Lohnsteuerabzug bei Trinkgeldern
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
24. 10. 1997
Aktenzeichen
VI R 23/94
Üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlte Trinkgelder gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Sie unterliegen dem Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber aber nur, soweit dieser über deren Höhe in Kenntnis gesetzt wird.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. und Revisionsbekl. (Kl.) betreibt in X. ein alteingesessenes, gutgehendes Café. Er hat einen Stamm von etwa 12 Kellnerinnen, außerdem einige Aushilfskräfte. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der Prüfer fest, daß von freiwilligen Trinkgeldern kein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden war. Der Kl. legte hierzu Bescheinigungen seiner Kellnerinnen vor, nach denen diese bestätigen, daß sie Trinkgelder, die 100 DM monatlich überstiegen, selbst versteuern müßten. Der Prüfer ging von Trinkgeldern in Höhe von zuletzt 2,5 % des Umsatzes aus. Die insgesamt angefallene Trinkgeldsumme verteilte er auf die einzelnen Kellnerinnen nach deren im Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Die nach Abzug des Freibetrags verbleibende Steuer berechnete er individuell für jeden einzelnen Arbeitnehmer. Den so ermittelten Betrag forderte der Bekl. und Revisionskl. (das Finanzamt) mit Haftungsbescheid vom 17. 2. 1988 vom Kl. als Arbeitgeber.
Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG 1993, 465) veröffentlichten Gründen statt. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlte Trinkgelder unterliegen dem Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber nur, soweit der Arbeitgeber über deren Höhe in Kenntnis gesetzt wird.
1. Das FG hat zu Recht nicht in Zweifel gezogen, daß Trinkgeld, welches ein Arbeitnehmer von einem Dritten als freiwillige Zusatzvergütung für vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsleistung erhält, einkommensteuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) gehört. Dem steht nicht entgegen, daß das Trinkgeld nicht wie das eigentliche, als vertragliche Gegenleistung vereinbarte Arbeitsentgelt vorher ausdrücklich versprochen und der Höhe nach festgelegt wird (BFHE 181, 468 = BStBl II 1997, 346 (347) = NJW 1997, 2480 L m. w. Nachw.). Entscheidend ist vielmehr, daß es "für eine Beschäftigung" (§ 19 I Nr. 1 EStG) gewährt wird, also als Frucht der Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu betrachten ist (BFHE 169, 432 = BStBl II 1993, 117).
Die Umschreibung "für eine Beschäftigung" in § 19 I Nr. 1 EStG stimmt mit dem den Arbeitslohncharakter der Zuwendung in § 38 I 2 EStG kennzeichnenden Begriff "im Rahmen des Dienstverhältnisses" überein. Für diese Auslegung spricht auch, daß die Neufassung des § 38 I 2 EStG durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. 8. 1974 (EStRG 1975; BGBl I 1974, 1769; BStBl I 1974, 530) klarstellen sollte, "daß der Lohnsteuer auch der im Rahmen eines Dienstverhältnisses von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlte Arbeitslohn unterliegt. Andere Vergütungen, die zwar mit dem Dienstverhältnis im Zusammenhang stehen, aber nicht für eine Arbeitsleistung gezahlt werden (z.B. Streikunterstützungen), unterliegen nicht dem Lohnsteuerabzug" (BT-Dr 7/1470, S. 303 zu § 132 Regierungsentwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes v. 18. 11. 1973). Dies stimmt mit den obigen Grundsätzen überein, denen zufolge gewerkschaftliche Streikunterstützungen keinen Arbeitslohn darstellen (BFHE 162, 329 = BStBl II 1991, 337).
2. Dem Finanzamt ist auch darin zu folgen, daß übliche Lohnzahlungen Dritter grundsätzlich dem Lohnsteuerabzug unterliegen. Während die Gesetzesfassung, zu der das Urteil des BFH vom 13. 3. 1974 (BFHE 112, 150 = BStBl II 1974, 411) ergangen ist, noch keine Regelung über Lohnzahlungen Dritter enthalten hatte, ist eine solche mit § 38 I 2 EStG 1975 eingefügt worden. Dem steht nicht entgegen, daß die Neufassung in § 38 I 2 EStG lediglich als Klarstellung angesehen worden war (vgl. BT-Dr 7/1470, S. 303 zu § 132 Regierungsentwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes v. 18. 11. 1973), da sie vor Ergehen des Urteils des BFH in BFHE 112, 150 = BStBl II 1974, 411 formuliert worden ist und an die in Abschnitt 3 VI der Lohnsteuer-Richtlinien vor 1975 wiedergegebene Rechtspraxis anknüpfte. Mit der Neukodifizierung des Lohnsteuerverfahrens im Einkommensteuerreformgesetz 1975 wurden verschiedene Regelungslücken geschlossen, wobei unter anderem die Einbeziehung von üblichen Drittlöhnen in den Lohnsteuerabzug eröffnet wurde. Hiervon sind dem Grunde nach auch freiwillige Trinkgelder im Gaststättengewerbe betroffen. Denn es entspricht der Lebenserfahrung und bedarf deshalb keiner weiteren Feststellungen, daß an Bedienungen im Gaststättengewerbe üblicherweise Trinkgelder gezahlt werden (BFHE 169, 432 = BStBl II 1993, 117).
3. Derartige Drittlöhne unterliegen dem Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber aber nur insoweit, als dieser über deren Höhe in Kenntnis gesetzt wird, z.B. dadurch, daß er in den Zahlungsvorgang eingeschaltet wird, oder daß seine Arbeitnehmer über derartige Zuflüsse Angaben machen. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 II 1 EStG) bereits im Lohnsteuer-Abzugsverfahren verpflichtet sind, sich wie im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren gegenüber dem Arbeitgeber zu erklären. Jedenfalls hat der Arbeitgeber keine Handhabe, derartige Verpflichtungen durchzusetzen. Der Arbeitgeber ist auch nicht befugt, Besteuerungsgrundlagen zu Lasten Dritter - hier seiner Arbeitnehmer - zu schätzen, da das Gesetz eine derartige Befugnis, wie sie dem Finanzamt in § 162 AO 1977 eingeräumt wird, nicht eröffnet.
4. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen, die auch nicht streitig sind, war der Kl. bei der Gewährung von Trinkgeldern weder in den Zahlungsvorgang eingeschaltet noch hat er sonst konkrete Kenntnis über die Höhe der Trinkgelder erhalten, weshalb ein Lohnsteuerabzug von ihm nicht vorgenommen werden konnte. Da er insofern Lohnsteuer nicht einzubehalten und abzuführen hatte, haftet er auch nicht.
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