag“ auch nicht darauf beziehe. In der Folge stelle er auch zwischen dem Zusatz „Ihre starke Tipp-Abgabegemeinschaft“ und der Abkürzung „ag“ keine Verbindung her. Daran, dass potenzielle Kunden getäuscht würden, könne deshalb kein ernsthafter Zweifel bestehen. Das sei auch wettbewerbsrechtlich relevant. Mit einer Aktiengesellschaft verbinde der Verkehr ein größeres und im Zweifel auch seriöseres Unternehmen. Sie sei als Wettbewerberin unmittelbar verletzt.

Die Bekl. trägt vor, sie verwende die Abkürzung „ag“ als Abkürzung für „Abgabegemeinschaft“, was dem Verkehr auch deutlich werde. Auf jeder Internetseite stehe stets der Hinweis „Ihre starke Tipp-Abgabegemeinschaft“. Mit Rücksicht auf die vielfältigen Bedeutungen, für welche die Abkürzung „ag“ stehen könne, werde der Verkehr durch die verwendete Bezeichnung nicht in die Irre geführt. Der Internetnutzer wisse zwar um die Bedeutung von TLDs, kenne aber die TLD „.ag“ in der Regel nicht. Er komme damit erst in Berührung, wenn er die Internetseiten der Bekl. aufsuche, wo eine Irreführung keinesfalls mehr stattfinde. Der Gattungsbegriff „Tipp“ dürfe aus handelsrechtlichen Gründen zur Kennzeichnung einer Aktiengesellschaft nicht verwendet werden. Die Verbindung des generischen Begriffs „tipp“ mit der TLD „.ag“ könne nicht zu einer Irreführung über die Gesellschaftsform der Bekl. führen. Der Verkehr erkenne, dass die streitige Angabe allein nach der Art eines Labels bzw. einer Marke genutzt werde. Im Impressum und auf der Anmeldungsseite werde zudem deutlich auf die Rechtsform der Bekl. hingewiesen. Sie verwende dort wie an anderer Stelle auch die Bezeichnung „tipp.ag“ in der Schreibweise mit Kleinbuchstaben, was hinreichend deutlich mache, dass die Kennzeichnung als von der Domain abgeleitete Produktbezeichnung genutzt werde, ohne einen Hinweis auf die Rechtsform zu enthalten.

Keinesfalls sei die angegriffene Bezeichnung von wettbewerbsrechtlicher Relevanz. Dem Nutzer komme es nicht darauf an, ob er seinen Tipp über eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH abgebe.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kl. stehen die geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang zu. Durch die Verwendung der angegriffenen Bezeichnung „tipp.AG“ und „tipp.ag“ verstößt die Bekl. gegen §§ 1 , 3 UWG, denn sie führt die angesprochenen Verkehrskreise dadurch in wettbewerblich relevanter Weise über die Rechtsform ihres Unternehmens in die Irre. In der Folge stehen der Kl. als unmittelbar verletzter Wettbewerberin gem. § 13 Abs. 6 UWG Schadensersatzansprüche zu, für deren Berechnung sie der geltend gemachten Auskünfte bedarf. ...

Zwischen den Parteien besteht ... ein Wettbewerbsverhältnis. Daran kann mit Rücksicht darauf, dass beide Parteien im Bereich der Teilnahme am Lottospiel über das Internet Dienstleistungen erbringen, kein Zweifel bestehen. Das ist hinreichend, um anzunehmen, dass sich die Parteien auf dem gleichen Markt um den gleichen Kundenkreis bemühen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der Kundenkreis genau übereinstimmt. Die ... Unterschiede zwischen Einzelspieler und Gruppen-/„Abgabegemeinschafts“-Spielern ändern daran nichts. Vorliegend ist es hinreichend, dass die Teilnahme an einer ... Spielgemeinschaft ohne weiteres geeignet ist, in Konkurrenz zu einem Einzelspiel, wie es die [Kl.] vermittelt, zu treten. Insoweit ist die [Kl.] durch die - hier unterstellte - wettbewerbswidrige Handlung der [Bekl.] auch unmittelbar verletzt. ...

Die [Bekl.] benutzt die Bezeichnung „tipp. AG“ ... im Rahmen ihres Internetangebots an prominenter Stelle nicht nur als Internetdomain, sondern als besondere Geschäftsbezeichnung auch zur Kennzeichnung ihres Geschäftsbetriebs. Sie bietet ihre Dienstleistung unter der herausgestellten und vielfach verwendeten Bezeichnung „tipp.AG“ an, weshalb ein erheblicher Teil des Verkehrs annehmen wird, jene Bezeichnung sei mit dem Firmennamen der [Bekl.] identisch, die [Bekl.] sei also eine Aktiengesellschaft.

Dem Verkehr ist zwar bekannt, dass im geschäftlichen Verkehr auch geschäftliche Bezeichnungen zur Kennzeichnung eines Unternehmens oder Unternehmensbestandteils benutzt werden, die mit dem Firmennamen des Unternehmens nicht identisch sind. Legt aber die geschäftliche Bezeichnung von ihrem Wortlaut her bereits die Annahme nahe, es handele sich bei ihr um die Firmenbezeichnung, so wird der Verkehr eben dies annehmen, wenn er keine sonstigen hinreichend deutlichen Hinweise auf den eigentlichen Firmennamen des Unternehmens hat. So liegt der Fall hier. Dem Verkehr ist in der Regel schon nicht bekannt, dass die Endung „.ag“ i.R.e. Internetadresse eine Länderkennung ist, die auf Antigua und Barbuda verweist. Er erwartet zudem nicht, dass ein solcher Bestandteil einer Internetadresse in Großbuchstaben daherkommt. ...

Aus dem Gesamtzusammenhang des Internetauftritts der [Bekl.] spricht nichts dafür, dass die von ... verwendete Abkürzung (.AG) für „Amtsgericht“, „Arbeitsgruppe“, „Arbeitsgemeinschaft“ oder sonstige Begriffe stünde, für die dem Verkehr die Abkürzung „AG“ in anderem Zusammenhang bekannt sein mag. Ohne derartige Zusammenhänge wird er die angegriffene Bezeichnung aber als eine solche ansehen, die eine Aktiengesellschaft mit dem Namen „tipp“ bezeichnet. Dies jedenfalls dann, wenn die Buchstaben A und G - wie im Streitfall geschehen und zum Gegenstand des Verbots gemacht - als Großbuchstaben daherkommen und so der gewöhnlichen Schreibweise der Abkürzung für Aktiengesellschaft entsprechen. Über die handelsrechtliche Zulässigkeit des Namens einer Aktiengesellschaft unter Verwendung einer Gattungsbezeichnung (Tipp) macht sich der Verkehr, dem die handelsrechtlichen Vorgaben regelmäßig nicht bekannt sind, keine Gedanken.

Auch die von der [Bekl.] angeführten Zusätze, wie etwa der Hinweis auf die starke „Abgabegemeinschaft“, bewirken kein anderes Verständnis. Zu Recht weist die [Kl.] darauf hin, dass der Verkehr, weil ihm der Begriff der „Abgabegemeinschaft“ - schon gar nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Lottospiel - nicht bekannt ist, den Zusatz „Ihre starke Tipp-Abgabegemeinschaft“ nicht - jedenfalls nicht überwiegend - auf die Bezeichnung „tipp.AG“ beziehen und den Zusatz deswegen auch nicht als Aufklärung darüber verstehen wird, dass es sich bei dem Anbieter entgegen dem nahe liegenden Verständnis von der angegriffenen Bezeichnung nicht um eine Aktiengesellschaft handelt. Zwar wird gewöhnlich ohne weiteres davon gesprochen, dass man einen Tipp abgebe. Im Zusammenhang mit einer Gemeinschaft von Spielern, die sich am Lottospiel beteiligt, ist der Begriff der „Abgabegemeinschaft“ aber keineswegs allgemein üblich oder sonst bekannt, sondern eine eher ungewöhnliche und für die überwiegende Zahl des Verkehrs neue Sprachschöpfung. Ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs wird daher keine Verbindung zu dem Kürzel „AG“ herstellen und so zu der Erkenntnis gelangen, dass mit jenem Kürzel allein die „Abgabegemeinschaft“ und nicht - wie an erster Stelle nahe liegend - die Gesellschaftsform der [Bekl.] angesprochen worden ist.

Dass auf einer anderen Seite des Internetangebots ... die Rechtsform ... (GmbH) noch einmal ausdrücklich genannt ist, schließt eine Irreführung des Verkehrs, der jene Seiten, insb. das Impressum oder die AGB ..., nicht stets zur Kenntnis nehmen wird, ebenfalls keineswegs aus. I.Ü. kämen derartige Erläuterungen zu spät, weil sich die Wirkung der in Rede stehenden Angabe bereits entfaltet hat. ...

Das gilt gleichermaßen für den nunmehr veränderten Copyright-Vermerk, den die [Bekl.] klein gedruckt und somit leicht übersehbar am unteren Rand der Internetseite anführt und der vom Verkehr - worauf die [Kl.] zutreffend hinweist - ohne weiteres allein als Vermerk zur Urheberschaft des die Internetseite gestaltenden Unternehmens verstanden werden kann.

Soweit die [Bekl.] anführt, der in Rede stehende Bestandteil „.AG“ sei kleiner geschrieben als der voranstehende Bestandteil „tipp“, steht das einer Irreführung gleichfalls nicht entgegen. Die Buchstabengröße wird vom Verkehr kaum wahrgenommen. Wenn doch, so erscheinen die unterschiedlichen Buchstabengrößen lediglich als Ausdruck einer spielerischen grafischen Gestaltung, die an dem Verständnis vom Gesamtbegriff nichts ändert. ...

Ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs nimmt ... an, dass ein in der Form einer Aktiengesellschaft geführtes Unternehmen in besonders professioneller Weise und/oder in einem besonderen Umfang Gelder für die Teilnahme an den angebotenen Spielgemeinschaften einsammelt und mit einer entsprechenden Gewinnchance einsetzt. Das ist geeignet, Vertrauen zu schaffen und die Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme an den von der [Bekl.] angebotenen Lottospielgemeinschaften zu beeinflussen. ...

II. Soweit sich die Kl. auch gegen die Verwendung jener Bezeichnung in einer anderen Schreibweise wendet, dringt sie damit ebenfalls durch, denn die Bezeichnung „tipp.ag“ ist in dem angegriffenen Umfang gleichfalls irreführend i.S.d. § 3 UWG. ...

Dass jedenfalls ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs bei der Bezeichnung „tipp.ag“ an eine Aktiengesellschaft denkt, kann nach dem Vorstehenden nicht zweifelhaft sein. ... Maßgebliche Unterschiede zur klein geschriebenen Variante jener Bezeichnung gibt es nicht. Die groß geschriebene Endung „.AG“ hat eine auch schon im Falle einer Kleinschreibung („.ag“) hervorgerufene Gefahr der Irreführung lediglich noch verstärkt.

Erkennt der angesprochene Verkehr, dass es sich bei der Endung „.ag“ um eine - zusätzlich kennzeichenmäßig benutzte - TLD handelt, was nach dem Vortrag der Bekl., die meint, dem Verkehr sei jener Domainbestandteil zumeist unbekannt, zweifelhaft ist, so wird er dennoch in nicht nur unerheblichem Umfang annehmen, die Bekl. habe jene TLD gerade deswegen gewählt, weil sie der Rechtsform ihrer Gesellschaft entspricht. In der Tat ist ein anderer Grund, jene Domain als Kennzeichen für das Angebot der Bekl. zu nutzen, kaum ersichtlich und liegt deshalb eine Irreführung des Verkehrs mehr als nahe. ...

Rechtsgebiete

Internetrecht

Normen

UWG §§ 1, 3