Verjährungsfrist für Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung der Staatsanwaltschaft

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

02. 04. 1998


Aktenzeichen

III ZR 309/96


Leitsatz des Gerichts

Die Verjährungsfrist für einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Erhebung der öffentlichen Klage beginnt im Falle der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens regelmäßig nicht vor der Rechtskraft dieser Entscheidung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl., ein Steuerberater und ein Rechtsanwalt, nehmen das bekl. Land wegen Amtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch. Die StA D. erhob am 21. 10. 1986 gegen die Kl. und einen weiteren Rechtsanwalt Anklage mit dem Vorwurf, in der Zeit vom 1. 1. 1982 bis zum 31. 3. 1985 gemeinschaftlich in 198 Fällen fortgesetzt handelnd Untreue in bezug auf Mandanten- bzw. Fremdgelder begangen zu haben. Aufgrund entsprechender Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft an die Presse berichteten am 18.-19. 11. 1986 das D-Echo und am 20. 11. 1986 die F-Zeitung über die Anklage. Die Verteidiger der Angekl. reichten unter dem 3. 2. 1987 bei der zuständigen StrK des LG eine umfangreiche Schutzschrift mit dem Antrag ein, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen. Die StrK lehnte mit Beschluß vom 4. 8. 1987 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der StA verwarf das OLG mit Beschluß vom 22. 2. 1988. Die Kl. machen geltend, die Anklageerhebung gegen sie sei unvertretbar und die damit zusammenhängenden Auskünfte der StA an die Presse seien falsch und unnötig bloßstellend gewesen. Mit Schreiben vom 5. 5. 1989 (Kl. zu 1) und vom 16. 5. 1989 (Kl. zu 2) haben die Kl. bei der StA, unter anderem gestützt auf den Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung, Entschädigungsansprüche wegen Vermögensschäden angemeldet. Der GenStA lehnte Ersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung mit Bescheiden an den Kl. zu 1 vom 16. 1. 1990 und an den Kl. zu 2 vom 26. 1. 1990 ab.

Die auf Zahlung - unter Einbeziehung von Schmerzensgeldansprüchen - von 360 000 DM nebst Zinsen an den Kl. zu 1 und auf Zahlung von 103 600 DM nebst Zinsen an den Kl. zu 2 gerichtete, am 14. 12. 1990 eingereichte und am 22. 1. 1991 zugestellte Klage hat das LG dem Grunde nach für berechtigt erklärt, das OLG hat sie auf die Berufung des bekl. Landes abgewiesen. Mit der Revision erstrebten die Kl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Grundurteils. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. 1. Das BerGer. läßt offen, ob den Kl. gegen das bekl. Land wegen Amtspflichtverletzungen der Ermittlungsbeamten der StA im Zusammenhang mit der Anklageerhebung vom 21. 10. 1986 bzw. sich hiermit befassenden Pressemitteilungen vom 18. und 20. 11. 1986 Schadensersatzansprüche erwachsen sind. Es meint, gegenüber solchen Ansprüchen greife jedenfalls die von dem bekl. Land erhobene Einrede der Verjährung durch.

Hierzu führt das BerGer. im wesentlichen aus: Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 852 I BGB) habe einen Tag nach dem 3. 2. 1987 begonnen, weil die Kl. spätestens bei Abfassung der auf ihren Vorarbeiten beruhenden Schutzschrift ihrer Verteidiger vom 3. 2. 1987 i. S. des § 852 I BGB Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen gehabt hätten. Die Kl. hätten zuvor in mühevoller Kleinarbeit bei einem Zeitaufwand von 60 bzw. 120 Stunden alle ihnen zur Last gelegten 198 Fälle der Untreue im Tatsächlichen untersucht. Dementsprechend enthalte die Schutzschrift umfangreiche tatsächliche Ausführungen, mittels derer die Kl. über ihre informierten Verteidiger insbesondere Details zu den 40 Anklagepunkten unterbreiteten, in denen ihnen - aus ihrer Sicht zu Unrecht - die Nichtauszahlung von Fremdgeldern vorgeworfen worden war. Daneben sei die Schutzschrift geprägt durch umfangreiche Rechtsausführungen zum Straftatbestand der Untreue; sie setze sich ausführlich mit einer maßgeblichen Entscheidung des BGH im Zusammenhang mit der Unterlassung der Weiterleitung von Mandantengeldern auseinander und stelle den Unterschied zwischen der Verletzung von Treueabreden und „schlichten“ Vertragsverletzungen heraus. Gerade auf diesen Unterschied und das Fehlen der erforderlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu Treueabreden im Einzelfall seien letztlich die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch die StrK und die Beschwerdeentscheidung des OLG gestützt worden. Spätestens mit der Fertigstellung der Schutzschrift ihrer Verteidiger seien daher den Kl. die Umstände bekannt gewesen, die den Gegenstand des vorliegend verfolgten Amtshaftungsanspruchs und des Verschuldensvorwurfs gegen die Beamten der StA darstellten. Die in diesem Zusammenhang vom LG vertretene Auffassung, angesichts der Schwierigkeit und Komplexität der gegen die Kl. erhobenen Vorwürfe seien diese berechtigt gewesen, bis zur rechtskräftigen Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens mit einer Klageerhebung abzuwarten, hält das BerGer. nicht für richtig. Im Hinblick darauf, daß die Kl. ihre Kanzlei- und Zahlungsabläufe gekannt und bestimmt hätten, könne nicht davon ausgegangen werden, daß die ihnen in der Anklageschrift vorgeworfenen Vorgänge für sie nicht durchschaubar gewesen seien. Das gelte nicht nur für den Kl. zu 2 als Volljuristen, sondern auch für den Kl. zu 1 als Steuerberater, der zudem nach seinem eigenen Vortrag wesentliche Vorarbeiten für die Schutzschrift geleistet, also die gegen ihn erhobenen Vorwürfe erfaßt und verarbeitet haben müsse. Spätestens über die Schutzschrift ihrer Strafverteidiger seien den Kl. die rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhänge bewußt gewesen. Ein Recht darauf, mit der Amtshaftungsklage so lange zuzuwarten, bis eine mehr oder minder risikolose Klage erhoben werden konnte, habe den Kl. nicht zugestanden. Die danach spätestens am 4. 2. 1987 in Lauf gesetzte Verjährungsfrist sei allenfalls im Hinblick auf die an die StA gerichteten Anspruchsschreiben des Kl. zu 1 vom 5. 5. 1989 und des Kl. zu 2 vom 16. 5. 1989 und die Bescheidung dieser Ansprüche durch die StA am 26. 1. bzw. 5. 2. 1990 gem. § 852 II BGB um neun Monate gehemmt gewesen, so daß die Klage spätestens am 5. 11. 1990 hätte erhoben werden müssen, mithin die Verjährungsfrist bei Eingang der Klage am 14. 12. 1990 bereits abgelaufen gewesen sei.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des BerGer. sind die Klageansprüche nicht verjährt.

a) Diese Rechtsfolge ergäbe sich ohne weiteres - unabhängig davon, ab wann die Verjährungsfrist hier zu laufen begann -, wenn auf den vorliegenden Sachverhalt die Grundsätze anwendbar wären, die der Senat zur verjährungsunterbrechenden Wirkung der Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz entwickelt hat (vgl. BGHZ 95, 238 [242 f.] = NJW 1985, 2324 = LM § 209 BGB Nr. 55; BGHZ 97, 97 [109 ff.] = NJW 1986, 2309 = LM § 852 BGB Nr. 88; BGHZ 103, 242 [246 f.] = NJW 1988, 1776 = LM § 209 BGB Nr. 60; BGH, NJW 1995, 2778 f. = LM H. 2-1996 § 839 [Fl] BGB Nr. 15). Der Grundgedanke dieser Rechtsprechung geht dahin, daß durch den Gebrauch eines Rechtsbehelfs gegen amtspflichtwidriges Verhalten der öffentlichen Hand entsprechend § 209 I BGB die Verjährung des Amtshaftungsanspruchs unterbrochen wird. Entsprechend dem heute allgemein anerkannten grundsätzlichen Vorrang des Primärrechtsschutzes vor dem Sekundärrechtsschutz ist es sachgerecht oder doch zumindest naheliegend, wenn der Betroffene, ehe er Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung geltend macht, sich zunächst gegen das beanstandete Verwaltungshandeln selbst wendet und versucht, im Wege des primären Rechtsschutzes Abhilfe zu erreichen. Da die öffentliche Hand in diesen Fällen ohnehin damit rechnen muß, daß der Geschädigte nach erfolglosem - und erst recht nach erfolgreichem - verwaltungsgerichtlichen Vorgehen auch noch Amtshaftungsansprüche erhebt, erscheint es gerechtfertigt, der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes verjährungsunterbrechende Wirkung auch für die Geltendmachung des zivilrechtlichen Amtshaftungsanspruchs zuzuerkennen (vgl. etwa Senat, NJW 1995, 2778 = LM H. 2-1996 § 839 [Fl] BGB Nr. 15).

Indessen war ein damit vergleichbarer Vorgang im Streitfall nicht gegeben. Mit der nach der Zustellung der Anklageschrift im Verfahren über die Eröffnung des Hauptverfahrens bei der StrK eingereichten Schutzschrift vom 3. 2. 1987 und dem Antrag, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, haben die Kl. keinen Rechtsbehelf gegen die Anklageschrift als solche oder gegen mit ihr zusammenhängende Pflichtverletzungen von Bediensteten der Staatsanwaltschaft eingelegt, sondern lediglich ihr Recht wahrgenommen, auf die gerichtliche Entscheidung über den weiteren Fortgang des strafrechtlichen Verfahrens in ihrem Sinne Einfluß zu nehmen. Die von den Kl. behaupteten und auf die Erhebung der Anklage gegen sie und deren Bekanntgabe gegenüber der Presse zurückgeführten Schäden ließen sich hierdurch auch nicht beseitigen. Dies schließt nicht aus, daß, soweit es um die Abwehr zukünftiger Beeinträchtigungen durch die weitere Durchführung des Strafverfahrens geht, in dem Verteidigungsvorbringen des Angeschuldigten-Angekl. ein nach § 839 III BGB gebotenes „Rechtsmittel“ liegen kann.

b) Die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 I BGB beginnt, sobald der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Bei Ansprüchen aus § 839 BGB kann also die Verjährung erst beginnen, wenn der Geschädigte weiß, daß die in Rede stehende Amtshandlung widerrechtlich und schuldhaft war und deshalb eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung darstellt. Soweit es um Amtspflichtverletzungen bei bestimmten Maßnahmen der StA geht, die, wie unter anderem die Entschließung über die Erhebung der öffentlichen Klage - nicht dagegen für sich genommen die Presseinformation (vgl. Senat, NJW 1994, 1950 = LM H. 8-1994 § 839 [Ca] BGB Nr. 95 = WM 1994, 992 [994]) -, im Amtshaftungsprozeß nicht auf ihre „Richtigkeit“, sondern nur daraufhin zu überprüfen sind, ob sie vertretbar sind (vgl. nur Senat, NJW 1989, 96 f. = LM Art. 34 GrundG Nr. 156; NJW 1998, 751 f.), muß das notwendige Wissen des Geschädigten darüber hinaus die „Unvertretbarkeit“ der Maßnahme umfassen. Es genügt allerdings im allgemeinen, daß der Verletzte die tatsächlichen Umstände kennt, die eine schuldhafte Amtspflichtverletzung - gegebenenfalls im Sinne einer „unvertretbaren“ staatsanwaltschaftlichen Maßnahme - als naheliegend, mithin eine Amtshaftungsklage - sei es auch nur als Feststellungsklage - als so aussichtsreich erscheinen lassen, daß dem Verletzten die Erhebung der Klage zugemutet werden kann (vgl. BGHZ 122, 317 [325] = NJW 1993, 2303 = LM H. 10-1993 § 839 [Cb] BGB Nr. 84; BGH, NJW 1994, 3162 [3164] = LM H. 8-1994 § 839 [Ca] BGB Nr. 94). Dagegen setzt § 852 I BGB aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nicht voraus, daß der Geschädigte aus ihm bekannten Tatsachen auch die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Allerdings kann Rechtsunkenntnis im Einzelfall bei unsicherer oder zweifelhafter Rechtslage den Verjährungsbeginn hinausschieben (Senat, NJW 1994, 3162 = LM H. 8-1994 § 839 [Ca] BGB Nr. 94).

aa) Das BerGer. ist der Auffassung, aus den von ihm angeführten Gründen, insbesondere wegen der ausführlichen Vorarbeiten der Kl. für die Schutzschrift ihrer Verteidiger, seien ihnen sämtliche Umstände bekannt gewesen, die - nach ihrem Vortrag - die Grundlage für eine Amtshaftungsklage gegen das bekl. Land darstellten. Allerdings enthält das Berufungsurteil keine (ausdrücklichen) Feststellungen dazu, daß die Kenntnis der Kl. auch die mit der vorliegenden Klage geltend gemachte „Unvertretbarkeit“ der Anklageerhebung vom 21. 10. 1986 umfaßte. Dies mag indessen nach dem Zusammenhang der Ausführungen des BerGer. schon dem Hinweis darauf zu entnehmen sein, daß die Kl. ihre Verteidiger in der Schutzschrift vom 3. 2. 1987 - letztlich erfolgreich - vortragen ließen, der Anklagevorwurf der Untreue (§ 266 StGB) sei gemessen an der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, NStZ 1986, 361) bereits unschlüssig.

bb) Selbst wenn man danach davon ausgeht, daß die Kl. zum Zeitpunkt der Herausgabe der Schutzschrift ihrer Verteidiger von der Rechtswidrigkeit („Unvertretbarkeit“) der gegen sie erhobenen Anklage und auch von einem Verschulden der tätig gewordenen Amtsträger subjektiv überzeugt waren und für diese Überzeugung aus ihrer Sicht auch hinreichende Gründe gegeben waren, muß darin noch nicht die nach § 852 I BGB maßgebliche, für eine zumutbare Klageerhebung hinreichende Kenntnis gelegen haben, wie das BerGer. - im Grunde wie selbstverständlich - annimmt.

Die Frage, wann eine für die Ingangsetzung der Verjährung hinreichende Kenntnis vorhanden ist, ist nicht ausschließlich eine in die Zuständigkeit des Tatrichters fallende Tatfrage, sondern wird maßgeblich durch den der Beurteilung des RevGer. unterliegenden Rechtsbegriff der Zumutbarkeit geprägt (BGHZ 122, 317 [326] = NJW 1993, 2303 = LM H. 10-1993 § 839 [Cb] BGB Nr. 84; Senat, NJW 1994, 3162 = LM H. 8-1994 § 839 [Ca] BGB Nr. 94). Für den Fall, daß der Verletzte einen Verwaltungsakt, in dessen Erlaß er eine Amtspflichtverletzung erblickt, mit Rechtsbehelfen des Verwaltungsrechts bekämpft, hat der Senat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, daß die Verjährungsfrist des § 852 BGB nicht ohne weiteres ab Beginn dieses Ankämpfens läuft, es sich vielmehr auch bei Einleitung eines solchen Verfahrens nur von Fall zu Fall beurteilen läßt, von welchem Augenblick an der Verletzte die Erkenntnis für „genügend gesichert“ halten mußte, daß das Verhalten der Behörde sowohl widerrechtlich als auch schuldhaft war (vgl. nur BGH, NJW 1960, 1811 [L] = LM § 852 BGB Nr. 14; VersR 1963, 1175; in diesem Sinne schon RGZ 168, 214 [222]). Diese Rechtsprechung ist zwar seit BGHZ 95, 238 = NJW 1985, 2324 = LM § 209 BGB Nr. 55, insoweit überholt, als der BGH seither den Standpunkt vertritt, daß Widerspruch und verwaltungsrechtliche Klage gegen einen amtspflichtwidrig erlassenen Verwaltungsakt die Verjährung des Amtshaftungsanspruchs, der aus der angefochtenen Maßnahme abgeleitet wird, unterbrechen. Dadurch hat aber die frühere Rechtsprechung, was Art und Umfang der für eine zumutbare Klageerhebung hinreichenden Kenntnisse des Geschädigten angeht, ihre Bedeutung nicht verloren. In neueren Entscheidungen hat der BGH die Zumutbarkeit, eine Schadensersatzklage wegen Amtspflichtverletzung zu erheben, beispielsweise verneint bei einem Anspruch, der aus dem Erlaß eines rechtswidrigen (positiven) Bauvorbescheides hergeleitet wurde, solange der Ast. ein verwaltungsgerichtliches Verfahren mit dem Ziel führte, die Erteilung einer dem Vorbescheid entsprechenden Baugenehmigung zu erwirken (BGHZ 122, 317 [325 f.] = NJW 1993, 2303 = LM H. 10-1993 § 839 [Cb] BGB Nr. 84); außerdem in einem Fall, in dem der Betroffene bestimmter Maßnahmen, die die Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen Bestimmungen der Handwerksordnung getroffen hatte, die Amtshaftungsklage erst nach Abschluß des gerichtlichen Verfahrens über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid erhob (BGH, NJW 1994, 3162 = LM H. 8-1994 § 839 [Ca] BGB Nr. 94). In letzterem Urteil hat der Senat ausgeführt: Angesichts der dargelegten Schwierigkeiten der Beurteilung der maßgeblichen handwerksrechtlichen Fragen sei die Rechtslage, was die Legalität oder Illegalität des Gewerbebetriebs des (dortigen) Kl. anging, damit aber auch, was die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Verwaltungsbehörde gegen ihn betraf, so zweifelhaft gewesen, daß der Kl. bei verständiger Würdigung keinen Anlaß gehabt habe, über seine Verteidigung gegen die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe durch den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid hinaus - parallel dazu in einem anderen gerichtlichen Verfahren - seinerseits die Verwaltungsbehörde, die gegen ihn vorging, mit dem Vorwurf schuldhafter Amtspflichtverletzungen auf Schadensersatz zu verklagen.

cc) In den Fällen, in denen sich - wie hier - der Vorwurf der Amtspflichtverletzung gegen die Erhebung der öffentlichen Klage (und die anschließende Verlautbarung wesentlicher Teile der Anklageschrift an die Presse) durch die StA richtet, ist nach Auffassung des Senats die erforderliche „Kenntnis“ des Verletzten davon, daß die in Rede stehende Amtshandlung widerrechtlich und schuldhaft war, regelmäßig jedenfalls nicht vor der rechtskräftigen Entscheidung des für die Hauptverhandlung im Strafverfahren zuständigen Gerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 199 I , 204 StPO) anzunehmen, weil die Erkenntnisse und Einschätzungen des Verletzten (Angeschuldigten) in Richtung auf Amtspflichtverletzungen der Anklagebehörde ihm gegenüber zumindest bis zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht genügend gesichert erscheinen und ihm daher die Erhebung der Amtshaftungsklage bereits im Stadium des strafprozessualen Zwischenverfahrens nicht zumutbar ist.

Bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht eine vorläufige Tatbewertung vorzunehmen, zu der abgesehen von einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen der Tat insbesondere auch die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Anklage als Prozeßvoraussetzung und eine rechtliche Beurteilung der Straftat, also eine „Schlüssigkeitsprüfung“, gehören (vgl. Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 34. Aufl., § 203 Rdnrn. 15, 16; Julius, in: Heidelberger Komm. StPO, § 203 Rdnr. 3). Diese gerichtliche Vorprüfung ergibt zugleich - amtshaftungsrechtlich gesehen - im Streit zwischen der Anklagebehörde und dem Angeschuldigten eine erste objektiv-neutrale Einschätzung der Berechtigung der Anklage, die einerseits dem Angeschuldigten und künftigen Anspruchsteller einen gewissen „Abstand“ von seinem bisherigen Verteidigungsvorbringen zu verschaffen vermag, andererseits - im Falle der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens - geeignet sein kann, die bisherige Überzeugung des Betroffenen von der Amtspflichtwidrigkeit der Anklage so weit zu objektivieren - wenn nicht zu bestätigen -, daß er den Amtshaftungsvorwurf (erstmals) als hinreichend gesichert und die Amtshaftungsklage als genügend aussichtsreich ansehen kann. Dieses Verständnis liegt auch im Interesse der Rechtspflege. Es ist in Fällen der vorliegenden Art sowohl für den Angeschuldigten als auch für die StA unerwünscht, daß das Strafverfahren mit einem zivilrechtlichen Parallelprozeß belastet wird. Der Amtshaftungsprozeß käme im übrigen häufig nach der Klageerhebung - auch soweit eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht in Betracht kommen sollte - praktisch wieder zum Stillstand.

Die Folgerung, daß dem Verletzten das Betreiben eines Schadensersatzprozesses parallel zu dem gegen ihn gerichteten Strafprozeß jedenfalls im Stadium des Zwischenverfahrens bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens regelmäßig nicht zumutbar ist, stellt den von der Revisionserwiderung herausgestellten allgemeinen Grundsatz, daß der Geschädigte einer unerlaubten Handlung - von Sonderfällen abgesehen - keinen Anspruch darauf hat, erst den Ausgang eines Vor- oder Parallelprozesses abzuwarten (BGH, VersR 1975, 520 f.), nicht in Frage. Es besteht auch kein Widerspruch zu dem Senatsbeschluß vom 29. 10. 1987 (BGHRB § 852 I Fristbeginn 2). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um Ersatzansprüche wegen amtspflichtwidriger Maßnahmen der StA im Ermittlungsverfahren und wegen Schäden, die in diesem Verfahrensstadium - nicht durch die spätere Anklageerhebung - entstanden waren.

dd) Lehnt das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab und legt die StA hiergegen Beschwerde ein, so ist im Sinne der vorstehenden Ausführungen die Rechtskraft der ablehnenden Entscheidung maßgeblich; unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Erhebung einer Amtshaftungsklage kann nicht eine Zäsur zwischen der erstinstanzlichen Entscheidung über die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens und der Entscheidung des BerGer. hierüber gemacht werden.

c) Mithin hat im Streitfall die Verjährungsfrist nach § 852 I BGB nicht vor der Bekanntgabe des die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens bestätigenden Beschwerdebeschlusses des OLG vom 22. 2. 1988 zu laufen begonnen. Die dreijährige Verjährungsfrist ist also durch die am 14. 12. 1990 eingereichte Klage unterbrochen worden.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht

Normen

BGB § 852