Keine Neufestsetzung des Ausgleichs beim Beitritt eines Unternehmens zum Beherrschungsvertrag

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

04. 03. 1998


Aktenzeichen

II ZB 5/97


Leitsatz des Gerichts

Der Beitritt eines Unternehmens zu einem Beherrschungsvertrag auf seiten des herrschenden Unternehmens führt nicht zur Festsetzung eines neuen (festen) Ausgleichs und einer neuen Barabfindung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Ast., Aktionäre der Ag. zu 1, machen die Festsetzung eines angemessenen (festen) Ausgleichs und einer angemessenen Barabfindung aus einer Vereinbarung über den Beitritt der Ag. zu 2 zu einem Beherrschungsvertrag geltend, den die Ag. zu 1 mit der B-AG (künftig: B) am 30. 1. 1986 geschlossen hat und der nach Zustimmung ihrer Hauptversammlung am 24. 3. 1986 in das Handelsregister eingetragen worden ist. Dieser Vertrag setzt einen festen Ausgleich von 24% und eine Barabfindung von 500% des Nennwerts der Aktien der außenstehenden Aktionäre fest. Im Jahre 1987 gründeten B und das schwedische Unternehmen V die Ag. zu 2 als Gemeinschaftsunternehmen unter Übernahme einer Beteiligung von je 50%. B brachte ihre an der Ag. zu 1 bestehende Beteiligung von 75,56% als Sacheinlage in die Ag. zu 2 ein. Nachdem eine im Jahre 1988 getroffene Vereinbarung über den Beitritt der Ag. zu 2 zu dem zwischen B und der Ag. zu 1 geschlossenen Beherrschungsvertrag durch Urteil des Senats vom 15. 6. 1992 (BGHZ 119, 1 = NJW 1992, 2760 = LM H. 1-1993 § 131 AktG 1965 Nr. 3) für nichtig erklärt worden war, schlossen die Ag. und B im Herbst 1992 erneut einen - mit dem Vertrag von 1988 gleichlautenden - Beitrittsvertrag ab, der nach Zustimmung der Hauptversammlung der Ag. zu 1 vom 21. 10. 1992 am 20. 11. 1992 in das Handelsregister eingetragen worden ist. In diesem Vertrag verzichtete B auf die Ausübung des ihr vertraglich eingeräumten Weisungsrechts für die Zeit, in der die Ag. zu 2 Mehrheitsaktionärin der Ag. zu 1 sein werde. Eine Regelung über Ausgleich und Barabfindung enthält der Beitrittsvertrag nicht. Die Ag. erstrebten deren Festsetzung.

Das LG hat die Anträge abgewiesen. Dagegen wenden sich die Ast. mit den von ihnen eingelegten sofortigen Beschwerden. Das vorlegende Gericht möchte den Beschwerden stattgeben. Es sieht sich daran jedoch durch das Senatsurteil vom 15. 6. 1992 (BGHZ 119, 1 = NJW 1992, 2760 = LM H. 1-1993 § 131 AktG 1965 Nr. 3) gehindert. Die Beschwerden sind in der Sache ohne Erfolg geblieben.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

III. Die Ast. begehren aufgrund der zwischen den Ag. und B getroffenen Vereinbarung über den Beitritt der Ag. zu 2 zu dem zwischen der Ag. zu 1 und B im Jahre 1986 geschlossenen Beherrschungsvertrag zum Stichtag vom 21. 10. 1992, dem Tag der Genehmigung des Beitrittsvertrags durch die Hauptversammlung der Ag. zu 1, die Neufestsetzung des festen Ausgleichs und der Barabfindung, die in dem Beherrschungsvertrag vereinbart worden sind. Ein solcher Anspruch steht ihnen entgegen der Ansicht des BeschwGer. nicht zu.

1. Das BeschwGer. hat sich bei seiner gegenteiligen Meinung von der Erwägung leiten lassen, das auf seiten des herrschenden Unternehmens einem Beherrschungsvertrag beitretende Unternehmen „erkaufe“ sich mit der Beitrittsvereinbarung einen Zuwachs an Rechts- und Entscheidungsmacht über die beherrschte Gesellschaft, für den es durch Gewährung einer einmaligen Abfindung oder eines auf Dauer angelegten Ausgleichs „bezahlen“ müsse. Insoweit stehe es nicht anders da als ein Unternehmen, das mit dem Abschluß eines Beherrschungsvertrags die Leitung einer Aktiengesellschaft übernehme: Der Erlangung des Weisungsrechts aus § 308 I 1 AktG und dem Vorrang seiner Interessen und der seines Konzerns vor dem Eigeninteresse der beherrschungsvertraglich konzernierten Gesellschaft stünden als Gegenleistung Abfindung und Ausgleich gegenüber. Im Falle des Beitritts sei die Gegenleistung unter Zugrundelegung des Zeitpunkts zu bewerten, in dem die Hauptversammlung der beherrschten Aktiengesellschaft dem Beitrittsvertrag zugestimmt habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

2. Der Ausgangspunkt des BeschwGer., das herrschende Unternehmen müsse den Abschluß des Beherrschungsvertrags mit einer einmaligen Abfindung oder einem auf die Dauer des Beherrschungsvertrags angelegten Ausgleich „bezahlen“ bzw. „erkaufen“, ist unzutreffend gewählt. Der in diesem „Kaufrechts-“Ansatz steckende Gedanke, die - vertragliche - Ausgleichspflicht sei die für die Beherrschung im Interesse der dadurch benachteiligten Aktionäre festgelegte Gegenleistung (so Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, AktG, § 304 Rdnr. 36), trifft nicht zu. Ebensowenig kann man die Pflicht des herrschenden Unternehmens, den außenstehenden Aktionären eine Abfindung zu gewähren - mag das auf einem im Beherrschungsvertrag niedergelegten Abfindungsangebot oder, soweit vertraglich nicht geregelt, auf gerichtlicher Bestimmung (§ 305 V 2 AktG) beruhen -, als Gegenleistung für den Eintritt der Beherrschung ansehen. Die Entscheidung darüber, wofür der Anspruch auf Ausgleich oder Abfindung gewährt wird, erschließt sich vielmehr aus dem den §§ 304 , 305 AktG zugrundeliegenden Normzweck. Beide Vorschriften gewähren den außenstehenden Aktionären Schutz vor der Beeinträchtigung oder dem Verlust der Rechte, die sich aus ihrer mitgliedschaftlichen Stellung in einer AG ergeben, die keiner Beherrschung durch ein anderes Unternehmen unterliegt und somit nicht dessen Interessen oder denen des von ihm geführten Konzerns dienstbar gemacht werden.

Die Vorschrift des § 304 AktG bezweckt die Sicherung der außenstehenden Aktionäre vor der Beeinträchtigung ihrer sich aus der Mitgliedschaft ergebenden vermögensrechtlichen Stellung: Es sollen die Verluste kompensiert werden, die ihnen durch die Ausübung der Weisungskompetenz des herrschenden Unternehmens entstehen können (Kropff, AktG 1965, S. 394; Hüffer, AktG, 3. Aufl., § 304 Rdnr. 1; Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 304 Rdnr. 2). § 305 AktG hat den Schutz der aus der Mitgliedschaft folgenden Herrschaftsrechte im Auge: Diese werden aufgrund des Beherrschungsvertrags weitgehend von dem herrschenden Unternehmen ausgeübt (§ 308 AktG). Da die Beeinträchtigung und der Verlust dieser Rechte nicht kompensiert werden können, gibt das Gesetz den außenstehenden Aktionären die Möglichkeit, aus diesem Umstand die Konsequenzen zu ziehen und gegen Abfindung durch den anderen Vertragsteil aus der Gesellschaft auszuscheiden (Kropff, S. 397; Hüffer, § 305 Rdnr. 1; Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 305 Rdnr. 2; vgl. auch BVerfGE 14, 263 = NJW 1962, 1667 - Feldmühle). Ausgleich und Abfindung stellen sich somit als Entschädigungsleistung für die Beeinträchtigung bzw. den Verlust mitgliedschaftlicher Rechte dar. Der Abschluß des Beherrschungsvertrags ist lediglich auslösendes Moment für Rechtsbeeinträchtigung und Verlust und die dafür zu gewährende Entschädigung.

3. Beeinträchtigung und Verlust der aus der Mitgliedschaft folgenden Vermögens- und Herrschaftsrechte der außenstehenden Aktionäre treten in dem Zeitpunkt ein, in dem der Beherrschungsvertrag aufgrund der Genehmigung durch die Hauptversammlung des beherrschten Unternehmens i. S. des § 293 I 1 AktG wirksam geworden ist. Auf der Grundlage dieses Stichtages sind Ausgleich und Abfindung festzusetzen. Für die Bemessung des - hier vorliegenden - festen Ausgleichs ist stichtagsbezogen nach § 304 II 1 AktG der durchschnittliche, auf die einzelnen Aktionäre zu verteilende Gewinnanteil zu ermitteln, der sich nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten ergibt, die sie als unabhängiges, durch einen Beherrschungsvertrag nicht gebundenes Unternehmen hat. Entwicklungen, die erst später eintreten, aber schon in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen angelegt sind, müssen berücksichtigt werden (Hüffer, § 3 Rdnrn. 8-11; Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 304 Rdnrn. 81 ff.; Würdinger, in: GroßKomm. z. AktG, 3. Aufl., § 304 Anm. 11; Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 304 Rdnr. 32, jedoch mit Kritik am Inhalt des Stichtagsprinzips, § 305 Rdnr. 31). Verbundeffekte, die infolge des Unternehmensvertrags auf seiten der beherrschten Gesellschaft eintreten, scheiden von vornherein aus der Betrachtung aus. Für die Bemessung einer - hier gegebenen - Barabfindung müssen ebenfalls die am Stichtag bestehenden Verhältnisse der beherrschten Gesellschaft berücksichtigt werden (§ 305 III 2 AktG). Auch insoweit bleiben Verbundeffekte, die bei der beherrschten Gesellschaft als Folge des Unternehmensvertrags eintreten, außer Betracht (Hüffer, § 305 Rdnr. 22; Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 305 Rdnr. 34; abw. Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung, 3. Aufl., S. 115 ff.; Gansweid, AG 1977, 334 [338 ff.]). Zutreffend wird darauf hingewiesen, daß den außenstehenden Aktionären das Ausscheiden ermöglicht werden soll und daher der Grenzwert maßgebend ist, zu dem sie aus der Gesellschaft ausscheiden können, ohne wirtschaftliche Nachteile zu erleiden (Hüffer, § 305 Rdnr. 18). Ferner wird zu Recht angeführt, daß es letztlich von dem anderen Vertragsteil abhängt, ob sich Verbundeffekte im Vermögen der herrschenden oder der beherrschten Gesellschaft niederschlagen (Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 305 Rdnr. 34).

Sind demnach Ausgleich und Abfindung nicht die Gegenleistung des herrschenden Unternehmens für den durch den Beherrschungsvertrag erlangten Zuwachs an Rechts- und Entscheidungsmacht über die beherrschte Gesellschaft, sondern Entschädigung für Beeinträchtigung und Verlust mitgliedschaftlicher Rechte der außenstehenden Aktionäre, und ist die Entschädigungsleistung bezogen auf den Stichtag der Zustimmung der Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft zu dem Beherrschungsvertrag und unter Außerachtlassung möglicher, durch die Konzernierung bei der beherrschten Aktiengesellschaft eintretender Verbundeffekte festzusetzen, bleibt für eine Neufestsetzung zu dem Stichtag, an dem die Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft dem Vertrag über den Beitritt eines weiteren Unternehmens auf seiten des herrschenden zustimmt, kein Raum. Denn eine Beeinträchtigung der Vermögens- und Herrschaftsrechte der außenstehenden Aktionäre, die zur Festsetzung eines abweichenden (festen) Ausgleichsbetrags und einer Barabfindung führen müßte, wird durch den Beitrittsvertrag nicht herbeigeführt (zum festen Ausgleich ähnlich bereits BGHZ 119, 1 [10] = NJW 1992, 2760 = LM H. 1-1993 § 131 AktG 1965 Nr. 3).

4. a) Das BeschwGer. hält eine Neufestsetzung von Ausgleich und Abfindung ferner deswegen für erforderlich, weil die von den außenstehenden Aktionären bei Abschluß des Beherrschungsvertrags getroffene Entscheidung, in der Gesellschaft zu bleiben, auf Überlegungen darüber beruhe, wie lange die Beherrschung wohl andauern und wie sich das unternehmerische Substrat der Gesellschaft und ihre Marktbeziehungen in dieser Zeit entwickeln könnten. Diese Risikoabschätzung, die auch mit dem angebotenen Ausgleich in Verbindung gebracht worden sei, werde durch den Beitritt eines weiteren Unternehmens auf seiten des herrschenden in ihrem Kern gestört. Denn die Konzerneinbindung der beherrschten Gesellschaft könne durch den Beitritt qualitativ verdichtet und unabsehbar verlängert werden. Diese Argumentation vermag an der oben dargelegten Beurteilung nichts zu ändern.

b) Der vom BeschwGer. angeführte Gedanke erlangt aber in anderer Beziehung Bedeutung. Es muß erwogen werden, ob den außenstehenden, nach Abschluß des Beherrschungsvertrags in der beherrschten Gesellschaft gebliebenen Aktionären im Hinblick auf die durch den Beitritt eingetretene Änderung der Herrschaftsstrukur nicht Gelegenheit gegeben werden muß, erneut darüber zu entscheiden, ob sie weiter in der Gesellschaft bleiben oder nicht. Diese Möglichkeit steht den außenstehenden Aktionären der Ag. zu 1 im vorliegenden Falle schon deswegen offen, weil mit Rücksicht auf das Antragsverfahren, das einige ihrer Aktionäre zur anderweitigen Festsetzung von Ausgleich und Abfindung aus dem Beherrschungsvertrag, der im Jahre 1986 abgeschlossen worden ist, rechtshängig gemacht haben und das noch vor dem LG M. schwebt, das Recht der Aktionäre, ihr Optionsrecht auf die Abfindung geltend zu machen, noch nicht ausgeschlossen ist (§ 305 IV 3 AktG). Dem steht nicht entgegen, daß sie bisher die Ausgleichszahlungen der herrschenden Gesellschaft nach § 304 AktG entgegengenommen haben. Denn darin ist kein rechtsgeschäftlich erklärter Verzicht auf die Abfindung zu sehen (Hüffer, § 305 Rdnr. 4; Koppensteiner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 305 Rdnr. 6; Geßler, in: Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, § 304 Rdnr. 24; OLG Celle, AG 1973, 405 [407]).

IV. Aus den vorstehend dargelegten Gründen steht den Ast. als außenstehenden Aktionären der Ag. zu 1 gegen die Ag. zu 2, die dem zwischen der Ag. zu 1 und B abgeschlossenen Beherrschungsvertrag beigetreten ist, kein Anspruch auf Gewährung eines geänderten (festen) Ausgleichs sowie eines geänderten Barabfindungsanspruchs zu. Sie haben lediglich die Möglichkeit, die sich aus dem im Jahre 1986 geschlossenen Beherrschungsvertrag ergebende Abfindungsoption - möglicherweise in einer durch gerichtliche Entscheidung geänderten Form - auszuüben.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

AktG 1965 §§ 304, 305