Streupflichtübertragung in Hausordnung
Gericht
OLG Frankfurt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
22. 09. 1988
Aktenzeichen
16 U 123/87
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. hat nach einem Sturz auf einem glatten Hofweg die Hauseigentümer (Bekl. zu 1 und 2) und die Mieter der Erdgeschoßwohnung (Bekl. zu 3 und 4) auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das LG hat ein Mitverschulden der Kl. von 1/4 angenommen und im übrigen der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG die Klage gegen die Bekl. zu 1, 2 und 4 abgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
... Der Bekl. zu 3 hat den Unfall der Kl. am 21. 1. 1985 ... widerrechtlich in fahrlässiger Weise herbeigeführt und muß ihr deswegen nach § 823 I BGB Ersatz leisten. Er hat die ihm von den Bekl. zu 1 und 2 übertragene Verkehrssicherungspflicht für das Hausgrundstück ... in schuldhafter Weise verletzt, indem er es unterlassen hat, die Zugangswege vor dem Haus am Unfalltage trotz herrschender Schnee- und Eisglätte in ausreichender Weise zu streuen, und hat dadurch den Unfall der Kl. verursacht. Der Bekl. zu 3 war verpflichtet, die angesichts der bestehenden Witterungsverhältnisse gebotenen Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Denn ihm war entgegen seiner Auffassung gemeinsam mit der Bekl. zu 4 als Mieter der Erdgeschoßwohnung die Verkehrssicherungspflicht für die Zugangswege vor dem Haus in wirksamer Weise von den Bekl. zu 1 und 2 als den Eigentümern des Anwesens übertragen worden. In § 27 des mit ihnen abgeschlossenen Mietvertrages war ausdrücklich bestimmt, daß die Mieter in einer wöchentlich wechselnden Reihenfolge verpflichtet seien, den Gehweg und die Zugangswege vor dem Haus von Schnee und Eis zu reinigen und bei Glätte zu streuen. Diese Verpflichtung traf am Unfalltage unstreitig die Bekl. zu 3 und 4 als Mieter der Erdgeschoßwohnung. Ihnen ist diese Verpflichtung in wirksamer Weise übertragen worden. Zwar trifft es zu, daß die Vereinbarung darüber lediglich in dem von den Bekl. zu 1 und 2 als den Vermietern verwendeten vorgedruckten Mietvertragsformular enthalten ist und dort unter § 27 des Vertragstextes mit der Überschrift „Hausordnung“ steht. Doch folgt daraus entgegen der Ansicht der Bekl. zu 3 und 4 nicht, daß diese formularmäßige Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf sie als Mieter unwirksam sei. Eine überraschende Klausel i. S. des § 3 AGB-Gesetz, die nicht Vertragsbestandteil geworden wäre, liegt darin nicht. Allerdings vertritt Sternel (MietR, 3. Aufl. (1988), II Rdnrn. 86, 95 i. V. mit 92) die Auffassung, daß die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf den Mieter dann überraschend sei, wenn sie sich nur in einer vorformulierten Hausordnung befinde, weil Hausordnungen üblicherweise nur ausführende Regelungen zu den Rechten und Pflichten im Mietvertrag enthielten. Dieser Gedanke vermag jedoch nur in den Fällen zu überzeugen, in denen die Hausordnung im Anschluß an den Vertragsabschluß den Mietern überlassen wird, weil sie dann nicht mehr damit rechnen und auch nicht zu rechnen brauchen, daß darin wesentliche vorher in dem Mietvertrag nicht erwähnte Vertragspflichten enthalten sind. Nicht aber kann dies gelten, wenn wie hier die Hausordnung Bestandteil des Mietvertrages, nämlich in einem der in dem Mietvertrag vereinbarten Paragraphen festgehalten, also Teil des vereinbarten und unterschriebenen und damit normalerweise zur Kenntnis genommenen Vertragstextes ist. Abgesehen davon ist die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf die Mieter ohnehin nicht unüblich, so daß mit einer solchen Regelung gerechnet werden muß. Entscheidend spricht hier aber vor allem gegen die Annahme einer Überraschungsklausel der Umstand, daß der Bekl. zu 3 in Kenntnis der übernommenen Verpflichtung die Zugangswege vor dem Haus am Unfalltage - wenn auch unzureichend - gereinigt und gestreut hat. Er war demnach bereit, der ihm auferlegten Pflicht nachzukommen, stimmte also, wie sein Verhalten zeigt, der Übernahme dieser Verpflichtung in dem vorgesehenen zeitlichen Rahmen zu, so daß er wegen der ihn daraus treffenden Pflichten nicht überrascht worden ist.
Die Vertragsklausel über die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht benachteiligt die Bekl. zu 3 und 4 entgegen ihrer Auffassung auch nicht unangemessen i. S. des § 9 AGB-Gesetz und ist deswegen nicht unwirksam. Die Abrede darüber führt nicht dazu, daß sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren wäre. Zwar ist es richtig, daß grundsätzlich den Eigentümer eines Grundstückes die Verkehrssicherungspflicht für das Anwesen trifft und daß der Vermieter nach § 536 BGB dem Mieter die vermietete Sache in einem zu dem vertragsmäßigen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten hat, also grundsätzlich die Räum- und Streupflicht Sache des Vermieters ist. Dadurch ist er aber nicht gehindert, diese Pflicht durch vertragliche Vereinbarung dem Mieter zu übertragen. Denn dieser nutzt an Stelle des Vermieters das Grundstück. Auf Grund seiner tatsächlichen Nähe zu dem Mietobjekt, von dem Gefahren für Dritte ausgehen können, ist er ohne weiteres in der Lage, einen gefahrenträchtigen Zustand zu erkennen und für Abhilfe zu sorgen. Es ist deswegen nicht unangemessen, wenn ihm angesichts seiner tatsächlichen Nutzung der Mietsache die Aufgabe übertragen wird, dafür Sorge zu tragen, daß keine Gefahr für Dritte von ihr ausgeht.
Dieser Aufgabe ist der Bekl. zu 3 hier nicht in ausreichender Weise nachgekommen.
Die Kl. trifft jedoch, wie das LG weiter zu Recht ausgeführt hat, ein Mitverschulden an dem Unfallereignis nach § 254 I BGB, das mit 1/4 zu bewerten ist. Insofern schließt sich der Senat den Ausführungen der Vorinstanz an. (Wird ausgeführt.)
Unbegründet ist die Klage dagegen, soweit die Kl. auch die Bekl. zu 4 und die Bekl. zu 1 und 2 auf Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch nimmt. Insofern war die ergangene Entscheidung auf die Berufungen dieser Bekl. hin abzuändern.
Die Bekl. zu 4 hat die ihr gegenüber der Kl. obliegende Verkehrssicherungspflicht nicht schuldhaft verletzt. Demgemäß haftet sie ihr nicht gem. § 823 BGB auf Schadensersatz. Allerdings hat sie in gleicher Weise wie der Bekl. zu 3 mit dem Abschluß des Mietvertrages von den Bekl. zu 1 und 2 die Verpflichtung übernommen, für die Reinigung und die Sicherheit der Wege auf dem Grundstück ... zu sorgen. Doch hat sie nicht in schuldhafter Weise gegen diese Verpflichtung verstoßen. Für das Verhalten des Bekl. zu 3, der am Unfalltage den Weg im Hofbereich fahrlässig nicht ausreichend gestreut hat, muß sie nicht einstehen. Denn sie bediente sich des Bekl. zu 3 weder zur Erfüllung einer ihr der Kl. gegenüber obliegenden schuldrechtlichen Verpflichtung i. S. des § 278 BGB - ein solches Schuldverhältnis bestand zwischen ihnen nicht - noch war der Bekl. zu 3 ihr Verrichtungsgehilfe i. S. des § 831 BGB, so daß sie sein Verhalten nicht gegen sich gelten lassen muß. Insofern fehlt es an einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis des Bekl. zu 3, welches ihn den Weisungen der Bekl. zu 4 unterworfen hätte. Ein eigenes Verschulden der Bekl. zu 4 ist ebenfalls nicht erwiesen. Es sind keine Umstände vorgetragen und zu ersehen, die ihr bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt die Verpflichtung auferlegt hätten, die Reinigungs- und Streuarbeiten am Unfalltage nicht dem Bekl. zu 3 zu überlassen oder zumindest seine Arbeit daraufhin zu überprüfen, ob sie sorgfältig genug durchgeführt worden sei. Denn die Bekl. zu 3 und 4 waren erst seit drei Wochen Mieter der Wohnung und erst während dieser kurzen Zeitspanne im wöchentlichen Wechsel mit den Mietern der anderen Wohnung verpflichtet, für das Reinigen und Streuen der Wege auf dem Mietgrundstück zu sorgen. In diesem Zeitraum waren bislang aber keine Vorfälle aufgetreten, welche der Bekl. zu 4 aufgezeigt hätten, daß der Bekl. zu 3 dieser von ihm übernommenen Aufgabe nicht sorgfältig genug nachkam. Weder sie selbst noch die anderen Mieter noch sonstige Benutzer des Grundstückes hatten bislang Anlaß gehabt, irgend welche Beschwerden deswegen vorzubringen. Gegenteiliges hat auch die Kl. nicht vorgetragen. Konnte die Bekl. zu 4 aber bislang davon ausgehen, daß der Bekl. zu 3 der ihm in gleicher Weise wie ihr übertragenen Verkehrssicherungspflicht gewissenhaft nachkam, so hatte sie keinen begründeten Anlaß, ihm nicht auch am Unfalltage das Räumen und Streuen der Wege auf dem Grundstück zu überlassen und darauf zu vertrauen, daß er diese Arbeiten ordnungsgemäß verrichten werde. Eine besondere Überprüfungspflicht traf sie angesichts dieser Umstände nicht. Auch ist mangels näheren Vortrags der Kl. dazu nicht zu ersehen, daß die Bekl. zu 4 am Unfalltage, falls sie vor dem Sturz der Kl. das Haus verlassen haben sollte, das unzureichende Streuen auf dem Weg im Hofbereich hätte bemerken und deswegen einschreiten müssen ...
In gleicher Weise unbegründet ist die gegen die Bekl. zu 1 und 2 erhobene Klage. Diese beiden Bekl. trifft ebenfalls kein Verschulden an der Körperverletzung der Kl., so daß sie nicht nach §§ 823 I , 847 BGB in Anspruch genommen werden können. Für das fahrlässige Verhalten des Bekl. zu 3 müssen sie nicht aufkommen. Er war weder ihr Erfüllungsgehilfe i. S. des § 278 BGB noch ihr Verrichtungsgehilfe nach § 831 BGB. Insofern gilt das oben für die Bekl. zu 4 Gesagte. Ein eigenes Verschulden fällt den Bekl. zu 1 und 2 ebenfalls nicht zur Last. Auf Grund der Tatsache, daß sie die Verkehrssicherungspflicht in wirksamer Weise auf die Mieter ihres Anwesens übertragen haben, wurden sie allerdings nicht von jeder Verantwortung für die Sicherheit der Verkehrsflächen dort frei. Sie traf vielmehr eine Überwachungspflicht, damit sichergestellt war, daß die Mieter die ihnen übertragene Obliegenheit ordnungsgemäß erfüllen (vgl. BGH, NJW 1985, 270 (271); NJW 1985, 484 f.). Gegen diese Verpflichtung haben die Bekl. zu 1 und 2 jedoch nicht in schuldhafter Weise verstoßen. Der Senat glaubt ihrem Vorbringen, obwohl die Kl. dessen Richtigkeit bestreitet, daß sie die Reinigungsarbeiten der Bekl. zu 3 und 4 von Beginn der Mietzeit an etwa wöchentlich auf deren ordnungsgemäße Durchführung entweder selbst oder durch ihre Tochter, die Zeugin B, überprüft haben.
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