Keine Erstattung der notwendigen Aufwendungen des im Einspruchsverfahren obsiegenden Steuerpflichtigen

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

23. 07. 1996


Aktenzeichen

VII B 42/96


Leitsatz des Gerichts

Es ist mit dem GG vereinbar, daß der im Einspruchsverfahren nach der AO obsiegende Steuerpflichtige keinen Ersatz der Kosten erhält, die ihm durch die (notwendige) Zuziehung eines Bevollmächtigten entstanden sind.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Nachdem Einsprüche des Antragstellers gegen Steuerbescheide im Ergebnis erfolgreich gewesen waren, beantragte er beim FA, die ihm zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen (Rechtsanwaltskosten) zu erstatten. Das FA lehnte die Begleichung der Kostenrechnung ab. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren wurde vom FG abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom BFH mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, nach der einem Stpfl., der im "isolierten Vorverfahren" (d. h. ohne anschließendes Gerichtsverfahren) obsiegt, ein Kostenerstattungsanspruch gegen das FA eingeräumt wird. Das Einspruchsverfahren nach der AO ist seit dem 1. 1. 1977 für beide Verfahrensbeteiligte (Einspruchsführer und FA) kostenfrei; Einspruchsführer und FA haben jeweils ihre eigenen Aufwendungen zu tragen (Tipke/Kruse, AO/FGO, 16. Aufl., Vor § 347 AO Tz. 7). Die Gründe, die den Gesetzgeber zu dieser von § 80 VwVfG - der für das Widerspruchsverfahren die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen bestimmt - abweichenden Regelung bewogen haben, ergeben sich aus dem schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 7/4292: Das Einspruchsverfahren ist ein verlängertes Veranlagungsverfahren; ca. 60 v. H. der Einsprüche führen zur Änderung des Bescheids, Erleichterung der Rücknahme des Rechtsbehelfs wegen Kostenfreiheit, Verwaltungsvereinfachung etc.). § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG stellt ausdrücklich klar, daß dieses Gesetz und folglich die Vorschrift des § 80 Abs. 2 VwVfG, wonach Kosten für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren grundsätzlich erstattungsfähig sind, nicht für Verfahren der Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach der AO gilt. ...

Daß ein Anspruch auf Erstattung der Kosten eines erfolgreichen (kommunal-)abgabenrechtlichen Vorverfahrens nicht besteht, begegnet auch nach Auffassung des BVerwG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, die Bürger in den verschiedenen Vorverfahren kostenrechtlich gleichzustellen; es gebe keinen allgemeinen verbindlichen Rechtsgedanken des Inhalts, dem in einem Widerspruchsverfahren obsiegenden Bürger sei stets ein Anspruch auf Erstattung seiner Kosten zuzubilligen. Überdies gebe es sachliche Gründe für die unter dem Blickwinkel der Kostenerstattung unterschiedliche Behandlung von Vorverfahren, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze anwendbar seien, und solchen, die nach Maßgabe der AO durchzuführen sind (Hinweis auf den Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf der AO, BT-Drs. 7/4292, 8 f.). Diese Gründe schlössen die Annahme aus, der Verzicht auf die Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs im Vorverfahren abgabenrechtlicher Art entziehe sich einer Rechtfertigung und sei deshalb willkürlich (BVerwGE 82, 336 (342)).

Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Sie entspricht auch für den gegenwärtigen Rechtszustand dem vom FG zitierten Beschluß des BVerfG vom 20. 6. 1973, 1 BvL 9/71, 1 BvL 10/71 (BStBl. II 1973, 720), nach dem die Kostenregelung für das isolierte Vorverfahren nach der Reichsabgabenordnung (hier: Kostenpflicht bei erfolglosem Einspruch, aber keine Kostenerstattung bei Erfolg des Rechtsbehelfs) nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, auch wenn andere bundesrechtlich geregelte, nichtabgabenrechtliche Verwaltungsvorschriften einem betroffenen Staatsbürger anders als im abgabenrechtlichen Vorverfahren in verschiedenem Umfang einen Kostenerstattungsanspruch einräumen. ...

Die vorstehend zitierte Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Fehlens einer Regelung in der AO über die Kostenerstattung für das Einspruchsverfahren erscheint nunmehr um so mehr gerechtfertigt, als die AO - im Gegensatz zu § 251 Abs. 1 AO - auch auf die Einführung einer den Rechtsbehelfsführer treffenden Kostenpflicht bei erfolglosem Einspruchsverfahren verzichtet hat. Darin liegt zugleich ein wesentlicher Unterschied des in der AO geregelten Rechtsbehelfsverfahrens zu dem Vorverfahren i. S. d. § 68 VwGO, auf die sich die Regelung des § 80 VwVfG bezieht. Denn der erfolglose Widerspruchsführer muß i. d. R. eine Widerspruchsgebühr zahlen und der Behörde die notwendigen Auslagen ersetzen (§ 80 Abs. 1 Satz 3 VwVfG, vgl. auch § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Darin mag - wie in der Beschwerde näher ausgeführt wird - deshalb keine "Waffen"-Gleichheit der Verfahrensbeteiligten zu sehen sein, weil bei der Behörde Auslagen in vergleichbarer Höhe wie beim Rechtsbehelfsführer i. d. R. nicht anfallen und etwaige Gebühren für das Widerspruchsverfahren deutlich geringer als die Rechtsanwaltskosten sind. Daraus kann aber kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf die Erstattung notwendiger Auslagen auch in isolierten Rechtsbehelfsverfahren nach der AO hergeleitet werden.

Dies gilt auch insoweit, als nach der Ausnahmeregelung des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO die Vorverfahrenskosten dann erstattungsfähig sind, wenn das FG in einem sich an ein erfolgloses Vorverfahren anschließenden Klageverfahren die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat. In diesem Fall ist die Rechtsauffassung des Rechtsbehelfsführers und Kl. nicht lediglich von der Finanzbehörde gebilligt worden, sondern sie hat im Widerstreit zu der in der Einspruchsentscheidung aufrechterhaltenen Ansicht der Behörde ihre rechtliche Bestätigung durch das FG gefunden. Auch das BVerfG ist bereits zu dem Ergebnis gekommen, daß die Ungleichbehandlung eines bereits im Vorverfahren erfolgreichen Widerspruchs- bzw. Einspruchsführers und eines erst im gerichtlichen Verfahren obsiegenden Kl. hinsichtlich der Kostenerstattung nicht willkürlich ist (BVerfG in BStBl. II 1973, 720 (723) m. w. N.)

Schließlich kann auch - entgegen der Auffassung des Antragstellers - aus der Regelung des § 63 Abs. 1 SGB X, nach der, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat, kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden, der auch für das Einspruchsverfahren nach der AO Anwendung finden müßte. ... Das Steuerrecht als Eingriffsrecht kann für die Frage der Kostenerstattung für ein erfolgreiches isoliertes Rechtsbehelfsverfahren nicht mit dem Sozialrecht verglichen werden, bei dem es um - oft existentielle - Fragen der Leistungsgewährung an den Bürger geht.

Das zeigt insbesondere die jüngste Entscheidung des Gesetzgebers im Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz 1996, mit dem das Kindergeldrecht nunmehr im EStG (Abschn. X §§ 62 ff. EStG) geregelt worden ist. Nach § 77 Abs. 1 EStG n. F. hat die Familienkasse dem Einspruchsführer bei erfolgreichem Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung (§ 70 EStG n. F.) - nunmehr eine Abgabenangelegenheit i. S. v. § 347 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AO - die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren oder Auslagen eines Bevollmächtigten sind nach Abs. 2 der Vorschrift erstattungsfähig, wenn dessen Zuziehung notwendig war. Diese Ausnahmeregelung in einem Steuergesetz ist im Hinblick auf die Rechtsnatur der Kindergeldregelungen als Sozialrecht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat aber keine Veranlassung gesehen, die vorstehende Regelung über die Kostenerstattung allgemein auf das Einspruchsverfahren nach der AO auszudehnen ...

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

AO 1977 §§ 347 ff.; FGO § 139 Abs. 3 Satz 3; GG Art. 3 Abs. 1; VwVfG § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 80