Anspruch auf lesbare Krankenunterlagen

Gericht

AG Hagen


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

25. 08. 1997


Aktenzeichen

10 C 33/97


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist bei dem Bekl. in Behandlung. Er geht von einer Fehlbehandlung des Bekl. aus. Wegen einer seinerzeit beabsichtigten, mittlerweile seit dem 11. 4. 1997 beim LG anhängigen Schmerzensgeld- und Feststellungsklage forderte er mit Schreiben vom 19. 1. 1997 unter Fristsetzung bis zum 27. 1. 1997 den Bekl. auf, ihm sämtliche Kopien der Behandlungsunterlagen sowie erforderlichenfalls eine Abschrift unleserlich geschriebener Karteikarten und unverständlicher medizinischer oder persönlicher Abkürzungen herauszugeben und eine Versicherung über die Vollständigkeit der Unterlagen abzugeben. Da der Bekl. dieser Forderung nicht nachkam, nahm der Kl. mit einem am 28. 1. 1997 eingereichten und am 13. 3. 1997 zugestellten Schriftsatz den Bekl. klageweise auf Herausgabe der geforderten Unterlagen in Anspruch. Der Bekl. ist der Klage entgegengetreten. Dennoch hat er alle von ihm geforderten Unterlagen in Kopie bzw. maschinenschriftlicher Abschrift an den Kl. herausgegeben. Zudem hat er eine schriftliche Versicherung über die Vollständigkeit der von ihm überreichten Unterlagen abgegeben. Die Parteien haben daraufhin im schriftlichen Verfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.

Das AG hat die Kosten des Rechtsstreits dem Bekl. auferlegt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Dem Kl. stand gegen den Bekl. sowohl ein Anspruch auf Herausgabe der kopierten Behandlungsunterlagen als auch ein Anspruch auf Abgabe einer Versicherung, daß diese Unterlagen vollständig seien, zu. Die darauf gerichtete Klage war ursprünglich zulässig und begründet.

Der Zulässigkeit der hier erhobenen Klage steht vor allem die Einreichung der Zahlungs- und Feststellungsklage vom LG nicht entgegen. Denn die Erhebung dieser Klage kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dazu führen, daß die zulässigerweise erhobene hiesige Klage nachträglich unzulässig wird. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn zum Zeitpunkt der Einreichung der hiesigen Klage bereits eine anderweitige Klage - sei es mit identischem Streitgegenstand, sei es eine Hauptsacheklage - rechtshängig gewesen wäre. Denn während der Dauer einer solchen Klage kann keine Partei dieselbe Sache gegen denselben Prozeßgegner anderweitig rechtshängig machen. Diese entgegenstehende Rechtskraft wäre als Prozeßhindernis zu bewerten und würde zur Abweisung der späteren Klage als unzulässig führen (vgl. Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, § 261 Rdnr. 25). Hier liegt der Fall indes umgekehrt, da die Klage zum LG erst zu einem Zeitpunkt erhoben wurde zu dem die hiesige Klage bereits rechtshängig war. Es kann deshalb offenbleiben, ob die beiden Klagen überhaupt den gleichen oder zumindest einen sich überschneidenden Streitgegenstand haben. Denn nach mittlerweile unbestrittener höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist die isolierte Klage des Patienten auf Kenntniserlangung vom Inhalt der ärztlichen Behandlungsaufzeichnungen des Arztes zulässig (vgl. BGH, NJW 1983, 328; NJW 1983, 330 m. Besprechung Ahrens, NJW 1983, 2609).

Die hiesige Klage war auch begründet. Der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe der Krankenunterlagen in Kopie ergibt sich als Nebenpflicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvertrag. Der BGH bezieht sich zur Begründung dieses Anspruchs zum einen auf eine sog. ungeschriebene Nebenpflicht, zum anderen aber auch auf § 242 BGB i. V. mit Art. 1 und 2 des GG. Nach anderer Ansicht folgt dieser Anspruch aus einer direkten oder entsprechenden Anwendung des § 810 BGB. Unabhängig von ihrer dogmatischen Herleitung wird die grundsätzliche Herausgabepflicht des Arztes heute nicht mehr in Frage gestellt. Sie unterliegt lediglich gewissen Einschränkungen, die aber im hiesigen Fall nicht zum Tragen kommen (vgl. Ahrens, NJW 1983, 2610). Die Dokumentationspflicht des Arztes, die als logische Voraussetzung der hier geltend gemachten Herausgabepflicht anzusehen ist, ist jedenfalls in Bezug auf objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen Teil der ärztlichen Aufklärungspflicht. Jedem Patienten steht das Recht zu, über seinen gesundheitlichen Zustand genau informiert zu werden. Dies gilt - angesichts der subtilen Darlegungs- und Beweislastverteilung im Arzthaftungsprozeß - auch und gerade, wenn es dem die Herausgabe der Unterlagen verlangenden Patienten um die Vorbereitung eines Schadensersatz- oder Schmerzensgeldprozesses gegen den behandelnden Arzt geht. Von daher besteht die Pflicht zur Herausgabe insbesondere dann, wenn die ärztlichen Urkunden dazu bestimmt sind, dem Patienten als Beweismittel zu dienen oder seine rechtlichen Beziehungen zu fördern, vgl. § 810 BGB sowie die Ausführungen von Wasserburg, NJW 1980, 617 (621). Hinzu kommt, daß die Verweigerung der Herausgabe von Behandlungsunterlagen die Vermutung aufkommen lassen könnte, der Arzt verberge etwas. Dies würde zu einem Vertrauensverlust des ärztlichen Berufsstandes führen, der auch vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts des Patienten nicht hinnehmbar wäre. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, daß dem hier geltend gemachten Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen inklusive der Karteikarten keine durchgreifenden rechtlichen Hindernisse entgegenstanden.

Die Herausgabepflicht bezieht sich dabei grundsätzlich (von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen) nicht auf die Originalurkunden, sondern lediglich auf Kopien oder Abschriften derselben (Soergel-Mühl, BGB, § 810 Rdnr. 11; Ahrens, NJW 1983, 2911). Nicht mehr und nicht weniger hat der Kl. hier verlangt.

Aus den Vorschriften der §§ 810 , 811 BGB läßt sich auch der Anspruch des Kl. auf maschinelle Ausfertigung der Krankenkartei herleiten, denn er kann grundsätzlich zwischen einer Abschrift und einer Ablichtung wählen. Hätte der Patient nämlich nur die Wahl der Ablichtung (Fotokopie), so würde der geltend gemachte Anspruch in all denjenigen Fällen leerlaufen, in denen die Schrift des Arztes nicht entzifferbar wäre oder der Arzt ein dem Außenstehenden nicht verständliches Abkürzungssystem verwendet, denn eine genaue Information über den Krankheitsverlauf wäre in diesem Falle ausgeschlossen. Diese Erweiterung der Herausgabepflicht des Arztes ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts bereits aus § 242 BGB, da es für den - nach dem eben Gesagten ohnehin herausgabeverpflichteten - Arzt ein leichtes ist, die Unterlagen in eine auch für den Patienten verständliche Form zu bringen.

Anerkannt ist, daß die Kosten dieser Ablichtungen und selbstverständlich auch der maschinenschriftlichen Abschriften vom Patienten zu tragen sind (vgl. § 811 II 1 BGB). Der Arzt ist deshalb grundsätzlich nur gegen Kostenerstattung zu den begehrten Leistungen verpflichtet. Diese Anspruchsvoraussetzung ist hier erfüllt, denn der Kl. hat von vornherein die entsprechende Kostenerstattung zugesagt. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob der Bekl. berechtigt gewesen wäre, die Herausgabe bzw. Ablichtung der Unterlagen bis zur Zahlung eines Kostenvorschusses zurückzuhalten. Denn auf ein derartiges Zurückbehaltungsrecht hat sich der Bekl. zu keinem Zeitpunkt berufen . . .

Schließlich steht dem Kl. auch ein Anspruch auf Versicherung des Bekl. über die Vollständigkeit der ausgehändigten Urkunden zur Seite. Dies ist - jedenfalls im Ergebnis - seit den Urteilen des BGH (NJW 1983, 328, 330) unstreitig. Fraglich ist lediglich, ob dieser Anspruch ebenfalls auf die Vorschrift des § 810 BGB zu stützen ist (so Soergel-Mühl, § 810 Rdnr. 11) oder ob auch diesbezüglich wiederum die Vorschrift des § 242 BGB heranzuziehen ist. Denkbar wäre auch eine entsprechende Anwendung der §§ 259 bis 261 BGB. Unabhängig von der dogmatischen Herleitung des Anspruchs auf Versicherung der Richtigkeit würde aber der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe der Krankenunterlagen in seinem Wert gemindert, sollte der Arzt nicht verpflichtet sein, die Richtigkeit seiner Angaben zu versichern. Ob auch eine eidesstattliche Versicherung verlangt werden kann, kann hier dahinstehen, denn der Kl. hat nämliches nicht begehrt.

Nach allem war der Bekl. verpflichtet, den Kl. gegen Kostenerstattung die von ihm anläßlich der ärztlichen Behandlung des Kl. gefertigten Behandlungsunterlagen in Kopie herauszugeben und zu versichern, daß die herausgegebenen Unterlagen vollständig sind. Da es sich hier um einen selbständigen Anspruch handelt, war der Kl. nicht gehalten, ein - wie auch immer geartetes - „berechtigtes Interesse“ an der Herausgabe darzulegen (BGH, NJW 1983, 328 [329]).

Es entspricht deshalb der Billigkeit, dem Bekl. die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da er - entgegen seiner rechtlichen Verpflichtung - die Kopien der gesamten Behandlungsunterlagen dem Kl. nicht rechtzeitig herausgegeben hat.

Rechtsgebiete

Arzt-, Patienten- und Medizinrecht

Normen

BGB §§ 242, 810, 811; GG Art. 1, 2