Unwirksamkeit einer einstweiligen Verfügung wegen Zustellung an nicht-prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Entscheidung


Datum

22. 06. 2004


Aktenzeichen

27 O 235/04


Leitsatz des Gerichts

  1. Ist zum Zeitpunkt der Zustellung einer im Beschlusswege ergangenen einstweiligen Verfügung kein anwaltlicher Vertreter zum Prozessbevollmächtigten i.S.d. § 172 ZPO bestellt, kann diese wirksam nur durch Zustellung an die Partei vollzogen werden.

  2. Die Bestellung zum Prozessbevollmächtigten setzt voraus, dass dieser zum Zeitpunkt der Zustellung dem Prozessgegner oder dem Gericht gegenüber bereits als solcher aufgetreten ist oder benannt wurde. Auf das Vorliegen einer Prozessvollmacht kommt es dabei nicht an.

  3. Da bei einer Beschlussverfügung die Zustellung nicht nur Vollziehungsakt ist, sondern diese den Beschluss erst wirksam werden lässt, ist die Heilung eines Zustellungsmangels durch nachträgliche Kenntniserlangung gemäß § 189 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen.

  4. Für die Wirksamkeit der Vollziehung ist nicht auf den Beginn der Zustellungshandlung, sondern auf deren Vollendung abzustellen.

Tenor

  1. Die einstweilige Verfügung vom 31. März 2004 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

  2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Antragsteller macht im einstweiligen Verfügungsverfahren einen äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.

Die Antragsgegnerin betreibt den Internetauftritt von "Focus Online". Auf dieser Homepage veröffentlichte sie am 20. März 2004 unter der Überschrift "Trittin Aufträge Grünen-Agentur zugeschanzt" einen Artikel, der mit der Feststellung begann, der Antragsteller, Bundesumweltminister Jürgen Trittin, habe mehrere Projekte ohne Ausschreibung an eine parteieigene Wahlkampfagentur vergeben. Diesen Eingangssatz korrigierte die Antragsgegnerin am 21. März 2004 und veröffentlichte den Beitrag seither mit dem einleitenden Satz, Bundesumweltminister Jürgen Trittin habe mehrere Projekte ohne Ausschreibung an eine Wahlkampfagentur der Grünen vergeben.

Der Antragsteller hat am 31. März 2004 eine einstweilige Verfügung des erkennenden Gerichts erwirkt, mit der der Antragsgegnerin bei Zurückweisung des weitergehenden Antrags unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden ist, die zunächst veröffentlichte Behauptung, der Antragsteller habe mehrere Projekte an eine parteieigene Wahlkampfagentur (der Grünen) vergeben, zu wiederholen.

Den ihm am 1. April 2004 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom selben Tage den heutigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht mandatiert waren, per Fax übersandt. In dem anwaltlichen Begleitschreiben teilte der Antragsteller mit, dass er die beglaubigte Ablichtung der vollstreckbaren Ausfertigung der im Betreff genannten einstweiligen Verfügung gemäß § 195 in Verbindung mit § 174 ZPO überreiche und darum bitte, ihm das vorbereitete Empfangsbekenntnis zugleich zurückzusenden. Dieses Empfangsbekenntnis, mit dem der Unterzeichner wörtlich bestätigte, dass er als Prozessbevollmächtigter des Antragsgegners die Ausfertigung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Berlin vom 31. März 2004 zum hiesigen Aktenzeichen gemäß § 195 ZPO von Anwalt zu Anwalt zugestellt erhalten habe, sandten die heutigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, noch am selben Tag unterschrieben zurück.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 4. Mai 2004 zeigten sie dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers an, dass sie nunmehr die anwaltliche Vertretung der Antragsgegnerin übernommen hätten und wiesen zugleich darauf hin, dass die vorangegangene Zustellung der einstweiligen Verfügung an ihre Adresse aus ihrer Sicht unwirksam gewesen sei. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers leitete ihnen daraufhin am 5. April 2004 erneut eine beglaubigte Abschrift der vollstreckbaren Ausfertigung der einstweiligen Verfügung per Telefax zu und ließ am 17. Mai 2004 eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses durch einen Gerichtsvollzieher zustellen. Die Antragsgegnerin hat gegen die zu ihren Lasten ergangene einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt.

Sie meint, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben werden müsse, weil sie erst nach Ablauf der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO wirksam zugestellt worden sei. Die am 1. April 2004 an ihre Verfahrensbevollmächtigten gerichtete Zustellung sei unwirksam gewesen, weil sie denselben zum damaligen Zeitpunkt noch gar kein Mandat erteilt gehabt habe. Ihr sei der Vorgang bis dahin vielmehr gänzlich unbekannt gewesen, weil sie auch nie eine vorgerichtliche Abmahnung des Antragstellers erreicht habe.

Im Übrigen sei die einstweilige Verfügung auch zu Unrecht ergangen, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch in Wahrheit nicht bestehe. Zwar handele es sich bei der vom Bundesumweltminister herangezogenen Agentur tatsächlich nicht um eine parteieigene Agentur der "Grünen". Die durch diese anfängliche Falschberichterstattung begründete Wiederholungsgefahr habe sie aber selbst ausgeräumt, indem sie schon am folgenden Tag den Text aus eigenem Antrieb korrigiert habe. Anders als im Fall der Printausgabe einer Zeitung habe es keines zusätzlichen richtigstellenden Hinweises an die Leser der Erstmitteilung bedurft. Eine solche Richtigstellung sei bei Printausgaben einer Zeitung unumgänglich, weil der Verlag sich lächerlich mache, wenn er einen am Vortag veröffentlichten Artikel in Gänze erneut abdrucke und darin nur eine marginale Korrektur vornehme. Diese Möglichkeit biete sich bei einer Internetveröffentlichung aber ohne weiteres an.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die zu ihren Lasten ergangene einstweilige Verfügung vom 31. März 2004 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Er meint, die einstweilige Verfügung schon am 1. April 2004 wirksam zugestellt zu haben, da die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin in ihrem Empfangsbekenntnis vom selben Tag selbst bestätigt hätten, dass sie die Beschlussausfertigung als Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin erhalten hätten. Selbst wenn die Zustellung erst mit der neuerlichen Übersendung am 5. Mai 2004 wirksam geworden sein sollte, so habe er mit der Vollziehung doch schon innerhalb der Vollziehungsfrist begonnen und allein darauf komme es an. Andernfalls müsse die einstweilige Verfügung erneut erlassen werden. Schließlich sei die zwischenzeitlich verstrichene Zeit kein Indiz dafür, dass er die Angelegenheit zuvor nicht für dringlich gehalten habe, sondern allein darauf zurückzuführen, dass er sich bislang gesichert gewähnt habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung ist gemäß §§ 936, 929 Abs. 2, 925 ZPO aufzuheben, weil sie nicht fristgerecht vollzogen worden ist und weil dem Antragsteller mangels Dringlichkeit auch kein Anspruch auf ihren neuerlichen Erlass mehr zusteht.

Gemäß §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem sie dem Antragsteller zugestellt worden ist, ein Monat verstrichen ist. Die Frist zur Vollziehung der dem Antragsteller am 1. April 2004 zugestellten einstweiligen Verfügung lief also - in Anbetracht der Feiertage am 1. und 2. Mai 2004 - am 3. Mai 2004 ab.

Die innerhalb dieser Frist am 1. April 2004 unternommene Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin war unwirksam, weil die Antragsgegnerin zu jener Zeit noch gar nicht anwaltlich vertreten war. Gemäß § 171 ZPO kann die Zustellung statt an den eigentlichen Zustellungsadressaten auch an dessen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter erfolgen. In einem - wie hier nach Erlass der einstweiligen Verfügung - anhängigen Verfahren muss die Zustellung gemäß § 172 Abs. 1 ZPO sogar an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen. Beides setzt indes voraus, dass der Zustellungsadressat überhaupt einen Verfahrensbevollmächtigten bestellt hat. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Bestellt ist ein Prozessbevollmächtigter, wenn er dem Prozessgegner gegenüber oder gegenüber dem Gericht selbst als solcher auftritt oder benannt wird, sei es, dass er eine Prozessvollmacht überreicht, einen anwaltlichen Schriftsatz einreicht oder als Anwalt im Termin auftritt (vgl. Zöller/Stüber, ZPO, 24. Aufl., § 172, Rdnr. 6). Ist die Bestellung derart erfolgt, ist § 172 ZPO ohne Rücksicht darauf zu beachten, ob eine Prozessvollmacht tatsächlich erteilt war. Mit Rücksicht auf den Vertrauensschutz der Gegenseite kommt es vielmehr allein darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte ausdrücklich oder konkludent als solcher auftritt (BGHZ 118, 312, 322; BGH NJW 2002, 1728, 1729).

Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin waren, als ihnen der Anwalt des Antragstellers die einstweilige Verfügung zustellen ließ, in dieser Sache noch nicht als Verfahrensbevollmächtigte für die Antragsgegnerin aufgetreten. Sie hatten also keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den sich der Antragsteller bei der Auswahl des Zustellungsadressaten hätte verlassen dürfen. Diese Voraussetzung wurde erst nach der fehlerhaften Zustellung dadurch geschaffen, dass die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ein vorbereitetes Empfangsbekenntnis unterschrieben und zurücksandten, in dem sie als Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin bezeichnet wurden.

Der Zustellungsfehler ist auch nicht nachträglich gemäß § 189 ZPO geheilt worden. Danach gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist: Danach kann grundsätzlich in Fällen, in denen ein Rechtsanwalt später Prozessbevollmächtigter wird und bereits vorher in den Besitz des Schriftstücks gelangt ist, mit dessen Bevollmächtigung die Zustellung als bewirkt angesehen werden, wenn er das Schriftstück noch im Besitz hat (BGH NJW 1989, 1154). Selbst wenn die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin aber binnen der Monatsfrist mandatiert worden sein sollten, so findet diese Regelung auf die Zustellung der einstweiligen Verfügung keine Anwendung.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer kommt bei einer Beschlussverfügung eine Heilung von Zustellungsmängeln nicht in Betracht, weil bei ihr die Zustellung nicht nur Vollziehungsakt ist, sondern die Maßnahme, die die einstweilige Verfügung überhaupt erst wirksam werden lässt. Die Frage, ob die einstweilige Verfügung überhaupt verbindlich ist, muss jedoch wegen der davon abhängigen strafähnlichen Sanktionen des § 890 ZPO eindeutig beurteilt werden können (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl. 2002, Kapitel 55, Rdnr. 44 fff.).

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er die Vollziehung der einstweiligen Verfügung jedenfalls noch innerhalb der Vollziehungsfrist begonnen habe und diesen Akt mit dem zweiten Zustellungsversuch wirksam abgeschlossen habe. Die Zustellung der einstweiligen Verfügung am 4. Mai 2004 hat der Antragsteller vielmehr erst an jenem Tage veranlasst. Sie basiert nicht auf irgendwelchen Vorbereitungshandlungen, die er bereits zuvor eingeleitet hätte.

Der neuerliche Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt deshalb nicht in Betracht, weil angesichts der zwischenzeitlich verstrichenen Zeitspanne von drei Monaten, die seit der Veröffentlichung der angegriffenen Äußerung verstrichen sind und binnen derer die Antragsgegnerin die Äußerung auch nicht wiederholt hat, keine Eilbedürftigkeit der Angelegenheit mehr erkannt werden kann.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.


Mauck
von Bresinsky
Gollan

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht