Kein Abschluß eines privaten Pflegeversicherungsvertrags durch Schweigen
Gericht
SG Koblenz
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 08. 1997
Aktenzeichen
S 3 P 123/97
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. begehrt die Verurteilung des Bekl. zur Zahlung von Beiträgen zur Pflegeversicherung für die Zeit von Dezember 1996 bis April 1997 in Höhe von monatlich 39,22 DM. Sie trägt unbestritten vor, der Bekl. sei bei ihr bereits vor dem 1. 1. 1995 krankenversichert gewesen. Mit Schreiben vom November 1994 habe sie dem Bekl. mitgeteilt, daß am 1. 1. 1995 das Pflegeversicherungsgesetz in Kraft treten werde und der Gesetzgeber jeden Versicherten mit Anspruch auf Kostenerstattung für allgemeine Krankenhausleistungen verpflichte, auch eine private Pflegepflichtversicherung abzuschließen. Die Pflegeversicherung sei grundsätzlich bei ihr als dem Versicherer abzuschließen, bei dem auch seine Krankenversicherung bestehe. Er habe bis zu sechs Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die Möglichkeit, sich für einen anderen Anbieter der privaten Pflegeversicherung zu entscheiden. Es sei für ihn aber zweckmäßig, die private Pflegeversicherung bei der Kl. abzuschließen. Sie gehe davon aus, daß er hiermit einverstanden sei, wenn er ihr nicht innerhalb von vier Wochen ausdrücklich mitteile, daß er sich für einen anderen Pflegeversicherer entschieden habe. Sie werde daher ab dem 1. 4. 1995 Leistungen erbringen, sofern bei ihm bereits Pflegebedürftigkeit bestehe oder bis zu diesem Zeitpunkt eintreten sollte. Sofern er dem Zustandekommen des Pflegeversicherungsvertrages bei ihr nicht widerspreche und ihrem Abbuchungsverfahren angeschlossen sei, werde sie davon ausgehen, daß er auch mit der Beitragsabbuchung für die Pflegeversicherung einverstanden sei. Für die Zeit von Januar 1995 bis November 1996 habe sie die Beiträge zur Pflegeversicherung vom Konto des Bekl. abgebucht, ohne daß dieser ausdrücklich die Einzugsermächtigung erweitert habe. Ab Dezember 1996 habe sie keine Beiträge vom Konto des Bekl. mehr abbuchen können. Sie ist der Ansicht, der Bekl. habe durch sein Schweigen und Dulden bei ihr einen privaten Pflegeversicherungsvertrag abgeschlossen.
Das SG hat die Klage abgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
Die von der Kl. erhobene Beitragsklage aus einem geltend gemachten privaten Pflegeversicherungsvertrag fällt gem. § 51 II 2 SGG in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit. Nach der durch Art. 33 PflegeVG vom 26. 5. 1994 (BGBl I, 1014) geschaffenen Regelung des § 51 II 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB XI entstehen. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich auch, wenn - wie hier - die Pflegeversicherung nach § 23 SGB XI bei einem Unternehmen der privaten Pflegeversicherung durchzuführen ist und Ansprüche aus dem privatrechtlichen Pflegeversicherungsvertrag streitig sind. Angelegenheiten nach dem SGB XI sind sowohl Angelegenheiten der sozialen als auch der privaten Pflegeversicherung. Beide Zweige der Pflegeversicherung sind im SGB XI gesetzlich durch öffentlichrechtliche Vorschriften des Sozialrechts geregelt. Zwischen beiden besteht ein enger Zusammenhang in der Weise, daß sie auf einer Versicherungspflicht beruhen und die Leistungen der privaten Pflegeversicherung den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Art und Umfang gleichwertig sein müssen (§ 23 I SGB XI, vgl. hierzu BSGE 79, 80 = NZS 1996, 588). Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, daß die Sozialgerichte für alle Streitigkeiten nach dem SGB XI zuständig sind, so daß die Sozialgerichte auch über die richtige Anwendung privatrechtlicher Vorschriften im Bereich der privaten Pflegeversicherung zu entscheiden haben (BSGE 79, 80 = NZS 1996, 588).
Gem. § 57 SGG ist das SG Koblenz für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig, da die Kl. ihren Sitz in Koblenz hat und es sich bei der Kl. nicht um eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts handelt.
Die Klage kann aber in der Sache keinen Erfolg haben. Die Kl. hat keinen Anspruch auf Zahlung der Beiträge zur Pflegeversicherung gegen den Bekl. Es fehlt insoweit an einer Anspruchsgrundlage. Für privat Krankenversicherte ergibt sich aus dem SGB XI keine direkte Verpflichtung zur Beitragszahlung zur privaten Pflegeversicherung. Nach § 23 I SGB XI sind Personen, die gegen das Risiko der Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert sind, verpflichtet, bei einem privaten Versicherungsunternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten.
Nach dem Gesetzestext besteht somit lediglich eine Verpflichtung zum Vertragsabschluß, die durch § 112 SGB XI forciert wird. Durch die Bußgeldvorschrift des § 112 SGB XI, wonach das Unterlassen des Vertragsabschlusses mit einer Geldbuße von bis zu 5000 DM geahndet werden kann, wird deutlich, daß ein Pflegeversicherungsvertrag weder durch das SGB XI entstanden ist, noch einseitig von dem Versicherer erzwungen werden kann. Dies steht im Gegensatz zu der in § 20 SGB XI geregelten Versicherungspflicht für die soziale Pflegeversicherung, die die versicherungspflichtigen Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt. Diese Mitglieder sind - engegen dem in § 23 SGB XI aufgeführten Personenkreis - automatisch und ohne erneuten Vertragsabschluß Mitglied bei einem Unternehmen der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Für diese Unterscheidung spricht auch der Wortlaut des § 1 II SGB XI, wonach in den Schutz der sozialen Pflegeversicherung kraft Gesetzes alle einbezogen sind, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Wer gegen Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muß dagegen eine private Pflegeversicherung abschließen. Das heißt, der Privatversicherte hat lediglich eine gesetzliche Verpflichtung zum Vertragsabschluß, ist aber nicht automatisch versichert.
Aus alledem ist ersichtlich, daß für die Beitragsforderung im Rahmen der privaten Pflegeversicherung ein privatrechtlicher Vertrag erforderlich ist. Ein privatrechtlicher Pflegeversicherungsvertrag liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor. Die Bet. haben einen Versicherungsvertrag weder schriftlich noch mündlich abgeschlossen. Es liegen auch keine übereinstimmenden Willenserklärungen bezüglich eines Pflegeversicherungsvertrags vor. Die Kl. hat lediglich ein Angebot zum Vertragsabschluß abgegeben, eine Annahmeerklärung durch den Bekl. ist aber nicht erfolgt.
Im Gegensatz zur Kl. ist die Kammer der Auffassung, daß ein Versicherungsvertrag auch nicht konkludent abgeschlossen worden ist. Ein Versicherungsvertrag könnte in der Form konkludent abgeschlossen worden sein, daß der Bekl. auf das Hinweisschreiben der Klägerin vom November 1994 nicht reagiert hat und sein Schweigen als Willenserklärung zu werten ist. Das Schreiben der Kl. vom November 1994 wäre dann als Angebot zum Abschluß eines Pflegeversicherungsvertrages zu werten, das „Nichtantworten“ als Annahme des Vertragsangebotes. Schweigen ist aber nur in Ausnahmefällen als Willenserklärung zu werten, so z.B. in den gesetzlich geregelten Fällen der §§ 108 II 2, 177 II 2, 496 S. 2 BGB.
Unter Kaufleuten kann ein Vertrag nach § 362 I HGB durch Schweigen auf einen Antrag angenommen werden. Eine solche gesetzliche Regelung besteht im Rahmen der Pflegeversicherung aber gerade nicht. Das Fehlen einer solchen gesetzlichen Regelung kann auch nicht durch den Hinweis im Anschreiben der Kl. vom November 1994 kompensiert werden, daß bei einer Nichtäußerung ein Vertragsabschluß zustande gekommen ist und die für die Krankenversicherung erteilte Einzugsermächtigung auf die Pflegeversicherung ausgedehnt wird. Dieses Verhalten der Kl. entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und kann einen Vertragsabschluß nicht zur Folge haben.
Es liegt auch keine vergleichbare gesetzliche Regelung vor, bei der aus dem Schweigen des Versicherungsnehmers ein Vertragsabschluß hergeleitet werden könnte. In Übereinstimmung mit der Kl. hält die Kammer insbesondere die Regelung für die Kraftfahrzeug-Versicherung mit der Regelung für die Pflegeversicherung für vergleichbar, kann sich aber der Schlußfolgerung der Kl. nicht anschließen. Bei der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung besteht für den Versicherer Kontrahierungszwang (§ 5 II PflVG), und der Antrag des Versicherungsnehmers gilt als angenommen, wenn ihn der Versicherer nicht binnen zweier Wochen ablehnt (§ 5 III PflVG).
Auch bei der privaten Pflegeversicherung besteht für den Versicherer Kontrahierungszwang (§ 110 I SGB XI). Stellt der Versicherungsnehmer aber keinen Antrag auf Abschluß einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, so kommt auch kein Vertrag zustande. Dasselbe gilt für die private Pflegeversicherung. Ohne ausdrückliche Willenserklärung des Versicherungsnehmers gibt es keinen Vertragsabschluß. Das Schweigen auf ein Vertragsangebot gilt nur auf seiten des Versicherers als Annahme des Vertragsangebotes von seiten des Versicherungsnehmers. Für den umgekehrten Fall fehlt es sowohl bei der Kfz-Haftpflichtversicherung als auch bei der privaten Pflegeversicherung an einer gesetzlichen Regelung. In beiden Fällen drohen demjenigen, der die Pflichtversicherung nicht abschließt, lediglich Sanktionen. So erhält der Kfz-Führer ohne den Nachweis einer Kfz-Haftpflichtversicherung nach § 23 I StVZO keine Zulassung für sein Kfz. Demjenigen, der trotz Verpflichtung keinen privaten Pflegeversicherungsvertrag abschließt, droht ein Bußgeld nach § 112 SGB XI. Ein Versicherungsvertrag wird aber nicht fingiert (vgl. auch Udsching, SGB XI, § 23 Rdnr. 18).
Der Bekl. hat das Angebot der Kl. auch nicht durch eine sogenannte „stillschweigende Willenserklärung“ angenommen (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, BGB, 55. Aufl. [1996], Vorb. § 116 Rdnr. 6). Hierzu gehört die Abgabe einer Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten, indem der Erklärende Handlungen vornimmt, die unmittelbar einen Schluß auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen zulassen. Von einer Annahme des Angebots durch den Bekl. könnte hier z.B. ausgegangen werden, wenn er Leistungen aus der Pflegeversicherung von der Kl. in Anspruch nehmen würde. Weiterhin könnte von einer Annahme durch eine stillschweigende Willenserklärung ausgegangen werden, wenn der Bekl. den Vertrag zwischenzeitlich gekündigt hätte oder der Kl. z.B. eine Einzugsermächtigung für die Beiträge zur Pflegeversicherung erteilt hätte. Weiterhin würde ein Vertragsabschluß nach Ansicht der Kammer vorliegen, wenn der Bekl. Beiträge zur Pflegeversicherung überwiesen hätte.
Das bloße Dulden des bisher nicht genehmigten Einzuges von Beiträgen zur Pflegeversicherung aufgrund einer Einzugsermächtigung für die Beiträge zur Krankenversicherung reicht dagegen für einen stillschweigenden Vertragsabschluß nicht aus, da nach außen nicht erkennbar ist, ob der Bekl. den Einzug der Pflegeversicherungsbeiträge überhaupt bemerkt hat. Die Beiträge zur Pflegeversicherung werden durch die Kl. nicht als Einzelposten vom Konto der Versicherungsnehmer abgebucht, sondern in einer Summe mit den übrigen Versicherungsbeiträgen. Die von dem Bekl. erteilte Einzugsermächtigung für die Beiträge zur Krankenversicherung kann nicht einseitig von der Kl. auf Beiträge zur Pflegeversicherung erweitert werden. Nach alledem kann das unrechtmäßige Einziehen von Geldern nicht zu einem Vertragsabschluß führen.
Es liegt auch nicht die stillschweigende Fortsetzung eines Vertrages zu geänderten Bedingungen vor (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, § 305 Rdnr. 4). Der Krankenversicherungsvertrag wird nicht durch die Pflegeversicherung erweitert, vielmehr ist der Pflegeversicherungsvertrag ein rechtlich eigenständiger Vertrag mit neuen Versicherungsbedingungen. Diese Auffassung wird u.a. gestützt durch die Regelung des § 23 II SGB XI, wonach der private Pflegeversicherungsvertrag bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen als bei dem, wo der Versicherte krankenversichert ist, abgeschlossen werden kann.
Aus der Regelung des § 23 II SGB XI ergibt sich auch, daß ein Versicherungsvertrag - ohne ausdrückliche Willenserklärung - nicht zustande kommen kann. Denn vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist für das Wahlrecht nach Eintritt der individuellen Versicherungspflicht stellt sich dann die Frage, bei welchem Versicherungsunternehmen der Bekl. versichert sein soll. Während der ersten sechs Monate nach Eintritt der individuellen Versicherungspflicht könnte - würde das Schweigen auf ein Angebot eines privaten Versicherungsunternehmens als Annahme gewertet werden - eine Vielzahl von Verträgen zur privaten Pflegeversicherung zustande kommen, und zwar dadurch, daß mehrere private Versicherungsunternehmen den potentiellen Versicherungsnehmer anschreiben und dieser auf die Schreiben nicht reagiert.
Aus der jetzigen Zahlungsverweigerung des Bekl. kann vielmehr hergeleitet werden, daß ein Versicherungsvertrag mit der Kl. nicht gewünscht ist. Die Kl. hat in einem solchen Fall nicht die Möglichkeit, die Versicherungspflicht durchzusetzen (vgl. hierzu Udsching, § 23 Rdnr. 18; Peters, in: KassKomm., § 23 SGB XI Rdnr. 19). Sie hat auch keinen Anspruch auf Abschluß eines Pflegeversicherungsvertrages gerade mit ihr. Vielmehr besteht die Möglichkeit der Meldung des Bekl. durch die Kl. beim Bundesversicherungsamt; der unterbliebene Abschluß eines Versicherungsvertrags zur privaten Pflegeversicherung kann dann als Ordnungswidrigkeit nach § 112 SGB XI geahndet werden.
Dem Argument der Kl., daß bei Millionen von Versicherten, die sich zur Pflegeversicherung nicht geäußert haben und die die Abbuchung der Beiträge seit über zwei Jahren dulden, nun kein Versicherungsschutz vorliege, muß entgegengehalten werden, daß sich die Kl. bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht auf das Fehlen eines Versicherungsvertrages berufen dürfte und Leistungen aus der Pflegeversicherung gewähren müßte. Es liegt dann ein Fall des sogenannten „venire contra factum proprium“ vor, da durch das Anschreiben der Kl. vom November 1994 ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden ist, daß der Versicherte davon ausgehen durfte, daß ohne ein weiteres Zutun seinerseits ein Versicherungsvertrag mit Anspruch auf Leistungen im Versicherungsfall entstehen würde. Auch wenn ein Vertrag nach Auffassung der Kammer in den oben aufgeführten Fällen nicht vorliegt, so wäre die Kl. aus dem Grundsatz des „venire contra factum proprium“ an ihr Angebot gebunden und zur Leistung verpflichtet (vgl. auch Palandt-Heinrichs, § 242 Rdnr. 55).
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