Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten - Wahlfeststellung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

14. 01. 1997


Aktenzeichen

5 AZB 22/96


Leitsatz des Gerichts

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist auch dann eröffnet, wenn der Kläger entweder Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person ist. Es handelt sich um eine auch bei der Rechtswegzuständigkeit zulässige Wahlfeststellung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. hat gegen die Bekl. beim ArbG Kündigungsschutzklage erhoben mit dem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Bekl. vom 18. 1. 1995 beendet worden ist, sondern darüber hinaus unverändert fortbesteht. Der Kl. war für die Bekl. in den Bereichen Werbung, Marketing, Grafik und Grafikdesign tätig. Dem lag ein Vertrag vom 3. 2. 1993 zugrunde, in dem die Bekl. als "Auftraggeber" und der Kl. als "freier Mitarbeiter" bezeichnet wurde. In dem Vertrag heißt es:

§ 3. Arbeitsgebiete.

(1) Der freie Mitarbeiter ist frei in der Bestimmung seines Arbeitsortes und seiner Arbeitszeit. Dies gilt nicht für die Wahrnehmung von Terminen, Besprechungen, Kundenbesuchen, Besuch von Messen o.ä. für den Auftraggeber.

(2) Vom Auftraggeber wird dem freien Mitarbeiter ein Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten des Auftraggebers zur Verfügung gestellt.

§ 4. Vergütung/Nebenleistung.

(1) Der freie Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit eine Vergütung, die monatlich zum Monatsende gezahlt wird. Ausgangspunkt für die Erreichung sind die geleisteten Arbeitseinheiten, die vom freien Mitarbeiter dem Auftraggeber in Rechnung gestellt werden.

(2) Steuern führt der freie Mitarbeiter selbst ab, desgleichen alle Leistungen an gesetzliche oder private Versicherer.

(3) Der freie Mitarbeiter ist mehrwertsteuerpflichtig und weist die Mehrwertsteuer auf der Rechnung gesondert aus. Der freie Mitarbeiter führt die vom Auftraggeber an ihn ausgezahlte Mehrwertsteuer an das Finanzamt ab. ...

§ 6. Aufwendungsersatz.

(1) Arbeitsmittel werden nach Absprache zur Verfügung gestellt, soweit sich vom freien Mitarbeiter angefordert werden.

(2) Der Auftraggeber ersetzt dem freien Mitarbeiter die Aufwendungen, die zur Arbeitsdurchführung erforderlich sind. Art der Aufwendungen und Umfang bedürfen der vorherigen Absprache. Dies gilt ebenso für Reisekosten.

§ 8. Wettbewerbsverbot.

(1) Dem freien Mitarbeiter ist es untersagt, für Kunden des Auftraggebers während des Vertragsverhältnisses direkt und/oder auf eigene Rechnung zu arbeiten. Zuwiderhandlungen führen zu einer fristlosen Beendigung des Vertragsverhältnisses.

(2) Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ist dem freien Mitarbeiter für die Dauer von 12 Monaten untersagt für Kunden des Auftraggebers tätig zu sein. Bei Zuwiderhandlungen wird der freie Mitarbeiter in Regreß genommen.

Der Kl. meldete ein Gewerbe an und stellte der Bekl. monatlich Rechnungen, und zwar für Februar bis November 1993 in der Höhe zwischen 3920 DM und 9780 DM, für Dezember 1993 in Höhe von 18530 DM und für die Monate Januar bis Dezember 1994 in Höhe von 5700 bis 14090 DM, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer. Unter den Bezeichnungen "Grafikfotografiedesign" und "Werbungsfotografiedesign" versandte der Kläger geschäftliche Schreiben. Als Adresse war die Geschäftsadresse der Beklagten angegeben. Mit Schreiben vom 18. 1. 1995 kündigte die Bekl. das Rechtsverhältnis wegen einer angeblichen vom Kl. begangenen Unterschlagung fristlos. Der Kl. hält den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für gegeben. Er vertritt die Auffassung, Arbeitnehmer zu sein und behauptet: Er sei ausschließlich für die Bekl. tätig geworden und habe montags bis donnerstags eine Bürozeit von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr und freitags von 9,00 Uhr bis 16.00 Uhr einzuhalten gehabt. Urlaub habe er nur in Abstimmung mit dem Geschäftsführer der Bekl. nehmen können. Es sei ein festes Nettomonatsentgelt von 5000 DM verabredet worden. Da er jedoch angehalten worden sei als freier Mitarbeiter in Erscheinung zu treten, habe er der Bekl. zusätzliche Beträge, welche für Steuern, betriebliche Altersversorgung, Autoleasing und Telefon angefallen seien, in Rechnung gestellt. Die Bekl. hält die Arbeitsgerichte für unzuständig. Der Kl. sei weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Person gewesen. Er habe sich seine Arbeit völlig frei eingeteilt und auch ohne Absprache Urlaub genommen. Er sei 1993 im Monatsdurchschnitt nur ca. 70 Stunden tätig geworden. Lasse man den Monat mit der höchsten Arbeitszeit (Dezember 1993) und den mit der niedrigsten Arbeitszeit (März 1993) außer Betracht, so ergebe sich ein Mittelwert von nur 60,3 Stunden pro Monat.

ArbG und LAG haben dem Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erachtet. Die weitere sofortige Beschwerde der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten folgt aus § 2 I Nr. 3 lit. b i.V. mit § 5 I 1, 2 ArbGG. Es kann dahinstehen, ob der Kl. Arbeitnehmer war und dazu hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Daran könnten Zweifel bestehen, weil er nicht dargetan hat, wer von ihm wann eine tägliche Anwesenheit von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr bzw. von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr verlangt hat, wann ihm welche Weisungen erteilt wurden, worin seine Tätigkeit im einzelnen bestand und was er mit dem Geschäftsführer der Bekl. wann vereinbart hat. Zumindest war der Kl. aber arbeitnehmerähnliche Person i.S. des § 5 I 2 ArbGG. Auch bei Zuständigkeitsfragen ist eine Wahlfeststellung zulässig.

1. Nach § 5 I 2 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch für solche Mitarbeiter gegeben, "die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind". Das Arbeitsgerichtsgesetz hat den Begriff dieser Personengruppe nicht selbst bestimmt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, wobei vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Arbeitnehmerähnliche Personen sind wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im wesentlichen freier Zeitbestimmung nicht im gleichen Maße persönlich abhängig wie Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Dabei kann eine arbeitnehmerähnliche Person für mehrere Auftraggeber tätig sein. Jedoch ist für sie kennzeichnend, daß die Beschäftigung für einen der Auftraggeber wesentlich und die hieraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Hinzukommen muß, daß der wirtschaftlich Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozialschutzbedürftig ist (BAGE 66, 113 (116) = NZS 1991, 402 = NJW 1991, 1629 = AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG1979 (zu II 3a); BAG, NZA 1996, 33 = AP Nr. 22 zu § 5 ArbGG1979 (zu II)).

2. Zumindest diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Parteien hatten eine auf Dauer angelegte enge Zusammenarbeit vereinbart. Der Kl. war - wie die Bekl. nicht bestritten hat - mit Ausnahme von Krankheits- und Urlaubstagen an jedem Arbeitstag für die Bekl. in deren Räumen tätig. Der Kl. wurde monatlich nach geleisteten "Arbeitseinheiten" bezahlt. Die genaue Dauer der täglichen und monatlichen Arbeitszeit kann hier dahinstehen. Auch nach den Behauptungen der Bekl. handelte es sich auf den einzelnen Arbeitstag bezogen etwa um eine Halbtagsbeschäftigung. Der Kl. war von der Bekl. wirtschaftlich abhängig. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit stellten die entscheidende Existenzgrundlage dar. Das hat der Kl. durch Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1994 nachgewiesen. Aus diesen Umständen ergibt sich zugleich, daß der Kl. seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig ist.

3. Nach alledem ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Das ArbG hat zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist. Sie kann auch dann unwirksam sein, wenn der Kl. kein Arbeitnehmer, sondern freier Dienstnehmer (freier Mitarbeiter) war (§ 626 BGB). Gegebenenfalls ist in der Sache zu prüfen, ob der Kl. Arbeitnehmer war.

Vorinstanzen

LAG Köln, 11 Ta 64/96, 10.05.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

GVG § 17a; ArbGG §§ 2 I Nr. 3, 5 Nr. 1 S. 2, 48