Gestaltungsmissbrauch bei Wohnungsvermietung an unterhaltsberechtigten Verwandten
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
19. 10. 1999
Aktenzeichen
IX R 30/98
Vermieten Eltern ihrem unterhaltsberechtigten Kind eine ihnen gehörende Wohnung, dann ist der Mietvertrag nicht deshalb rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977, weil das Kind die Miete durch Verrechnung mit dem Barunterhalt der Eltern zahlt (Änderung der Rechtsprechung gegenüber BFHE 152, 496 = BStBl II 1988, 604).
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Kl. ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in M. Durch schriftliche Mietverträge vom 3. 5. 1992 hat sie jeweils einen der drei Haupträume der Wohnung unter Einräumung eines Mitbenutzungsrechts an den Gemeinschaftsräumen an ihre volljährige, unverheiratete Tochter sowie zwei weitere Personen vermietet. Für die Tochter beträgt die monatliche Warmmiete 350 DM. Auch mit den beiden fremden Mieterinnen wurden Warmmieten in vergleichbarer Höhe vereinbart. Die Eltern zahlten ihrer Tochter Unterhalt in Höhe von monatlich 800 DM, von denen sie nach Abzug der Miete nur 450 DM überwiesen. Nach dem unstreitigen Vortrag der Kl. verfügte die Tochter ferner über monatliche Einnahmen durch Gelegenheitsarbeiten in Höhe von 150 DM und Zuwendungen ihrer Großeltern in Höhe von 300 DM. Für das Streitjahr 1994 ermittelten die Kl. einen Werbungskostenüberschuss bei der Wohnung in Höhe von 13049 DM. Der Bekl. (das Finanzamt) erkannte das Mietverhältnis mit der Tochter nicht an, weil es rechtsmissbräuchlich sei (§ 42 AO 1977). Der Werbungskostenüberschuss wurde entsprechend gekürzt.
Nach vergeblichem Einspruch erhoben die Kl. Klage, die das FG als unbegründet zurückwies (EFG 1998, 1325). Die dagegen gerichtete Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 III Nr. 1 FGO).
Auszüge aus den Gründen:
… Das FG hat zu Unrecht das Mietverhältnis der Kl. mit ihrer Tochter wegen Rechtsmissbrauchs (§ 42 AO 1977) der Besteuerung nicht zugrunde gelegt.
1. Entgegen der Auffassung des Finanzamts und des FG hat die Kl. den Tatbestand des § 21 I EStG auch insoweit erfüllt, als sie einen Teil ihrer Eigentumswohnung an ihre Tochter vermietet hat. Der Mietvertrag mit der volljährigen Tochter ist zivilrechtlich gültig. Er hält auch einem Fremdvergleich stand, denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass das Mietverhältnis nicht wie unter Fremden eindeutig begründet oder nicht wie vereinbart durchgeführt worden ist (zu den Merkmalen des Fremdvergleichs BFHE 180, 377 = BStBl II 1997, 196 = NJW 1996, 3167). Die Vereinbarung einer Warmmiete ist bei der Zimmervermietung an Studenten nicht unüblich. Die Höhe der Miete entspricht der, die mit den fremden Mitbewohnern der Wohnung vereinbart wurde. Die Zahlung der Miete durch Verrechnung mit der Unterhaltsforderung ist ebenfalls kein Grund, die Überlassung der Wohnung dem familiären Bereich zuzuordnen (vgl. BFHE 179, 400 = BStBl II 1996, 214 = NJW 1996, 2327, zum Mietverhältnis mit der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehefrau).
2. Der Abschluss des Mietvertrags ist keine rechtsmissbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO 1977. Der erkennende Senat hat dies allerdings im Urteil in BFHE 152, 496 = BStBl II 1988, 604, und in dem Beschluss in BFH/NV 1990, 97, in vergleichbaren Fällen angenommen. Er hält an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest. Er geht zwar nach wie vor davon aus, dass die unterhaltspflichtigen Eltern die Möglichkeit haben (§ 1612 II BGB), ihrer unverheirateten Tochter entweder Barunterhalt zu zahlen, von dem sie die Kosten einer Wohnung bestreiten kann, oder aber ihr eigenen Wohnraum unmittelbar zu überlassen. Die Entscheidung der Eltern, die dem familiären Bereich zuzuordnen ist, ist jedoch grundsätzlich der Besteuerung zugrunde zu legen. Sie kann nicht darauf überprüft werden, ob sie (überwiegend) aus steuerlichen oder außersteuerlichen Erwägungen getroffen wurde mit der Folge, dass im ersteren Fall die Unterhaltszahlung in bar steuerrechtlich wie eine Naturalleistung zu behandeln wäre. Damit würde mittelbar das Recht der Eltern gem. § 1612 II BGB eingeschränkt. Das BVerfG hat entschieden, dass es Eheleuten freisteht, eine Dienstleistung im Betrieb des Ehepartners auf familiärer oder vertraglicher Grundlage zu erbringen (BStBl I 1962, 492; BStBl I 1962, 505). Entscheiden sie sich für einen Arbeitsvertrag, ist Voraussetzung für dessen steuerrechtliche Anerkennung allein, dass diese Entscheidung in der Vereinbarung und ihrer tatsächlichen Durchführung klar zum Ausdruck kommt. Mit Rücksicht auf ihre Vertragsfreiheit (§ 305 BGB; BVerfG, BStBl I 1962, 492 [495]) ist unerheblich, warum die Eheleute sich für die vertragliche Alternative entschieden haben. Das gleiche gilt in Bezug auf die Ausübung des Wahlrechts im Rahmen des § 1612 II BGB. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Entscheidung vom heutigen Tage in der Sache IX R 39/99 (NJW 2000, 758 [unter Nr. 24 in diesem Heft]).
Legt man danach die Entscheidung der Eltern für die Zahlung von Barunterhalt im Streitfall zugrunde, dann ist das streitige Mietverhältnis in gleicher Weise zu beurteilen wie andere Mietverträge zwischen Unterhaltsverpflichtetem und -berechtigtem, wenn der Unterhaltsverpflichtete kein Wahlrecht in Bezug auf die Unterhaltsleistung hat, sondern von vornherein zur Zahlung von Unterhalt in Form einer Geldrente verpflichtet ist (z.B. §§ 1361 IV , 1612 I , 1585 I BGB). Für einen dieser Fälle (§ 1585 I BGB) hat der BFH das Mietverhältnis zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Unterhaltsberechtigtem steuerrechtlich anerkannt und insbesondere einen Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO 1977) verneint; die Zahlung des Unterhalts und die Zahlung der Miete sind unter dieser Voraussetzung kein wirtschaftlich inhaltloses Hin und Her, bzw. ein „vorprogrammiertes Rückholverfahren“. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die BFH-Urteile in BFHE 179, 400 = BStBl II 1996, 214 = NJW 1996, 2327, sowie BFHE 180, 265 = BStBl II 1997, 52 = NJW 1996, 2390 (vgl. auch BFHE 182, 291 = BStBl II 1997, 599 = NJW 1997, 2542).
3. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Klage ist stattzugeben. Der im Übrigen nicht streitige Werbungskostenüberschuss in Höhe von 13049 DM ist bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.
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