Umfang der Aufklärungspflicht bei bankmäßigen Effektengeschäften

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

19. 05. 1998


Aktenzeichen

XI ZR 286/97


Leitsatz des Gerichts

  1. An die Aufklärung beim bankmäßigen Effektengeschäft sind nicht die gesteigerten Anforderungen zu stellen wie bei der gewerblichen Vermittlung von Termindirektgeschäften und Optionsgeschäften. Kreditinstitute können ihre Aufklärungspflicht grundsätzlich mündlich erfüllen.

  2. Ist eine Bank nicht in der Lage, die Risiken eines ihr angetragenen Geschäfts abschließend zu beurteilen, so darf sie sich damit begnügen, den Kunden auf ihre fehlende Sachkunde hinzuweisen. Sie muß den Geschäftsabschluß nicht verweigern.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch des Bekl. aus Aufklärungspflichtverletzung im Zusammenhang mit Börsenterminoptionsgeschäften. Der Bekl. unterhielt bei der Kl., einer Sparkasse, u. a. zwei Girokonten, über die er Effektengeschäfte abwickelte. Ab 24. 11. 1988 vermittelte die Kl. dem Bekl. Termingeschäfte, u. a. den An- und Verkauf von gedeckten Optionsscheinen (covered warrants). Der Bekl. führte am 15. 8. 1989 mit einem Mitarbeiter der Kl. ein Gespräch über beabsichtigte Optionsscheingeschäfte, dessen Inhalt streitig ist. Am 5. 10. 1989 und am 28. 9. 1990 unterzeichnete der Bekl. die Schrift der Kl. „Wichtige Informationen über die Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften“. Nachdem die Girokonten des Bekl. erheblich ins Debet geraten waren, kündigte die Kl. mit Schreiben vom 5. 11. 1992 das Kreditverhältnis und verlangte Glattstellung der Konten. Der Bekl. hat gegenüber der unstreitigen Darlehensforderung der Kl. mit höheren Schadensersatzforderungen die Aufrechnung erklärt. Er hat dazu behauptet, er sei von der Kl. in keiner Weise auf die Risiken von Börsenterminoptionsgeschäften hingewiesen worden, bei gehöriger Aufklärung würde er die letztlich verlustreichen Geschäfte nicht abgeschlossen haben. Die Kl. hat demgegenüber u. a. behauptet, der Bekl. habe, als er am 15. 8. 1989 allgemein auf die Risiken von Optionsscheingeschäften hingewiesen worden sei, erklärt, er benötige keine Beratung, er werde von einem Bekannten gut beraten.

Das LG hat der Klage in Höhe von 73 313,41 DM nebst Zinsen stattgegeben. Es hat gegenüber der unstreitigen Darlehensforderung der Kl. in Höhe von 84 421,93 DM die Aufrechnung des Bekl. mit einer Schadensersatzforderung in Höhe von 11 108,52 DM durchgreifen lassen, und zwar hinsichtlich der von der Kl. vor dem 15. 8. 1989 vermittelten Börsentermingeschäfte. Auf die Berufung des Bekl. hat das OLG der Klage nur in Höhe von 28 687,10 DM nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Die Revision der Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Da der Bekl. in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 331 , 557 ZPO, vgl. BGHZ 37, 79 [81] = NJW 1962, 1149 = LM § 2249 BGB Nr. 1 = LM § 331 ZPO Nr. 2). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79 [82] = NJW 1962, 1149 = LM § 2249 BGB Nr. 1 = LM § 331 ZPO Nr. 2). Die Revision der Kl. ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der Entscheidung des LG.

Das BerGer. hat weitergehende aufrechenbare Schadensersatzansprüche des Bekl. als das LG bejaht - und zwar hinsichtlich der nach dem 15. 8. 1989 vermittelten Geschäfte - und dazu u. a. ausgeführt: Die Kl. habe ihr gegenüber dem Bekl. obliegende vorvertragliche Pflichten zur Aufklärung verletzt. Sie sei verpflichtet gewesen, in einer über den Inhalt der vom Bekl. unterzeichneten Informationsschrift deutlich hinausgehenden Weise über die Risiken von Optionsgeschäften, insbesondere von covered warrants, aufzuklären. Das sei weder - wie geboten - schriftlich, noch mündlich in ausreichender Weise geschehen.

II. Die Ausführungen des BerGer. halten in wesentlichen Punkten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des BerGer.: Auch wenn - wie hier - das Informationsblatt der Kl. über die Risiken bei Börsentermingeschäften inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen genügt (vgl. Senat, NJW 1995, 1554 = LM H. 7-1995 BörsG Nr. 39 = WM 1995, 658), kann ein über § 53 II BörsG hinausgehender, durch individuelle Verhältnisse des Anlegers oder Eigenarten der jeweiligen Geschäfte bedingter Informationsbedarf eine zusätzliche Aufklärung erfordern (Senat, NJW 1996, 2511 = LM H. 11-1996 BörsG Nr. 41 = WM 1996, 1260 [1261] ). Eine Aufklärungspflicht besteht namentlich auch für unverbindliche Börsentermingeschäfte (Senat, NJW 1997, 2171 = LM § 276 [Fa] BGB Nr. 148 = WM 1997, 811).

2. Die Grundsätze, die das BerGer. für die Erfüllung dieser zweiten Stufe der Kundenaufklärung bei Börsentermingeschäften aufgestellt hat, überspannen jedoch die Pflichten eines Kreditinstituts bei weitem.

a) Die gesteigerten Anforderungen, die der Senat an die Aufklärung von Kunden gewerblicher Vermittler von Termindirektgeschäften und Optionsgeschäften stellt (vgl. z. B. BGHZ 124, 151 = NJW 1994, 512 = LM H. 5-1994 § 276 [Fb] BGB Nr. 71, und BGH, NJW 1994, 997 = LM H. 5-1994 § 276 [Fb] BGB Nr. 72 = WM 1994, 453), sind auf den Effektenhandel von Kreditinstituten nicht übertragbar. Sie sind auf Geschäfte zugeschnitten, bei denen durch hohe Aufschläge auf die Börsenpreise jede Gewinnchance des durch Telefonverkäufer angeworbenen typischerweise unerfahrenen Kunden von vornherein praktisch ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen sind beim bankmäßigen Wertpapierhandel nicht gegeben. Kreditinstitute können die ihnen obliegenden Aufklärungspflichten deshalb grundsätzlich auch mündlich erfüllen.

b) Soweit das OLG die Auffassung vertritt, ein Kreditinstitut habe lediglich die Wahl zwischen einer gehörigen Aufklärung des Kunden und einem Verzicht auf den Geschäftsabschluß, kann ihm nicht gefolgt werden. Ist eine Bank nicht in der Lage, die Risiken eines ihr von ihrem Kunden angetragenen Geschäfts abschließend zu beurteilen, so darf sie sich damit begnügen, den Kunden auf ihre fehlende oder mangelhafte Sachkunde hinzuweisen. Es ist kein Grund ersichtlich, der sie zwingen könnte, den Geschäftsabschluß zu verweigern, wenn der in dieser Weise über ihre fachliche Inkompetenz informierte Kunde in freier Willensentscheidung auf seinem Auftrag beharrt. Eine Bevormundung des Kunden, die diesen zu einer u. U. zeitraubenden Suche nach einem sachkundigen Kreditinstitut zwingen würde, obwohl er auf eine Risikoaufklärung ersichtlich keinen Wert legt, ist mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht vereinbar. Inwieweit eine Bank ausnahmsweise ein Geschäft ablehnen muß, dessen Risiken der Kunde ersichtlich nicht überschaut, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Nach den vom LG und vom BerGer. getroffenen Feststellungen ist der Bekl. durch den zuständigen Mitarbeiter der Kl. über die allgemeinen Risiken bei der Spekulation mit Optionsscheinen aufgeklärt, zugleich aber darauf hingewiesen worden, daß eine Beratung hinsichtlich der von ihm gewünschten Papiere nicht möglich sei, weil der Mitarbeiter sich „in diesem Metier überhaupt nicht“ auskenne. Mit der Antwort des Bekl., er benötige eine Aufklärung nicht, weil er von einem Bekannten gut beraten werde, durfte sich die Kl. zufriedengeben. Der Bekl. hatte ihr die gewünschten Optionsscheine jeweils mit Wertpapier-Kennnummern genannt und die Börse angegeben, an der sie gehandelt wurden. Sie war deshalb nicht verpflichtet, die vom Bekl. vorgegebene Sachkunde zu überprüfen, zumal dieser erklärtermaßen einem von ihm für qualifiziert gehaltenen Berater vertraute. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß vorvertragliche Aufklärungspflichten auch bei Börsentermingeschäften nicht dem Zweck dienen, einen Kunden, der sich nicht ersichtlich unglaubwürdig als erfahren geriert und eine Aufklärung ausdrücklich nicht wünscht, vor sich selbst zu schützen (BGH, NJW-RR 1996, 947 = LM H. 10-1996 § 276 [Fb] BGB Nr. 77 = WM 1996, 1214 [1216]; BGH, NJW-RR 1997, 176 = LM H. 3-1997 § 276 [Fb] BGB Nr. 77 a = WM 1997, 309). Weitergehende aufrechenbare Schadensersatzansprüche, als sie das LG wegen Verletzung von Aufklärungspflichten bei Vermittlung unterschiedlicher Optionsgeschäfte zuerkannt hat, stehen mithin dem Bekl. nicht zu.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

BGB § 276; BörsG § 53