Vorrang des Abführens von Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträgen (Geschäftsführerhaftung)

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

21. 01. 1997


Aktenzeichen

VI ZR 338/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Arbeitgeber ist wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung auch dann gem. § 823 II BGB i.V.mit § 266a I StGB haftungsrechtlich verantwortlich, wenn ihm die Abführung zwar im Fälligkeitszeitpunkt wegen Zahlungsunfähigkeit unmöglich war, ihm aber die Herbeiführung dieser Zahlungsunfähigkeit ihrerseits als (bedingt vorsätzliches) pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen ist.

  2. Dies kann der Fall sein, wenn die Zahlungsunfähigkeit darauf beruht, daß zwischen Auszahlung der Löhne und Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Leistungen an andere Gläubiger, sei es auch in „kongruenter Deckung" auf bestehende Verbindlichkeiten des Arbeitgebers, erbracht wurden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. nimmt den Bekl., der Geschäftsführer der G-GmbH war, auf Ausgleich des Schadens in Anspruch, der ihr als der zuständigen Einzugsstelle aus der Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung entstanden ist. Der Bekl. erkannte schon kurz nach seiner zum 1. 10. 1992 erfolgten Übernahme der Geschäftsführung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft schlecht waren. Mit Schreiben vom 19. 1. 1993 teilte er der B-AG, die den Gesamtgeschäftsanteil der G-GmbH hielt, mit, letztere sei zahlungsunfähig, weshalb er um Aufstokung des Kapitals oder um Anweisung hinsichtlich der weiteren Verfahrensweise bitte. Mit zwei Schreiben vom 2. 3. 1993 an die B-AG wies er erneut auf die Zahlungsunfähigkeit der G-GmbH und darauf hin, die Situation der Gesellschaft habe sich so entwickelt, daß er die Verantwortung nicht länger tragen könne; zugleich erklärte er „vorsorglich“ seine Kündigung und die Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit für den Fall, daß sich die Liquiditätssituation nicht kurzfristig entspanne. Nachdem er sich zwischenzeitlich am 8. 3. 1993 auch an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der B-AG gewandt hatte, kündigte er mit Schreiben vom 18. 3. 1993 an die B-AG unter Hinweis auf die „unverändert kritische Situation“ der G-GmbH erneut, übte aber die Geschäftsführertätigkeit dennoch zunächst weiter aus. Vom 27. 3. 1993 bis zum 14. 4. 1993 befand er sich im Urlaub. Seine Tätigkeit als Geschäftsführer der G-GmbH endete erst auf der Grundlage einer von ihm am 25. 4. 1993 ausgesprochenen, von der B-AG am 28. 4. 1993 angenommenen Kündigung. Die zum 15. 3. 1993 fälligen Sozialversicherungsbeiträge für die bei der G-GmbH beschäftigten Arbeitnehmer betreffend den Monat Februar 1993 wurden erst Anfang April 1993 entrichtet. Die Löhne für März 1993 wurden den Arbeitnehmern noch ausbezahlt, die entsprechenden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 119890,27 DM, die zum 15. 4. 1993 zu entrichten gewesen wären, wurden jedoch nicht an die Kl. abgeführt. Am 15. 6. 1993 wurde über das Vermögen der G-GmbH das Konkursverfahren eröffnet.

Das LG hat dem Begehren der Kl. auf Ausgleich des eingetretenen Beitragsausfalls stattgegeben. Die Berufung des Bekl. ist erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt er seinen Klageabweisungsantrag, allerdings ohne Erfolg, weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hält den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der § 823 II BGB, §§ 266a I und 14 I Nr. 1 StGB für begründet.

Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, daß dem Bekl. die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung für März 1993 in einer seine rechtliche Handlungspflicht ausschließenden Weise unmöglich gewesen sei. Nach seinem eigenen Vortrag sei die Zahlungsunfähigkeit der G-GmbH am Fälligkeitstage dadurch herbeigeführt worden, daß zuvor Leistungen an andere Gläubiger „in kongruenter Deckung" erbracht worden seien. Die vorhandenen finanziellen Mittel der G-GmbH, die im März 1993 noch Umsätze in Höhe von 1,7 Mio. DM getätigt habe, hätten vorrangig für die Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung verwendet werden müssen. Auch sei ein Arbeitgeber verpflichtet, bei Auszahlung der Löhne durch einen Liquiditätsplan sicherzustellen, daß die hierauf entfallenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei deren Fälligkeit zur Abführung bereitstünden. Dem Bekl. falle im Hinblick auf die Vorenthaltung dieser Arbeitnehmeranteile für März 1993 bedingter Vorsatz zur Last. Er habe aufgrund der ihm bekannten wirtschaftlichen Verhältnisse der G-GmbH und der hieraus resultierenden Unordnung in deren Geschäftsablauf nicht davon ausgehen können, daß eine fristgerechte Zahlung erfolgen werde. Er habe sich seinen in dieser Situation gesteigerten Überwachungspflichten als Geschäftsführer nicht dadurch entziehen können, daß er die Aufgaben auf andere Personen delegiert habe. Vielmehr habe der Bekl. unter den gegebenen Umständen billigend in Kauf genommen, daß die fälligen Arbeitnehmerbeiträge nicht fristgerecht an die Kl. abgeführt würden.

II. Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Der Kl. steht in Höhe des zugesprochenen Betrags ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 II BGB i.V.mit § 266a I StGB zu.

1. Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung werden dann i.S. des § 266a I StGB vorenthalten, wenn sie bei Fälligkeit nicht an die zuständige Einzugsstelle abgeführt werden (vgl. Senat, NJW 1992, 177 = LM H. 3/1992 § 823 (Be) BGB Nr. 37 = VersR 1991, 1378 (1379) und Senat, NJW 1997, 133 = VersR 1996, 1541). Das BerGer. stellt zutreffend fest, daß im vorliegenden Fall für die von der G-GmbH für März 1993 ausgezahlten Löhne eine Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung am 15. 4. 1993 hätte erfolgen müssen, jedoch nicht vorgenommen wurde.

2. Entgegen der Auffassung der Revision steht dem Schadensersatzanspruch der Kl. nicht entgegen, daß der G-GmbH die Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung im Fälligkeitszeitpunkt aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Das BerGer. führt zutreffend aus, daß der Tatbestand des § 266a I StGB grundsätzlich nur dann verwirklicht werden kann, wenn der Arbeitgeber im Fälligkeitszeitpunkt die Möglichkeit zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge hatte. Unmöglichkeit in diesem Sinne kann auch dann gegeben sein, wenn dem Arbeitgeber im maßgeblichen Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit fehlt (vgl. Senat, NJW 1997, 133 = VersR 1996, 1541). Zwar geht das BerGer. davon aus, daß die G-GmbH als Arbeitgeberin am Fälligkeitstag, dem 15. 4. 1993, nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügte, um die der Kl. zustehenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ordnungsgemäß abführen zu können. Jedoch hat das BerGer. unter den hier gegebenen Umständen zu Recht im Hinblick auf § 266a I StGB nicht lediglich auf eine Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt abgestellt. Vielmehr hat es zutreffend in Betracht gezogen, daß ein Arbeitgeber auch dann straf- und haftungsrechtlich verantwortlich sein kann, wenn ihm die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt ihrerseits als pflichtwidriges Verhalten zur Last gelegt werden muß. In einem solchen Fall kann die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 266a I StGB gleichsam auf einen Zeitpunkt vor dem Fälligkeitstermin vorverlagert sein (vgl. dazu z.B. Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 266a Rndr. 19; Lackner, StGB, 20. Aufl., § 266a Rdnr. 10, jew. m.w.Nachw.). Entgegen der Auffassung der Revision hat das BerGer. rechtsfehlerfrei angenommen, daß im vorliegenden Fall unter diesem Gesichtspunkt nicht davon gesprochen werden kann, die Beitragsabführung sei der G-GmbH in einer den Tatbestand der Strafvorschrift ausschließenden Weise unmöglich gewesen.

a) Nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tätigte die G-GmbH im März 1993 noch Umsätze in Höhe von 1,7 Mio. DM; die Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt der Arbeitnehmerbeiträge am 15. 4. 1993 wurde dadurch herbeigeführt, daß zuvor Leistungen an andere Gläubiger „in kongruenter Deckung" erbracht wurden, also anderweitige Zahlungen auf bestehende, gegen die G-GmbH gerichtete Ansprüche geleistet wurden. Aus diesen Feststellungen hat das BerGer. zu Recht den Schluß gezogen, daß der G-GmbH die Erfüllung ihrer in § 266a I StGB normierten Arbeitgeberpflichten im Rechtssinne möglich gewesen wäre.

aa) Zwar war die G-GmbH als Arbeitgeberin erst am Fälligkeitstage zur tatsächlichen Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge verpflichtet. Sie hatte jedoch bereits ab der Auszahlung der Löhne für März 1993 ihre Zahlungspflicht im Auge zu behalten; die Revision geht - unter Hinweis auf den Tatsachenvortrag des Bekl. - selbst davon aus, daß diese Löhne am 12. 3. 1993 fällig waren und gezahlt wurden. Ein Arbeitgeber muß rechtzeitig, jedenfalls in dem kurzen und regelmäßig überschaubaren Zeitraum, der zwischen Fälligkeit des Arbeitsentgelts und der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge liegt, dafür sorgen, daß er die erforderlichen Zahlungsmittel zur Verfügung hat. Dies wird im Normalfall eines Unternehmens mit geregelten wirtschaftlichen und organisatorischen Verhältnissen keine außergewöhnlichen Vorkehrungen erfordern.

bb) Drängen sich jedoch aufgrund der konkreten finanziellen Situation, vor allem bei einer erkennbar verzweifelten Wirtschaftslage, deutliche Bedenken auf, ob am Fälligkeitstage ausreichende Mittel vorhanden sein werden, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, durch besondere Maßnahmen, etwa die Aufstellung eines Liquiditätsplans und die Bildung ausreichender Rücklagen unter Zurückstellung anderweitiger Zahlungspflichten, notfalls sogar durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne, seine Fähigkeiten zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung soweit wie möglich sicherzustellen (vgl. hierzu - auf der Grundlage der vor Inkrafttreten des § 266a StGB geltenden Rechtslage, wie sie sich etwa im Hinblick auf § 533 RVO a.F. darstellte - z.B. Senat, VersR 1963, 1034 (1035) und Senat, LM § 366 BGB Nr. 12 = VersR 1980, 647; s. hierzu auch Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 266a Rdnr. 19). Die auf diese Weise bereitzustellenden Mittel dürfen nicht anderweit, auch nicht zur Befriedigung bestehender Verbindlichkeiten des Arbeitgebers, eingesetzt werden, sondern haben ausschließlich der fristgerechten Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu dienen.

b) Dieser Beurteilung steht - entgegen der Auffassung der Revision (wie diese auch OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1448 (1449); Samson, in: SK-StGB, § 266a Rdnr. 29) - nicht entgegen, daß das in § 266a I StGB unter Strafe gestellte Verhalten nicht mehr (wie nach der früheren Rechtslage, etwa aufgrund § 533 RVO a.F.) an die Pflicht zur Abführung einbehaltener Arbeitnehmerbeiträge anknüpft. Es mag dahinstehen, inwieweit diese frühere Gesetzesfassung gleichsam eine treuhänderische Verpflichtung des Arbeitgebers nahelegte (vgl. dazu z.B. Senat, VersR 1963, 1034 und Senat, LM § 366 BGB Nr. 12 = VersR 1980, 647). Jedenfalls wollte der Gesetzgeber, als er in § 266a I StGB auf das Merkmal „einbehaltener“ verzichtete, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit einer Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen insoweit nicht einengen (vgl. hierzu die Begr. d. RegE, BT-Dr 10/318, S. 12), vielmehr die Schutzrichtung der Strafbestimmung (Gewährleistung des Beitragsaufkommens im Interesse der Solidargemeinschaft) noch verdeutlichen und den Tatbestand auf Fälle erweitern, in denen im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer von vornherein keine Beiträge einbehalten und abgeführt werden sollten (vgl. Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags, BT-Dr 10/5058, S. 31; s. hierzu auch Franzheim, wistra 1987, 313 (315); Martens, wistra 1986, 154 (155)).

c) Der Arbeitgeber hat, soweit die vorhandenen finanziellen Mittel nicht zur Begleichung anderer offenstehender Verbindlichkeiten neben der Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ausreichen, die Mittel vorrangig zur Abführung der letzteren an die zuständige Einzugsstelle zur Verfügung zu stellen. Er erfüllt den Straftatbestand des § 266a I StGB auch dann, wenn er unter Verletzung dieses Vorrangs Forderungen anderer Gläubiger (in „kongruenter Deckung") befriedigt und damit seine Zahlungsfähigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge beeinträchtigt.

aa) Dieser Vorrang entspricht dem dargestellten Schutzzweck der in § 266a I StGB getroffenen Regelung und dem im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers. Auf diesen Vorrang vor anderen zivilrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers wird bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs hingewiesen (BT-Dr 10/318, S. 31). Nachdem in der Stellungnahme des Bundestagsausschusses für Wirtschaft eine kritische Überprüfung der Einführung des § 266a StGB gerade im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung gegenüber anderen Forderungen angeregt worden war (BT-Dr 10/5058, S. 23), hat der Rechtsausschuß an der vorgesehenen Regelung mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die besondere strafrechtliche Schutzbedürftigkeit der Aufbringung der Mittel zur Sozialversicherung festgehalten (BT-Dr 10/5058, S. 31). Diese umfassende strafrechtliche Sanktionierung hebt die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge gegenüber sonstigen schuldrechtlichen Verbindlichkeiten des Arbeitgebers deutlich heraus.

bb) Von diesem grundsätzlichen Vorrang der in Rede stehenden Beitragsansprüche geht auch die Regelung des § 266a V 1 StGB aus. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit eines Absehens von Strafe betrifft gerade die Fälle, in denen sich der Arbeitgeber wegen der Knappheit der finanziellen Mittel in der Schwierigkeit befindet, nicht auf alle dringenden Verbindlichkeiten Zahlung leisten zu können. Wenn er sich in einer solchen Lage dafür entscheidet, etwa seinen Arbeitnehmern den Nettolohn voll auszuzahlen oder unumgänglich notwendige Betriebsausgaben für die Fortführung des Unternehmens zu bezahlen, so daß die finanziellen Ressourcen dann nicht mehr für die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ausreichen, kann unter besonderen Umständen seine Strafbarkeit entfallen (vgl. zum Gesetzeszweck die Begr. des RegE, BT-Dr 10/318, S. 26 (30f.); s. hierzu auch Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 266a Rdnrn. 21ff.; Winkelbauer, wistra 1988, 16 (17f.)). Die in § 266a V StGB enthaltene Regelung baut auf einem grundsätzlichen Vorrang der Abführungspflicht auf; sie wäre nicht erforderlich, wenn eine aus der Befriedigung anderweit bestehender Verbindlichkeiten des Arbeitgebers resultierende Unfähigkeit, im Fälligkeitszeitpunkt die Arbeitnehmerbeiträge zu entrichten, bereits zum Wegfall des Tatbestandes des § 266a I StGB oder zur Beseitigung der Rechtswidrigkeit führen würde. Auch § 266a V StGB selbst beseitigt weder die Tatbestandsmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Arbeitgebers (vgl. hierzu Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 266a Rdnr. 18; Schlüchter, Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 170) und läßt damit auch seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit unberührt.

d) Der Senat vermag den in Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1448 (1449); OLG Celle, NJW-RR 1996, 481 = VersR 1996, 996 (997)) und Schrifttum (vgl. z.B. Samson, in: SKStGB, § 266a Rdnrn. 30f.) teilweise geäußerten Bedenken gegen den dargestellten grundsätzlichen Vorrang der Abführungspflicht gegenüber anderen zivilrechtlichen Verbindlichkeiten und den hieraus resultierenden haftungsrechtlichen Konsequenzen nicht zu folgen.

aa) Daß durch § 266a I StGB in der vorliegend für zutreffend erachteten Auslegung die Strafbarkeit der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung früher einzusetzen vermag als in anderen auf den Gläubigerschutz ausgerichteten strafrechtlichen Normen (etwa §§ 283 , 283c , 288 StGB), die erst an „inkongruenten“ Verhaltensweisen des Schuldners ansetzen, rechtfertigt sich aus der besonderen Schutzbedürfigkeit des Beitragsaufkommens im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Solidargemeinschaft. Daß die vorrangige Abführungspflicht hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in kritischer finanzieller Lage des Unternehmens, wie bereits oben erwähnt, dazu zwingen kann, einen Liquiditätsplan aufzustellen, um die Entrichtung der Beiträge im Fälligkeitszeitpunkt sicherzustellen, führt zu keiner unangemessenen Überforderung des Arbeitgebers, von dem in einer derartigen besonderen Situation erhöhte Anstrengungen zur Gewährleistung der Erfüllung elementarer Pflichten erwartet werden müssen.

bb) Auch die konkursrechtliche Behandlung der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsforderungen als Masseschulden nach § 59 I Nr. 3e KO und die Regelungen der Konkursanfechtung stehen dem für § 266a I StGB relevanten Vorrang der Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen gegenüber anderen Forderungen nicht entgegen (so aber OLG Celle, NJW-RR 1996, 481 = VersR 1996, 996 (997)). Die Frage, ob und inwieweit eine offengebliebene Beitragsschuld aus der Konkursmasse bevorrechtigt befriedigt werden soll, hat nichts damit zu tun, daß der Arbeitgeber vor dem Konkurs gehalten gewesen wäre, eine bestimmte Beitragsverpflichtung, nämlich die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge, mit Vorrang zu behandeln. Die Anfechtungsvorschriften ihrerseits können nur die eng begrenzte im Sinne der konkursrechtlichen Regelungen kritische Zeit betreffen, nicht aber die vorher den Arbeitgeber treffenden Pflichten, um die es im vorliegenden Fall geht.

e) Das BerGer. ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß Leistungen, auch solche in „kongruenter Deckung", die in der Zeit zwischen der Auszahlung der Löhne an die Arbeitnehmer durch die G-GmbH und der Fälligkeit der an die Kl. abzuführenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung an andere Gläubiger erbracht wurden, nicht zu einer rechtlich relevanten Unmöglichkeit der Pflichterfüllung und damit zu einem Entfallen des Tatbestandes des § 266a I StGB zu führen vermochten. Auch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der G-GmbH als Arbeitgeberin wurde hierdurch nicht berührt.

3. Für die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge war der Bekl. als Geschäftsführer der G-GmbH gem. § 14 I Nr. 1 G-GmbH strafrechtlich (und damit auch haftungsrechtlich) verantwortlich. Entgegen der Ansicht der Revision steht dem nicht entgegen, daß der Bekl. in der Zeit vom 29. 3. bis zum 14. 4. 1993 in Urlaub war.

a) Das BerGer. hat zutreffend ausgeführt, daß sich der - hier sogar einzige - Geschäftsführer einer GmbH seinen ihm aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Organstellung obliegenden Aufgaben und Verpflichtungen nicht durch Delegation auf andere Personen, auch nicht auf Mitarbeiter des Unternehmens, vollen Umfangs entziehen kann (vgl. hierzu Senat, NJW 1997, 130 = LM H. 2/1997 § 823 (Be) BGB Nr. 45 = VersR 1996, 1538 (1539)), und zwar auch nicht für die Zeit einer urlaubsbedingten Abwesenheit. Der Bekl. konnte nicht wirksam die Funktionen des Geschäftsführers der G-GmbH auf einen Dritten (hier den von ihm beauftragten Dr. N) übertragen. Er hatte vielmehr selbst durch geeignete organisatorische Maßnahmen zu gewährleisten, daß die zur Geschäftsführung gehörenden Aufgaben auch während seines Urlaubs ordnungsgemäß erfüllt würden. Dies galt insbesondere auch für die Sicherstellung der zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge erforderlichen Mittel. Angesichts der bedrohlichen wirtschaftlichen Unternehmenskrise war der Bekl. ganz besonders gehalten, persönlich oder jedenfalls durch konkrete und hinreichend deutliche Anweisungen an die ausführenden Mitarbeiter für die Bereitstellung der Gelder und die pünktliche Beitragsabführung zum Fälligkeitszeitpunkt an die Kl. Sorge zu tragen.

b) Diesen Verpflichtungen ist der Bekl. nicht ausreichend nachgekommen. Auch seine Dienstanweisung vom 25. 3. 1993 war, worauf das BerGer. zu Recht hingewiesen hat, hierzu nicht geeignet. Sie konnte keine ordnungsgemäße finanzielle Planung und keine Sicherstellung der erforderlichen Geldmittel gewährleisten; auch wurde nicht auf den Vorrang der Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge gegenüber anderen bestehenden Forderungen, auch etwa Lohn- und Gehaltsansprüchen oder Verbindlichkeiten betreffend die sozialversicherungsrechtlichen Arbeitgeberbeiträge etc., hingewiesen. Im übrigen war der Bekl. in der Zeit zwischen der Auszahlung der Löhne für März 1993 und dem maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt für die Beitragsabführung am 15. 4. 1993 nur teilweise abwesend; auch in der Zeit seiner Anwesenheit hat er, wie den getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, nicht hinreichend auf die Sicherstellung der Beitragsabführung hingewirkt.

4. Das BerGer. geht auch ohne Rechtsfehler davon aus, daß das dem Bekl. anzulastende Verhalten von dessen bedingtem Vorsatz getragen war.

a) Für den Vorsatz, wie ihn § 266a I StGB voraussetzt, ist das Bewußtsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen (vgl. Senat, NJW 1992, 177 = LM H. 3/1992 § 823 (Be) BGB Nr. 37). Im Rahmen des hier ausreichenden bedingten Vorsatzes sind diese Voraussetzungen auch dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber trotz Vorstellung von der Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung diese gebilligt und nicht auf Erfüllung der Ansprüche des Sozialversicherungsträgers auf Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hingewirkt hat (vgl. BGHZ 58, 199 = NJW 1972, 947 = LM § 533 RVO Nr. 3 = VersR 1972, 554 (556)). Soweit dem Arbeitgeber gerade sein vor dem Fälligkeitszeitpunkt liegendes Verhalten, etwa die Befriedigung anderer Gläubiger unter Mißachtung des dargestellten Vorrangs der Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge, zur Last zu legen ist, müssen die Merkmale des bedingten Vorsatzes in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt gegeben sein (vgl. z.B. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 266a Rdnr. 16; Lackner, § 266a Rdnr. 16).

b) Von diesen Voraussetzungen geht auch das BerGer. aus. Es hat - entgegen der Ansicht der Revision - nicht verkannt, daß bloße Zweifel an der späteren Zahlungsfähigkeit zum Fälligkeitstage nicht zur Begründung des Vorsatzes ausreichen können. Das BerGer. hat aus der dem Bekl. bekannten unmittelbar bedrohlichen wirtschaftlichen und finanziellen Situation der G-GmbH sowie der Tatsache, daß selbst die Sozialversicherungsbeiträge für Februar 1993 nicht vor Anfang April 1993 hatten beglichen werden können, den Schluß gezogen, daß sich dem Bekl. nach den in der Vergangenheit vorgekommenen Unregelmäßigkeiten und im Hinblick auf seine eigene Einlassung, in der GmbH sei es „drunter und drüber gegangen“, die Notwendigkeit aufgedrängt hat, die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge für die im März 1993 ausgezahlten Löhne konkret sicherzustellen. Wenn das BerGer. auf diese gesamten Umstände abgestellt hat und angesichts des Verhaltens des Bekl. zu dem Ergebnis gelangt ist, dieser habe es billigend in Kauf genommen, daß die Arbeitnehmerbeiträge für März 1993 nicht an die Kl. abgeführt würden, so hält sich dies im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung und ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

c) Soweit die Revision des weiteren rügt, das Berufungsurteil enthalte keine Feststellungen zur Kenntnis des Bekl. vom Zeitpunkt der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge, von seiner Abführungspflicht sowie seiner Verantwortlichkeit als Arbeitgeber i.S. des § 266a I StGB, kann das Rechtsmittel ebenfalls keinen Erfolg haben. Das BerGer. mußte auf diese Punkte, die in den Tatsacheninstanzen zu keiner Zeit als tatsächlich oder rechtlich problematisch erschienen, im Urteil nicht weiter eingehen (§ 313 III ZPO). Die Revision vermag insoweit weder Rechtsfehler aufzuzeigen noch auf etwa übergangenen Sachvortrag des Bekl. hinzuweisen.

Rechtsgebiete

Sozialrecht; Schadensersatzrecht

Normen

BGB § 823; StGB § 266a