Keine Kostenerstattungspflicht der Krankenkasse bei nicht ordnungsgemäßer Arztrechnung

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

23. 07. 1998


Aktenzeichen

B 1 KR 3/97 R


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Krankenkasse hat nicht nach § 13 III SGB V für Kosten aufzukommen, die dem Versicherten für ärztliche Leistungen unter Mißachtung der Vorschriften der GOÄ in Rechnung gestellt werden (Fortführung von BSGE 80, 181 = NZS1998, 27 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 14).

  2. Die Bundesausschüsse der (Zahn-)Ärzte und Krankenkassen sind nicht verpflichtet, vor der Entscheidung über die Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode deren Befürworter mündlich anzuhören.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist versicherungspflichtiges Mitglied der bekl. Ersatzkasse. Seit einem Hörsturz 1993 leidet er an einem chronischen Ohrgeräusch (Tinnitus). Deshalb unterzog er sich zwischen Ende April und Ende Juni 1994 bei dem HNO-Arzt W einer von diesemArzt mitentwickelten Laser-Behandlung. Dabei wird der Patient bis zu dreimal wöchentlich nach einer Injektion von Gingko-Extrakt einem niederenergetischen Laserstrahl ausgesetzt. Für 15 derartiger Sitzungen stellte der Arzt dem Kl. einen nicht näher spezifizierten Pauschalpreis von 75 DM pro Sitzung (zusammen 1125 DM) in Rechnung, dieer nach Erstattung seitens der Krankenkasse auf sein Konto weiterzuleiten bat. Den bereits vor der Behandlung gestellten Antrag des Kl. auf Kostenübernahme für diese Therapie lehnte die Bekl. mit Bescheid vom 4. 3. 1994 (Widerspruchsbescheid vom 10. 8. 1994) ab und berief sich auf die fehlende wissenschaftliche Anerkennung der fraglichen Methode.

Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. ... Als Grundlage für den streitigenKostenerstattungsanspruch kommt nur § 13 III (früher: II) SGB V in Betracht. Eine unaufschiebbare Behandlung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht vor und wird vom Kl. nicht geltend gemacht. Im übrigen sind nach § 13 III SGB V dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstanden sind, daß die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sichder Versicherte deshalb die Leistung selbst beschafft hat. Wie sich aus § 13 I SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von dengesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind.

Im konkreten Fall sind die Voraussetzungen des § 13 III SGB V aus zwei voneinander unabhängigen Gründen nicht erfüllt. Zum einen sind dem Kl. keine erstattungsfähigen Kostenentstanden. Zum anderen gehört die Laser-Gingko-Therapie nicht zu den von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen, so daß die Bekl. die Gewährung dieser Behandlung nicht zuUnrecht abgelehnt hat.

Die Erstattung von Kosten setzt sowohl begrifflich wie nach Wortlaut und Zweck von § 13 III SGB V voraus, daß dem Versicherten Kosten entstanden sind (vgl. dazu und zum folgenden bereits Senat, BSGE 80, 181 = NZS 1998, 27 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 14). Daß der Anspruch nicht von einer tatsächlich geleisteten Zahlung abhängen kann, reicht es allerdings aus, wenn der Versicherte einer Honorarforderung desLeistungserbringers ausgesetzt ist; insoweit umfaßt § 13 III SGB V auch einen entsprechenden Freistellungsanspruch. Geht es wie hier um die Kosten einer ärztlichen Behandlung,so besteht ein Vergütungsanspruch des Arztes nur, wenn dem Patienten darüber eine Abrechnung nach den Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ - hier i.d.F. der 3. Änderungs-VO v. 9. 6. 1988, BGBl I, 797) erteilt worden ist. Vorbehaltlich eines anderslautenden Bundesgesetzes verpflichtet§ 1 I GOÄ alle Ärzte, die Vergütungen für ihre beruflichen Leistungen nach der GOÄ zu berechnen. Die ärztlichen Leistungen sind in einem Gebührenverzeichnis erfaßt (vgl. § 4 I GOÄ) und innerhalb des durch § 5 GOÄ festgelegten Gebührenrahmens zu bewerten. Für Leistungen, die nicht im Gebührenverzeichnis enthalten sind, darf nach § 6 II GOÄ das Honorar einer gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses gefordert werden. Erst mit der Erteilung einer den Vorschriften der Verordnung entsprechenden Rechnung wird die Vergütung fällig (§ 12 I GOÄ). Vorher trifft den Patienten keineZahlungsverpflichtung.

Die hier vom behandelnden Arzt ausgestellte Rechnung nennt keine im Gebührenverzeichnis aufgeführte Leistung und enthält weder eine Bewertung nach § 5 GOÄ noch eine Analogbewertung nach § 6 II GOÄ. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hat W dem Kl. mit der Liquidation vom27. 6. 1994 unter Bezugnahme auf einen Therapieplan vom Februar 1994 15 Einzelbehandlungen zu einem Pauschalpreis von je 75 DM, zusammen 1125 DM, in Rechnung gestellt. Eine derartige Abrechnung löst keine Zahlungsverpflichtung desPatienten aus. Die gewählte Art der Liquidation läßt sich auch nicht auf § 2 I 1 GOÄ stützen. Nach dieser Vorschrift kann zwar durch Vereinbarung eine von der GOÄ abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden. Die Gebührenordnung als solche wie auch die darin vorgeschriebenen Rechenschritte sowiedie Art und Weise der Abrechnung des ärztlichen Honorars sind aber nicht abdingbar. Insbesondere ist es unzulässig, anstelle der Vergütung von Einzelleistungen ein Pauschalhonorar ohne Bezugnahme auf das Leistungsverzeichnis der GOÄ inRechnung zu stellen (Brück, GOÄ, 3. Aufl. [Stand: 1. 1. 1996], § 2 Rdnr. 1.1 und § 5 Rdnr. 13; König, NJW 1992, 728; s. auch BVerfG, NJW 1992, 737). Auch eine Pauschalierung des Auslagenersatzes ist nach § 10 I 2 GOÄ ausgeschlossen.

Da der Kl. keine ordnungsgemäße Honorarabrechnung erhalten hat, ist er keiner durchsetzbaren Vergütungsforderungdes Arztes ausgesetzt. Das schließt einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 III SGB V auch dann aus, wenn er die erteilte Rechnung inzwischen bezahlt haben sollte. Denn die Krankenkasse hat für die Kosten einer selbstbeschafften Leistung nur insoweit aufzukommen, als diese durch die Verweigerungder Sachleistung verursacht sind (vgl. Senat, BSGE 79, 125 [126f.] = NJW 1997, 1661 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11, S. 51f.). Der erforderliche Kausalzusammenhang fehlt, soweitder Versicherte, sei es freiwillig oder aufgrund einer vermeintlichen Rechtspflicht, mehr aufwendet als dem Leistungserbringer in Wirklichkeit von Rechts wegen zusteht; denn dann ist nicht mehr die Ablehnung durch die Krankenkasse, sondern das Verhalten des Patienten die wesentliche Ursache für das Entstehen der Kosten. Dadurch kann grundsätzlich keinErstattungsanspruch ausgelöst werden, weil die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht weiter gehen kann als die Zahlungsverpflichtung des Versicherten. Ob dieser die ohne Rechtsgrund gezahlte Vergütung vom Arzt zurückfordern kann (dazu BGH, NJW 1992, 746 = JZ 1992, 373), ist für denkrankenversicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch ohne Belang.

Außerdem hat die Bekl. die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Das ergibt sich aus § 135 I SGB V i.V. mit den vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen erlassenen NUB-RL. § 135 I SGB V in der hier maßgebenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. 12. 1988 (BGBl I, 2477) schreibt vor, daß neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wennder Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 I 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat.

Die Laser-Gingko-Therapie ist eine neue Behandlungsmethode in dem genannten Sinne, so daß § 135 I SGB V auf sie Anwendung findet. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es für dieses Merkmal darauf an, ob die fragliche Methode schon bisher zur vertragsärztlichen Versorgung gehörthat; davon kann in der Regel nur ausgegangen werden, wenn sie als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten ist (BSGE 81, 73 =NJW-RR 1998, 272 L = SozR 3-2500 § 92 Nr. 7). In der hier einschlägigen ab 1. 4. 1994 geltenden Fassung sieht der EBM-Ä lediglich Laser-Koagulationen an verschiedenen Organen, insbesondere am Auge, oder im Zusammenhang mitgynäkologischen oder urologischen Leistungen vor. Eine irgendwie geartete Verbindung zur Laser-Gingko-Therapie läßt sich nicht herstellen. Auch aus einer inzwischen weggefallenen Abrechnungsziffer 568 „Behandlung mit Laser„ unter denphysikalisch-medizinischen Leistungen kann auf die Zugehörigkeit zur vertragsärztlichen Versorgung nicht geschlossen werden. Eine Abrechnungsziffer für den Einsatz eines bestimmten Geräts heißt nicht, daß jegliche Behandlung mit diesem Gerät zur vertragsärztlichen Versorgung im Sinne der Vorschriften über die Qualitätssicherung gehört. Aus der späteren Streichung und der Differenzierung nach bestimmtenFormen der Laser-Behandlung im EBM-Ä muß vielmehr geschlossen werden, daß es sich um eine Auffangbestimmung für den Einsatz eines damals noch neuartigen technischen Hilfsmittels handelte, die keine Aussage zu den damit vertragsärztlich zulässigen Behandlungsmethoden zuläßt.

Die sonach für eine Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung notwendige Empfehlung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen liegt nicht vor. Ein therapeutischer Nutzen niederenergetischer Laser-Behandlungen (Soft- und Mid-Power-Laser)konnte vielmehr nicht festgestellt werden, so daß sie in der Anlage 2 zu den NUB-RL vom 4. 12. 1990 (BArbBl 2/1991, S. 33) aufgeführt sind und nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung angewendet werden dürfen (Anl. 2 Nr. 5 NUB-RL - die offenbar irrtümlichvom LSG genannte Nr. 7 betrifft die „Immuno-augmentative Therapie„). Der Ausschluß durch die Nr. 5 erfaßt auch die Laser-Gingko-Therapie, nachdem ein wesentlicher - wenn nicht der entscheidende - Bestandteil dieser Therapie die wiederholte niederenergetische Laser-Bestrahlung beinhaltet. Der Kl. hat keine Gesichtspunkte genannt, die diese Auslegung in Frage stellen könnten. Auf die - auch verfassungsrechtlichen - Bedenken dagegen, daß § 135 SGB V und die darin angesprochenen NUB-RL den Leistungsanspruch des Versicherten eingrenzen, ist der Senat in dem bereits erwähnten Urteil ausführlich eingegangen (BSGE 81, 73 = NJW-RR 1998, 272 L = SozR 3-2500 § 92Nr. 7). Da der Kl. nichts vorgetragen hat, was die damalige Argumentation in Zweifel zieht, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug.

Ebenso wie im früheren Rechtsstreit gibt es auch hier keine Anhaltspunkte dafür, daß das Verfahren vor dem Bundesausschuß dem Zweck der Ermächtigung oder rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprochen haben könnte. Im Mai 1993 hatder Bundesausschuß seine Entscheidung aufgrund der inzwischen vorgelegten Untersuchungen speziell zur Laser-Gingko-Therapie überprüft und ausdrücklich bestätigt. Eine mit der Aufgabenstellung des Ausschusses möglicherweise unvereinbare Untätigkeit liegt somit von vornherein nicht vor. Das LSG hat unangegriffen und somit für den Senat gem. § 163 SGG verbindlich festgestellt, daß die Meinung der Befürworter der abgelehnten Behandlungsmethode berücksichtigt worden ist. Soweit der Kl. gegen den Beschluß des Bundesausschusses einwendet, die Befürworter seien nicht angehört worden, bezeichnet er keinen Verfahrensmangel, der die inhaltliche Überprüfung der Ausschußentscheidung eröffnen könnte. Es bestehen keine Vorschriften oder Rechtsgrundsätze, die den Bundesausschuß zu einem kontradiktorischen Verfahren mitmündlicher Verhandlung verpflichten. Eine solche Verpflichtung ist im Rahmen untergesetzlicher Normsetzungen auch bisher die Ausnahme. § 92 II 4 und 5 SGB V in der hier einschlägigen Fassung gibt dem Bundesausschuß lediglich auf, Stellungnahmen bestimmter Sachverständiger einzuholen undin die Entscheidung einzubeziehen; die Gesetzesfassung macht deutlich, daß der Bundesausschuß den gesetzlichen Anforderungen genügt, wenn dieses schriftlich geschieht. Weitergehende Anhörungspflichten sind auch in der durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-NOG) vom 23. 6. 1997 (BGBl I, 1520) geänderten Fassung nicht in die §§ 92 , 135 SGB V aufgenommen worden. DieNeufassung enthält an mehreren Stellen die Verpflichtung, Stellungnahmen einzuholen und in die Entscheidung einzubeziehen. Daß dies durch mündliche Anhörung zu geschehen hätte, ist nirgends angeordnet.

Zu Unrecht rügt der Kl. schließlich eine Verletzung des § 2 I 2 SGB V. Die Laser-Gingko-Therapie ist keine Behandlungsmethode einer besonderen Therapierichtung. Eine Zugehörigkeit zu den im Gesetz genannten besonderen Therapierichtungen der Homöopathie, der anthroposophischen Medizin oder der Phytotherapie (vgl. § 34 II 3 SGB V) scheidet von vornherein aus, weil allein die unterstützende Verwendung von verdünntem Gingko-Extrakt keine entsprechende Zuordnung erlaubt. Die Anerkennung weiterer besonderer Therapierichtungen hängt nach der Rechtsprechung des Senats davon ab, daß ein umfassendes, zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen bestimmtes therapeutisches Konzept vorliegt, das auf derGrundlage eines von der naturwissenschaftlich geprägten „Schulmedizin„ sich abgrenzenden, weltanschaulichen Denkansatzes größere Teile der Ärzteschaft und weite Bevölkerungskreise für sich eingenommen hat (BSGE 81, 54 = NJW 1999, 1805 [in diesem Heft] = SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Anhaltspunkte dafür, daß die Laser-Gingko-Therapie als Teil eines derartigen Konzepts aufzufassen ist, liegen nicht vor. Auchunter diesem Gesichtspunkt ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

SGB V §§ 2, 13 III, 92 I 2 Nr. 5, 135 I; GOÄ 1982 §§ 5, 6 II, 12 I