Disagioerstattungsanspruch bei Annuitätendarlehen
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
27. 01. 1998
Aktenzeichen
XI ZR 158/97
Zur Berechnung der Disagioerstattung bei vorzeitiger Beendigung eines Annuitätendarlehens.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Höhe des von der Bekl. zu erstattenden Disagios und der herauszugebenden Nutzungen. Der Kl. - Professor für Mathematik - und seine Ehefrau nahmen im Jahre 1974 bei der Bekl. ein Annuitätendarlehen mit einer Laufzeit von ca. 30 Jahren über 75 000 DM zu jährlich 7,5% Zinsen auf. Die Kreditnehmer hatten halbjährige Zins- und Tilgungsraten zu leisten. Bei Auszahlung der Valuta behielt die Bekl. das vereinbarte Disagio von 6,75% mit 5062,50 DM vertragsgemäß ein. Ende 1977 übten die Darlehensnehmer das eingeräumte Kündigungsrecht mit Wirkung zum 30. 6. 1978 aus und zahlten den von der Bekl. verlangten Betrag zurück. Im Jahre 1993 forderte der Kl. die Bekl. zur Rückzahlung des unverbrauchten Disagios und eines angeblichen Guthabens wegen Übertilgung auf. Die Bekl. erstattete daraufhin am 4. 3. 1994 insgesamt 8073,56 DM, wovon nach ihrer Tilgungsbestimmung 4089,32 DM auf den herauszugebenden Teil des Disagios und 3984,24 DM auf die daraus gezogenen Nutzungen unter Zugrundelegung eines jährlichen Durchschnittszinssatzes von 6,23% entfallen. Mit der Klage verlangte der Kl. aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau die Zahlung weiterer 16 062,49 DM nebst Zinsen. Der Kl. ist der Auffassung, das Disagio stelle einen von der Bekl. im voraus verlangten Zinsbestandteil dar. Dieser sei anteilig für jedes der 60 Tilgungshalbjahre mit 84,38 DM zu berücksichtigen. Der nach der - auch Zinseszinsen erfassenden - exponentiellen Berechnungsmethode zu bestimmende Bereicherungsanspruch von 6480 DM müsse mit 8,75% p. a. verzinst werden, weil die Bekl. in dieser Höhe Nutzungen aus dem Erstattungsbetrag gezogen habe.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das BerGer. die Bekl. zur Zahlung von 2441,91 DM nebst 7% Fälligkeitszinsen aus 4402,85 DM seit 1. 5. 1997 verurteilt. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgte der Kl. seinen ursprünglichen Klageantrag weiter. Die Bekl. beantragte im Wege der Anschlußrevision, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden wurde. Die Revision des Kl. hatte keinen, die Anschlußrevision der Bekl. dagegen überwiegend Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das BerGer. hält einen Bereicherungsanspruch des Kl. nur im zuerkannten Umfang für gegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Nach der gefestigten neueren Rechtsprechung des BGH sei das Disagio in der Regel als ein laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins aufzufassen und vom Darlehensgeber im Falle vorzeitiger Vertragsbeendigung gem. § 812 I BGB anteilig zurückzuzahlen. Daß der BGH das Disagio bei Abschluß des Vertrags im Jahre 1974 grundsätzlich noch als eine Art Nebenentgelt für die Kapitalbeschaffung des Darlehensgebers angesehen habe, rechtfertige keine andere Beurteilung, da die Bekl. bei ihrer eigenen Tilgungsberechnung von einer Gleichstellung des Disagios mit laufzeitabhängigen Zinsen ausgehe. Entgegen der Ansicht des Kl. aber sei das Disagio nicht erst sukzessiv je Halbjahr in gleichbleibenden Beträgen von 84,38 DM zu leisten gewesen. Dies widerspreche der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung und finde im vorliegenden Vertragswerk keine Stütze.
Soweit die Bekl. einen Anspruch auf anteilige Rückerstattung des Disagios nur im Verhältnis der tatsächlich gezahlten und der für die geplante Vertragsdauer nicht gezahlten Zinsen anerkenne, sei dem nicht zu folgen. Vielmehr sei eine lineare Verteilung des Disagios auf die vorgesehene Laufzeit vorzunehmen und eine Abrechnung pro rata temporis angezeigt. Bei einem sich bis zur Vertragsbeendigung ergebenden Verbrauch des Disagios von 13,03% habe die Bekl. insgesamt 4402,85 DM zu erstatten, so daß dem Kl. nach der bereits erfolgten Zahlung von 4089,32 DM insoweit noch eine Restforderung von 313,53 DM zustehe. Außerdem müßten die aus dem Betrag von 4402,85 DM seit der Kündigung gezogenen Nutzungen herausgegeben werden, deren Höhe im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) auf durchschnittlich 7% p. a. festzusetzen sei. Danach ergebe sich unter Zugrundelegung der von der Bekl. gezahlten Nutzungsentschädigung von 3984,24 DM folgende Berechnung des Bereicherungsanspruchs: 7% von 4402,85 DM für die Zeit vom 30. 6. 1978 bis zur Urteilsverkündung am 30. 4. 1997 (= 7140 Tage) = 6112,62 DM abzgl. gezahlter 3984,24 DM ergäben noch zu zahlende 2128,38 DM. Auf die Gesamtsumme von 2441,91 DM schulde die Bekl. Fälligkeitszinsen von 7% Zinsen aus 4402,85 DM ab 1. 5. 1997.
II. 1. Revision des Kl.
a) Der Revision des Kl. kann nicht gefolgt werden, soweit sie der Ansicht ist, daß das Disagio bis zur vorzeitigen Vertragsbeendigung nur auflösend bedingt geschuldet gewesen sei und von der Bekl. daher wegen Wegfalls des rechtlichen Grunds in einem gewissen Umfang zusammen mit den insoweit gezogenen Nutzungen gem. §§ 812 I , 818 I , II BGB herausgegeben werden müsse.
aa) Allerdings ist das streitige Disagio, anders als die Revisionserwiderung meint, nicht den (laufzeitunabhängigen) Nebenkosten, sondern den (laufzeitabhängigen) Zinsen zuzuordnen. Das Disagio ist nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats (s. etwa NJW 1993, 3257 [3258] = LM H. 2-1994 § 195 BGB Nr. 34; BGHZ 133, 355 = NJW 1996, 3337 = LM H. 2-1997 § 157 [F] BGB Nr. 18 = ZIP 1996, 1895 [1896]) in der Regel als ein laufzeitabhängiger Ausgleich für den vertraglich vereinbarten niedrigeren Nominalzinssatz anzusehen. Dieser Auffassung entspricht die eigene Tilgungsberechnung der Bekl. Soweit das BerGer. hieraus im Wege der Auslegung eine entsprechende Vereinbarung der Vertragsschließenden herleitet, handelt es sich um eine in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbare tatrichterliche Würdigung. Bei einem Disagio von 6,75% neben einem gesondert ausgewiesenen „Verwaltungskostenbeitrag“ von jährlich 0,5% liegt eine von den Vertragsparteien konkludent vereinbarte Zinsvorauszahlung auch auf der Hand.
bb) Hingegen gibt es keinen Grund, der die Vertragsauslegung der Revision des Kl. rechtfertigt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (s. etwa NJW 1993, 3257) wird die Verpflichtung des Darlehensnehmers zur Disagiozahlung vereinbarungsgemäß bei Kreditauszahlung sofort in vollem Umfang fällig und auch in diesem Zeitpunkt zugleich im Wege der Verrechnung voll erfüllt. Aufgrund der Verrechnung mit dem Disagio steht dem Darlehensgeber - trotz geringerer Auszahlung - ein Rückzahlungsanspruch in voller Höhe des Darlehensbetrags zu; spätere Teilzahlungen des Darlehensnehmers werden auf diesen Anspruch geleistet; sie enthalten keine anteiligen Zahlungen mehr auf das Disagio. Der Bereicherungsanspruch des Darlehensnehmers auf anteilige Disagioerstattung entsteht daher nicht abschnittsweise, sondern im Zeitpunkt der vorzeitigen Kreditvertragsbeendigung in vollem Umfang. Zwar erlaubt die schuldrechtliche Verpflichtungsfreiheit auch andere Regelungen. Aus dem Wesen des Disagios ist aber nicht, wie die Revision meint, auf eine derartige Absicht der Vertragspartner zu schließen. Da sie das mit der Vorfälligkeitsabrede in der Regel verfolgte steuerrechtliche Ziel (vgl. dazu Wehrt, ZIP 1997, 481 [482]) normalerweise nicht gefährden wollen, deutet im Gegenteil nichts auf die möglicherweise steuerschädliche Vereinbarung einer auflösenden Bedingung oder auf vergleichbare Abreden hin.
b) Vergebens beruft sich die Revision darauf, daß der Erstattungsbetrag nach der finanzmathematisch exakten Berechnungsmethode festgesetzt werden müsse. Die vom Kl. für richtig gehaltene Berechnungsweise, die unterjährige Zinseszinsen berücksichtigt, liegt eher außerhalb des herkömmlichen Denkens. Das räumt der Kl. in dem von ihm zu den Akten gereichten „Gutachten in eigener Sache“ ebenso ein wie die Tatsache, daß die vom BerGer. angewandte Berechnungsmethode der gesetzlichen Regelung des § 355 HGB entspricht. Trotzdem ist sie nach seiner Auffassung falsch, weil sie zu einem höheren Effektivzins führe und deshalb dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ widerspreche. Dabei übersieht er, daß der Effektivzins das rechnerische Ergebnis aus dem vereinbarten Nominalzins in Verbindung mit den sonstigen vertraglichen Abmachungen - insbesondere den Aus- und Rückzahlungsmodalitäten - darstellt, nicht dagegen selbst Vertragsgegenstand ist. Im vorliegenden Fall ist im übrigen im Kreditvertrag nur der für die Zinsberechnung zugrundezulegende Nominalzins angegeben. Ob die Benutzung des Nominalzinssatzes bei halbjähriger Zahlungsweise finanzmathematisch im Ergebnis zu einer höheren Effektivverzinsung führt, ist rechtlich bedeutungslos. Entscheidend ist allein, daß die vertraglich vereinbarten Entgeltregelungen korrekt angewendet werden. Die in neueren Gesetzen niedergelegte Pflicht zur Angabe des anfänglichen Effektivzinses ändert nichts; sie soll im Interesse des Verbrauchers lediglich die wirtschaftlichen Auswirkungen der getroffenen Abreden aufzeigen und den Vergleich der Darlehenskonditionen verschiedener Anbieter erleichtern.
Die vom Kl. maßgeblich mit entwickelte und in Publikationen für allein sachgerecht gehaltene exponentielle Berechnungsmethode verstößt gegen diese Grundsätze der Vertragsauslegung. Daß die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen wären, die Zinsberechnung sei nach der exponentiellen Berechnungsmethode vorzunehmen, ist nicht vorgetragen und erscheint angesichts der Tatsache, daß zwischen dem Vertragsschluß im Jahre 1974 und der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs rd. 15 Jahre liegen, auch als ausgeschlossen.
c) Ebenso läßt die vom BerGer. nach § 287 ZPO vorgenommene Schätzung der Höhe des Bereicherungsanspruchs auf durchschnittlich 7% p. a. einen in der Revisionsinstanz allein beachtlichen Rechtsfehler nicht erkennen. Das RevGer. hat insoweit lediglich zu prüfen, ob die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht und ob wesentlicher Tatsachenvortrag der Parteien außer acht gelassen wurde (s. etwa BGH, NJW-RR 1992, 1050 [1051] = LM H. 10-1992 § 252 BGB Nr. 56 m. w. Nachw.). Einen derartigen Ermessensfehler vermag die Revision nicht aufzuzeigen, zumal das BerGer. von dem angenommenen Durchschnittszinssatz einen angemessenen Kostenanteil für den Einsatz von Personal, technischen Mitteln und „Know-how“ in Abzug bringen durfte. Soweit die Revision auch in diesem Zusammenhang auf einer Berücksichtigung der exponentiellen Berechnungsmethode besteht, ist dem aus den bereits genannten Gründen nicht zu folgen.
2. Anschlußrevision der Bekl.
a) Entgegen der Auffassung des BerGer. ist der „Verbrauch“ des Disagios nicht pro rata temporis zu berechnen. Vielmehr führt allein die Berechnungsmethode der Bekl. zu einem sachgerechten Ergebnis. Bei einem Annuitätendarlehen hat der Darlehensnehmer für die gesamte Laufzeit des Vertrags bis zur vollständigen Tilgung eine gleichbleibende Jahresleistung, die sich aus einem festen Zins- und Tilgungssatz, bezogen auf das ursprüngliche Darlehenskapital, zusammensetzt, zu erbringen. Da die Jahresleistung als absoluter Betrag konstant bleibt, verschiebt sich fortlaufend das Verhältnis zwischen Zins und Tilgung in der Weise, daß der Zinsanteil entsprechend sinkt, der Kapitalanteil ständig wächst (vgl. dazu Bruchner, in: Schimansky-Bunte-Lwowski, BankR-Hdb. II, 1997, § 78 Rdnr. 73). Dem trägt die von der Bekl. vorgenommene Anrechnung der noch nicht verbrauchten Zinsvorauszahlung nach dem Verhältnis der für die Zeit bis zur Vertragsauflösung geschuldeten zu den durch die vorzeitige Beendigung ersparten Zinsen im Gegensatz zur linearen Berechnungsmethode in angemessener Weise Rechnung. Es unterliegt deshalb keinem Zweifel, daß sich verständige und vernünftige Vertragsparteien bei Kenntnis der vorzeitigen Vertragsbeendigung auf eine Anwendung der Berechnungsweise der Bekl. geeinigt hätten.
b) Da bis zur vorzeitigen Vertragsbeendigung am 30. 6. 1978 entsprechend der Tilgungsberechnung der Bekl. 19,21% Zinsen angefallen sind und der danach herauszugebende Teil des Disagios in Höhe von 80,79% (= 4089,32 DM) am 4. 3. 1994 erstattet worden ist, ist der Bereicherungsanspruch des Kl. und seiner Ehefrau insoweit gänzlich erloschen. Indes hat die Bekl. für die Zeit vom 30. 6. 1978 bis 4. 3. 1994 (5644 Tage) unter Zugrundelegung eines jährlichen Zinsertrags von 7% eine Nutzungsentschädigung von insgesamt 4487,80 DM zu leisten, so daß nach den bereits gezahlten 3984,24 DM noch eine Restforderung über 503,56 DM nebst beantragter Fälligkeitszinsen ab 5. 3. 1994 offensteht.
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