Befugnisse der Steuerfahndung
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
16. 12. 1997
Aktenzeichen
VII B 45/97
Zu den Aufgaben der Steuerfahndungsstelle gehört die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten auch dann, wenn hinsichtlich dieser Delikte bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Im Rahmen eines gegen den Steuerpflichtungen G wegen Verdachts der unrichtigen Angabe von Einkommensteuererklärungen (unzutreffende Deklarierung der Einkünfte aus Kapitalvermögen) für die Jahre 1991 und 1992 eingeleiteten und später auf die Jahre 1993 und 1994 erweiterten Strafverfahrens hatte der Ag. und Bf. (das Finanzamt) einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß des AG erwirkt, durch den die Durchsuchung der Geschäftsräume der Ast. und Bg. (Antragstellerin), einer Bank, angeordnet worden ist. Die Ast. hat von der in diesem Beschluß vorgesehenen Anwendungsbefugnis Gebrauch gemacht und Auskunft erteilt. Die Steuerfahndungsstelle (Steufa) des Finanzamts forderte unter dem Betreff „Auskunftsersuchen im Besteuerungsverfahren gem. § 93 AO“ und unter Bezugnahme auf den vorliegenden Durchsuchungsbeschluß weitere Unterlagen (Kontoübersichten bzw. Depotentwicklungen für die Jahre 1989 und 1990 hinsichtlich bestimmter Konten) von der Ast. an. Dies lehnte die Ast. mit der Begründung ab, sie fühle sich zur Erteilung einer Auskunft nicht verpflichtet, weil es dem Finanzamt verwehrt sei, sowohl im Steuerstrafverfahren als auch im Besteuerungsverfahren vorzugehen. Daraufhin antwortete das Finanzamt, daß die Ermittlungen für die Jahre 1989 und 1990 im Besteuerungsverfahren erfolgten, wozu die Steufa im Rahmen des § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 berechtigt sei. Außerdem wurde die Ast. in diesem Schreiben nochmals aufgefordert, die gewünschte Auskunft zu erteilen; für den Weigerungsfall wurde die Verhängung eines Zwangsgelds in Höhe von 1000 DM angedroht. Hiergegen legte die Ast. Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück und lehnte gleichzeitig den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Daraufhin erhob die Ast. Klage vor dem FG, über die noch nicht entschieden ist. Die Beschwerde des Finanzamts führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags der Ast. auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Auskunftsersuchens.
Auszüge aus den Gründen:
II. … Das FG hat zu Unrecht entschieden, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auskunftersuchens deshalb bestünden, weil der Steufa unter den Umständen des Streitfalls eine Ermittlungsbefugnis gem. § 208 I AO 1977 fehle.
1. Im Gegensatz zum FG gelangt der Senat bei der gebotenen summarischen Betrachtung zu der Auffassung, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auskunftersuchens des Finanzamts nicht bestehen. Insbesondere hält sich das Auskunftsersuchen im Rahmen des der Steufa von § 208 I AO 1977 zugewiesenen Aufgabenbereichs.
a) Bei der Überprüfung einer konkreten Tätigkeit der Steufa auf ihre Rechtmäßigkeit nach dem Maßstab des § 208 I AO 1977 ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zwischen der Aufgabenzuweisung einerseits (Satz 1 Nrn. 1 bis 3) und den zur Erfüllung dieser Aufgabe verliehenen Befugnissen andererseits (Satz 2) zu unterscheiden. Denn ebensowenig wie aus der Aufgabe einer Behörde darauf geschlossen werden kann, sie habe auch alle zu ihrer Erfüllung erforderlichen Befugnisse (§ 208 I 2 AO 1977 wäre dann überflüssig), kann umgekehrt aus einer vorhandenen Befugnis geschlossen werden, eine Maßnahme der Behörde in Ausübung dieser Befugnis sei stets ein Handeln im Rahmen des zugewiesenen Aufgabenbereichs (Senat, BFHE 154, 304 = BStBl II 1989, 3, und BFHE 148, 108 = BStBl II 1988, 359 = NJW 1987, 1040 L). Demnach ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens der Steufa gegenüber der Ast. im Streitfall entscheidend, ob sich die Steufa dabei im Rahmen des ihr in § 208 I 1 Nr. 1 bis 3 AO 1977 zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten hat (nachfolgend b) und ihr die Befugnis, von der Ast. die geforderten Auskünfte zu verlangen, nach dem Gesetz auch zusteht (nachfolgend c).
b) Die Steufa hat sich im Rahmen des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten.
aa) Nach § 208 I 1 Nr. 1 AO 1977 ist Aufgabe der Steufa „die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten“. Im Streitfall ist diese Aufgabenzuweisung nach zutreffender übereinstimmender Ansicht aller Bet. nicht einschlägig, weil das angefochtene Auskunftsersuchen nicht auf strafverfahrensrechtliche Ermittlungen ausgerichtet ist und zudem für den darin genannten Ermittlungszeitraum (1989 und 1990) das Hindernis der Strafverfolgungsverjährung bestände (§ 370 AO 1977, § 78 III Nr. 4 StGB). Allerdings bleibt festzuhalten, daß die Steufa gegen den Steuerpflichtigen G für die Jahre danach im Rahmen des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses des AG steuerstrafrechtliche Ermittlungen durchgeführt hatte.
bb) Nach § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 hat die Steufa auch die Aufgabe der „Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den in Nummer 1 bezeichneten Fällen“. Hierauf hat das Finanzamt sein Auskunftsersuchen gestützt.
Das FG legt diese Vorschrift eng aus und ist der Ansicht, die Steufa dürfe Besteuerungsgrundlagen lediglich im Rahmen ihres steuerstrafrechtlichen Aufgabenbereichs nach Nr. 1 dieser Vorschrift ermitteln, mithin steuerverfahrensrechtlich nicht (mehr) tätig werden, wenn steuerstrafrechtlich - wie im Streitfall - bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Dahinter steht auch die vom Senat im Ansatz geteilte Vorstellung (vgl. BFHE 138, 164 = BStBl II 1983, 482 = NJW 1983, 2720), zur Erforschung der Straftat „Steuerhinterziehung“ gehöre zwangsläufig die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, also der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (§ 199 I AO 1977), denn nach § 370 AO 1977 ist wesentliches Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes der Steuerhinterziehung die Verkürzung von Steuern. Die Annahme einer solchen Verkürzung setzt aber gerade voraus, daß der tatsächliche Steueranspruch nach Art und Höhe bestimmt, also zuvor aufgeklärt worden ist. Wenn aber die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unmittelbar zur Erforschung der Steuerhinterziehung, sozusagen als deren nicht abtrennbarer Teil, gehört, so könnte mit dem FG die Folgerung naheliegen, daß Nr. 2 gegenüber der Nr. 1 des § 208 I 1 AO 1977 keinen eigenständigen Anwendungsbereich hat, sondern im Grunde nur etwas Selbstverständliches deklaratorisch wiederholt.
cc) Der Senat folgt dieser Auslegung des FG nicht. Schon der Wortlaut der Vorschrift, wonach zu den Aufgaben der Steufa die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen „in den in Nr. 1 bezeichneten Fällen“ gehört, knüpft diese Aufgabe allein an die Voraussetzung, daß ein in Nr. 1 bezeichneter Fall vorliegt, daß mithin die Steufa in ihrem Aufgabenbereich „Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten“ tätig ist oder tätig geworden ist. Nur insoweit sind die beiden Vorschriften miteinander verknüpft. Eine weitergehende innere Verknüpfung der beiden Vorschriften dergestalt, daß die Steufa von einer Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen dann Abstand nehmen muß bzw. ihr eine weitere Tätigkeit nach Nr. 2 dann verwehrt ist, wenn sich ein Strafverfolgungshindernis herausstellt, läßt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. vielmehr liegt es näher, den Begriff „Steuerstraftat“ in Nr. 1 umfassend als den nach dem Gesetz unter Strafe gestellten Lebensvorgang anzusehen (s. auch § 369 I AO 1977), ohne Rücksicht darauf, ob die Strafbarkeit im Einzelfall infolge besonderer Umstände ausgeschlossen ist (z. B. infolge Strafverfolgungsverjährung oder infolge des Strafaufhebungsgrundes einer Selbstanzeige, § 371 AO 1977). Zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den in Nr. 1 bezeichneten Fällen gehört daher auch die Tätigkeit der Steufa, die darauf abzielt, den vom Eintritt der Strafverfolgungsverjährung unberührten Steueranspruch des Staates gegen den der Steuerhinterziehung verdächtigen Steuerpflichtigen festzustellen und durchzusetzen, sofern die steuerliche Verjährungsfrist, die Festsetzungsfrist (§ 169 II 2 1977), noch nicht abgelaufen ist.
Bei einem solchen Verständnis erhält § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 in der Tat mit der herrschenden Ansicht im Schrifttum eine eigenständige, über den Rahmen der Nr. 1 hinausgehende Bedeutung, denn er ermächtigt die Steufa, kraft eigenen Rechts über die strafrechtliche Relevanz hinaus, den steuerlich erheblichen Umständen einer Streuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nachzugehen (vgl. Tipke-Kruse, AO-FGO, 16. Aufl., § 208 AO 1977 Rdnr. 4; Schwarz-Dumke, AO, § 208 Rdnr. 20; Tormöhlen, wistra 1993, 174 [176]; im Ergebnis auch Klein-Orlopp, AO, 5. Aufl. [1995], § 208 Rdnr. 3; Scheurmann-Kettner, in: Koch-Scholtz, 5. Aufl. [1996], § 208 Rdnrn. 22-22-4; Kock, in: Beermann, Steuerliches VerfahrensR, § 208 AO 1977 Rdnr. 22; a. A. Schick, in: Hübschmann-Hepp-Spitaler, AO-FGO, 10. Aufl., § 208 AO 1977 Rdnrn. 95 ff., sowie ders. JZ 1982, 125 [130] ).
In seinem Urteil in BFHE 138, 164 = BStBl II 1983, 482 = NJW 1983, 2720, hatte der Senat die Frage, ob § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 der Steufa Aufgaben zuweist, die über die mit der Verfolgung von Steuerstraftaten zwangsläufig verbundenen Ermittlungen von Besteuerungsgrundlagen hinausgehen, noch ausdrücklich offengelassen, dabei aber bemerkt, daß nichts dafür spreche, daß der Gesetzgeber die mit der Verfolgung von Steuerstraftaten zwangsläufig verbundenen Ermittlungen der zugehörigen Besteuerungsgrundlagen mit der Regelung des § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 gewissermaßen habe verselbständigen wollen. An dieser grundsätzlichen Erwägung hält der Senat nach wie vor fest. Er ist jedoch der Auffassung, daß es Fallgestaltungen geben kann, in denen es gerechtfertigt ist, daß die Steufa losgelöst von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen ausschließlich im Besteuerungsverfahren tätig werden darf, ohne daß von einer „Verselbständigung“ der Ermittlungen von Besteuerungsgrundlagen gesprochen werden kann. Ist die Steufa, wie im Streitfall, bereits in einem vorgängigen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen tätig gewesen und hat sie dabei zwangsläufig die Besteuerungsgrundlagen für den steuerstrafrechtlichen nicht verjährten Zeitraum festgestellt, so muß sie auch die Aufgabe und das Recht haben, gleichzeitig oder in zeitlich nachfolgenden Ermittlungen bezüglich des gleichen Lebenssachverhalts die Besteuerungsgrundlagen für zwar strafrechtlich, nicht aber steuerrechtlich verjährte frühere Besteuerungszeiträume festzustellen und zu prüfen, ob dem noch bestehenden Steueranspruch des Staates Genüge getan worden ist. Zwischen Steuerstraftat und Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen besteht hier ein so enger und unmittelbarer Zusammenhang, daß insoweit von einer verselbständigten Ermittlungstätigkeit der Steufa keine Rede sein kann. Eine andere Betrachtung wäre auch lebensfremd und mit den Grundsätzen der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit nicht zu vereinbaren. Der Senat schließt sich damit jedenfalls für die Verhältnisse des Streitfalls der herrschenden Auffassung im Schrifttum an, der augenscheinlich auch der I. Senat des BFH in seinem Beschluß in BFHE 147, 492 = BStBl II 1987, 440, gefolgt ist.
dd) Aus den Gesetzesmaterialien kann nichts Gegenteiliges gefolgert werden. In der Begründung des Finanzausschusses zu § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 heißt es (BT-Dr 7-4292, S. 36): „Da die Frage, ob und inwieweit eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit vorliegt, regelmäßig mit der Feststellung steuerlicher Nachforderungen einhergeht, wird als weitere Aufgabe in Nr. 2 die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten genannt.“ Die Betrachtungsweise unter dem Blickpunkt der steuerlichen Nachforderungen läßt darauf schließen, daß der Gesetzgeber in dem Eintritt der Strafverfolgungsverjährung allein kein Hindernis für eine Tätigkeit der Steufa nach dieser Vorschrift gesehen haben kann. Außerdem hätte es der Nr. 2 nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber der Steufa nur die Erforschung des objektiven Sachverhalts im Rahmen eines Strafverfahrens hätte zuweisen wollen (vgl. Hamacher, DStZ 1983, 493 [494]; Tormöhlen, wistra 1993, 174 [175 f.] ), und wenn er mit der Nr. 2 nur den Inhalt der Nr. 1 hätte bekräftigen wollen (so Schick, JZ 1982, 125 [129 f.] ), hätte er in der Begründung wohl kaum von einer „weiteren Aufgabe“ der Steufa gesprochen (vgl. Scheurmann-Kettner, in: Koch-Scholtz, § 208 AO 1977 Rdnr. 22-2). Schließlich deutet die Hervorhebung des „Zusammenhangs“ zwischen der Erforschung von Steuerstraftat und Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen darauf hin, daß der Gesetzgeber nicht die enge Auslegung der Vorschrift vor Augen hatte, wie sie das FG angenommen hat.
ee) Die rechtssystematischen Bedenken des FG gegenüber einer „weiten“ Auslegung der Vorschrift sind nach Ansicht des Senats nicht gerechtfertigt. Rechte und Pflichten von Steuerpflichtigen und Finanzbehörden sind auch dann hinreichend klar, wenn die Steufa im Einzelfall ihre Aufgabe nach § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 losgelöst von der Erforschung einer Steuerstraftat, aber - wie im Streitfall - doch im Zusammenhang damit, allein zur Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen wahrnimmt. § 393 I 1 AO 1977, der auch gegenüber der Steufa gilt und von ihr zu beachten ist (§ 208 I 3 letzter Teilsatz AO 1977), ordnet als durchgängigen Grundsatz an, daß sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten. Wird also die Steufa, wie im Streitfall offensichtlich, im Besteuerungsverfahren tätig, sind für das weitere Vorgehen der Bet. nicht die Strafvorschriften des Achten Teils der Abgabenordnung 1977, sondern die steuerverfahrensrechtlichen Vorschriften der Abgabenordnung 1977 maßgeblich. Hinsichtlich des einzuschlagenden Rechtswegs kann kein Zweifel bestehen, daß unter den vorliegenden Umständen eine Abgabenangelegenheit i. S. des § 33 I Nr. 1 FGO vorliegt und damit der Finanzrechtsweg eröffnet ist, wovon im übrigen auch das FG stillschweigend und mit Bindungswirkung für die Rechtsmittelinstanz (§ 155 FGO i. V. mit § 17 a V) ausgegangen ist. Was schließlich die Frage der Zuständigkeitsverteilung zwischen Steufa und zuständigem Veranlagungs-Finanzamt angeht, so stellen sich lediglich auch die außerhalb des § 208 AO 1977 bekannten und vom Steuerpflichtigen hinzunehmenden Fragen, falls im Einzelfall eine mehrfache örtliche Zuständigkeit verschiedener Finanzbehörden in einer Steuersache besteht (vgl. § 25 AO 1977).
Infolge der strikten Trennung der Befugnisse, die der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren einerseits und im Strafverfahren andererseits zustehen (§ 393 I 1 AO 1977), ist es auch grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß die Steufa bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben „doppelfunktional“ tätig werden kann, d. h. anläßlich eines konkreten Einsatzes oder bei der Abwicklung eines Steuerfalles sowohl straf- als auch steuerverfahrensrechtliche Ermittlungen durchführen darf, selbst wenn sich diese Ermittlungen gegen unterschiedliche Personen richten und sogar im Laufe der Tätigkeit fortlaufend Aufgabe und Ermittlungsziel gewechselt werden. Die Aufgabenzuweisung an die Steufa in § 208 I 1 AO 1977 sieht insoweit kein Alternativ- oder Ausschließlichkeitsverhältnis vor. Die Doppelfunktionalität entspricht auch dem Gesetzesplan (vgl. z. B. § 208 II Nr. 1 AO 1977 - Einsatz der Steufa in der Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde - und dazu BFHE 166, 490 = BStBl II 1992, 595; s. auch Tipke-Kruse, § 208 AO 1977 Rdnr. 2; Kock, in: Beermann, § 208 AO 1977 Rdnrn. 19 ff.). Sie besteht im übrigen auch bei der Außenprüfung, bei der den Außenprüfer, der die steuerrechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen prüft, die Pflicht trifft, bei Verdacht einer Steuerstraftat steuerstrafrechtliche Ermittlungen aufzunehmen (vgl. BFHE 151, 324 = BStBl II 1988, 113; BFH, BFH-NV 1990, 347).
ff) Schließlich besteht nach Auffassung des Senats auch ein erhebliches praktisches Bedürfnis dafür, daß die Steufa unter den Umständen des Streitfalls „am Ball bleibt“ und ihre Ermittlungen zur Sicherung des Steueranspruchs des Staates auch für die Zeiträume fortführt, für die zwar wegen Strafverfolgungsverjährung die Durchführung eines Steuerstrafverfahrens nicht mehr in Betracht kommt, für die aber der mögliche Steueranspruch noch fortbesteht und durchsetzbar ist. Es ist nämlich davon auszugehen, daß die Steufa aufgrund ihrer Ermittlungen im nicht strafverjährten Zeitraum die Verhältnisse des Steuerpflichtigen und seine Verhaltensweisen und Eigenarten gut kennt und es ihr daher aufgrund der dabei gewonnenen Erfahrungen eher und leichter als dem zuständigen Veranlagungs-Finanzamt möglich ist, die Besteuerungsgrundlagen für davorliegende, noch nicht steuerverjährte Zeiträume zutreffend zu ermitteln. Es würde weder dem Interesse des Steuerpflichtigen noch dem Gebot sparsamen und effektiven Verwaltungshandelns entsprechen, würde man die Steufa von der weiteren Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen entbinden und den Steuerpflichtigen sozusagen mit einem neuen Verfahren einer anderen Behörde überziehen.
Da der Senat nach alldem die Aufgabenzuweisung an die Steufa im Streitfall nach § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 bejaht, bedarf es nicht der Prüfung, ob sich eine solche Aufgabenzuweisung, wie das Finanzamt unter Hinweis auf den Beschluß des FG Hessen, wistra 1997, 118, in einem Parallelfall meint, zusätzlich oder hilfsweise auch aus § 208 I 1 Nr. 3 AO 1977 ergeben könnte.
c) Der Steufa des Finanzamts steht bei summarischer Betrachtung auch die Befugnis zu, die geforderten Auskünfte von der Ast. als dritter Person zu verlangen.
Nach § 208 I 2 AO 1977 hat die Steufa in steuerverfahrensrechtlicher Hinsicht grundsätzlich auch die Ermittlungsbefugnisse, die den Finanzämtern im Besteuerungsverfahren zustehen. Dazu gehören insbesondere die allgemeinen Beweiserhebungs- und Ermittlungsbefugnisse der §§ 93 ff. AO 1977, bei denen für die Steufa im Interesse einer ordnungsgemäßen Gewährleistung des Steueraufkommens sogar bestimmte Befreiungen gelten (§ 208 I 3, Halbs. 1 AO 1977). § 93 I 1 AO 1977 gibt hiernach der Steufa das Recht, von den Bet. (§ 78 AO 1977) und anderen Personen die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu verlangen. Die Ast. im Streitfall ist eine andere Person i. S. dieser Bestimmung, weil sie nicht am Besteuerungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen G beteiligt ist. Sie kann sich indessen nicht auf die Nachrangigkeit ihrer Auskunftspflicht gem. § 93 I 3 AO 1977 berufen, weil die Steufa, wenn sie gem. § 208 I 1 Nr. 2 AO 1977 tätig wird, nicht den Einschränkungen des § 93 I 3 AO 1977 unterworfen ist. Mithin kann die Steufa von der Ast. unmittelbar Auskunft verlangen und muß sich nicht primär an den Steuerpflichtigen G halten.
Aus der Tatsache, daß es sich bei der Ast. um eine Bank und bei dem Steuerpflichtigen G um einen Kunden dieser Bank handelt, mithin auch die besonderen Schutzvorschriften, die für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen einem Kreditinstitut und seinem Kunden gem. § 30 a AO 1977 gelten, zu berücksichtigen sind, ergibt sich im Streitfall nichts Abweichendes. Zwar haben die Finanzbehörden, also auch die Steufa, bei der Ermittlung des Sachverhalts (§ 88 AO 1977) auf dieses Vertrauensverhältnis besonders Rücksicht zu nehmen (§ 30 a I AO 1977). Maßgeblich ist im Streitfall indessen allein die dieser Vorschrift vorgehende spezielle Norm des § 30 a V AO 1977 für Auskunftsersuchen an Kreditinstitute. Für solche Auskunftsersuchen gilt hiernach § 93 AO 1977 mit der Maßgabe, daß dann, wenn die Person des Steuerpflichtigen bekannt und gegen ihn kein Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder wegen einer Steuerordnungswidrigkeit eingeleitet ist, auch im Verfahren nach § 208 I 1 AO 1977 das Kreditinstitut von der Steufa erst nachrangig, also wieder in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des § 93 I 3 AO 1977 und im Gegensatz zu § 208 I 3, Halbs. 1 AO 1977, um Auskunft ersucht werden soll. Unabhängig von der exakten Bestimmung der Tragweite des § 30 a V AO 1977 (s. dazu BFHE 183, 45 = BStBl II 1997, 499 = NJW 1997, 2067 = HFR 1997, 676) kann im Streitfall die Ast. aus dieser Vorschrift nichts herleiten, da gegen den Steuerpflichtigen G ein Verfahren wegen einer Steuerstraftat eingeleitet ist. Dabei kommt es schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, ob das Steuerstrafverfahren unmittelbar den Tatkomplex betrifft, der Gegenstand des Auskunftsersuchens ist, oder ob es, wie im Streitfall, lediglich in einem engen Zusammenhang zum Gegenstand des Auskunftsersuchens steht.
Auch im übrigen bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Auskunftsersuchen nur dann zulässig, wenn jedwede Anhaltspunkte für steuererhebliche Umstände fehlen (vgl. BFHE 162, 539 = BStBl II 1991, 277 m. w. Nachw.). Daran fehlt es jedenfalls dann nicht, wenn gegen den Steuerpflichtigen ein Steuerstrafverfahren eingeleitet ist und infolgedessen der Verdacht besteht, daß er sich auch in früheren Jahren, für die eine Strafbarkeit wegen Verfolgungsverjährung ausscheidet, entsprechend steuerunehrlich verhalten haben könnte. Auch sind im Streitfall die allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen, denen jedes Auskunftsersuchen unterliegt, eingehalten, denn es bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte, daß das Auskunftsverlangen des Finanzamts etwa zur Sachverhaltsaufklärung ungeeignet und gemessen an der Bedeutung der Angelegenheit nicht notwendig sei und unverhältnismäßig erscheine, sowie daß der Ast. als Adressaten des Ersuchens die Erteilung der Auskünfte in Form der Vorlage von Auszügen über bestimmte Bankkonten- und Depotkontenbewegungen ihres Kunden etwa unmöglich oder unzumutbar wäre (vgl. BFHE 183, 45 = BStBl II 1997, 499 = NJW 1997, 2067 = HFR 1997, 676 m. w. Nachw.; s. auch Geurts, DStR 1997, 1871 [1872 f.]).
Schließlich kann die Ast. auch nicht mit ihrem Einwand durchdringen, das Finanzamt habe die Aufforderung zur Auskunftserteilung nicht mit der Androhung von Zwangsmitteln verbinden dürfen. Denn nach § 393 I 2 und 3 AO 1977 sind im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel nur gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, sofern er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten, oder soweit gegen ihn bereits wegen einer solchen Tat ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Diese Schutzvorschriften gelten aber nicht für andere Personen als den Steuerpflichtigen, die, wie die Ast., als Dritte Auskunft über die Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen geben müssen.
Nach alldem war die Vorentscheidung aufzuheben und der Antrag der Ast. auf Aussetzung der Vollziehung des Auskunftsersuchens abzulehnen.
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