Unwirksame Bedingungsanpassungsklausel in der Rechtsschutzversicherung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

17. 03. 1999


Aktenzeichen

IV ZR 218/97


Leitsatz des Gerichts

Die Bedingungsanpassungsklausel des § 10 A ARB 94 ist unwirksam.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist ein rechtsfähiger Verein, der nach seiner Satzung die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrnimmt. Die Bekl. ist ein Versicherungsunternehmen. Sie schließt u.a. Versicherungsverträge über Rechtsschutzversicherungen mit privaten Endverbrauchern ab. Dabei verwendet sie in ihren AVBfür die Rechtsschutzversicherung aus dem Jahre 1994 (ARB 94) folgende Klausel:

§ 10. Bedingungs- und Beitragsanpassung.

A. Bedingungsanpassung.

(1) Der Versicherer ist berechtigt,

• bei Änderung von Gesetzen, auf denen die Bestimmungen des Versicherungsvertrags beruhen,

• bei unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der Verwaltungspraxis des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen oder der Kartellbehörden,

• im Fall der Unwirksamkeit von Bedingungen sowie

• zur Abwendung einer kartell- oder aufsichtsbehördlichen Beanstandung

einzelne Bedingungen mit Wirkung für bestehende Verträge zu ergänzen oder zu ersetzen. Die neuen Bedingungen sollen den ersetzten rechtlich und wirtschaftlich weitestgehend entsprechen. Sie dürfen dieVersicherten auch unter Berücksichtigung der bisherigen Auslegung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht unzumutbar benachteiligen.

(2) Die geänderten Bedingungen werden dem Versicherungsnehmer schriftlich bekanntgegeben und erläutert. Sie gelten als genehmigt,wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich widerspricht. Hierauf wird er bei der Bekanntgabe besonders hingewiesen. Zur Fristwahrung ist die Absendung ausreichend. Bei fristgerechtem Widerspruch laufen die Verträge mit den ursprünglichen Bedingungen weiter.

(3) Zur Beseitigung von Auslegungszweifeln kann der Versichererden Wortlaut von Bedingungen ändern, wenn diese Anpassung vom bisherigen Bedingungstext gedeckt ist und den objektiven Willen sowie die Interessen beider Parteien berücksichtigt. Das Verfahren nach Abs. 2 ist zu beachten.

Der Kl. hält diese Klausel nach dem AGB-Gesetz für unwirksam. Er hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft, zu unterlassen, die beanstandete Klausel in AVB zu verwenden, ausgenommen gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes, und sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf diese Klausel zu berufen. Das LG (VersR 1996, 874) hat der Klage stattgegeben. Das OLG (NVersZ 1998, 69 = VersR 1997, 1272) hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Bekl. ihren Antrag auf Klagabweisung weiter. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das BerGer. hat § 10 A der von derBekl. verwendeten ARB 94 wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG für unwirksam erklärt. Das ist jedenfalls im Ergebnis richtig.

1. Die Regelung des § 10 A I ARB 94 ist schon deshalb nach § 9 I AGBG unwirksam, weil sich die Bekl. mit ihr das Rechtvorbehält, den Versicherungsnehmer nach Vertragsschluß durch Änderung vereinbarter Bedingungen schlechter zu stellen, als er bei Abschluß des Vertrags stand. Nach dem Wortlaut der Regelung soll der Versicherungsnehmer benachteiligt werden können; nur soll die Benachteiligung die Grenze derZumutbarkeit nicht überschreiten dürfen. Mit der grundsätzlichen Möglichkeit einer Schlechterstellung ihres Vertragspartners verkennt die Bekl. die Voraussetzungen, die eine nachträgliche Anpassung des Vertragsinhalts an veränderte Umstände erst legitimieren.

a) Die Anpassung durch neue, allein vom Versicherer aufgestellte Regelungen stellt einen Eingriff in ein bestehendes Vertragsverhältnis dar. Dieser läßt sich nach den gem. § 9 I AGBGzu berücksichtigenden Interessen beider Vertragsparteien nur rechtfertigen, wenn durch unvorhersehbare Änderungen, die der Versicherer nicht veranlaßt und auf die er auch keinen Einfluß hat, das bei Vertragsschluß vorhandene Äquivalenzverhältnis in nicht unbedeutendem Maße gestört wurde. Bei Versicherungsverträgen mit einer nicht nur kurzen Laufzeit kanndie Störung des Äquivalenzverhältnisses eine Anpassung erforderlich machen, wenn die Parteien ohne sie nicht oder nur mit Schwierigkeiten in der Lage sind, den Vertrag fortzusetzen und durchzuführen. Ebenso kann eine im Regelungswerk entstandene Lücke - etwa wenn die Rechtsprechung eine Klauselfür unwirksam erklärt - Schwierigkeiten bei der Durchführung des Vertrags entstehen lassen, die nur durch Anpassung oder Ergänzung zu beseitigen sind. Nur unter diesen Voraussetzungen der Vertragslücke und der Störung des Äquivalenzverhältnisses ist eine nachträgliche Anpassung des Vertragsinhalts gerechtfertigt, die durch eine Anpassungsklausel geregelt werden kann (für die Zulässigkeit einer Anpassungsklauselvgl. Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., Vorb. I Rdnr. 28; Präve, Versicherungsbedingungen u. AGBG 1998, Rdnrn. 446ff.; Entzian, NVersZ 1998, 65; Schimikowski, r+s 1998,27; Schwintowski, VuR 1998, 128; Matusche-Beckmann, NJW 1998, 112; K. Johannsen, DZWir 1998, 115, die eine Anpassungsbefugnis aber nur auf Fälle unwirksamer Klauseln beschränkt; a.A. Reiff, EWiR 1997, 961).

Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Anpassungsklausel inVersicherungsverträgen wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Gesetzgeber nur in zwei Fällen, §§ 172 und 178g VVG, eine Anpassung an veränderte Umstände geregelt hat.

Daraus läßt sich nicht der Umkehrschluß ziehen, in allen anderen Fällen sei eine Bedingungsanpassung ausgeschlossen und der Versicherer sei nur auf eine Änderungskündigung verwiesen (a.A. Reiff, EWiR 1997, 961). In vielen, wenn nicht in den meisten Fällen wird eine Kündigung durch den Versichererauch nicht dem Interesse des Versicherungsnehmers entsprechen. Es tritt die Gefahr hinzu, daß der Versicherungsnehmer, der nicht sofort für einen Neuabschluß sorgt, eine geraume Zeit unversichert ist, ein Zustand, den das Gesetz in anderenFällen zu vermeiden sucht (vgl. §§ 69ff. VVG). Vor allem aber handelt es sich bei den §§ 172 und 178g VVG um vom Gesetzgeber geregelte Sonderfälle der Lebens- und Krankenversicherung, die keine Rückschlüsse auf andere Versicherungsarten zulassen (vgl. auch Entzian, NVersZ 1998, 65).

b) Mit der vorbehaltenen Möglichkeit, den Versicherungsnehmer schlechter als bei Vertragsschluß zu stellen, geht dieBekl. weiter, als es die Notwendigkeit zur Wiederherstellung des ursprünglichen Äquivalenzverhältnisses oder die Füllung entstandener Vertragslücken fordert. Damit benachteiligt sieden Versicherungsnehmer unangemessen i.S. des § 9 I AGBG. Denn soweit sich die Bekl. das Recht einräumt, über die Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses oder das Füllen von Lücken hinaus die vertragliche Position des Versicherungsnehmers zu verschlechtern, sucht sie entgegen den Geboten von Treu und Glauben einseitig ihre eigenen Interessen zuLasten des Versicherungsnehmers durchzusetzen.

Die Revision schließt aus § 9 I AGBG, daß der Versicherungsnehmer lediglich nicht unangemessen benachteiligt werden dürfe. Das ist verfehlt, denn das Gesetz hat AGB im Blick, die die Vertragsparteien erst noch in den Vertrag einbeziehen. Der Versicherungsnehmer hat also Gelegenheit, vor Vertragsschluß zu entscheiden, ob er Benachteiligungen in Kauf nehmen will. Das Gesetz bezweckt lediglich, den Vertragspartnervor solchen Benachteiligungen zu schützen, die entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen sind. Mit der Bedingungsanpassungsklausel zielt der Versicherer aber aufdie Zeit nach Vertragsschluß ab, nachdem sich der Versicherungsnehmer bereits entschieden hat, ob und gegebenenfalls welche Nachteile er hinnehmen will. Von dem so durch übereinstimmenden Willen beider Parteien zustande gekommenen Vertragsinhalt kann sich der Versicherer nicht durch eine Anpassungsklausel zum Nachteil des Versicherungsnehmers lösen. Sollten veränderte Umstände eine weitergehende Anpassung erforderlich erscheinen lassen, wäre sie nach den Regelnüber den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu suchen.

Soweit die Revision ihre Auffassung auch auf § 10 Nr. 4 AGBG stützt, bezieht sich diese Vorschrift nur auf Leistungen, während die Bedingungsanpassungsklausel sämtliche Regelungen erfassen will. Im übrigen zieht das Verbot des § 10Nr. 4 AGBG nur eine äußerste Grenze, die der Klauselverwender nicht überschreiten darf. Die Vorschrift schließt nicht aus, daß der Verwender aus anderen Gründen hinter dieser Grenze zurückbleiben muß.

c) Die Klausel krankt auch daran, daß sie undifferenziertvon der Notwendigkeit einer vom Versicherer vorzunehmenden Bedingungsanpassung ausgeht. Diese ist aber dann nicht notwendig, wenn das Gesetz eine Regelung bereit hält, die eine entstandene Lücke im Bedingungswerk füllt oder ein späterentstandenes Ungleichgewicht ausgleicht. In diesen Fällen greift § 6 II AGBG ein, wenn die Anpassung erforderlich wurde, weil eine Regelung in den AVB nicht Vertragsbestandteil geworden oder für unwirksam erklärt worden ist. Von § 6 II AGBG abzuweichen, besteht kein Anlaß. Darin läge ein Verstoß gegen § 9 II 1 AGBG. Nur soweit gesetzliche Vorschriften die Anpassung nicht leisten, ist Raum für eine Bedingungsanpassungsklausel.

2. Zu den bereits erörterten Gründen der Unwirksamkeit von § 10 A I ARB 94 treten weitere Bedenken hinzu.

a) Nach Satz 1 dieser Klausel soll die Bekl. „im Falle der Unwirksamkeit von Bedingungen„ zur Anpassung berechtigtsein. Aus dieser Formulierung geht nicht hervor, wem die Kompetenz zugewiesen ist, eine Bedingung für unwirksam zu erklären. Insoweit ist dieser Teil der Klausel unklar. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann darunter verstehen,daß die Bekl. den Vertragsinhalt auch dann schon ändern dürfe, wenn sie selbst eine Bedingung für unwirksam hält. Dies aber wäre mit den o. (unter 1a) dargestellten Voraussetzungen einer notwendigen Anpassung nicht vereinbar.

b) Die Anpassungsbefugnis schon „zur Abwendung einerkartell- oder aufsichtsbehördlichen Beanstandung„ benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen. Damit wird die Schwelle einer notwendigen Anpassung zu sehr vorverlegt. Nach dieser Regelung wäre der Versicherer schon im Vorfeldbehördlicher Maßnahmen zur Änderung der vereinbarten Bedingungen berechtigt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Behörde nicht einmal einen Verwaltungsakt erlassen hat. Dem Versicherer, der die Verantwortung für die Zulässigkeit seiner AVB trägt, kann aber zugemutet werden, zumindest die konkrete Entschließung der Behörde abzuwarten, um dann derenBegründung bei nachträglichen Anpassungen der Bedingungen auch zu berücksichtigen.

c) Der generelle Vorbehalt, „einzelne Bedingungen„ ergänzen oder ersetzen zu dürfen, bedarf in seinen Gestaltungsmöglichkeiten der Konkretisierung (vgl. BGHZ 136, 394 [402] = NJW 1998, 454 = LM H. 7/1998 § 9 [Bk] AGBG Nr. 34 = NVersZ; Entzian, NVersZ 1998, 65 [unter III]). Der Versicherungsnehmer muß vorhersehen können, in welchen Bereichener mit Änderungen zu rechnen hat.

3. Absatz 2 der Klausel hat keine eigenständige Bedeutung. Sie verliert ihren Zweck mit der Feststellung, daß Absatz 1 unwirksam ist. Sie ist im übrigen nicht frei von Bedenken.

a) Die Widerspruchsfrist von einem Monat erscheint bei Ergänzungen und Ersetzungen von Versicherungsbedingungen als zu kurz bemessen. Die Klausel vermutet die Genehmigungdes Versicherungsnehmers unwiderlegbar, wenn er in der gesetzten Frist nicht widerspricht. Dem Versicherungsnehmer ist damit auferlegt, tätig zu werden, wenn er mit der Anpassung nicht einverstanden ist. Je nachdem um welche Anpassung essich handelt, muß dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit gegeben werden, sich Rechtsrat einzuholen. Sollte sich der Versicherungsnehmer in einem - wie heute üblich - dreiwöchigen Urlaub befinden, wenn ihm die Änderung mitgeteilt wird,steht ihm keine ausreichende Zeit mehr zur Verfügung, um sich beraten zu lassen und sich zu entschließen.

b) Nach Satz 5 des Absatz 2 sollen bei fristgerechtem Widerspruch die Verträge „mit den ursprünglichen Bedingungen„ weiterlaufen. Dies beschreibt die Rechtslage unzutreffend.Denn der Wortlaut schließt nicht aus, daß der Vertrag auch mit von der Rechtsprechung für unwirksam erklärten Klauseln fortgeführt werden soll (vgl. Prölss, in: Prölss/Martin, § 10 ARB 94 Rdnr. 9). Auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Klausel in diesem Sinne verstehen können. Durch die unzutreffende Darstellung der Rechtslage kannder Versicherungsnehmer davon abgehalten werden, seine Rechte durchzusetzen. Deshalb verstößt diese Regelung gegen das Transparenzgebot (vgl. BGHZ 128, 54 [60] = NJW 1995,589 = LM H. 5/1995 § 315 BGB Nr. 51).

4. § 10 A III ARB 94 ist nach § 9 AGBG unwirksam. Bedenken bestehen schon wegen der allgemein gehaltenen Formulierung der Änderungsvoraussetzung, nämlich „zur Beseitigung von Auslegungszweifeln„. Auch diese Regelung selbst dürfte Auslegungszweifeln unterliegen, weil nicht hinreichend klarist, wessen Zweifel - auch die des Versicherers? - ausreichen sollen, die Folge der Änderungsbefugnis auszulösen. Diese Bedenken können aber dahinstehen. Denn auch ohne sie in die Beurteilung einzubeziehen, benachteiligt die Regelung denVersicherungsnehmer unangemessen. Mit ihr entzieht sich der Versicherer den Folgen des § 5 AGBG (vgl. Prölss, in: Prölss/Martin, § 10 ARB 94 Rdnr. 12), wonach Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders gehen. Damit weicht er von einem wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung ab, § 9 II Nr. 1 AGBG. Die Vorschrift des § 5 AGBG verfolgt den Zweck, denjenigen auch die Nachteile tragen zu lassen, der den Vorteil für sich in Anspruch nimmt, von ihm vorformulierte Bedingungen zum Vertragsinhalt werden zu lassen. Das entspricht seiner Verantwortung für den Inhalt der AGB (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 8. Aufl., § 5 Rdnr. 1m. w. Nachw.). Dieser Verantwortung darf sich derVersicherer zum Nachteil seines Vertragspartners nicht dadurch entziehen, daß er sich Nachbesserungen auch für bestehende Verträge vorbehält.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht

Normen

AGBG §§ 5, 6 II, 9, 10 Nr. 4; ARB 1994 § 10 A; VVG §§ 69 ff., 172, 178g