Risikoaufklärung bei Jedermann-Bürgschaft auf erstes Anfordern und Urkundenbeweis durch Beiziehung von Akten
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
02. 04. 1998
Aktenzeichen
IX ZR 79/97
Außerhalb des Geltungsbereichs des AGB-Gesetzes gestattet die Vertragsfreiheit es grundsätzlich jedermann, Bürgschaften auf erstes Anfordern zu erteilen (Abgrenzung z. Senat, NJW-RR 1990, 1265 = LM § 675 BGB Nr. 71 = ZIP 1990, 1186).
Ist für den Gläubiger erkennbar, daß der Erklärende mit dem Rechtsinstitut einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht hinreichend vertraut ist, hat er seinen Vertragspartner umfassend über deren Rechtsfolgen zu belehren; bei Verletzung der Hinweispflicht haftet der Schuldner nur aus einer gewöhnlichen Bürgschaft.
Bezeichnet eine Partei hinreichend konkret, welche Urkunden sie für erheblich hält, kann der Urkundenbeweis auch durch Antrag auf Beiziehung von Akten geführt werden, die dem erkennenden Gericht - nicht notwendig demselben Spruchkörper - bereits vorliegen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Am 16. 12. 1992 erteilte die E-Bau GmbH der Kl. den Auftrag zum Abbruch von zwei Brückenbauwerken. Die Kl. sollte dafür eine Bruttovergütung von 395 272,20 DM erhalten. Die Geltung der VOB-B wurde vereinbart. Die Auftragsbestätigung sah eine Sicherheitsleistung durch eine „unbefristete und ohne Einrede behaftete“ Bankbürgschaft in der Höhe von 100 000 DM zugunsten der Kl. vor. Am 27. 1. 1993 übernahm die Bekl. auf einem für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften vorgesehenen Formular, welches die Kl. als Auftraggeber, die E-GmbH als Auftragnehmer bezeichnet, zugunsten der Kl. eine Bürgschaft, deren vorgedruckter Text u. a. wie folgt lautet: „… Gemäß den Besonderen Vertragsbedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer als Sicherheit für die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag - insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich der Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz - und für die Erstattung von Überzahlungen dem Auftraggeber eine Bürgschaft in Höhe von … v. H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge zu stellen … (Es folgen Name und Anschrift des Bürgen [= Bekl.].) Der vorgenannte Bürge übernimmt hiermit für den Auftragnehmer die selbstschuldnerische Bürgschaft nach deutschem Recht und verpflichtet sich, auf erstes Anfordern jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 395 272,20 DM an den Auftraggeber zu zahlen.“ Der Bauvertrag wurde vorzeitig gekündigt. In einem derzeit anhängigen Rechtsstreit verlangt die E-Bau GmbH von der Kl. 276 115,17 DM Schadens- und Aufwendungsersatz, die Kl. macht dort im Wege der Widerklage 178 777,81 DM gemäß ihrer Schlußrechnung vom 12. 12. 1994 geltend.
In Höhe dieses Betrags nimmt die Kl. die Bekl. im Urkundenprozeß aus der Bürgschaft in Anspruch. Das LG hat der Klage unter Vorbehalt der Rechte im Nachverfahren stattgegeben. Das BerGer. hat die Klage als im Urkundenprozeß unstatthaft abgewiesen. Die Revision der Kl. war erfolgreich.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Zwar ergebe sich mittels einer auch im Urkundenprozeß zulässigen Auslegung, daß die Bürgschaft der Bekl. die Werklohnforderung der Kl. sichern solle.
Die Verwechslung von Auftragnehmer und Auftraggeber im schriftlichen Vertrag brauche nicht durch Urkunden bewiesen zu werden, weil sie unstreitig sei. Die Kl. berühme sich jedoch keines Werklohnanspruchs; denn sie habe nichts dazu vorgetragen, sondern sich auf den Standpunkt gestellt, daß es dazu keiner weiteren Angaben bedürfe, weil die Bekl. eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erteilt habe. Dies sei indessen nicht zutreffend. Eine Bürgschaft auf erstes Anfordern sei außerhalb des dafür typischen Verwendungsbereichs, der den Banken und Versicherungsgesellschaften vorbehalten bleibe, als einfache Bürgschaft anzusehen. Dies gelte selbst dann, wenn die Haftungserklärung, wie im Streitfall, auf einem vom Bürgen verwendeten Formular abgegeben worden sei; denn die Kl. habe nicht davon ausgehen dürfen, daß ihr eine weitergehende Bürgschaft erteilt werde. Die Kl. habe weder die Fälligkeit ihrer Teilwerklohnforderung noch die Begründetheit ihrer Schadensersatzansprüche durch Urkunden belegt.
II. Diese Erwägungen halten in wesentlichen Punkten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das BerGer. geht zutreffend davon aus, daß die Bekl. der Kl. wirksam eine Bürgschaft erteilt hat und dies in einer den Anforderungen des § 592 ZPO genügenden Weise durch Vorlage der Urkunde belegt worden ist. Unstreitig haben die Parteien vereinbart, daß die Bekl. für die Forderung der Kl. gegen die E-Bau GmbH aus dem Vertrag vom 16. 12. 1992 einstehen soll. Im Hinblick darauf stellt die Urkunde vom 27. 1. 1993, die die Personen des Bürgen, des Gläubigers und des Hauptschuldners sowie eine genau dem vereinbarten Werklohn entsprechende Haftungssumme nennt, ein für den Inhalt der getroffenen Vereinbarung taugliches Beweismittel dar. Der auf den ersten Blick irreführende Wortlaut wird ohne weiteres daraus verständlich, daß ein für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften, also die Sicherung von Ansprüchen des Auftraggebers, vorgesehenes Formular verwendet wurde, die Verpflichtung der Bekl. sich jedoch auf eine Werklohnforderung des Auftragnehmers bezog.
2. Zu Recht wendet sich die Revision aber dagegen, wie das BerGer. den Inhalt der Bürgschaftserklärung ausgelegt hat.
a) Die Bekl. hat sich in der Urkunde verpflichtet, jeden Betrag bis zu der vereinbarten Gesamthöhe auf erstes Anfordern zu zahlen. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern wird in erster Linie im bankgeschäftlichen Verkehr verwendet. Eine solche Verpflichtung hat regelmäßig zur Folge, daß der Bürge sofort zahlen muß und alle Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art grundsätzlich auf den Rückforderungsprozeß verlagert werden (st. Rspr.: vgl. Senat, NJW 1994, 380 [381] = LM H. 4-1994 § 765 BGB Nr. 88; BGH, NJW 1997, 255 = LM H. 2-1997 § 765 BGB Nr. 111 = ZIP 1996, 2062 [2063]; BGH, NJW 1997, 1435 = LM H. 6-1997 § 765 BGB Nr. 115 = ZIP 1997, 582 [583]).
b) Der Gläubiger darf eine Bürgschaft mit diesem Wortlaut allerdings nur dann in dem beschriebenen Sinne verstehen, wenn er davon ausgehen kann, dem Bürgen sei der Inhalt einer solchen Abrede bekannt, er wisse, worauf er sich mit dieser Erklärung einlasse, daß er sich nämlich auf diese Weise nahezu aller Einwendungen begebe, die dem Bürgen von Gesetzes wegen zustehen (BGH, NJW 1992, 1446 [1447] = LM H. 8-1992 § 765 BGB Nr. 81). Personen, die über keine Erfahrungen im Bankgeschäft verfügen und auch nicht aufgrund ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit mit diesem Rechtsinstitut vertraut sind, kennen die Wirkungen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern gewöhnlich nicht. Hat der Gläubiger den Bürgschaftstext gewählt und durfte er nicht voraussetzen, sein Vertragspartner werde den Begriff der Bürgschaft auf erstes Anfordern im banküblichen Sinne verstehen, ist der Vertrag demzufolge als einfache Bürgschaft auszulegen (BGH, NJW 1992, 1446 [1447] = LM H. 8-1992 § 765 BGB Nr. 81). Hier hat jedoch die Bürgin die Verpflichtung auf einem von ihr gewählten Formular (vgl. unten 3 a) übernommen.
c) Das BerGer. hat weiter nicht beachtet, daß gerade im Baugewerbe häufig vereinbart wird, Sicherheit durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu leisten (vgl. BGH, NJW 1997, 2598 [2599]; Ingenstau-Korbion, VOB, 13. Aufl., B § 17 Rdnrn. 45 bis 50 m. w. Nachw.). Die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Bürgschaft auf erstes Anfordern betrifft überwiegend Erklärungen, die aufgrund einer bauvertraglichen Verpflichtung des Hauptschuldners, eine entsprechende Sicherheit beizubringen, abgegeben wurden (vgl. seit 1985 Senat, NJW 1985, 1694 = LM § 765 BGB Nr. 39 = ZIP 1985, 470; BGHZ 95, 375 = NJW 1986, 310 = LM § 638 BGB Nr. 56; BGH, NJW-RR 1987, 683 = LM § 765 BGB Nr. 48 = ZIP 1987, 566; BGH, NJW 1987, 2075 = LM § 401 BGB Nr. 11 = ZIP 1987, 624; BGH, NJW 1988, 2610 = LM § 765 BGB Nr. 58; BGH, NJW 1989, 1606 = LM § 282 ZPO Nr. 65; BGH, NJW 1992, 1881 = LM H. 8-1992 § 765 BGB Nr. 80 = ZIP 1992, 466; BGH, NJW 1994, 380 = LM H. 4-1994 § 765 BGB Nr. 88; BGH, ZIP 1996, 172; BGH, NJW 1997, 255 = LM H. 2-1997 § 765 BGB Nr. 111 = ZIP 1996, 2062). Die Kl. hat auch hier eine solche Haftung verlangt; denn der in der Auftragsbestätigung verwendete Begriff der „einredefreien“ Bürgschaft meint nichts anderes.
Die Bekl. ist eine Verpflichtung mit dem für Bürgschaften auf erstes Anfordern typischen Wortlaut eingegangen und hat sich dazu eines ihr zur Verfügung stehenden Formulars bedient. Dessen Kopfzeile zeigt, daß es für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften vorgesehen ist. Solche Bürgschaften werden vornehmlich im Bauvertragsrecht hingegeben. Demgemäß hat die Bekl. nicht einmal behauptet, ihr sei die Bedeutung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern unbekannt gewesen oder sie habe aufgrund bestimmter Tatsachen im Streitfall angenommen, nur eine Verpflichtung mit dem gesetzlichen Inhalt einzugehen.
d) Die Auslegung des BerGer., die dies alles nicht berücksichtigt hat, ist daher rechtsfehlerhaft. Da eine weitere Tatsachenaufklärung nicht in Betracht kommt, kann der Senat den Vertrag selbst auslegen. Aus den dargelegten Gründen folgt, daß die Bekl. hier eine Bürgschaft auf erstes Anfordern übernommen hat.
3. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist wirksam erteilt worden.
a) Die Erklärung der Bekl. ist nicht nach den Vorschriften des AGB-Gesetzes zu beurteilen; denn dieses Gesetz erfaßt nur vorformulierte Vertragsbedingungen, die von der anderen Partei bei Vertragsschluß gestellt wurden (§ 1 I 1 AGBG). Die Verwendung der Klausel muß dem Verantwortungsbereich des Gegners zuzurechnen, die Einbeziehung also auf dessen Veranlassung erfolgt sein (Ulmer-Brandner-Hensen, AGBG, 8. Aufl. § 1 Rdnrn. 26 f.). Das ist im Streitfall nicht geschehen; die Bekl. hat die Behauptung der Kl., das Formular sei von der Bekl. gestellt worden, nicht bestritten. Die Darstellung der Revisionserwiderung, die Bekl. habe die Behauptung der Kl. mit Nichtwissen bestritten, findet in dem von ihr herangezogenen Verhandlungsprotokoll vom 13. 2. 1997 keine Stütze. Die Bekl. kann sich daher nicht auf die Vorschriften des AGB-Gesetzes berufen. Dieses schützt den Klauselverwender nicht vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen (BGHZ 99, 160 [161] = NJW 1987, 837 = LM § 9 [A] AGBG Nr. 2).
b) Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist es grundsätzlich jedermann gestattet, eine Bürgschaft auf erstes Anfordern im Einzelfall zu erteilen (Senat, NJW 1997, 1435 = LM H. 6-1997 § 765 BGB Nr. 115 = ZIP 1997, 582 [583]). Dem Senatsurteil vom 5. 7. 1990 (BGH, NJW-RR 1990, 1265 = LM § 765 BGB Nr. 71 = ZIP 1990, 1186) lag ein Fall zugrunde, in dem ein Nichtkaufmann eine entsprechende Verpflichtung formularmäßig erklärt hatte. Die im Leitsatz jenes Urteils enthaltene Aussage, wonach Bürgschaften mit der Verpflichtung auf erstes Anfordern den Kreditinstituten vorbehalten seien, geht zu weit. Sie ist, wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (Senat, NJW 1992, 1446 [1447] = LM H. 8-1992 § 765 BGB Nr. 81; Senat, NJW 1997, 1435 = LM H. 6-1997 § 765 BGB Nr. 115 = ZIP 197, 582), auf Verträge, deren Bestimmungen nicht dem AGB-Gesetz unterliegen, nicht anzuwenden. Dort ist der Schutz von Personen, die mit dem Inhalt und den Rechtsfolgen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht hinreichend vertraut sind, durch eine interessengerechte Auslegung der Willenserklärungen sowie dadurch zu verwirklichen, daß den geschäftskundigen Teil besondere Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen, wenn derjenige, der eine solche Verpflichtung übernehmen soll, nach Treu und Glauben eine Belehrung erwarten darf, durch die ihm der Unterschied zur gesetzlichen Bürgschaft sowie die daraus folgenden Risiken deutlich vor Augen geführt werden. Bei Verletzung der Hinweispflicht kommt nur ein gewöhnlicher Bürgschaftsvertrag zustande. Dasselbe ist in der Regel anzunehmen, wenn beiden Vertragsparteien die notwendige Rechtskenntnis gefehlt hat.
c) Im Streitfall bedurfte die Bekl. eines solchen Schutzes jedoch nicht. Beide Parteien sind Kaufleute und geschäftlich ständig im Bauwesen tätig. Die mit der Bürgin eng verbundene Hauptschuldnerin hatte einen ihr erteilten Auftrag an die Kl. als Subunternehmerin weitergegeben. Da im Baugewerbe häufig Sicherheitsleistungen durch Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinbart werden und die Kl. keine Veranlassung hatte anzunehmen, der Bekl. sei dieses Rechtsinstitut nicht hinreichend vertraut, war sie insoweit zu keiner Aufklärung verpflichtet. Die Kl. hat daher nicht gegen ihr obliegende Nebenpflichten verstoßen.
d) Der Bürgschaftsvertrag ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Allerdings betrifft die Regelung des § 17 VOB-B nur die Sicherstellung des Auftraggebers. Daraus ist jedoch nicht zu entnehmen, daß eine Sicherheitsleistung zugunsten des Auftragnehmern ausgeschlossen werden sollte (Ingenstau-Korbion, B § 17 Rdnr. 8; Heiermann-Riedel-Rusam, VOB, 8. Aufl., B § 17 Rdnr. 1). Vielmehr hat der Gesetzgeber das grundsätzliche Sicherungsbedürfnis des Unternehmers durch die Einführung des § 648 a BGB in besonderem Maße anerkannt. Diese Bestimmung sieht vor, daß der Unternehmer für seinen Vergütungsanspruch Sicherheit verlangen darf und diese auch durch eine Garantie oder ein sonstiges Zahlungsversprechen geleistet werden kann. Ob die von den Parteien getroffene Vereinbarung der in dieser Vorschrift enthaltenen Regelung entspricht, kann dahingestellt bleiben, weil die Bestimmung erst seit dem 1. 5. 1993 in Kraft ist. Der Gesetzgeber hat, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (BT-Dr 12-1836, S. 11; BT-Dr 12-4526, S. 12), die Anwendung der Neuregelung auf vor diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge nicht vorgesehen (Soergel, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 648 a Rdnr. 46; Hütter, BauR 1993, 670).
4. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Bekl. aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern sind gegeben.
a) Das BerGer. hat die Verpflichtung der Bekl. in dem Sinne ausgelegt, daß sie nur die Werklohnforderung der Kl. deckt. Das läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision auch hingenommen. Die Bekl. hat geltend gemacht, die Klagesumme betreffe nur in Höhe von 64 119,96 DM die Vergütung; im übrigen gründe sie sich auf einen angeblichen Schadensersatzanspruch. Dieser Einwand ist schon im Erstprozeß zu beachten, weil er sich dagegen richtet, daß die geltend gemachte Forderung zu den Ansprüchen gehört, die durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern gesichert sind (Senat, NJW 1996, 717 = LM H. 5-1996 § 765 BGB Nr. 103 = ZIP 1996, 172). Jedoch ergibt der Inhalt der Widerklage des Hauptprozesses und der ihr zugrundeliegenden Schlußrechnung vom 12. 12. 1994, daß die Kl. dort ausschließlich den Werklohn für ihre Leistungen verlangt. Diese Urkunde befindet sich zwar nur in den Akten des Hauptprozesses, darf aber gleichwohl auch im hier anhängigen Rechtsstreit verwertet werden. Im Urkundenprozeß kann der Urkundenbeweis nur durch Vorlegung der Urkunde angetreten werden (§ 595 III ZPO). Daher ist ein Beweis durch den Antrag, Akten bei öffentlichen Behörden zu erheben, nicht zulässig (Senat, NJW 1994, 3295 [3296] = LM H. 12-1994 § 675 BGB Nr. 205 insoweit nicht in BGHZ 126, 217 abgedr.). Dagegen kann der Beweis durch Urkunden, die dem Gericht - nicht notwendig demselben Spruchkörper - schon zur Verfügung stehen, geführt werden, weil dies mit dem Beschleunigungsgrundsatz des Urkundenprozesses vereinbar ist (RGZ 8, 42 [45]; OLG Karlsruhe, Justiz 1968, 260; Stein-Jonas-Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 595 Rdnr. 3; Teske, JZ 1995, 473). Beide Rechtsstreitigkeiten wurden vor dem LG Dresden ausgetragen. Die Akten des Bauprozesses waren in den Tatsacheninstanzen jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
b) Die Kl. braucht ihre Werklohnforderung nicht schlüssig darzulegen. Für die Inanspruchnahme des Bürgen genügt es, daß der Gläubiger die Bürgenleistung vertragsgemäß angefordert hat und behauptet, seine Forderung sei fällig (Senat, NJW 1994, 380 [381] = LM H. 4-1994 § 765 BGB Nr. 88; BGH NJW 1997, 255 = LM H. 2-1997 § 765 BGB Nr. 111 = ZIP 1996, 2062). Die Bürgschaftsurkunde verlangt nicht mehr als die Aufforderung zur Zahlung. Das ist unstreitig mit Schriftsatz vom 26. 9. 1995 geschehen. Darin lag zugleich die Behauptung, daß die Forderung fällig geworden ist.
c) Der Bürge kann sich im Erstprozeß auf die materielle Unbegründetheit der Anforderung nur dann berufen, wenn klar auf der Hand liegt, daß der Gläubiger eine formale Rechtsstellung mißbraucht (Senat, NJW 1994, 380 [381] = LM H. 4-1994 § 765 BGB Nr. 88; BGH, NJW 1997, 255 = LM H. 2-1997 § 765 BGB Nr. 111 = ZIP 1996, 2062 [2064]). Das trifft hier schon nach dem Vorbringen der Bekl. nicht zu. Im Hauptprozeß ist über die Behauptung der Parteien Beweis erhoben worden und bisher noch kein Urteil ergangen. Der Richter des Bürgschaftsprozesses hat das Ergebnis der Beweisaufnahme im Hauptprozeß nicht daraufhin zu würdigen, ob es geeignet ist, einen Erfolg der Hauptsacheklage des Gläubigers auszuschließen.
III. Da eine weitere Tatsachenaufklärung nicht in Betracht kommt, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 565 III Nr. 1 ZPO) und das erstinstanzliche Urteil, einschließlich des Ausspruchs über den Vorbehalt der Rechte, wiederherzustellen. Hinsichtlich eines eventuellen Nachverfahrens wird auf das Senatsurteil vom 28. 10. 1993 (Senat, NJW 1994, 380 [382] = LM H. 4-1994 § 765 BGB Nr. 88) hingewiesen.
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