Unterschiedliches Rentenzugangsalter für Männer und Frauen
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
03. 06. 1997
Aktenzeichen
3 AZR 910/95
Regelungen in Versorgungsverträgen, die für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenzugangsalter (Männer: 65 Jahre; Frauen 60 Jahre) vorsehen, verstoßen für eine Übergangszeit nicht gegen Art. 3 III GG. Nach Art. 3 II GG dürfen die bisher noch für Frauen bestehenden Nachteile im Berufsleben durch die Festlegung eines früheren Rentenalters ausgeglichen werden (Bestätigung von Senat, NZA 1997, 824).
Solche Regelungen verstoßen jedoch gegen Art. 119 EGV. Die Bestimmung geht auch deutschen gesetzlichen Regelungen vor und verdrängt das entgegenstehende deutsche Recht. Das gilt für die Berechnung einer Invalidenrente, die nach einer theoretischen Altersrente zu berechnen ist, ebenso wie für die Berechnung des Unverfallbarkeitsfaktors nach § 2 I BetrAVG.
Auf Art. 119 EGV kann sich ein Mann nur mit Erfolg berufen, soweit bei der Berechnung der Betriebsrente und der Anwartschaft Zeiten nach dem 17. 5. 1990 (EuGH, Slg. I 1990, 1889 = NZA 1990, 775 = NJW 1991, 2204 = EuZW 1990, 283 - Barber) zu berücksichtigen sind (im Anschluß an Senat, NZA 1997, 824).
Der Unverfallbarkeitsfaktor nach § 2 I BetrAVG ist für Beschäftigungszeiten vor und nach dem 17. 5. 1990 unterschiedlich zu berechnen. Für Beschäftigungszeiten vor dem 17. 5. 1990 ist von einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 65. Lebensjahr auszugehen, für die Zeit nach dem 17. 5. 1990 von einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 60. Lebensjahr (Rentenzugangsalter für Frauen). Entsprechendes gilt für die Berechnung der Invalidenrente, bei deren Berechnung eine erreichbare ("theoretische") Altersrente zu berücksichtigen ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Berechnung des betrieblichen Ruhegelds. Der schwerbehinderte Kl. verlangt in Bezug auf die Altersgrenze die Gleichbehandlung mit Frauen. Der im Februar 1934 geborene Kl. war vom 1. 10 1961 bis zum 30. 9. 1993 bei der Bekl. beschäftigt. Die Bekl. hatte ihm Versorgungsleistungen nach der Versorgungsordnung vom 1. 7. 1976 zugesagt. Das betriebliche Ruhegeld wird als Altersrente, als vorzeitige Altersrente oder als Invalidenrente gezahlt. Die Voraussetzungen für den Bezug der Altersrente oder der vorzeitigen Altersrente sind in Abschnitt 3 der Versorgungsordnung geregelt. Hier heißt es (Abschnitt 3.3) u.a.: "Altersgrenze ist bei Männern das vollendete 65., bei Frauen das vollendete 60. Lebensjahr." Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Invalidenversorgung sind in Abschnitt 4 der Versorgungsordnung geregelt. Der Abschnitt 6 enthält Bestimmungen zur Höhe der Leistungen. Abschnitt 6.3 lautet:
6.3. Bemessungsgrundlage für die Invalidenrente ist die theoretische Altersrente, die nach den Absätzen 6.1 und 6.2, jedoch unter Berücksichtigung der erreichbaren rentenfähigen Dienstjahre (Abschnitt 9 Abs. 2) statt der abgeleisteten rentenfähigen Dienstjahre (Abschnitt 9 Abs. 1) bestimmt wird.
Der Abschnitt 13 enthält Bestimmungen bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es heißt dort (Abschnitt 13.2):
13.2. Endet das Arbeitsverhältnis, ohne daß ein Anspruch nach dieser Versorgungsordnung entstanden ist, bleibt die Anwartschaft entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung aufrechterhalten. Sind dagegen die gesetzlichen Voraussetzungen der Unverfallbarkeit nicht erfüllt, erlischt die Anwartschaft.
In der Hauszeitung "Nachrichten für unsere Mitarbeiter" vom 25. 5. 1981 ließ die Bekl. folgende Mitteilung veröffentlichen:
6. Betriebliche Altersversorgung - Rentenberechnung für Schwerbehinderte. Die Mitarbeiter sind gebeten, auch diesen Abschnitt der Hauszeitung zu entnehmen und ihrer betrieblichen Altersversorgung anzufügen. Wendet man die Bestimmungen unserer betrieblichen Altersversorgung buchstabengetreu an, so ergäbe sich für schwerbehinderte Mitarbeiter, die von ihrem Anspruch, mit 60 Jahren in Pension zu gehen, Gebrauch machen, eine erhebliche Minderung der Firmenrente. Die Versorgungsordnung sieht nämlich zunächst einen Abzug wie im Falle der Vollinvalidität und dann noch eine weitere Reduzierung für jeden nicht geleisteten rentenfähigen Monat bis zum vollendeten 65. Lebensjahr vor. (Z 6.3 und Z 6.5) Läßt sich diese Regelung für jemanden, der aus freien Stücken und bei voller Gesundheit ausscheidet, vertreten, so würde sie im Falle der (Teil-)Invalidität eine soziale Härte bedeuten. Die Geschäftsleitung hat daher aus konkretem Anlaß beschlossen, in solchen Fällen nur den Abschlag für Invalidität vorzunehmen und auf weitere Abzüge zu verzichten. Das bedeutet in der Praxis - an einem Beispiel verdeutlicht - folgendes:
- Eintrittsalter: 36,
- Invalidität und Austritt mit 63,
- mögliche Dienstjahre: 29 (bis Alter 65),
- abgeleistete Dienstjahre 27,
- letztes Einkommen: 4000 DM
Berechnung:
27 x 0,4 % = 10,8 %,
10,8 % von 4000 DM = 432 DM
Verhältnis der abgeleisteten zu den theoretisch erreichbaren Dienstjahren:
(27 : 29) 100 = 93,1 %
Daraus folgt dann: 93,1 % von 432 DM = 402,19 DM als endgültige monatliche Firmenrente.
Würde man nun noch die weitere Kürzung (nach Z 6.3) anwenden, die eigentlich zusätzlich vorgesehen ist, so würde sich ein weiterer Abschlag von 24 x 0,5 = 12 % = 48,26 DM ergeben, der Schwerbehinderten-Pensionär würde in diesem Falle also nur 353,93 DM erhalten. Wie oben erklärt, werden wir von dieser Kürzungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen, sondern wir wollen den betroffenen Mitarbeitern eine möglichst lukrative Rente aus unserem Versorgungswerk zur Verfügung stellen.
Am 1. 3. 1994 (nach Vollendung des 60. Lebensjahres) bezog der Kl. Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Bekl. zahlte ihm eine Betriebsrente von zunächst 414,57 DM. Sie ging von einer theoretischen Invalidenrente in Höhe von 685,76 DM aus und kürzte die Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 29,5 % auf 483,46 DM. Die auf diese Weise für den 1. 3. 1994 berechnete Rente wurde noch einmal anteilig nach § 2 BetrAVG gekürzt. Mit dieser Berechnung ist der Kl. nicht einverstanden. Er wendet sich insbesondere gegen die Kürzung der theoretischen Invalidenrente um 29,5 % und gegen die zeitratierliche weitere Kürzung der Versorgungsleistung. Er hat zuletzt, nach einer Klageerweiterung in der Berufungsinstanz, beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an ihn ab 1. 3. 1994 monatliche Rentenleistungen von 792,91 DM zu zahlen.
Das ArbG hat die Bekl. verurteilt, an den Kl. monatlich 685,76 DM zu zahlen. Auf die Berufung der Bekl. hat das LAG dieses Urteil teilweise abgeändert. Es hat die Bekl. verurteilt, an den Kl. monatlich 610,78 DM zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Kl. zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kl. seinen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Rente von 792,91 DM weiter. Die Revision hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Der Kl. kann nach den Versorgungsbestimmungen und unter Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nach Art. 119 EGV eine geringfügig höhere Versorgungsleistung verlangen. Für die Zeit nach dem 17. 5. 1990 (EuGH, Slg. I 1990, 1889 = NZA 1990, 775 = NJW 1991, 2204 = EuZW 1990, 283 = AP Nr. 20 zu Art. 119 EG-Vertrag = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 18 - Barber) ist der Berechnung der Anwartschaft und der Rente das für Frauen günstigere Rentenzugangsalter von 60 Jahren zugrunde zu legen.
1. Der Kl. kann Ansprüche nur nach Abschnitt 13.2 der Versorgungsordnung geltend machen. Als er am 30. 9. 1993 ausschied, war noch kein Versorgungsanspruch nach der Versorgungsordnung entstanden, und zwar weder ein Anspruch auf Altersrente noch auf vorzeitige Altersrente. Der Kl. ist deshalb nur mit einer Anwartschaft auf später fällig werdende Versorgungsleistungen ausgeschieden. Seine Anwartschaft blieb entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) aufrechterhalten. Die Voraussetzungen der Unverfallbarkeit (§ 1 I BetrAVG) waren erfüllt. Danach kann der Kl. von der Bekl. nur eine nach § 2 I BetrAVG berechnete Teilrente fordern. Zu ermitteln ist die Rente, die dem Kl. ab 1. 3. 1994 (Vollendung des 60. Lebensjahres) ohne das vorherige Ausscheiden zugestanden hätte (Vollrente). Diese Rente wird anteilig im Verhältnis der tatsächlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zur möglichen Dauer der Betriebszugehörigkeit gekürzt (Teilrente).
2. Der Kl. kann von der Bekl. ab 1. 3. 1994 Versorgungsleistungen wie im Fall der Invalidität verlangen.
a) Das Recht des Kl., als Schwerbehinderter, der mit 60 Jahren die vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt, Versorgungsleistungen wie bei Invalidität beanspruchen zu können, ergibt sich zwar nicht aus der Versorgungsordnung von 1976. Diese Versorgungsordnung wurde aber durch die Vereinbarung vom 25. 5. 1981 ergänzt. Darin ist dem LAG zuzustimmen. Die Bekl. hat ihren Mitarbeitern eine Ergänzung der Versorgungsordnung angeboten (§ 145 BGB). Das Angebot richtete sich auch an den Kl. Es war entgegen der Auffassung der Bekl. nicht nur an die Mitarbeiter gerichtet, die zu dieser Zeit bereits Schwerbehinderte waren. Für eine solche Beschränkung geben weder Wortlaut noch Begründung des Angebots etwas her. Die Ergänzung sollte soziale Härten vermeiden. Diese können sich nicht nur auf die damals schwerbehinderten Mitarbeiter beziehen. Der Kl. brauchte die Annahme des Angebots nicht ausdrücklich gegenüber der Bekl. zu erklären. Eine solche Erklärung war nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten. Die Ergänzung brachte für den betroffenen Personenkreis nur Verbesserungen (§ 151 BGB).
b) Die vorzeitig (vor Vollendung des 65. Lebensjahres) ausscheidenden schwerbehinderten Mitarbeiter sollten nach dieser Zusatzvereinbarung wie Arbeitnehmer behandelt werden, die eine Invalidenrente beanspruchen können. Es geht also nicht um die Berechnung einer vorgezogenen Altersrente. In der Zusatzvereinbarung wird nämlich ausdrücklich auf die Regelung in Abschnitt 6.3 der Versorgungsordnung verwiesen. Nach dieser Bestimmung kommt es bei der Berechnung der Invalidenrente auf das Verhältnis der abgeleisteten zu den theoretisch erreichbaren Dienstjahren an. So haben die Parteien diese Änderung auch verstanden. Die Bekl. hat für den Kl. eine Invalidenrente berechnet; der Kl. hat mit der Klage eine Invalidenrente gefordert. Versorgungsfall ist die für Schwerbehinderte unterstellte Invalidität.
3. Wäre der Kl. erst am 1. 3. 1994 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, hätte ihm die Bekl. eine Invalidenrente von 717,58 DM zahlen müssen.
a) Das folgt aus Abschnitt 6.3 der Versorgungsordnung, die auch in der Zusatzvereinbarung vom 25. 5. 1981 in Bezug genommen wurde. Ausgangspunkt (Bemessungsgrundlage) für die Berechnung der Invalidenrente ist die theoretische Altersrente. Diese theoretische Altersrente wird nach den Abschnitten 6.1 und 6.2 ermittelt. Danach beträgt die Altersrente im Falle des Kl. 12 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes. Der rentenfähige Arbeitsverdienst betrug 6607,60 DM. 12 % davon ergeben 792,91 DM. Dieser Betrag ist entsprechend der Regelung in Abschnitt 6.3 zu kürzen. Die tatsächlich abgeleisteten rentenfähigen Dienstjahre sind in ein Verhältnis zu setzen zu den erreichbaren rentenfähigen Dienstjahren. Der Kl. hat 32 Dienstjahre abgeleistet. Er hätte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres 37 Dienstjahre erreichen können. Der Betrag von 792,91 DM wird damit auf 32/37 gekürzt. Das ergibt 685,76 DM.
b) Die Versorgungsordnung der Bekl. verstößt in diesem Punkt gegen Art. 119 EGV.
aa) Nach deutschem Recht kann der Kl. keine günstigere Berechnung verlangen. Regelungen über ein unterschiedliches Rentenzugangsalter verstoßen noch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in der Form der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Zwar verbietet Art. 3 III GG eine Benachteiligung eines Arbeitnehmers wegen seines Geschlechts. In der Versorgungsordnung werden Männer im Vergleich zu Frauen auch benachteiligt. Die Zahl der erreichbaren Dienstjahre ist höher und der Anteil an der theoretischen Altersrente deshalb geringer als bei Frauen. Für eine Übergangsfrist verstoßen Versorgungszusagen mit unterschiedlichem Rentenzugangsalter aber nicht gegen Art. 3 III GG. Ein Verstoß betrieblicher Regelungen gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts (Art. 3 III GG) kann durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 II GG gerechtfertigt sein (BVerfGE 85, 191 (209) = NJW 1992, 964 = AP Nr. 90 zu § 242 BGB Gleichbehandlung (zu C I 3); BAGE 73, 269 (281) = NZA 1994, 77 = EuZW 1995, 763 m.Anm. Loritz = AP Nr. 193 zu Art. 3 GG). Nach Art. 3 II GG fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das erlaubt, die bisher für Frauen noch bestehenden Nachteile in der beruflichen Entwicklung durch die Festsetzung eines früheren Rentenalters auszugleichen. Das BVerfG hat bei den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung einen solchen Ausgleich zugelassen (BVerfGE 39, 169 = NJW 1975, 919; BVerfGE 74, 63 = NJW 1987, 1541 = AP Nr. 3 zu § 25 AVG). Es hat nur den Gesetzgeber aufgefordert, durch eine Neuregelung dem sich wandelnden Erwerbsverhalten der Frauen Rechnung zu tragen, um eine in der Zukunft zu erwartende Ungleichbehandlung zu vermeiden. Dem ist der Gesetzgeber für die gesetzliche Rentenversicherung durch die Schaffung von Übergangsregelungen nachgekommen. An diese Regelungen dürfen Arbeitgeber, die selbständig Versorgungsordnungen aufstellen, anknüpfen (vgl. Senat, NZA 1997, 824).
bb) Die Regelungen der Versorgungsordnung verstoßen jedoch gegen Art. 119 EGV. Art. 119 EGV ist auf die Rechtsbeziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in seinem Anwendungsbereich unmittelbar anzuwenden (EuGH, Slg. 1963, 1 - van Gend & Loos; BVerfGE 73, 339 (375) = NJW 1987, 577 - Solange II). Soweit nationales Recht dem Gemeinschaftsrecht entgegensteht, wird das nationale Recht verdrängt. Das Gemeinschaftsrecht ist vorrangig anzuwenden. Art. 119 EGV ist auf solche Systeme der betrieblichen Altersversorgung anzuwenden, bei denen es sich um eine die staatliche Alterssicherung ergänzende betriebliche Alterssicherung handelt. Das ist ständige Rechtsprechung des EuGH (vgl. Slg. I 1990, 1889 = NZA 1990, 775 = NJW 1991, 2204 = EuZW 1990, 283 - Barber; Slg. I 1994, 4389 = NZA 1994, 1073 = EuZW 1994, 722 = AP Nr. 57 zu Art. 119 EG-Vertrag = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 28 - Coloroll). Es verstößt gegen Art. 119 EGV, wenn die Invalidenrente bei vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmern für Frauen und Männer unterschiedlich berechnet wird. Der Grundsatz des gleichen Entgelts i.S. des Art. 119 EGV muß für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts gewährleistet sein.
c) Der Kl. kann jedoch das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen - bezogen auf betriebliche Rentenleistungen - nur für solche Leistungen in Anspruch nehmen, die auf Beschäftigungszeiten nach dem 17. 5. 1990, dem Tag des Erlasses des Barber-Urteils, beruhen (Slg. I 1990, 1889 = NZA 1990, 775 = NJW 1991, 2204 = EuZW 1990, 283 - Barber; EuGH, Slg. I 1994, 4389 = NZA 1994, 1073 = EuZW 1994, 722 = AP Nr. 57 zu Art. 119 EG-Vertrag - Coloroll). Das gilt auch für die unterschiedliche Berechnung einer Betriebsrente, die auf der Festsetzung eines geschlechtsbezogenen unterschiedlichen Rentenalters beruht (EuGH, Slg. I 1990, 1889 = NZA 1990, 775 = NJW 1991, 2204 = EuZW 1990, 283 - Barber). Nur für die Zeit ab 17. 5. 1990 sind Leistungen einheitlich für Männer und Frauen zu erbringen. Von diesem Zeitpunkt an können unterschiedliche Altersgrenzen die Berechnung der Rente nicht mehr beeinflussen. Für die Zeit vor dem 17. 5. 1990 bleibt es bei der deutschen Regelung. Das bedeutet für den vorliegenden Fall: Die theoretische Altersrente von 792,91 DM muß - gerechnet nach Monaten - für die Zeit bis zum 31. 5. 1990 auf der Grundlage von tatsächlich abgeleisteten 29 Dienstjahren zu 37 möglichen Dienstjahren berechnet werden. Für die Zeit vom 1. 6. 1990 bis zum 30. 9. 1993 ist von weiteren vier abgeleisteten rentenfähigen Dienstjahren und 33 erreichbaren Dienstjahren auszugehen. Für den ersten Zeitraum beträgt die Invalidenrente 621,47 DM, für den zweiten Zeitraum 96,11 DM. Das ergibt zusammen den Betrag von 717,58 DM. Dieser Betrag hätte einem männlichen schwerbehinderten Arbeitnehmer zugestanden, der im Alter von 60 Jahren mit Anspruch auf Invalidenrente aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre.
4. Von diesem Betrag kann der Kl. nur eine Teilrente verlangen. Die Teilrente ist nach § 2 I BetrAVG zu berechnen (vgl. auch Abschnitt 13.2 der Versorgungsordnung).
a) Nach Maßgabe der Versorgungsordnung und des § 2 BetrAVG ergibt sich ein Unverfallbarkeitsfaktor von 0,8552. Der Kl. war bei der Bekl. 384 Monate lang beschäftigt. Bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, nämlich bis zum 28. 2. 1999, hätte er 449 Monate beschäftigt werden können. Ein früherer Zeitpunkt ist weder nach der Versorgungsordnung noch nach dem Betriebsrentengesetz vorgeschrieben. Unter Anwendung dieses Unverfallbarkeitsfaktors ergäbe sich daher für den Kl. eine Teilrente von 613,67 DM.
b) Die Regelungen über die Berechnung des Unverfallbarkeitsfaktors verstoßen wiederum gegen Art. 119 EGV. Darauf kann sich der Kl. jedoch nur für Beschäftigungszeiten nach dem 17. 5. 1990 berufen.
aa) Nach deutschem Recht verstößt ein unterschiedliches Rentenzugangsalter nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. oben Abschnitt 3b aa). Die Regelungen der Versorgungsordnung und § 2 I BetrAVG sind jedoch mit Art. 119 EGV nicht vereinbar. Die Vorschrift ist unmittelbar anzuwenden und verdrängt deutsches entgegenstehendes Arbeitsrecht für Beschäftigungszeiten ab 17. 5. 1990 (vgl. oben Abschnitt 3b bb und c)
bb) Das bedeutet für den vorliegenden Fall:
Der Unverfallbarkeitsfaktor ist für die Zeit bis zum 31. 5. 1990 und für die spätere Zeit unterschiedlich zu ermitteln. Für 344 Monate der tatsächlichen Beschäftigung bei der Bekl., nämlich für die Zeit vom 1. 10. 1961 bis 31. 5. 1990, bleibt es bei dem Rentenzugangsalter von 65 Jahren für Männer. Der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit von 344 Monaten stehen damit 449 Monate gegenüber. Das ergibt einen Unverfallbarkeitsfaktor von 0,7661. Bezogen auf den Ausgangsbetrag einer vollen Invaliditätsrente von 717,58 DM kann der Kl. für den genannten Zeitraum eine Teilrente von 549,74 DM beanspruchen. Für den Zeitraum vom 1. 6. 1990 bis zum 30. 9. 1993 stehen den 40 Monaten der tatsächlichen Beschäftigung 389 Monate der möglichen Beschäftigung gegenüber. Bei einem Rentenzugangsalter von 60 Jahren hätte der Kl. in der Zeit vom 1. 10. 1961 bis zum 28. 2. 1994 389 Monate arbeiten können. Der Unverfallbarkeitsfaktor beträgt für den zweiten Zeitraum 0,1028. Das ergibt einen Betrag von 73,77 DM. Zusammen kann der Kl. deshalb eine Teilrente von 623,51 DM beanspruchen. Da das LAG ihm nur monatlich 610,78 DM zugesprochen hat, ist seine Revision in Höhe des Unterschiedsbetrags begründet.
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