Rechtswegzuständigkeit für Streitigkeiten aus sog. Kommissionärsverträgen ("Scheinselbständigkeit")

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

08. 09. 1997


Aktenzeichen

5 AZB 3/97


Leitsatz des Gerichts

Der Abschluß eines Kommissionsvertrags schließt nicht aus, daß es sich bei dem "Kommissionär" um einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person handelt (vgl. auch BAG, NZA 1997, 1126 = NJW 1997, 2973).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um Entgeltansprüche für die Zeit vom 2. 9. bis zum 15. 10. 1996. Der Kl. verlangt 8100 DM. Der Bekl. betreibt einen Großhandel mit Büchern, insbesondere Kinderbüchern und Kochbüchern, sowie sonstigen Gebrauchs- und Geschenkartikeln wie Taschenrechnern, Kugelschreibern, Uhren etc. Der Kl. bewarb sich auf eine Zeitungsanzeige des Bekl. mit folgendem Wortlaut: "Fahrer gesucht für Verkauf und Auslieferung, guter Verdienst, gute Aufstiegsmöglichkeiten. Rufen Sie uns an und vereinbaren Sie einen Gesprächstermin ..." Daraufhin schlossen die Parteien unter dem 2. 9. 1996 einen "Kommissionär-Vertrag", demzufolge der Kl. von dem Bekl. Konsumgüter bekommen und diese verkaufen sollte, wobei er den Preis, den er für die Ware an den Unternehmer abzurechnen hatte, nicht unterschreiten durfte. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem vorgeschriebenen und dem erzielten Preis sollte die "Provision" des Kl. sein (Vertrag Nr. 1, 4.1, 4.2). Nach Nr. 6 des Vertrags sollte der Kl. "für die Regelung seiner steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten allein verantwortlich" sein; nach Nr. 7 konnte "das Kommissionärsverhältnis ... von beiden Seiten jederzeit mit sofortiger Wirkung gekündigt werden". Nach dem Vortrag des Bekl. sollte der Kl. täglich bei ihm Ware als Kommissionsgut kaufen und an eigene Kunden in eigenem Namen verkaufen. Der Kl. meldete ein Gewerbe an. Die zu verkaufenden Gegenstände wurden um 7.30 Uhr bei dem Bekl. übergeben. Daraufhin schloß sich von 8.00 Uhr bis 9.00 Uhr ein Unterricht an. Abends wurde die restliche Ware wieder bei dem Bekl. abgegeben und abgerechnet. Der Kl. übernahm am 3. 9. 1996 von dem Bekl. 36 Multifunktionslampen "Galaxis" und 40 Timer, von denen er an diesem Tag einige auf einem Parkplatz in Rüdesheim verkaufte. Der Erlös und der Rest der Waren wurden ihm nach seiner Behauptung an diesem Tag gestohlen. Am 4. 9. 1996 einigten sich die Parteien darauf, daß der Kl. für übernommene Ware 406 DM an den Bekl. zu zahlen habe; dem kam er am 5. 9. 1996 nach. Darauf kündigte eine Sekretärin des Bekl. das Rechtsverhältnis der Parteien fristlos. Der Kl. hält die Arbeitsgerichte für zuständig. Er hat dazu vorgetragen: Es habe sich um eine Scheinselbständigkeit gehandelt. In Wirklichkeit habe ein Arbeitsverhältnis vorgelegen, da er persönlich abhängig gewesen sei. Er sei nichts anderes gewesen als Verkaufsfahrer mit Inkassovollmacht. Der Bekl. hatte ihm bei dem Vorstellungstermin mitgeteilt, daß er im Monat zwischen 2000 DM und 7000 DM verdienen könne. Wer später als 7.30 Uhr erschienen sei, habe mit seiner Entlassung rechnen müssen. Die Teilnahme am theoretischen Unterricht sei verbindlich gewesen. Jeder Verkäufer habe ein bestimmtes Gebiet zugewiesen bekommen und habe in dem Gebiet anderer Verkäufer nicht verkaufen dürfen. Der Bekl. hat die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit gerügt und vorgetragen: Aus dem Vertrag, aus einem dem Kl. übergebenen Merkblatt und auch aus einer von diesem unterschriebenen Belehrung sei ersichtlich, daß es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Der Kl. sei nicht weisungsabhängig gewesen.

Das ArbG hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das AG verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Kl. hat das LAG den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Dagegen wendet sich der Bekl. mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde, die ohne Erfolg geblieben ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gegeben (§§ 2 I Nr. 3, 5 I ArbGG). Der Kl. war entweder Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person nach § 5 I 2 ArbGG. Eine Wahlfeststellung ist zulässig.

1. Nach § 5 I 2 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch für solche Personen gegeben, "die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind". Das Arbeitsgerichtsgesetz hat den Begriff dieser Personengruppe nicht selbst bestimmt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, wobei vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Arbeitnehmerähnliche Personen sind wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im wesentlichen freier Zeitbestimmung nicht im gleichen Maße persönlich abhängig wie Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Darüber hinaus muß der wirtschaftliche Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein (BAGE 80, 256 (265) = NZA 1996, 33 = AP Nr. 22 zu § 5 ArbGG1979 (zu B II); BAG, NZA 1997, 62 = NJW 1996, 3293 = AP Nr. 28 zu § 5 ArbGG1979). Vertragsgegenstand müssen Leistungen für den anderen Vertragspartner sein (BAG, AP Nr. 31 zu § 2 ArbGG1953 Zuständigkeitsprüfung). Das ist bei einer Verkaufstätigkeit auch dann der Fall, wenn der Verkauf - wie bei Kommissionsgeschäften (§ 383 HGB) - im eigenen Namen erfolgen soll (BAG, NZA 1997, 1126 = NJW 1997, 2973 für Verkäufe im Rahmen von Franchiseverträgen).

2. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kl. sollte nach dem "Kommissionär-Vertrag" von der Bekl. Waren bekommen und an Dritte weiterverkaufen. Die Zeiten für die Entgegennahme der Ware, die Rückgabe restlicher Waren sowie die Abrechnung waren festgelegt. Das Rechtsverhältnis war auf längere Dauer angelegt. Dadurch wäre der Kl., wie das LAG festgestellt hat, in die Organisation der Bekl. so eingebunden gewesen, daß er daneben eine Erwerbstätigkeit in nennenswertem Umfang nicht hätte ausüben können. Daraus ergibt sich die wirtschaftliche Abhängigkeit des Kl. Ob er Arbeitnehmer war, kann unentschieden bleiben. Zumindest war er seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig. Die kurze Dauer des Vertragsverhältnisses ändert daran nichts. Auf die Wirksamkeit dieser Vereinbarung und auf ihren genauen Inhalt kommt es im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 5 I 2 ArbGG nicht an.

3. Auf die Unterscheidung zwischen Fällen, in denen die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kl. Arbeitnehmer ist und Fällen, in denen die Klage sowohl auf arbeitsrechtlicher, als auch auf nichtarbeitsrechtlicher Grundlage Erfolg haben kann kommt es daher hier ebenfalls nicht an, wie das LAG zutreffend erkannt hat. Das ArbG wird gegebenenfalls in der Sache zu prüfen haben, um welche Art von Rechtsverhältnis es sich handelte.

Vorinstanzen

LAG Hessen, 9 Ta 526/96, 25.11.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

ArbGG §§ 2 I Nr. 3, 5 I 2