Haftung des Vermögensverwalters für Anlageentscheidungen (Abweichung von Anlagerichtliniendes Kunden)

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

28. 10. 1997


Aktenzeichen

XI ZR 260/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei einem Vermögensverwaltungsvertrag müssen sich die Anlageentscheidungen des Verwalters im Rahmen vereinbarter Anlagerichtlinien halten. Andernfalls haftet er bei Verschulden wegen positiver Vertragsverletzung auf Schadensersatz.

  2. Bei einem Vermögensverwaltungsvertrag trifft den Kunden gegenüber dem Vermögensverwalter nicht die Pflicht, Abrechnungen und Ausführungsanzeigen von Wertpapiergeschäften zeitnah zu kontrollieren.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl., ein iranischer Unternehmer, verlangt von der Bekl., einer deutschen Privatbank, Schadensersatz u.a. wegen Verletzung eines Vermögensverwaltungsvertrags. Nach Leistung einer Einlage von 500000DM schloß der Kl. mit der Bekl. einen entgeltlichen Vermögensverwaltungsvertrag. Mit Schreiben vom 10.6. 1987 erteilte er ihr folgende „guidelines“:

(1) The portfolio should be based on German stocks and cash (in DM).

(2) Up to twice value of the sums available in my account, stocks could be bought, I.E. up to a maximum amount of DM one Million, presently.

(3) The purchasing rate should not exceed about 105 % of the lowest rate of stock since 1.1. 1986.

(4) The purchasing rate should not exceed about 65 % of the highest rate of stock since 1.1. 1987.

(5) The sum invested for purchasing of each simple stock should not exceed DM50000.

(6) As soon as any stock purchased, appreciate for 20-30 % of the purchase value, to be sold.

(7) Only those stocks to be purchased that at any time could be used for pledging within your bank for a minimum of 60 % of the purchase value.

No need to say that beside the a.m. framed conditions, there is one more and an important condition, I.E. your experts will find the deal advisable, to the best of their knowledges without the worry of being kept responsible, if it proved otherwise.“

Die Bekl. bestätigte dieses Schreiben am 19.6. 1987 mit der Maßgabe, daß der in Nr.4 genannte Grenzwert durch sie von 65 auf 75 % geändert worden sei. Bis zum September 1992 nahm die Bekl., die dem Kl. Kredit gewährte, ca. 140 Käufe und etwa 130 Verkäufe von Wertpapieren vor. Nach ihren eigenen Angaben wurden bei etwa 120 Käufen und über 90Verkäufen eine oder mehrere Vorgaben des Kl., vor allem die Nrn.3 und 6, nicht eingehalten. In etwa 25 Fällen investierte die Bekl. in Abweichung von Nr.5 mehr als 50000 DM in einen Wert, in einem Falle ca. 123000 DM in unter Führung der Bekl. neu emittierte Aktien. Von der Vorgabe, deutsche Aktien zu erwerben, wich die Bekl. in etwa 30 Fällen ab, wobei sie auch Optionsscheine oder Anteile eines bankeigenen Fonds kaufte.

Im Dezember 1992 beanstandete der Kl., den die Bekl. über die vorgenommenen Geschäfte regelmäßig durch Konto- und Depotauszüge in deutscher Sprache unterrichtet hatte, die Nichtbeachtung seiner Vorgaben und bemängelte, daß sein Depot am 30. 11. 1992 nur noch einen Nettowert von 313976,80 DM aufwies. In der Folgezeit wurden die meisten Wertpapiere auf Anweisung des Kl. verkauft, ein Teil erst nach Klageerhebung. Er macht geltend, seine „guidelines“ enthielten verbindliche Weisungen. Diese habe die Bekl. schuldhaft verletzt. Dadurch und durch den weisungswidrigen Erwerb von Asiak-Fondsanteilen habe er großen Schaden erlitten. Die Bekl. hält die „guidelines“ für unverbindlich, bestreitet den geltend gemachten Schaden und beruft sich auf Verwirkung. Der Kl. hat, nachdem er die Hauptsache mit Rücksicht auf Wertpapierverkäufe nach Klageerhebung teilweise für erledigt erklärt hat, beantragt, die Bekl. zur Zahlung von 1487,688,20 DM zzgl. Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Wertpapierdepots bei Freistellung von seinen Verbindlichkeiten aus den Wertpapierkrediten zu verurteilen.

Das LG hat der Klage wegen Verletzung des Vermögensverwaltungsvertrags in Höhe von 592101,99 DM nebst Zinsen sowie weiterer 593425 DM Zug um Zug gegen Rückübertragung des Wertpapierdepots stattgegeben, die Erledigung der Hauptsache in Höhe von 216613,27 DM festgestellt und vom Kl. darüber hinaus geltend gemachte Schadensersatzansprüche aus der Beteiligung am Asiak-Fonds abgewiesen. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG die Klage in vollem Umfang abgewiesen; die Anschlußberufung des Kl. hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte der Kl. seine Anträge auf Zurückweisung der Berufung der Bekl. sowie auf Ersatz von Verlusten aus der Beteiligung am Asiak-Fonds weiter. Der erkennende Senat hat die Revision nur insoweit angenommen, als der Kl. die Zurückweisung der Berufung der Bekl. beantragt hat. Im Umfang der Annahme hatte die Revision Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer. insoweit.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat einen Schadensersatzanspruch des Kl. im wesentlichen mit folgender Begründung verneint:

Es stelle keine positive Verletzung des Vermögensverwaltungsvertrages dar, daß die Bekl. von den „guidelines“ des Kl. abgewichen sei. Bei diesen handele es sich schon dem Wortlaut nach nicht um Weisungen, sondern um verbindliche Richtlinien im Sinne von Sollbestimmungen, die nicht strikt befolgt werden müßten. Der Schlußsatz hinter Nr.7 der „guidelines“ räume der Bekl. einen weiten Handlungsspielraum ein. Auch aus dem Sinn und Zweck des Vertrags, der die Bekl. zur eigenverantwortlichen aktiven Vermögensverwaltung verpflichte, ergebe sich, daß die „guidelines“ keine verbindlichen Weisungen seien. Solche paßten mangels Vorhersehbarkeit der einzelnen Verwaltungssituation und angesichts der Eigenverantwortlichkeit der Bekl. nicht zu einer Vermögensverwaltung. Daß die Bekl. Nr.4 der „guidelines“ abgeändert habe, rechtfertige keine andere Beurteilung.

Das Abweichen der Bekl. von den Vorgaben des Kl. sei auch nicht derart schwerwiegend, daß vertragliche Fürsorgepflichten verletzt seien. Daß die Bekl. Nr.3 der „guidelines“ bei der überwiegenden Zahl der Wertpapierkäufe nicht eingehalten habe, sei ihr nicht vorzuwerfen; angesichts des Börsenkrachs im Oktober 1987 habe die Vorgabe nicht befolgt werden können. Auch die Veräußerung zahlreicher Wertpapiere ohne einen Kursgewinn von 20 % abweichend von Nr.6, die lediglich einen Wunsch des Kl. enthalte, stelle keine Vertragsverletzung dar. Gleiches gelte für die Abweichung von Nr.1 der „guidelines“, die den Erwerb ausländischer Wertpapiere nicht schlechthin ausschließe, sowie von deren Nr.5. In den meisten Fällen sei die Grenze von 50000DM nur geringfügig überschritten worden.

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das BerGer. hat die „guidelines“ des Kl., die Inhalt des von den Parteien geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrags geworden sind, nicht interessengerecht ausgelegt.

1. Die tatrichterliche Auslegung ist für das RevGer. nicht bindend, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind. Zu den allgemein anerkannten Auslegungsregeln gehört der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (BGHZ 131, 136 [138] = NJW 1996, 248 = LM H.3/1996 § 157 [C ] BGB Nr.46; Senat, NJW 1994, 2018 = LM H.10/1994 § 133 [C ] BGB Nr.84 = WM 1994, 1063 m.w.Nachw.). Diesen Grundsatz hat das BerGer. verletzt.

2. Die Auslegung des BerGer. führt dazu, daß die in sieben Einzelpunkten detailliert und präzise festgelegten „guidelines“ des Kl. so gut wie keine rechtliche Bedeutung haben. Eine solche Auslegung trägt den Interessen des Kl., dem Wesen des geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrags, dem Sinn und Zweck sowie dem Wortlaut der „guidelines“ nicht hinreichend Rechnung.

a) Ein Vermögensverwaltungsvertrag ist ein entgeltlicher Dienstvertrag in Form eines Geschäftsbesorgungsvertrags, der den Verwalter zur Verwaltung des Vermögens eines Kunden in dessen Interesse verpflichtet. Aufgrund des Vertrags ist der Verwalter berechtigt und verpflichtet, fortlaufend über das Vermögen des Kunden zu disponieren, d.h. ohne Einholung von Weisungen im Einzelfall tätig zu werden und selbständig Anlageentscheidungen zu treffen. Ob der Verwalter dabei freies Ermessen genießt oder nicht, richtet sich danach, ob die Parteien Anlagerichtlinien vereinbart haben. Ist letzteres der Fall (vgl. den bei Krümpel, Bank- u. KapitalmarktR, Rdnr.8.78 mitgeteilten üblichen Auftragswortlaut), so muß sich der Verwalter bei seinen Entscheidungen im Rahmen der Richtlinien halten (Kienle, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bank-RHdb. III, 1997, § 111 Rdnrn.17f.; Schäfer, in: Assmann/Schütze, Hdb. d. KapitalanlageR, 2. Aufl., § 28 Rdnr.51; Schwintowski/Schäfer, BankR, § 12 Rdnrn.39ff.; Schäfer, WM 1995, 1009 [1010]; Schwennicke, WuBI G9.-1.97). Andernfalls ist er dem Kunden wegen positiver Verletzung des Vermögensverwaltungsvertrages schadensersatzpflichtig (Schäfer, in: Assmann/Schütze, § 28 Rdnr.51). Anlagerichtlinien haben somit üblicherweise den vom BerGer. unberücksichtigt gelassenen Sinn, den Ermessensspielraum des Vermögensverwalters einzuschränken und ihn bei seiner Tätigkeit an die Vorgaben des Kunden zu binden.

b) Bei den vom Kl. formulierten „guidelines“, deren Auslegung der erkennende Senat selbst vornehmen kann, da es dazu weiterer tatrichterlicher Feststellungen nicht bedarf, handelt es sich ersichtlich um solche Anlagerichtlinien. Die „guidelines“ (Richtlinien) legen in Nrn.1 und 7 die Anlageobjekte grundsätzlich fest (deutsche Aktien, beleihungsfähig in Höhe von mindestens 60 % des Kaufpreises, und Baranlagen in DM), treffen Bestimmungen über die maximalen Einstandspreise (Nr. 3 und 4), den Höchstbetrag für Investititionen in einem Wert (Nr. 5), die Veräußerung erworbener Aktien (Nr. 6) und den Umfang der maximalen Kreditaufnahme (Nr. 2). Der Wortlaut der „guidelines“ enthält keine Anhaltspunkte für deren Unverbindlichkeit.

Die Schlußbestimmung hinter Nr.7 der „guidelines“ räumt der Bekl., anders als das BerGer. offenbar annehmen möchte, keinen weiten Spielraum ein, sich über die Vorgaben in Nrn.1 bis 7 hinwegzusetzen, sondern enthält zusätzliche Grundsätze für die Auswahl der einzelnen Anlage bei der Umsetzung der „guidelines“. Neben (beside) den genannten Rahmenbedingungen (the a.m. framed conditions) wird - als Selbstverständlichkeit bezeichnet (no need to say) - eine weitere wichtige Bedingung (one more and an important condition) genannt, und zwar, daß die Fachleute der Bekl. (your experts) ein bestimmtes Geschäft nach bestem Wissen für sinnvoll halten (will find the deal advisable, to the best of their knowledges). Auch aus der Tatsache, daß der Kl. bei einem Teil der „guidelines“ das Wort „should“ (sollte) benutzt hat, ergibt sich die Unverbindlichkeit der Richtlinien nicht. Die Bekl. hat die sehr detaillierten und präzisen Vorgaben so auch nicht verstanden. Andernfalls wäre es nicht verständlich, warum sie sich veranlaßt gesehen hat, bei der Bestätigung Nr.4 der „guidelines“ von 65% in 75% zu ändern.

3. Bei den Abweichungen der Bekl. von den „guidelines“ handelt es sich nicht um begründete Einzelfälle. Die Bekl. ist vielmehr bei der ganz überwiegenden Zahl der Wertpapierkäufe pflichtwidrig von einer oder mehreren Vorgaben des Kl. abgewichen, insbesondere von den Nrn.3 und 6.

a) Entgegen der Ansicht des BerGer. ist der Bekl. auch die Abweichung von Nr.3 vorzuwerfen. Es kann keine Rede davon sein, der Bekl. sei nicht möglich gewesen, die Richtlinien insoweit einzuhalten. Wenn die Vorgaben des Kl. für den Aktienkauf wegen des Börsenkrachs im Oktober 1987 und der nachfolgenden Kursentwicklung bei vielen deutschen Werten nicht erfüllt waren, so hätte die Bekl. ohne Rücksicht darauf, ob der Kl. ein erfahrener Anleger ist oder nicht, auf diese akuten Schwierigkeiten bei der Verwaltung seines Vermögens hinweisen (vgl. Schäfer, BuB Bd.5 Rdnr.11/46), die zur Verfügung gestellten Mittel (teilweise) zunächst auf einem Festgeldkonto anlegen und eine Änderung der „guidelines“ durch den Kl. abwarten müssen. Eine Baranlage in DM entsprach der Richtlinie Nr.1.

b) Auch von den Vorgaben Nrn.1 (Anlage in deutschen Aktien) und 5 (Investition von nicht mehr als 50000 DM in einen Wert), deren Einhaltung problemlos möglich war, ist die Bekl. nicht nur in begründeten Einzelfällen ohne Rücksprache mit dem Kl. abgewichen. Sie hat sogar mehrfach in Fremdwährungen notierte Aktien gekauft und dem Kl. damit zusätzlich nicht richtlinienkonform ein Währungsrisiko aufgebürdet. Außerdem hat sie nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Kl. ohne Rücksprache für mehr als 85000 DM Anteile eines bankeigenen Fonds, der international ausgerichtet ist, erworben, auch in Optionsscheine investiert und ca. 123000 DM in nicht börsennotierten Aktien angelegt, die unter ihrer Führung neu emittiert wurden. Nichts spricht dafür, daß diese richtlinienwidrigen Geschäfte damals im Interesse des Kl. lagen, das die Bekl. aufgrund des Vermögensverwaltungsvertrags wahrzunehmen hatte (vgl. Kienle, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 111 Rdnr. 23).

III. Die Abweisung der Klage stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO).

1. Die Genehmigungsfiktion der Nr. 32 S. 2 AGB-Banken a.F., die bestimmt, daß Anrechnungen und Ausführungsanzeigen von Wertpapiergeschäften als genehmigt gelten, wenn Einwendungen dagegen nicht unverzüglich erhoben werden, greift entgegen der Ansicht der Bekl. zu ihren Gunsten nicht ein. Erfaßt werden von der Vorschrift nur Abrechnungen und Anzeigen über Geschäfte, für die ein konkreter Auftrag erteilt wurde. Bei solchen Geschäften mag eine Pflicht bestehen, die ordnungsgemäße Ausführung zeitnah zu kontrollieren. Mit einem entgeltlichen Vermögensverwaltungsvertrag, den der Kunde gerade abschließt, weil er die Verwaltung seines (Wertpapier-)Vermögens nicht selbst vornehmen, sondern sich davon und von der Überwachung der ordnungsgemäßen Ausführung von Aufträgen entlasten will, ist die Annahme einer solchen Pflicht unvereinbar. Der Kunde ist nicht gehalten, fortlaufend bei jeder Anlage alsbald nachzuprüfen, ob sie richtlinienkonform ist (OLG Frankfurt a.M., WM 1996, 665 [668]).

2. Dem Schadensersatzanspruch des Kl. aus positiver Vertragsverletzung kann die Bekl. auch nicht den Einwand der Verwirkung entgegensetzen. Zwar hat der Kl. die richtlinienwidrigen Anlageentscheidungen der Bekl. über Jahre unbeanstandet gelassen. Es fehlt aber das für den Verwirkungseinwand erforderliche Umstandsmoment (BGHZ 122, 308 [315] = NJW 1993, 2178 = LM H.12/1993 Art. 231 EGBG 1986 Nr.1; Senat, NJW-RR 1989, 818 = LM § 242 [Cc ] BGB Nr. 46 = WM 1989, 354 [355]). Die Bekl. hat nicht dargelegt, daß sie sich wegen der Untätigkeit des Kl. darauf eingerichtet habe, dieser werde aus der richtlinienwidrigen Vermögensverwaltung keine Ansprüche mehr herleiten.

IV. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 I ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das BerGer. - von seinem Standpunkt aus konsequent - keine Feststellungen getroffen hat, welche Schäden dem Kl. durch die einzelnen richtlinienwidrigen Geschäfte entstanden sind. Die Sache war daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 I 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

BGB § 675; AGB-Banken 1988 Nr.32