Beratungspflichten bei Empfehlung quellensteuerfreier Anlagemöglichkeit - „Heron“-Anleihe

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

22. 03. 1996


Aktenzeichen

8 U 1120/95


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. nimmt die Bekl. auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihm dadurch entstanden ist, daß diese ihm die Anlage eines Betrags von 20000 DM in Heron-Anteilen empfohlen hatte, ohne ihn über die mit dieser Anleihe zusammenhängenden Risiken aufzuklären. Die Anlage ist in Verfall geraten. Die Bekl. trägt u.a. vor, im Zeitpunkt des Ankaufs sei die Anlage eine solide Anlagemöglichkeit gewesen und keinesfalls spekulativ.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung des Kl., die im wesentlichen Erfolg hatte.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die unzureichende Beratung vor dem Kauf der „Heron-Anleihe“ entstanden ist, Zug um Zug gegen Übertragung der Anteile.

a) Zwischen den Parteien kam es zum Abschluß eines Beratervertrags, als der Kl. mit dem Anliegen an die Bekl. herantrat, mit der Rendite aus dem Immobilienfond sei er nicht mehr zufrieden, und er wolle zudem eine quellensteuerfreie Anlage erwerben (BGHZ 100, 117 = NJW 1987, 1815 = LM § 676 BGB Nr. 32). Diese Beziehung verpflichtete die Bekl. zur sorgfältigen Beratung und Erteilung von umfassenden Auskünften unter Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Kl. und einer möglichst umfassenden Aufklärung über die sachlichen Gesichtspunkte der empfohlenen Anlage (OLG Düsseldorf, ZIP 1994, 1256 = WM 1994, 1468; OLG Braunschweig, ZIP 1993, 1457 = WM 1994, 59; BGHZ 123, 126 = NJW 1993, 2433 = LM H. 11/1993 § 276 (Cc ) BGB Nr. 34). Dabei muß die Beratung durch die Bank sachlich richtig, klar und vollständig sein. Dieser Verpflichtung muß die Bank von sich aus nachkommen, d.h. auch ohne vom Kunden konkret dazu aufgefordert worden zu sein (BGHZ 74, 103 (106) = NJW 1979, 1449 = LM § 676 BGB Nr. 20).

Unstreitig ist zwischen den Bet., daß der Kl., mangels eigener, die besonderen Kenntnisse der Bank für eine neue Anlageentscheidung in Anspruch nehmen wollte und daß er eine sichere Geldanlage wünschte. Andernfalls hätte die Bekl. sich bei Unkenntnis über die Umstände in der Person des Kunden, seine Vermögensverhältnisse, seine Risikobereitschaft und seinen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art informieren müssen (BGHZ 123, 126 (128) = NJW 1993, 2433 = LM H. 11/1993 § 276 (Cc ) BGB Nr. 34).

b) Die Bekl. hat pflichtwidrig gehandelt. Sie hätte den Kl. auf die besondere Natur der vermittelten Anlage aufmerksam machen müssen. Der Kl. war aufklärungsbedürftig, da er bisher keine Erfahrungen mit Auslandsanleihen hatte. Eine Aufklärung über den Charakter der Anleihe hat nicht stattgefunden. Der Zeuge X hat als Vertreter der Bank den Kl. angerufen und ihm den Kauf der Anleihe als quellensteuerfrei empfohlen. Dabei sah er, wie er bei seiner Vernehmung vor dem LG bekundete, keinen Beratungsbedarf, da er die Anlage für sicher hielt. Aber auch wenn die Bekl. die Anlage nicht als risikobehaftet einstufte, handelte sie dennoch pflichtwidrig, wenn sie dem Kl. nicht die rechtliche Natur der Anlage deutlich machte. Eine DM-Auslandsanleihe ist zwar kein aus sich heraus spekulatives Papier (BGH, NJW 1991, 1108 = LM H. 1/1992 § 276 (Fa) BGB Nr. 116). Bei der Spannbreite zwischen Sicherheit und Spekulation in der Sicht zur Zeit des Erwerbs geht es aber um unterschiedliche Stufen der Risikobereitschaft von potentiellen Anlegern. Entscheidend für eine wirkliche anlegergerechte Beratung ist daher das Risikobewußtsein des Kunden, was dieser eben durch die Beratung erhält (OLG Braunschweig, ZIP 1993, 1457 = WM 1994, 61).

Die Bekl. hätte ihre Pflicht zur richtigen und vollständigen sowie anlegergerechten Kaufempfehlung nur erfüllt, wenn sie dem Kl. deutlich gemacht hätte, welche realen Sicherheiten hinter der konkreten Anleihe stehen. Sie hätte insbesondere die Abhängigkeit der Rückzahlung zum Nennbetrag am Stichtag von der bestehenden Solvenz der Schuldnerin herausstellen müssen. Nur dann hätte die Bekl. dem Kl. ein zutreffendes Bild von den Chancen und Gefahren der konkreten Anlageentscheidung vermittelt, wie es unschwer möglich gewesen wäre. Da die Bekl. jede Erklärung und jeden Hinweis unterließ, hat sie nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Kl. eine selbstverantwortbare, seinen Wünschen entsprechende sachgerechte Entscheidung treffen konnte.

c) Die pflichtwidrige Anlageempfehlung ist schadensursächlich. Die Quellensteuerfreiheit motivierte den Kl. Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, daß er um der Steuer willen „Sicherheiten“ preisgegeben hätte. Der mögliche Zinsgewinn und die angegebene Rendite gaben auch keinen Anlaß, ein größeres Wagnis einzugehen. Zudem ist derjenige, der seine Aufklärungspflichten verletzt, dafür beweispflichtig, daß der Schaden auch bei gehöriger Aufklärung eingetreten und das konkrete Erwerbsgeschäft in gleicher Weise zustandegekommen wäre (BGH, NJW 1993, 257 = LM H. 2/1993 § 276 (Fa) BGB Nr. 129 = WM 1992, 1935 (1937)). Die Vermutung geht dahin, daß der Aufzuklärende von dem fraglichen Geschäft abgesehen hätte. Diese Vermutung hat die Bekl. nicht entkräftet.

d) Den Kl. trifft auch kein Mitverschulden. Eine Anrechnung des Mitverschuldens des Geschädigten kommt nur bei branchenkundigen Anlegern in Betracht. So hat die Rechtsprechung festgestellt, daß dem Schädiger der Mitverschuldensvorwurf gegen den unerfahrenen Anleger aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt ist (BGH, WM 1965, 287). Dem Kl kann auch nicht vorgeworfen werden, daß er nicht durch rechtzeitigen Verkauf den Schaden gemindert hätte. Hierzu wäre erforderlich, daß dem Kl. - eben aufgrund einer umfassenden Beratung - bewußt gewesen wäre, daß eine Auszahlung des Nennbetrags zum Stichtag nicht gesichert war. Ebendas wußte der Kl. aber nicht, so daß ihm nicht vorgeworfen werden kann, auf Kursverluste nicht reagiert zu haben.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

BGB §§ 276, 676