Haftung bei unzureichender Risikoaufklärung über eine Kapitalanlage (fremdfinanzierte Lebensversicherung)

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 07. 1998


Aktenzeichen

III ZR 158/97


Leitsatz des Gerichts

Zur Haftung einer Lebensversicherungsgesellschaft wegen unzureichender Risikoaufklärung eines Interessenten durch den Vermittler einer Kapitalanlage in Gestalt einer fremdfinanzierten Lebensversicherung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. begehrt von der Bekl. Versicherungsgesellschaft aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns Schadensersatz wegen unterlassener Aufklärung über das Risiko einer Kapitalanlage in Gestalt einer fremdfinanzierten Lebensversicherung. Der Zeuge H, der für die frühere Streithelferin, eine mit der Bekl. zusammenarbeitende Anlagevermittlungsgesellschaft, als Untervermittler tätig war, schlug im Jahre 1989 dem Ehemann der Kl., einem Zimmerer, vor, bei einer Schweizer Bank einen Kredit aufzunehmen und damit eine Kapitallebensversicherung bei der Bekl. zu finanzieren; die Differenz zwischen den vergleichsweise niedrigen Kreditzinsen in der Schweiz und der höheren Rendite der Lebensversicherung verspreche einen hohen Gewinn. Die frühere Streithelferin verwendete einen Werbeprospekt, in dem von einem auf acht Jahre festgeschriebenen Kreditzins von 5,5% ausgegangen und nach zwölf Jahren Versicherungslaufzeit ein steuerfreier Gewinn von rund 300 000 DM ausgewiesen wurde. Dieses Modell war bis zu einem Kreditzinssatz von 5,75% gewinnträchtig und ab 6% verlusterzeugend. Durch Vermittlung des Zeugen H nahm der Ehemann der Kl. bei der L-Bank einen jederzeit kündbaren Basiskredit in Höhe von 870 000 SFr zu einem Anfangszinssatz von 6,5% auf, für den er eine Sicherheitszahlung von 200 000 DM leisten mußte. Diesen Betrag liehen sich die Eheleute bei der Stadtsparkasse M. gegen Bestellung einer Grundschuld auf ihrem Hausgrundstück. Sodann schloß der Ehemann der Kl., ebenfalls durch Vermittlung des Zeugen H, bei der Bekl. eine Lebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 1 426 754 DM ab. Die für den Zeitraum 1987 bis 1994 zu zahlenden jährlichen Beiträge von 156 714,66 DM leistete er in Gestalt einer Einmalprämie von 1 Mio. DM, indem die Schweizer Bank die Nettokreditsumme direkt an die Bekl. überwies. Das Beitragsdepot sollte von der Bekl. verzinst werden. Der Zinssatz war dem Ehemann der Kl. nicht bekannt; er betrug 6%. Unter dem 4. 5. 1990 verlangte die Schweizer Bank einen zusätzlichen Eigenmitteleinschuß von 100 000 DM. Der Ehemann der Kl. konnte diesen Betrag nicht aufbringen. Er kündigte deshalb den Kreditvertrag, worauf sich die Schweizer Bank aus der eingezahlten Sicherheitssumme und der ihr zur Sicherheit abgetretenen Lebensversicherung befriedigte. Da der Rückkaufswert erheblich niedriger war als die an die Bekl. geleistete Einmalprämie, verblieben dem Ehemann der Kl. Schulden bei der Stadtsparkasse M., die am 29. 4. 1993 276 598,10 DM betrugen und die er mit 10,59% verzinsen muß. Die auf Schadensersatz in gleicher Höhe gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Die Revision der Kl. führte zum Erfolg der Klage.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Bekl. hat der Kl. aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (Verletzung der Aufklärungspflicht) den geltend gemachten Schaden zu ersetzen.

I. Zu Unrecht verneint das BerGer. eine Pflichtverletzung des Zeugen H bei der Vermittlung der Kapitalanlage.

1. Als Untervermittler der früheren Streithelferin, die den Vertrieb der Kapitalanlage als Vermittlerin übernommen hatte, war der Zeuge H zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen Umstände verpflichtet, die für den Anlageentschluß des Ehemanns der Kl. von besonderer Bedeutung waren (vgl. Senat, NJW-RR 1993, 1114 = LM H.1-1994 § 676 BGB Nr. 44 = BGHR BGB § 676 Anlagevermittler 4 m. w. Nachw.). Dazu gehörte die Aufklärung darüber, daß der für das Darlehen der Schweizer Bank zu entrichtende Anfangszinssatz von 6,5% unweigerlich zu einem Verlust führen mußte und daß ein solcher schon bei einem Zinssatz von 6% unvermeidbar war, die Lebensversicherung dem Ehemann der Kl. vielmehr nur unter der Bedingung einen Gewinn bringen konnte, daß das Schweizer Zinsniveau künftig fallen und die Bank sich zur Senkung des Kreditzinses bereit finden würde.

2. Der Zeuge H hat es entgegen der Auffassung des BerGer. pflichtwidrig unterlassen, den Ehemann der Kl. über dieses besondere Risiko aufzuklären. Das BerGer. entnimmt der Aussage des Zeugen H, daß dieser mit der Kl. und ihrem Ehemann die Bedeutung der weiteren Zinsentwicklung für die Rentabilität der in Aussicht genommenen Kapitalanlage erörtert hat. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor dem LG bekundet:

„Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich mit Herrn und Frau Ho besprochen habe, daß es die Möglichkeit gibt, während der Laufzeit auszusteigen, falls sich an der Zinsschere etwas ändert. Ich meine damit, daß ich Herrn und Frau Ho darauf hingewiesen habe, daß es sich bei der Zeichnung der Darlehen um einen variablen Zins handelt. Ich habe die Eheleute Ho … ausdrücklich darauf hingewiesen. Ich kann mich deshalb daran erinnern, weil ich dies im Hinblick auf die Ausstiegsmöglichkeiten erklärt habe. Ich habe ihnen erläutert, daß, falls die Darlehenszinsen steigen und die Lebensversicherungsguthabenzinsen übersteigen würden, man das Risiko dadurch begrenzen könnte, indem man aus der Lebensversicherung aussteigt. Es ist richtig, daß ich geäußert habe, falls die Zinsen fallen, schreiben wir fest.“

Ausgehend von diesen Angaben trifft das BerGer. die Feststellung, es sei dem Ehemann der Kl. bekannt gewesen, daß das Geschäft bei Fortbestand der hohen Zinsen nicht sinnvoll, sondern verlustbringend sein würde. Dabei handelt es sich um eine Schlußfolgerung, die in den Bekundungen des Zeugen keine Grundlage findet. Die Verhandlungen zwischen dem Zeugen H und dem Ehemann der Kl. bezogen sich nach den insoweit unmißverständlichen Angaben des Zeugen auf die Frage der Zinsgestaltung nach Abschluß der Verträge. Dabei wurde das Risiko (weiter) steigender Zinsen erörtert, auf das gegebenenfalls mit dem „Ausstieg“ aus dem Geschäft reagiert werden könne. Derartige Überlegungen vermögen den vom BerGer. gezogenen Schluß, die Eheleute Ho hätten bei Abschluß der Verträge gewußt, daß das Geschäft bereits auf der Grundlage des bestehenden Zinsniveaus wirtschaftlich sinnlos war, offensichtlich nicht zu rechtfertigen. Die Beweiswürdigung des BerGer. trägt deshalb die Klageabweisung nicht. Ist aber die rechtsfehlerhafte Schlußfolgerung des BerGer. unbeachtlich, so bleibt unter den gegebenen Umständen - auch bei Berücksichtigung des Parteivortrags in den Tatsacheninstanzen - kein Raum mehr für die Annahme, der Ehemann der Kl. sei über die Risiken der beabsichtigten Kapitalanlage hinreichend unterrichtet gewesen.

II. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 563 ZPO). Vielmehr sind auch die weiteren Voraussetzungen einer Haftung der Bekl. aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt, so daß der Senat, ohne daß es weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf, in der Sache selbst entscheiden kann (§ 565 III Nr. 1 ZPO).

1. Den Zeugen H trifft der Vorwurf des Verschuldens. Er mußte wissen, daß die von ihm vermittelte Kapitalanlage bei einem von der kreditgebenden Bank geforderten Anfangszinssatz von 6,5% von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Sollte ihm nicht klar gewesen sein, in welcher Weise sich das Zusammenspiel der verschiedenen Anlageelemente auf die Möglichkeit einer Gewinnerzielung auswirken konnte, so hätte er sich über diese zentrale Frage des von ihm vermittelten Geschäfts vorher informieren müssen (vgl. Senat, NJW-RR 1993, 1114 = LM H. 1-1994 § 676 BGB Nr. 44 = BGHR BGB § 676 Anlagevermittler 4 m. w. Nachw.).

2. Die Bekl. muß sich das Verschulden des Zeugen H, ihres Verhandlungsgehilfen bei der Anbahnung des Vertragsverhältnisses zwischen ihr und dem Ehemann der Kl. gem. § 278 BGB zurechnen lassen.

Zwar hatte die Bekl. mit dem Ehemann der Kl. keinen persönlichen Kontakt; vielmehr hatte sie es der früheren Streithelferin und damit den von dieser eingeschalteten Untervermittlern überlassen, die das Anlagemodell betreffenden Vertragsverhandlungen bis zur Unterschriftenreife zu führen. Sie konnte jedoch der Verantwortung für die Vertragsverhandlungen nicht durch die Einschaltung eines selbständigen Vermittlers entgehen. Auch mußte sie damit rechnen, daß dieser Vermittler nicht nur eigene Mitarbeiter, sondern selbständige Untervermittler - wie hier den Zeugen H - einsetzte. Deren Verhalten bei den Vertragsverhandlungen muß sie sich deshalb ebenfalls gem. § 278 BGB zurechnen lassen (vgl. BGH, NJW-RR 1997, 116 = LM H. 1-1997 § 278 BGB Nr. 130).

Eine solche Zurechnung scheitert nicht daran, daß das in der Kapitalanlage angelegte Risiko nicht unmittelbar die von der Bekl. angebotene Lebensversicherung als solche betraf, sondern sich aus deren Finanzierung mittels eines Bankkredits ergab. Der Senat verweist insoweit auf die rechtsfehlerfreien Feststellungen des BerGer. zum engen sachlichen Zusammenhang zwischen den getroffenen Vereinbarungen, der diese insgesamt als einheitlichen Geschäftsvorgang erscheinen ließ. Der Bekl. war das Zusammenwirken der einzelnen Elemente der Kapitalanlage und damit das Verlustrisiko auch bekannt. Wie den insoweit unangegriffenen Feststellungen des BerGer. zu entnehmen ist, wußte sie jedenfalls aufgrund eines von der früheren Streithelferin herausgegebenen Prospekts und ihrer Verhandlungen mit der Schweizer Bank, daß die ihr von der früheren Streithelferin vermittelten Kunden, also auch der Ehemann der Kl., die Lebensversicherung nicht aus vorhandenem Vermögen bezahlen, sondern ein fremdfinanziertes Anlagemodell eingehen wollten, dessen Rentabilität auf dem prospektierten Zinsgefälle zwischen der von ihr gewährten Effektivverzinsung der Versicherungsbeiträge und dem Schweizer Kreditzins beruhte (zur Frage der Zurechnung vgl. auch Senat, BGHZ 72, 92 [99] = NJW 1978, 2145).

3. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Zeugen H und dem von der Kl. geltend gemachten Schaden ist gegeben. Liegt ein Verschulden bei Vertragsschluß vor, kann der Geschädigte verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne das schuldhafte Verhalten des anderen Teils gestanden hätte. Es spricht eine Vermutung bzw. der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Ehemann der Kl., wenn er über das durch die Verlustträchtigkeit der Anlage aufgrund des hohen Anfangskreditzinssatzes begründete Risiko informiert worden wäre, die Kreditverträge und den Lebensversicherungsvertrag nicht geschlossen hätte. Dem tritt die Bekl. nicht entgegen.

4. Der geltend gemachte Anspruch ist schließlich auch der Höhe nach gerechtfertigt. Wie das BerGer. unangegriffen feststellt, beliefen sich die nach Rückführung der Kapitallebensversicherung und des Schweizer Darlehens verbliebenen Kreditschulden des Ehemanns der Kl. auf 276 598,10 DM. Diesen Betrag nebst den darauf entfallenden Zinsen kann die Kl. von der Bekl. ersetzt verlangen.

5. Ein mitwirkendes Verschulden an der Entstehung des Schadens kann dem Ehemann der Kl. nicht zur Last gelegt werden. Er brauchte aus den Angaben des Zeugen H über die mögliche künftige Zinsentwicklung und deren Einfluß auf die weitere Durchführbarkeit der Verträge nicht den Schluß zu ziehen, daß die Kapitalanlage schon bei Fortbestand des derzeitigen Zinssatzes zum Scheitern verurteilt war, zumal ihm Einzelheiten über die Rendite der Lebensversicherung nicht bekannt waren.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

BGB §§ 276, 278