Sittenwidrigkeit eines notariellen Vertrages über eine nichteheliche Lebensgemeinschaft im Falle noch bestehender Ehen

Gericht

LG Paderborn


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

19. 08. 1998


Aktenzeichen

4 O 192/98


Leitsatz des Gerichts

Ein notarieller Vertrag zwischen zwei Partnern einer geplanten nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist sittenwidrig, wenn die Partner bei Vertragsschluss noch in bestehenden Eheverhältnissen leben.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. begehrt die Rückgabe von Zuwendungen an die Bekl. im Hinblick auf eine geplante, letztlich aber nicht realisierte nichteheliche [ne.] Lebensgemeinschaft.

Anfang 1990 lernten sich die Parteien kennen. Beide waren verheiratet, die Bekl. lebte in Scheidung. Sie planten die Gründung einer ne. Lebensgemeinschaft. Aufgrund der Pläne für eine gemeinsame Zukunft schlossen sie am 10. 3. 1995 eine notarielle Vereinbarung, nach welcher der Bekl. ein Wohnrecht an der Eigentumswohnung des Kl. eingeräumt wurde und sich der Kl. verpflichtete, im Falle der Aufhebung oder des Nichtzustandekommens der ne. Lebensgemeinschaft 10 Jahre lang monatlich 800 DM an die Bekl. zu zahlen. Das Wohnrecht sollte nur auf schriftlichen Antrag, auf den die Parteien in der Folgezeit verzichteten, im Grundbuch eingetragen werden. Auch mußte die Bekl. auf selbiges bei Aufnahme eines anderen Mannes als Lebenspartner in die Wohnung verzichten und eine Löschungsbewilligung erteilen. Letztlich kam es trotz mehrfacher Ankündigungen nicht zum Einzug des Kl. in die von der Bekl. bewohnte Eigentumswohnung und zu einem ne. Zusammenleben. Im Herbst 1997 beendeten die Parteien endgültig und gegenseitig ihre Beziehung. Nachdem der Kl. seinen Verzichtsanspruch aus dem notariellen Vertrag geltend gemacht hatte, veranlaßte die Bekl. die Eintragung des Wohnrechts ins Grundbuch.

Der Kl. hält den notariellen Vertrag wegen Sittenwidrigkeit für nichtig.

Weiterhin macht der Kl. für die Nutzung der Wohnung für September 1996 bis April 1998 den ortsüblichen Mietzins geltend, der sich bei einer solchen Wohnung unstreitig auf 1.100 DM beläuft. Ferner habe die Bekl. seit 1995 die Nebenkosten zu tragen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Bekl. hat gegen den Kl. keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages von 4.000 DM aufgrund des notariellen Vertrages. Denn die im notariellen Vertrag geregelte Zahlungsverpflichtung von monatlich 800 DM für eine Dauer von 10 Jahren für den Fall der Aufhebung oder des Nichtzustandekommens der geplanten Lebensgemeinschaft zwischen den Parteien ist gemäß § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit unwirksam. Zwar können Partner einer ne. Lebensgemeinschaft durchaus ihr Zusammenleben und wirtschaftliche Folgen im Falle des Scheiterns der Lebensgemeinschaft durch Verträge regeln. Es besteht im vorliegenden Fall aber die Besonderheit, daß eine solche Vereinbarung während noch bestehender Ehen der Vertragsparteien getroffen wurde. Aus diesem Umstand folgt die Sittenwidrigkeit der Vertragsklausel (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1988, 618 = NJW 1988, 2474), da eine solche Vereinbarung ein zusätzliches Hindernis für eine eventuelle Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung der ehel. Lebensgemeinschaft der Vertragsparteien darstellt. Nach dem notariellen Vertrag entsteht die Zahlungsverpflichtung des Kl. nämlich nicht nur im Falle des Scheiterns einer ne. Lebensgemeinschaft, sondern insbesondere auch im Falle ihres Nichtzustandekommens, d.h., daß der Kl. die monatlichen Zahlungen hätte aufnehmen müssen, wenn er sich von seiner Frau nicht getrennt hätte, sondern bei jener geblieben wäre. Damit beinhaltet diese Vertragsklausel eine Sanktion mit Vertragsstrafencharakter, die erhebliche wirtschaftliche Folgen an die Nichterfüllung personaler Verhaltenserwartungen knüpft, und schränkt die Selbstbestimmung insbesondere des Kl. im höchstpersönlichen Bereich unzulässig ein.

Eine solche Anknüpfung eines Abfindungsanspruchs an persönliche Verhaltensanforderungen ist sittenwidrig (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1988, 618 = NJW 1988, 2474, 2475). Daß eine Zahlung von insgesamt 96.000 DM für den Kl. aufgrund seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse als nur unbeträchtliche Belastung anzusehen wäre, kann nicht angenommen werden.

Darüber hinaus hat der Kl. auch Anspruch auf Herausgabe der Wohnung aus § 812 I S. 1 BGB, weil der notarielle Vertrag gemäß § 139 BGB in seiner Gesamtheit sittenwidrig ist. Die Bekl. hat nicht schlüssig dargelegt, daß entgegen der Vermutung der Gesamtnichtigkeit gemäß § 139 BGB sie den notariellen Vertrag auch abgeschlossen hätte, wenn der Kl. sich nicht zur Zahlung einer Rente für den Fall des Scheiterns bzw. Nichtzustandekommens der ne. Lebensgemeinschaft verpflichtet hätte. Ganz im Gegenteil konnte die Bekl. seinerzeit auf eine Durchsetzung weitergehender Unterhaltsansprüche im Scheidungsverfahren gegen ihren Ehemann nur dann verzichten, wenn sie für die Zukunft anderweitig, eben durch die vom Kl. zugesicherte Rente, abgesichert war. Die Rentenklausel hatte somit entscheidende Bedeutung für das Verhalten der Bekl. im Scheidungsprozeß mit ihrem Ehemann. Es bestehen keine Anhaltspunkte, daß die Bekl. seinerzeit den notariellen Vertrag unterzeichnet hätte, wenn nicht zugleich ihr künftiger Unterhalt durch den Kl. sichergestellt worden wäre. Infolge der Nichtigkeit auch der Gewährung des Wohnrechts bedarf es für eine Herausgabe der Wohnung nicht einer expliziten Verzichtserklärung seitens der Bekl.

...

Hingegen ist die Bekl. aus §§ 988, 812 I S. 1 BGB verpflichtet, für den Zeitraum von September 1996 bis April 1998 eine Entschädigung für die Nutzung der Wohnung des Kl. zu zahlen. Die Bekl. war gutgläubige Besitzerin i.S. von § 988 BGB. Gegenteiliges folgt insbesondere nicht aus der Verzichtsverpflichtung für den Fall der Aufnahme eines anderen Mannes als Lebenspartner in die Wohnung. Denn es ist streitig, ob die Bekl. überhaupt andere Männer aufgenommen hat. Auch mußte sie nicht von der Sittenwidrigkeit des notariellen Vertrages ausgehen, zumal diese durch ihren Prozeßbevollmächtigten bestritten wurde. Als Nutzung hat die Bekl. den ortsüblichen Mietzins einer entsprechenden Wohnung, unstreitig 1.100 DM pro Monat, für insgesamt 20 Monate herauszugeben. Außerdem ist zusätzlich zur Miete die ortsübliche Nebenkostenpauschale, die üblicherweise auf den Mieter umgelegt wird, zu zahlen. Diese ist i.H. von 5.309,92 DM auch fällig. Eine Hilfsaufrechnung der Bekl. mit Ansprüchen aus dem notariellen Vertrag scheidet wegen Unwirksamkeit desselben aus.

Rechtsgebiete

Nichteheliche Lebensgemeinschaft; Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB §§ 138, 139, 812 I S. 1, 988