Unklare Hauptforderung bei der Bürgschaft
Gericht
OLG Koblenz
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
11. 07. 1996
Aktenzeichen
5 U 1485/95
Zur Auslegung einer Bürgschaftsurkunde können auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden, wenn der Urkundeninhalt dafür hinreichende Anhaltspunkte enthält. Eine solche Auslegung ist jedoch nicht mehr möglich, wenn die Urkunde eine Höchstbetragsbürgschaft von 20000 DM zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen aus der Geschäftsverbindung zwischen zwei Parteien festlegt, zur Höhe der Hauptforderung von der klagenden Bank dann aber einmal eine verabredete Summe von 110000 DM, an anderer Stelle eine solche von 156370 DM und an anderer Stelle eine Summe von 156370 DM + 500000 DM genannt wird.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Unter dem Datum von 2. 6. 1992 unterschrieb der Kl. ein Bürgschaftsformular. Aufgrund des Textes der Urkunde verbürgte er sich der Bekl. „ohne zeitliche Beschränkung ... bis zum Betrage von 20000 DM ... zur Sicherung aller bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen der Sparkasse gegenüber dem Hauptschuldner, Firma K-GmbH ... aus ihrer Geschäftsverbindung ..." Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Bürgschaftserklärung sowie der Berechtigung der Bekl., den Kl. daraus in Anspruch zu nehmen.
Den negativen Feststellungsantrag des Kl. hat das LG mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen, das der Senat mit dem Versäumnisurteil vom 9. 5. 1996 zunächst bestätigt hat. Der Einspruch des Kl. hatte Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Der Einspruch des Kl. gegen das Versäumnisurteil des Senats sowie seine Berufung gegen das Urteil des LG sind zulässig und begründet. Aus der vom Kl. unterschriebenen Formularerklärung vom 2. 6. 1992 „Bürgschaft, Sicherung der Geschäftsverbindung“ stehen der Bekl. Ansprüche nicht zu. Seiner negativen Feststellungsklage ist daher zu entsprechen.
Die Übernahme der Bürgschaft bedurfte, da sie auf seiten des Kl. kein Handelsgeschäft war, der Schriftform des § 766 BGB. Zweck dieser Schutzvorschrift ist es, dem Bürgen Inhalt und Umfang seiner Haftung deutlich vor Augen zu führen. Genügt seine Erklärung dem nicht, so ist der Vertrag nichtig (§ 125 S. 1 BGB). Die Bürgschaftserklärung muß den Verbürgungswillen ausdrüken, die Person des Gläubigers, die des Hauptschuldners sowie die fremde Schuld, für die gebürgt werden soll, in einer zumindest individuell bestimmbaren Weise bezeichnen. Unklare oder mehrdeutige Formulierungen schaden nicht, sofern sich vorhandene Zweifel im Wege der Auslegung beheben lassen, wozu auch außerhalb der schriftlichen Erklärung liegende Umstände herangezogen werden können. Jedoch muß sich schon aus dem Urkundeninhalt selbst ein zureichender Anhaltspunkt für eine Auslegung ergeben. Bleiben trotz Auslegung Zweifel, auf welche Hauptschuld sich die Bürgschaft bezieht, geht dies zu Lasten des Gläubigers (BGH, NJW 1995, 959 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 97; NJW 1995, 1886 = LM H.9/1995 § 766 BGB Nr. 29). Haben die Parteien hinsichtlich einer formularmäßig unbeschränkt übernommenen Bürgschaft individuell vereinbart, diese zu beschränken, so kann diese Individualabrede dem Text der Formularbestimmung vorgehen. Diese Abrede kann dann wirksam sein (BGH, NJW 1994, 1656 = ZIP 1994, 697 (698)). Dies vorausgesetzt, hat der Kl. mit Unterzeichnung der Urkunde vom 2. 6. 1992 eine wirksame Bürgschaft nicht übernommen.
Die Bürgschaftserklärung gibt das zwischen den Parteien vereinbarte Rechtsgeschäft nicht zutreffend wieder. Das ist im Grundsatz außer Streit. Zu Beginn des Prozesses haben die Parteien übereinstimmend vorgetragen, die Hauptschuldnerin (Firma K - GmbH) sei „1992 faktisch zahlungsunfähig“ gewesen. Zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit seien Darlehensmittel in Höhe von 150000 DM erforderlich gewesen, wobei durch den Bruder des Kl., R, privat 40000 DM der Firma zur Verfügung hätten gestellt werden sollen. Die Bekl. sei bereit gewesen, 110000 DM als Darlehen zu geben. Dafür sei unter anderem die Absicherung durch die Bürgschaft verlangt worden. Dieser Sicherungszweck ist in der Urkunde zwar nicht aufgeführt, vielmehr soll danach die Bürgschaft zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen aus der Geschäftsverbindung übernommen werden. Dennoch sah der Senat bisher - bis zum Erlaß des Versäumnisurteils - im Hinblick auf diesen übereinstimmenden Vortrag die Bürgschaft als individuell beschränkt auf das der K-GmbH gewährte Darlehen von 110000 DM und insoweit wirksam übernommen an (BGH, NJW 1994, 1656 = ZIP 1994, 697 (698)). Davon kann nun nicht mehr ausgegangen werden.
Tatsächlich - das hat die Bekl. jetzt auf Vortrag des Kl. hin eingeräumt - war alles ganz anders. Am 2. 6. 1992, als der Kl. das Bürgschaftsformular unterschrieb, gab es noch keine Verbindlichkeit der K-GmbH. Vielmehr hatte die Bekl. einen Darlehensanspruch gegen R in Höhe von 156370,52 DM. Dieses „Privatdarlehen“ buchte die Bekl. am 23. 6. 1992 auf die K-GmbH um. Der Kl. hat unwidersprochen vorgetragen, die Verbindlichkeiten des Reinhold K gegenüber der Bekl. hätten allein auf privat bedingten Überziehungen, nicht auf der Geschäftstätigkeit der GmbH beruht. Durch die Umbuchung wurden also neue Verbindlichkeiten der GmbH „begründet“, ohne daß vorgetragen ist, daß R hierfür eine Gegenleistung erbracht hätte. Auch daß R 40000 DM zur Verfügung gestellt hätte, wird von der Bekl. nicht mehr behauptet. Am 23. 6. 1992 wurde die K-GmbH nicht mit 110000 DM, sondern mit 156370,52 DM belastet. Hinzu kam eine weitere Kreditzusage von 50000 DM. Unter diesen Umständen ist völlig unklar, für welche Forderungen der Bank gegenüber der GmbH die Bürgschaft geleistet werden sollte. Die im Prozeß zu Protokoll gegebene Erklärung, bei Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde sei nur über das von der Bekl. zu gewährende Darlehen von 110000 DM gesprochen worden, ist unter diesen Umständen nicht mehr erheblich. Tatsächlich wurde anders verfahren. Mit dem (vorprozessualen) Schreiben vom 25. 8. 1994 führt die Bekl. aus, sie habe der K-GmbH im Juni 1992 „weitere Darlehensmittel" zur Verfügung gestellt. Von 110000 DM ist dabei konkret nicht mehr die Rede. Gegen Ende des Schreibens heißt es, daß im Falle einer Kündigung der Bürgschaft sich die Haftung des Bürgen beschränke „auf die zu diesem Zeitpunkt begründeten Forderungen einschließlich etwa noch entstehender Forderungen aus bereits zugesagten Krediten oder Darlehen“. Die Freigabe der Bürgschaft könne erst erfolgen, wenn das Darlehen zurückgezahlt sei. Dieses Schreiben läßt nicht erkennen, daß sich die Bekl. an der anläßlich der Unterzeichnung geäußerten Absicht, die Bürgschaft auf das Darlehen von 110000 DM zu beschränken, festhalten ließe.
Nach alledem läßt sich aus dem Wortlaut der Urkunde, den Umständen der Unterzeichnung und dem Verhalten der Bekl. der Zweifel, auf welche Hauptschuld sich die Bürgschaft bezieht, nicht mehr beheben. Die Erklärung vom 2. 6. 1992 wahrt unter diesen Umständen nicht mehr die Form des § 766 BGB, sie ist nichtig.
Entgegen der Auffassung der Bekl. kann sich der Kl. auf den Mangel der Form berufen. Die Behauptung, ihm sei bekannt gewesen, daß es um die Regelung von privaten Verbindlichkeiten des R gegangen sei, läßt die Berufung auf den Formmangel nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform ist grundsätzlich zu beachten. Ein Formmangel kann nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Daß der Kl. hinsichtlich der Wahrung der Form einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hätte, läßt sich nicht feststellen. Im Gegenteil hat gerade die Bekl. um alle Umstände gewußt, die Formularerklärung vorbereitet, die Zweckerklärung falsch beschrieben, somit selbst die Formunwirksamkeit herbeigeführt. Treu und Glauben gebieten es unter diesen Umständen nicht, dem Kl. die Berufung auf den Formmangel zu untersagen (BGH, WM 1991, 536 (537); Palandt/Thomas, BGB, 54. Aufl., § 766 Rdnr. 3).
Letztlich ist der Einwand der Bekl. unbeachtlich, der Kl. sei der Schuld (wessen? Der GmbH oder des R?) beigetreten. Eindeutig war die Übernahme der Haftung für eine fremde, nicht die Begründung einer eigenen Verbindlichkeit gewollt. Das hat die Bekl. noch vorprozessual selbst so gesehen (Schreiben vom 25. 8. 1994). Die Umdeutung einer formunwirksamen Bürgschaft in einen formfrei wirksamen Schuldbeitritt verbietet die Schutzvorschrift des § 766 BGB.
Nach alledem ist die Bürgschaftserklärung des Kl. vom 2. 6. 1992 formunwirksam, die Bekl. kann hieraus keine Ansprüche gegen ihn herleiten. Die Berufung des Kl. hat Erfolg. Unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Senats und des angefochtenen Urteils ist der negativen Feststellungsklage zu entsprechen.
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