Versicherungs- und beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis - Mißglückter Arbeitsversuch

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

04. 12. 1997


Aktenzeichen

12 RK 46/94


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Zwischen den Bet. ist streitig, ob der Kl. in einem Beschäftigungsverhältnis versicherungs- und beitragspflichtig geworden ist. Der 1940 geborene Kl. war bis 1972 versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend bis 1987 als Gastwirt selbständig tätig. Vom 1. 7. 1988 bis zum 19. 1. 1989 war er zunächst aufgrund einer Beschäftigung und danach aufgrund eines Leistungsbezugs nach dem Arbeitsförderungsgesetz versicherungspflichtiges Mitglied der Allgemeinen Ortskrankenkasse Ostholstein. Anschließend war er vom 20. 1. 1989 bis 19. 1. 1990 nicht gesetzlich krankenversichert, vom 20. 1. 1990 an über seine Ehefrau bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse familienversichert. Als beim Kl. im Januar 1990 Herzrhythmusstörungen auftraten, wurde er von seinem Hausarzt zur Untersuchung in einer kardiologischen Fachklinik angemeldet. Bevor es dort zu einer Untersuchung kam, nahm er am 12. 4. 1990, dem Donnerstag vor Ostern, in einer von seiner Tochter gepachteten Gaststätte auf der Insel F. eine Beschäftigung als Zapfer auf. Am 17. 4. 1990, dem Dienstag nach Ostern, wurde er wegen Herzrhythmusstörungen und Stenokardien in ein Krankenhaus eingewiesen. Von dort wurde er am 2. 5. 1990 zur Herzkatheteruntersuchung in eine Kardiologische Klinik verlegt, die er am 5. 5. 1990 verließ. Die Allgemeine Ortskrankenkasse stellte nach Befragen des Medizinischen Dienstes mit Bescheid vom 16. 7. 1990 fest, ein versicherungs- und beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sei nicht zustande gekommen. Es habe ein mißglückter Arbeitsversuch vorgelegen. Dagegen erhob der Kl. Widerspruch, den die Allgemeine Ortskrankenkasse zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 31. 8. 1992 zurückwies.

Das SG hat nach Beiladung der Tochter des Kl. (Beigeladene zu 1), der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein (Beigeladene zu 2) und der BA (Beigeladene zu 3) die Klage mit Urteil vom 9. 3. 1993 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Kl. mit Urteil zurückgewiesen. Seine hiergegen gerichtete Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist der Bescheid vom 16. 7. 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. 8. 199 rechtswidrig.

1. Für die im Jahre 1990 ausgeübte Beschäftigung des Kl. richtet sich die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nach § 5 I Nr. 1 des am 1. 1. 1989 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuchs (Gesetzliche Krankenversicherung SGB V). Danach sind Arbeitnehmer, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, versicherungspflichtig. Die Versicherungspflicht der abhängig beschäftigten Arbeiter in der Rentenversicherung richtete sich bis Ende 1991 nach § 1227 I 1 Nr. 1 RVO. Rechtsgrundlage der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung ist § 168 I 1 AFG. Danach sind Personen beitragspflichtig, die gegen Entgelt beschäftigt sind. Im Sinne der genannten Vorschriften ist beschäftigt, wer eine nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, ausübt (§ 7 I SGB IV i.V. mit § 173a AFG). Der Kl. ist nach den genannten Vorschriften am 12. 4. 1990 in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung versicherungspflichtig sowie in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig geworden.

2. In der Krankenversicherung scheitert die Versicherungspflicht nicht an der Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs. Sie ist in ihrem bisherigen Verständnis unter der Geltung des SGB V nicht mehr anzuwenden.

a) Das BSG hat in seiner Rechtsprechung zu § 165 I Nrn. 1, 2 RVO (Versicherungspflicht der Beschäftigten) und zu § 306 I RVO (Beginn der Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter mit dem Tag des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung) geprüft, ob die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung aufgrund dieser Rechtsfigur scheitert (BSGE 10, 156 (159); BSGE 15, 89 (91, 92) = SozR Nr. 25 zu § 165 RVO; BSGE 20, 145 (147) = SozR Nr. 1 zu § 107 AVAVG; BSG, SozR Nrn. 44, 53, 61, 63 und 75 zu § 165 RVO; BSG, SozR 2200 § 165 Nrn. 2, 4, 33, 34 und 66; BSG, SozR 2200 § 306 Nr. 10; BSGE 46, 118 (120) = SozR 2600 § 45 Nr. 21; BSGE 54, 62 (68) = SozR 2200 § 182 Nr. 84; BSGE 54, 148 = SozR 2200 § 306 Nr. 13; BSGE 54, 257 = SozR 2200 § 306 Nr. 14; BSGE 55, 78 (80, 81) = SozR 2200 § 1531 Nr. 13; BSG, SozR 2200 § 1241 Nr. 32; BSG, SozR 4100 § 159 Nr. 5; BSG, USK 7399, 78142, 78196, 8201, 8323 und 8398). Es hat dabei, beginnend mit seinem Urteil vom 8. 7. 1959 (BSGE 10, 156 (159)). Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes zu den §§ 165 , 306 RVO übernommen und die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs weiterentwickelt. Danach ließ ein mißglückter Arbeitsversuch ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis i.S. des § 165 I Nrn. 1, 2 RVO nicht entstehen. Er lag vor, wenn objektiv feststand, daß der Beschäftigte bei Aufnahme der Arbeit zu ihrer Verrichtung nicht fähig war oder er die Arbeit nur unter schwerwiegender Gefährdung seiner Gesundheit - etwa unter der Gefahr einer weiteren Verschlimmerung seines Leidens - würde verrichten können, und wenn er die Arbeit entsprechend der darauf zu gründenden Erwartung vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit aufgegeben hatte (BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 33). Ein mißglückter Arbeitsversuch wurde dagegen verneint, wenn der Beschäftigte trotz der genannten ungünstigen Erwartung tatsächlich brauchbare Arbeit über einen wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeitraum geleistet hatte und deshalb nach den Umständen des Falls darauf vertrauen durfte, durch seine Beschäftigung Versicherungsschutz erworben zu haben (BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 33 m. w. Nachw.). Eine feste Grenze für einen wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeitraum hat das BSG nicht gezogen. In der jüngeren Rechtsprechung wurde ein mißglückter Arbeitsversuch nach dreiwöchiger Beschäftigung noch bejaht (BSG, SozR 2200 § 165 Nrn. 2 und 33), nach sechswöchiger Beschäftigung verneint (BSG, USK 7399). Beschäftigungszeiten bei mehreren Arbeitgebern waren unter bestimmten Umständen zusammenzurechnen (BSG, SozR 2200 § 165 Nrn. 33, 34). Versicherungspflicht wurde wegen eines mißglückten Arbeitsversuchs in insgesamt elf Urteilen des BSG verneint oder bei Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz in Frage gestellt (BSG, SozR Nrn. 53, 61, 63 zu § 165 RVO; BSG, SozR 2200 § 165 Nrn. 2, 4, 33, 66; BSGE 54, 148 = SozR 2200 § 306 Nr. 13; BSGE 54, 257 = SozR 2200 § 306 Nr. 14; BSG, USK 78142 und 8323). Diese Entscheidungen ergingen in der Zeit von April bis Februar 1983, wobei die Rechtsfigur erst in den Urteilen vom 19. 12. 1978 und vom 25. 1. 1979 (SozR 2200 § 165 Nrn. 33 und 34) ihre letzte Ausformung erhielt.

b) Begründet wurde die Rechtsfigur unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung mit der Notwendigkeit der Mißbrauchsabwehr sowie mit dem Versicherungsprinzip. Kein am Versicherungsprinzip orientiertes Leistungssystem könne darauf verzichten, daß jeder Versicherte mindestens der Möglichkeit nach zugleich Leistungsempfänger und Beitragszahler sei, niemand könne also Mitglied der Versichertengemeinschaft werden, der von vornherein wegen Arbeitsunfähigkeit als Beitragszahler ausscheide (BSG, SozR Nr. 63 zu § 165 RVO; BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 33).

c) Die Auswirkungen der Rechtsfigur waren erheblich. Lag ein mißglückter Arbeitsversuch vor, hatte dies für den Betr. den vollständigen Ausschluß der Versicherungspflicht und nicht etwa nur die Versagung einzelner Leistungen, z.B. für eingebrachte Krankheiten, zur Folge. Der Ausschluß erfaßte einmal eine Gruppe von Personen, die durch Aufnahme einer Beschäftigung überhaupt erst Versicherungsschutz erwerben wollten, weil sie sonst keinen hatten; sie erhielten bei Vorliegen eines mißglückten Arbeitsversuchs mangels Versicherungspflicht keine Leistungen der Krankenversicherung. Zum zweiten war eine Personengruppe betroffen, die zwar einen Krankenversicherungsschutz hatte, bei der dieser Schutz aber kein Krankengeld einschloß. Dieses traf vornehmlich bei Personen zu, die ohne Anspruch auf Krankengeld freiwillig versichert waren oder für die Anspruch auf Familienhilfe bestand (§ 205 RVO). Für sie galt bei einem mißglückten Arbeitsversuch der bisherige krankengeldlose Versicherungsschutz weiter. Krankengeld war für beide Gruppen erstrebenswert, weil es versicherungspflichtigen Mitgliedern bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit für lange Zeit den Ersatz des Arbeitsentgelts sicherte und die Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung aufrecht erhielt (§ 311 S. 1 Nr. 2 RVO), ohne daß aus dem Krankengeld Beiträge zu entrichten waren (§ 383 RVO).

d) Anwendungsbereich der Rechtsfigur war im wesentlichen die Versicherungspflicht der Beschäftigten nach § 165 I Nrn. 1, 2 RVO. Diese Versicherungspflicht wurde durch den mißglückten Arbeitsversuch nicht nur für diejenigen ausgeschlossen, die bei Arbeitsaufnahme ihre Arbeitsunfähigkeit kannten und mit ihrem baldigen Ausscheiden aus der Beschäftigung sowie hohen Leistungsaufwendungen der Krankenkasse rechneten. Vielmehr scheiterte die Versicherungspflicht auch bei denjenigen, die ihre Krankheit und Arbeitsunfähigkeit nicht kannten oder nicht einmal kennen konnten (vgl. BSGE 54, 148 = SozR 2200 § 306 Nr. 13). Auf andere Tatbestände der Versicherungspflicht ist die Rechtsfigur nur zurückhaltend angewandt worden, und zwar bei berufsfördernden Maßnahmen außerhalb eines Rehabilitationsverfahrens (Versicherungspflicht nach § 165 I Nr. 2a RVO; BSG, SozR 2200 § 306 Nr. 12) und in der Krankenversicherung der Arbeitslosen (§ 155 I AFG) für die Zeit nach Einstellung der Zahlung von Arbeitslosengeld (BSG, SozR 4100 § 155 Nr. 4).

e) Im Schrifttum ist die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs zunächst überwiegend anerkannt worden, wobei jedoch zu Einzelheiten teilweise Kritik geübt oder ein Überprüfungsbedarf gesehen wurde (Zur RVO: Heinze, in: Gesamtkomm z. Sozialversicherung, Stand: 1980, § 165 RVO Rdnr. 6 V; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl., § 165 Rdnr. 5.1; Peters, Hdb. der Krankenversicherung, Stand: 1985, § 165 RVO Rdnr. 11; Schulin, Fälle z. SozialR, 1. Aufl. (1987), S. 26ff. jedoch auch ZfA 1978, 215 (218, Fußn. 5); Töns, DOK 1969, 101 (146ff.); Zum SGB V: Breuer, in: GK-SGB, Stand: 1990, § 5 SGB V Rdnrn. 99-104; Gerlach, in: Hauck/Haines, Komm z. SGB, Stand: 1989, § 5 SGB V Rdnrn. 110-113; Heinze, Stand: 1989, § 5 SGB V Rdnr. 7; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Stand: 1989, § 5 SGB V Rdnr. 9; Peters, Stand: 1989, § 5 SGB V Rdnrn. 107-114; Zipperer, in: Maaßen/Schirmer/Wiegand/Zipperer, Komm z. gesetzlichen Krankenversicherung, Stand: 1992, § 5 SGB V Rdnrn. 15, 16). Sie ist jedoch auch und mit der Zeit zunehmend auf Kritik gestoßen (Fuchs, VSSR 1991, 281 (307ff.); Gagel, SGb 1985, 268 (270ff.) und SGb 1990, 1 (2ff.); Girardi, ZfS 1975, 4 (5ff.); Kunze, DOK 1981, 454; Seewald, KK, Sozialversicherungsrecht, Stand: Juli 1991, § 7 SGB IV Rdnrn. 22-24).

f) In seinem Urteil vom 11. 5. 1993 (BSGE 72, 221 (224, 225) = NJW 1994, 477 = NZS 1993, 547 = SozR 3-2200 § 165 Nr. 10) und in einem weiteren Urteil vom selben Tage (12 RK 34/91) hat der erkennende Senat die Bedenken gegen die Rechtsfigur zusammengefaßt und als gewichtig bezeichnet. Ob sie deswegen aufzugeben war, brauchte nicht entschieden zu werden, weil bei ihrer jedenfalls gebotenen einschränkenden Anwendung die damaligen Kl. nach § 165 I Nr. 1 RVO versicherungspflichtig waren. Im Anschluß an diese Entscheidungen ist im Schrifttum weitere Kritik an der Rechtsfigur geübt worden (Bloch, Hdb. des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1 Krankenversicherung, 1994, § 16 Rdnrn. 55-59; Bultmann, ZfS 1995, 217; Kretschmer, VSSR 1995, 171; Kunze, in: Anm. z. BSG, SGb 1994, 135 (136); Wollenschläger/Löcher, SGb 1997, 137).

g) Die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs beruhte nach ihrem letzten Stand auf richterlicher Rechtsfortbildung. Im Wege der Gesetzesauslegung ließ sie sich nicht mehr gewinnen. Zu Gewohnheitsrecht (vgl. BSGE 69, 131 (137) = NZA 1992, 191 = SozR 3-2200 § 520 Nr. 1 m. w. Nachw.) hat sie sich nicht verfestigt. Insbesondere ist sie nicht über lange Zeit unumstritten gewesen und zudem in ihrer Ausgestaltung unsicher geblieben.

3. Zum 1. 1. 1989 ist das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. 12. 1988 (BGBl I, 2477) vollständig neu geregelt worden. Damit ist zu prüfen, ob die zum früheren Recht entwickelte Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs auch unter der Geltung des neuen Rechts anzuwenden ist. Dieses ist zu verneinen.

a) Die Versicherungspflicht entgeltlich Beschäftigter richtet sich nunmehr nach § 5 I Nr. 1 SGB V. Bei ihnen beginnt die Mitgliedschaft nach § 186 I SGB V mit dem Tag des Eintritts in die Beschäftigung. Das SGB V macht diese Versicherungspflicht allein davon abhängig, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, d.h. eine Beschäftigung, die in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt verrichtet wird und die Grenze der Geringfügigkeit (§ 7 SGB V) überschreitet, die des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts (§ 6 I Nr. 1 SGB V) jedoch nicht übersteigt. In diese Beschäftigung muß der Betreffende eingetreten sein (§ 186 I SGB V). Unerheblich ist der Beweggrund für ihre Aufnahme. Selbst wenn der Zweck der Beschäftigung darin liegt, sich einen vorher nicht bestehenden oder günstigen Krankenversicherungsschutz zu verschaffen, steht das der Versicherungspflicht nicht entgegen, wenn die gesetzlichen Anforderungen hierfür erfüllt sind (BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 98). Das SGB V enthält keine Vorschrift, nach der die Versicherungspflicht von bestimmten gesundheitlichen Voraussetzungen oder von Arbeitsfähigkeit abhängt.

b) Dieses wird durch einzelne Regelungen des neuen Rechts bestätigt. So sieht das SGB V im Gegensatz zum früheren Recht für den Beitritt freiwillig Versicherter keine Wartezeiten oder Leistungsausschlüsse bei Vorerkrankungen vor. Vielmehr sind die entsprechenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (§ 207 und § 310 II RVO) nicht in das SGB V übernommen worden. Sie hätten zwar im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren, weil sie für mehrere Beitrittstatbestände nicht mehr galten (§ 176a I 3, § 176b II 1 und § 176c S. 2 Halbs. 2 RVO). Allgemein aufgegeben worden sind Wartezeit und Ausschluß von Vorerkrankungen aber erst mit dem SGB V. Allerdings läßt es den Beitritt zur freiwilligen Versicherung außer bei erstmals Beschäftigten höher verdienenden Arbeitnehmern (§ 9 I Nr. 3 SGB V) in der Regel nur noch zu, wenn ihr ein anderer Versicherungstatbestand vorangegangen ist (§ 9 I Nrn. 1, 2, 4 u. 5 SGB V). Dennoch bleibt der Verzicht des Gesetzgebers auf Wartezeit und Ausschluß von Vorerkrankungen jedenfalls in den Fällen bedeutsam, in denen solche Einschränkungen für den vorangegangenen Versicherungstatbestand ebenfalls nicht galten. Des weiteren spricht § 8 I S. 3 des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) in der seit dem 1. 1. 1989 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. 12. 1988 (BGBl I, 2606) gegen einen allgemeinen Ausschluß des Versicherungsbeginns bei Arbeitsunfähigkeit. Nach dieser Vorschrift beginnt bei selbständigen Künstlern und Publizisten, die zum gesetzlich vorgesehenen Beginn der Versicherungspflicht arbeitsunfähig sind, die Versicherungspflicht erst an dem auf das Ende der Arbeitsunfähigkeit folgenden Tage. Damit sollte ein bewußtes Hinauszögern der Versicherungspflicht und der damit verbundenen Leistungspflicht durch ein Hinausschieben der Anmeldung bis zum Beginn einer Arbeitsunfähigkeit verhindert werden (vgl. Begründung zu § 8 des Entwurfs, BT-Dr 11/2964, S. 15). Der Regelung ist zu entnehmen, daß der Ausschluß von Versicherungspflicht bei Arbeitsunfähigkeit jedenfalls seit dem 1. 1. 1989 einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf. Bei abhängig Beschäftigten fehlt sie.

c) Das Versicherungsprinzip rechtfertigt die Ablehnung der Versicherungspflicht nach § 5 I Nr. 1 SGB V nicht. Auf der Leistungsseite gilt es nicht, weil ein Ausschluß der am Beginn der Versicherung bestehenden Risiken nicht vorgesehen ist. Aber auch von der Beitragsseite her gesehen rechtfertigt es den Ausschluß der Versicherungspflicht nicht. Insbesondere trifft nicht zu, daß ein Arbeitsunfähiger, der in eine versicherungspflichtige Beschäftigung eintritt, wegen der Arbeitsunfähigkeit von vornherein als Beitragszahler ausscheidet. Wer trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit in die versicherungspflichtige Beschäftigung eintritt und eine Zeit lang gegen Entgelt arbeitet, hat für diese Zeit Beiträge zu entrichten (§§ 3 S. 1, 2, 223 I i.V. mit § 186 I SGB V). Gleiches gilt, wenn ein Beschäftigter nach Eintritt in die Beschäftigung wegen Arbeitsunfähigkeit die Arbeit niederlegt, jedoch Entgeltfortzahlung erhält. Erst wenn er Anspruch auf Krankengeld hat oder dieses bezieht, bleibt seine Mitgliedschaft nach Maßgabe des § 224 I SGB V beitragsfrei erhalten (§ 192 I Nr. 2 SGB V). In den Fällen des mißglückten Arbeitsversuchs mochte zwar das Verhältnis von Leistungsaufwand zu Beitragseinnahmen für die Krankenkassen ungünstig sein. Dieses Verhältnis war aber nicht nennenswert günstiger, wenn die Beschäftigung kurz nach Erreichen einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit aufgegeben und dann ein mißglückter Arbeitsversuch nicht mehr angenommen wurde. Es entspricht ferner nicht dem Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, Personen die Versicherung zu verwehren, weil sie hohe Leistungsaufwendungen verursachen, aber nur geringe Beiträge entrichten. Dieses Prinzip, das neben der finanziellen Leistungsfähigkeit, dem Alter und dem Geschlecht auch das gesundheitliche Risiko des Versicherten einbezieht (vgl. Begr. d. Entw. eines GRG, Teil A Abschn. I Nr. 1 BT-Dr 11/2237, S. 46), ist für die gesetzliche Krankenversicherung als bewußte Erweiterung und Durchbrechung des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips allgemein anerkannt (vgl. Endbericht der Enqute-Kommission des 11. Deutschen Bundestags "Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung", 1990, Bd. 1, Teil I 2. Abschn. Nr. 2.1 S. 314).

Der Hinweis auf das Versicherungsprinzip vermag auch deshalb nicht zu überzeugen, weil durch die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs bei Eintritt in die Beschäftigung nur ein Arbeitsunfähiger von der Versicherungspflicht ausgeschlossen wurde, nicht aber ein arbeitsfähiger chronisch Kranker. Für diesen können aber die Leistungsaufwendungen der Krankenkasse erheblich höher sein als bei dem Arbeitsunfähigen. Außerdem hat die Rechtsprechung bei anderen Versicherungstatbeständen eine Versicherung nicht aus Gründen angezweifelt, die für die Annahme eines mißglückten Arbeitsversuchs maßgebend waren (Ausnahmen zum früheren Recht oben 2c). Gemessen am Versicherungsprinzip leuchtet es jedoch nicht ein, warum etwa ein Student, der bei Semesterbeginn oder Einschreibung (§ 186 VII SGB V) krankheitsbedingt studierunfähig ist, versicherungspflichtig wird, während der arbeitsunfähige Arbeitnehmer trotz Eintritts in die Beschäftigung unversichert bleiben soll. Allgemein werden schließlich bei Beginn einer Versicherung die Angehörigen des Mitglieds nach Maßgabe des § 10 SGB V sogleich beitragsfrei mitversichert; selbst eine lange und schwere Erkrankung des Angehörigen steht dem nicht entgegen. Eine früher für Leistungen an Angehörige bestehende Wartezeit ist später abgeschafft worden (vgl. § 205 I RVO i.d.F. der Notverordnung vom 26. 7. 1930 (RGBl I, 311; 4. Abschn., 2. Teil, Art. 1 Nr. 19); Erlaß des RAM v. 20. 5. 1941 - AN II 197; Art. 2 Nr. 11 des Gesetzes v. 27. 7. 1969 = BGBl I, 946).

Arbeitsfähigkeit ist allerdings in der Regel Grundlage der Beschäftigung und der Beschäftigungsversicherung. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Arbeitsfähigkeit nicht zur Voraussetzung der Versicherungspflicht gemacht. Ein Grund hierfür mag sein, daß eine solche Regelung wegen der großen Zahl von Beschäftigungsverhältnissen auf praktische Schwierigkeiten stoßen würde, zumal die Arbeitsfähigkeit ohne Feststellung eines Arztes nicht beurteilt werden könnte. Außerdem sind dem Entstehen der Beschäftigungsversicherung trotz Arbeitsunfähigkeit Grenzen gesetzt, weil der Eintritt in die Beschäftigung (§ 306 I RVO, § 186 I SGB V) verlangt wird und darunter regelmäßig die Aufnahme der vereinbarten Arbeit zu verstehen ist (BSGE 75, 277 = NJW 1995, 3077 = SozR 3-2500 § 186 Nr. 2; BSG, SozR 3-2500 § 186 Nr. 3; BSG, SozR 3-2200 § 306 Nr. 2). Wer die Arbeit aufnimmt, ist in der Regel arbeitsfähig. Daß dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, wird vom Gesetz in Kauf genommen. Sachverhalte anfänglicher Arbeitsunfähigkeit trotz Arbeitsaufnahme können dem Gesetzgeber nicht unbekannt gewesen sein.

d) Die Notwendigkeit einer Mißbrauchsabwehr rechtfertigt den Ausschluß der Versicherungspflicht ebenfalls nicht. Wenn die Versicherung ungeachtet bestehender Arbeitsunfähigkeit durch den Eintritt in die entgeltliche Beschäftigung begründet wird, kommt die Annahme von Mißbrauch nicht allein deswegen in Betracht, weil die Beschäftigung nur kurze Zeit gedauert hat. Mißbrauch setzt ein subjektives Element voraus, das in der Regel fehlen wird, wenn der Beschäftigte Krankheit und Arbeitsunfähigkeit nicht kannte. Einem Ungleichgewicht von Leistungen und Beiträgen kann nicht durch die Unterstellung von Mißbrauch und den so begründeten Ausschluß der Versicherung begegnet werden. Vielmehr bedürfte es dazu geeigneter gesetzlicher Regelungen der Risikobegrenzung (unten 4d). Diese wären auch geeignet, Anreize zum Mißbrauch zu mindern, der vorliegt, wenn eine tatsächlich nicht bestehende versicherungspflichtige Beschäftigung lediglich vorgeschützt wird. Dem kann derzeit jedoch nur durch die Prüfung begegnet werden, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung wirklich vorliegt (unten 4a bis c).

e) Weitere im Schrifttum vorgebrachte Argumente gegen den mißglückten Arbeitsversuch (vgl. BSGE 72, 221 (224) = NJW 1994, 477 = NZS 1993, 245 = SozR 3-2200 § 165 Nr. 10) überzeugen ebenfalls. Er ist im SGB V nicht vorgesehen und daher mit dem in § 31 SGB I geregelten Vorbehalt des Gesetzes unvereinbar. Er entspricht nicht dem Gebot möglichst weitgehender Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 II SGB I). Er durchbricht mit seiner rein krankenversicherungsrechtlichen Begründung die einheitliche Anknüpfung der Versicherungs- und Beitragspflicht an die Aufnahme einer entgeltlichen Beschäftigung (§§ 2 II Nr. 1, 7 I SGB IV) in den Versicherungszweigen, für die der Gesamtsozialversicherungsbeitrag erhoben wird (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, seit 1995 auch soziale Pflegeversicherung). Schließlich war der Anwendungsbereich des mißglückten Arbeitsversuchs unscharf. Dieses führte zu Rechtsunsicherheit.

f) Der Senat brauchte nicht gem. § 41 III 1 SGG bei anderen Senaten des BSG anzufragen, ob an der Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs festgehalten wird. Das gilt jedenfalls, weil die früheren Entscheidungen anderer Senate das Recht der Reichsversicherungsverordnung betrafen. Zum neuen Recht (§ 5 I Nr. 1 und § 186 I SGB V) ist die Rechtsfigur vom BSG bisher nicht angewandt worden.

4. Wegen der Aufgabe der Rechtsfigur unter der Geltung des SGB V liegt Versicherungspflicht nicht ohne weiteres bei allen Personen vor, die bei einer Tätigkeitsaufnahme arbeitsunfähig sind. Versicherungspflicht besteht vielmehr nur, wenn der Arbeitnehmer ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis begründet hat (§ 5 I Nr. 1 SGB V i.V. mit § 7 I SGB IV) und in die Beschäftigung eingetreten ist (§ 186 I SGB V).

a) Eine Beschäftigung i.S. des § 7 I SGB IV liegt nicht vor, wenn es sich um eine familienhafte Mithilfe (vgl. BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 90; BSGE 74, 275 (278ff.) = SozR 3-2500 § 5 Nr. 17 m. w. Nachw.) oder um eine selbständige Tätigkeit, insbesondere als Mitunternehmer oder Mitgesellschafter (BSG, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4; BSG, SozR 3-4100 § 168 Nr. 11 m. w. Nachw.) handelt. Beruht die Tätigkeit auf einem Scheingeschäft i.S. des § 117 BGB, mit dem ein Beschäftigungsverhältnis lediglich vorgetäuscht werden soll, um Leistungen der Krankenversicherung zu erlangen, liegt ebenfalls keine versicherungspflichtige Beschäftigung vor. Schließlich muß ausgeschlossen werden, daß die Beschäftigung wegen (Entgelt- oder Zeit-) Geringfügigkeit versicherungsfrei i.S. des § 7 SGB V i.V. mit § 8 I Nr. 1 oder Nr. 2 SGB IV ist.

b) Nach § 186 I SGB V beginnt die Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter mit dem Tag des Eintritts in die Beschäftigung. Hierzu hat der Senat entschieden, daß unter dem Eintritt in die Beschäftigung regelmäßig die Aufnahme der vereinbarten Arbeit zu verstehen ist (BSGE 75, 277 (281) = NJW 1995, 3077 = SozR 3-2500 § 186 Nr. 2; BSG, SozR 3-2500 § 186 Nr. 3).

c) An den Nachweis der Tatsachen, die Versicherungspflicht begründen (vgl. a und b), sind strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Verdacht von Manipulationen zu Lasten der Krankenkassen besteht. Dieses kann, zumal wenn weitere Umstände hinzutreten, der Fall sein, wenn bei Beginn der Arbeitsaufnahme Arbeitsunfähigkeit besteht, dieses bekannt ist und die Arbeit alsbald aufgegeben wird. Die Feststellungslast für die Tatsachen, die Versicherungspflicht begründen, trägt derjenige, der sich auf sie beruft.

d) Sollte der Gesetzgeber der Auffassung sein, daß die Krankenkassen hiernach zu sehr mit eingebrachten Risiken belastet sind, kann er für die Versicherung selbst oder für einzelne Leistungen (z.B. Krankengeld) Wartezeiten oder Risikoausschlüsse vorsehen. Derartige Vorschriften haben im früheren Recht bei der freiwilligen Versicherung und bei der Familienhilfe bestanden (vgl. o. 3b und c). Ähnliche Regelungen finden sich heute etwa in § 27 II SGB V (Beschränkung bei der Versorgung mit Zahnersatz), in § 52 SGB V (Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden) und in § 8 I 3 KSVG (Beginn der Versicherungspflicht nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit, o. 3b). Derartige Vorschriften und nicht die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs sind die geeigneten versicherungsrechtlichen Mittel zur Lösung von Risikoproblemen zu Beginn einer Versicherung.

5. In der Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung treten Versicherungspflicht (§ 1227 I 1 Nr. 1 RVO) und Beitragspflicht (§ 168 I 1 i.V. mit § 170 I AFG) ebenfalls unabhängig vom Vorliegen eines mißglückten Arbeitsversuchs ein. Da diese Rechtsfigur in der Krankenversicherung unter der Geltung des SGB V nicht mehr anzuwenden ist, gilt dieses in den beiden anderen Versicherungszweigen ebenfalls. Schon früher ist sie von der Rechtsprechung dort allenfalls angewandt worden, wenn es zugleich um die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ging. Besonderheiten für die Arbeitslosenversicherung ergeben sich nicht aus dem von § 186 I SGB V (Eintritt in die "Beschäftigung") abweichenden Wortlaut des § 170 I AFG (Eintritt in "das Beschäftigungsverhältnis"); denn inhaltlich stimmen beide Vorschriften insoweit überein (vgl. Begründung zu § 166 des Regierungsentwurfs eines AFG, BT-Dr V/2291, S. 91 sowie § 69 des am 1. 1. 1969 außer Kraft getretenen Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung).

6. Im vorliegenden Verfahren hat der Kl. nach den Feststellungen des LSG aufgrund eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses an fünf Tagen eine Beschränkung ausgeübt und damit die Voraussetzungen für die Versicherungs- und Beitragspflicht in den genannten Versicherungszweigen erfüllt; ein Tatbestand der Versicherungsfreiheit oder Beitragsfreiheit lag nicht vor. An die entsprechenden Feststellungen, die nicht angegriffen worden sind, ist der Senat nach § 163 SGG gebunden. Demnach war der Revision des Kl. stattzugeben und festzustellen, daß er am 12. 4. 1990 versicherungs- und beitragspflichtig geworden ist. Das Ende der Versicherungs- und Beitragspflicht sowie Leistungsansprüche waren nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Vorinstanzen

LSG Schleswig-Holstein, L 1 Kr 110/94, 22.03.1994

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

SGB V §§ 5 I Nr. 1, 186 I