Erforderlichkeit einer Schulung zum Thema "Qualitätsmanagement System ISO 9000-9004"

Gericht

LAG Rheinland-Pfalz


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

29. 11. 1996


Aktenzeichen

3 TaBV 23/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Plant der Arbeitgeber die Einführung des Qualitätsmanagementsystems nach DIN/ISO 9000-9004, das die Sicherstellung der ständig gleichbleibenden Qualität eines Produktionsprozesses zum Gegenstand hat und die Teilnahme an einem entsprechenden Zertifizierungsverfahren, kann eine Schulung von Betriebsratsmitgliedern über den Inhalt dieses Systems erforderliche Kenntnisse i.S. des § 37 VI BetrVG vermitteln. Gegenstand der Schulung ist die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, das sich insgesamt auf den Produktionsprozeß auswirkt und deshalb geeignet ist, Folgen für sämtliche am Produktionsprozeß teilnehmenden Mitarbeiter auszulösen.

  2. Für die Beurteilung, ob die Schulung erforderlich ist, kommt es nicht darauf an, worin im einzelnen durch die Einführung des Systems Mitwirkungsrechte des Betriebsrates berührt werden können. Entscheidend ist, daß dieses System zu mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen führen kann und aller Voraussicht nach auch führen wird. Damit wird der Betriebsrat vor die Aufgabe gestellt, zu den im einzelnen durchzuführenden Maßnahmen, soweit seine Mitbestimmungsrechte betroffen sind, sachkundig Stellung zu nehmen und auf der Basis eines fundierten Wissens über Zustimmung oder Ablehnung zur geplanten betrieblichen Maßnahme zu entscheiden. Dazu ist er nur in der Lage, wenn er die Ziele kennt, die der Arbeitgeber mit der Einführung des Qualitätsmanagementsystems verfolgt, und wenn er Vorteile und Nachteile dieses Systems für die Belegschaft sachkundig abschätzen kann.

  3. Ist die Schulung in zwei Abschnitte unterteilt, bei denen der erste Abschnitt vornehmlich der Vermittlung theoretischer Kenntnisse dient, während im zweiten Abschnitt der Erfahrungsaustausch mit anderen Betriebsratsmitgliedern und Praktikern im Vordergrund steht, ist für beide Teile der Schulung grundsätzlich die Erforderlichkeit zu bejahen. Für den Betriebsrat ist insbesondere wichtig, durch die Diskussion mit anderen Betriebsräten praxisbezogene Erkenntnisse zu gewinnen und die schon in anderen Betrieben aufgetretenen Konsequenzen dieses Systems zu erfahren.

  4. Der Arbeitgeber ist nur zur Erstattung der Kosten in der Höhe verpflichtet, in der sie verhältnismäßig und erforderlich waren. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, Einrichtungen des Gegners zu finanzieren und zu den Verwaltungskosten für Bildungseinrichtungen des sozialen Gegenspielers beizutragen (vgl. etwa BAG, EzA Nr. 74 zu § 40 BetrVG 1972). Daraus folgt zunächst, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, die für die "Nutzung der Tagungsräume und der technischen Geräte" angesetzten Kosten zu übernehmen. Auch die Kosten der persönlichen Lebensführung hat der Arbeitgeber nicht zu erstatten, soweit sie in der Schulungszeit anfallen. Die für Kaffeepausen und Tagungsgetränke in Ansatz gebrachten Kosten können deshalb nicht anerkannt werden (BAG, EzA Nr. 71 zu § 40 BetrVG 1972). Bei den für die Verpflegung in Ansatz gebrachten Kosten ist ein Abzug von 20 % für ersparte Eigenaufwendungen vorzunehmen (BAG, EzA Nr. 74 zu § 40 BetrVG 1972).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bet. zu 1 ist als Schlosser, der Bet. zu 2 als Einrichter bei der Ag. (Arbeitgeberin) beschäftigt. Beide sind Mitglieder des neunköpfigen Betriebsrates. Die Bet. zu 1 und 2 nehmen den Arbeitgeber auf Erstattung von Schulungskosten in Anspruch. Aufgrund eines Betriebsratsbeschlusses vom 2. 2. 1995 nahmen der Bet. N in der Zeit vom 23. und 24. 3. sowie vom 3. und 4. 4. 1995 an einer Schulung teil, die das Qualitätsmanagementsystem 9000-9004 zum Gegenstand hatte. Der Bet. B nahm an dieser Schulung nur in der Zeit vom 23. und 24. 3. teil. Dem Bet. N erstattete der Arbeitgeber die Schulungskosten für die Zeit vom 23. und 24. 3.; die Übernahme der Kosten für den zweiten Teil der Schulung am 3. und 4. 4. 1995 lehnte sie ab. Für den Bet. B, der nur am ersten Teil der Schulung teilnahm, lehnte sie auch die Übernahme der insoweit entstandenen Kosten ab. Der Ast. N begehrt die Erstattung von Kosten in Höhe von 562 DM. Der Bet. B macht Kosten in Höhe von 611,53 DM geltend. Der Arbeitgeber hat 1995 entschieden, das Qualitätsmanagement System ISO 9000-9004 in seinem Betrieb einzuführen. Aufgabe dieses Systems ist die Sicherstellung der ständig gleichbleibenden Qualität eines Produktionsprozesses. Das System soll sicherstellen, daß das Produkt im Rahmen eines gleichbleibenden Produktionsprozesses entsprechend der betrieblichen Ausprägung hergestellt wird. Dem System wird dann durch ein Zertifikat bescheinigt, daß es geeignet ist, das Erreichen dieses Zieles zu gewährleisten. Das Qualitätsmanagement soll den Produktionsprozeß standardisieren und nicht die Qualität des Produktes sicherstellen. Das Verfahren verläuft in vier Phasen, an deren Anfang die Erstellung des Qualitätshandbuches steht. Dieses verweist in der Regel auf ein Verfahrenshandbuch, das konkrete Verfahrensanweisungen für den Produktionsprozeß enthält. Dem folgt die Umsetzung des dokumentierten Verfahrensprozesses im Betrieb durch Anweisung und Schulung der Mitarbeiter. Die Einführung des Systems wird abgeschlossen durch die Erteilung eines Zertifikates. Bei der Ag. stand Anfang 1995 eine Zertifizierung nach diesem System an. Das bei der Technologieberatungsstelle des DGB-Landesbezirkes Rheinland-Pfalz durchgeführte Seminar war in zwei Abschnitte gegliedert. Am 23. 3. und 24. 3. 1995 standen im wesentlichen theoretische Anweisungen in das System ISO 9000 auf der Tagesordnung. Am 3. und 4. 4. 1995 waren Berichte der Betriebsräte, Folienvorträge und Diskussionen vorgesehen. Der Arbeitgeber ist der Auffassung, daß diese Schulung nicht als erforderlich i.S. des § 36 VI BetrVG gewertet werden könne und hat demzufolge die Übernahme der Kosten des Bet. N insoweit abgelehnt, als sie aus dem zweiten Teil der Schulung resultierten. Die Übernahme der dem Bet. B entstandenen Kosten aus dem ersten Teil der Schulung hat sie gänzlich abgelehnt.

Das ArbG Koblenz hat den Antrag auf Kostenerstattung zurückgewiesen. Die Beschwerde der Bekl. war überwiegend erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Der Arbeitgeber ist gem. §§ 40 I , 37 VI BetrVG verpflichtet, die Schulungskosten des Bet. N in Höhe von 460,20 DM und des Bet. B in Höhe von 493,50 DM zu übernehmen und die Bet. insoweit durch Zahlung an die IG-Metall von den Kosten freizustellen. Die in Frage stehende Schulung vermittelte den Bet. N und B für ihre Betriebsratstätigkeit erforderliche Kenntnisse; der Arbeitgeber ist deshalb gem. § 40 I BetrVG zur Übernahme der Kosten verpflichtet.

1. Die in Frage stehende Betriebsratsschulung vom 23./24. 3. 1995 und 3./4. 4. 1995 vermittelte in beiden Teilen Kenntnisse, die für die Tätigkeit des Betriebsrats erforderlich waren (§ 37 VI BetrVG). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, der das erkennende Gericht folgt, daß die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist, wenn der Betriebsrat sie unter Berücksichtigung der konkreten betrieblichen Situation benötigt, um seine derzeitigen oder demnächst anfallenden Aufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können (vgl. zuletzt BAG, EzA Nr. 130 zu § 37 BetrVG 1972). Für diese Voraussetzungen ist der Schulungsteilnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Er hat dazu einen aktuellen oder absehbaren betrieblichen oder betriebsratsbezogenen Anlaß vorzutragen, aus dem sich der Schulungsbedarf ergibt (vgl. BAG, EzA Nr. 125 zu § 37 BetrVG 1972). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Zum Zeitpunkt der Schulung stand die Einführung des Qualitätsmanagementsystems ISO 9000 unmittelbar bevor. Es fehlt deshalb nicht am konkreten betrieblichen Anlaß. Eine Einführung in dieses System vermittelt den Bet. N und B auch die für ihre künftige Betriebsratstätigkeit erforderlichen Kenntnisse.

2. Für den Begriff der Erforderlichkeit i.S. des § 37 VI BetrVG steht dem Betriebsrat ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, 17. Aufl. (1992), § 37 Rdnr. 99 m.w. Nachw.). Der Betriebsrat hat diesen Beurteilungsspielraum hier nicht überschritten, also sich mit Beschluß vom 2. 2. 1995 für die Entsendung der Bet. N und B zu dieser Schulung entschlossen. Das erkennende Gericht ist der Auffassung, daß diese Schulung insgesamt erforderliche Kenntnisse i.S. des § 37 VI BetrVG vermittelte. Gegenstand der Schulung war die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, das sich insgesamt auf den Produktionsprozeß auswirkte und deshalb geeignet war, die Folgen für sämtliche am Produktionsprozeß teilnehmenden Mitarbeiter auszulösen.

3. Dies entspricht offenbar auch der Auffassung des Arbeitgebers und des ArbG. Der Arbeitgeber schränkt zwar dahin ein, daß das Zertifizierungsverfahren selbst unmittelbar überhaupt keine Mitwirkungsrechte tangiere. Er räumt jedoch ein, daß u.U. im Zusammenhang mit der Umsetzung Mitwirkungsrechte ausgelöst werden könnten, die ein Betriebsrat jedoch ständig und unabhängig von einer Zertifizierung wahrzunehmen habe. Auch das ArbG geht davon aus, daß die Umsetzung des Qualitätssicherungsverfahrens mitbestimmungspflichtige personelle Einzelmaßnahmen mit sich bringen könne. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß die in Folge der Einführung des Qualitätssicherungssystems notwendig werdenden Schulungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ausschließen können. Es wird aller Voraussicht nach auch zu sonstigen personellen Einzelmaßnahmen kommen, durch die die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates tangiert werden.

Anders als das ArbG und der Arbeitgeber ist das erkennende Gericht der Auffassung, daß es für die Beurteilung der Schulung nicht darauf ankommen kann, worin im einzelnen durch die Einführung des Systems unmittelbar oder mittelbar Mitwirkungsrechte des Betriebsrates berührt werden können. Entscheidend ist, daß dieses System zu mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen führen kann und aller Voraussicht nach auch führen wird. Es wird damit den Betriebsrat vor die Aufgabe stellen, zu den im einzelnen durchzuführenden Maßnahmen sachkundig Stellung zu nehmen und gegebenenfalls, soweit Mitbestimmungsrechte berührt sind, auf der Basis eines fundierten Wissens über Zustimmung oder Ablehnung der geplanten betrieblichen Maßnahme zu entscheiden. Dazu ist er nur in der Lage, wenn er weiß, welche Ziele die Bekl. mit der Einführung des Qualitätsmanagementsystems verfolgt, und wenn er Vorteile und Nachteile dieses Systems für die Belegschaft sachkundig abschätzen kann.

Es kann ihm nicht zugemutet werden, sich im Einzelfall jeweils die Kenntnisse zu verschaffen, die für seine Beurteilung maßgeblich sind. Entscheidend ist, daß die Einführung des Qualitätsmanagementsystems ISO 9000 eine Reihe von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates bei der Umsetzung dieses Systems im Produktionsprozeß auslösen kann und aller Voraussicht nach auch auslösen wird. Das erkennende Gericht hält es deshalb für erforderlich, daß sich der Betriebsrat durch die Teilnahme an Schulungen oder auf sonstige Weise die Kenntnisse verschafft, die er zur Beurteilung des Systems und seiner Folgen für die Belegschaft benötigt.

4. Dies gilt für beide Teile der Schulung. Insbesondere kann die Auffassung des Arbeitgebers, die Fortsetzung des Seminars am 3. und 4. 4. 1995 habe keine erforderlichen Kenntnisse mehr vermitteln können, nicht geteilt werden. Nach dem Themenplan für diesen Teil der Schulung sollten an diesen Tagen die theoretisch erworbenen Kenntnisse durch Diskussionen und weitere Vorträge erweitert und vertieft werden. Die Schulung steht damit im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Seminartagen, wobei im Vordergrund die praktische Umsetzung der zuvor erworbenen theoretischen Kenntnisse stand. Für das Gericht steht außer Zweifel, daß auch dies für die sachkundige Arbeit des Betriebsrates erforderlich war. Es ist insbesondere für ihn wichtig, durch die Diskussion mit anderen Betriebsräten praxisbezogene Erkenntnisse zu gewinnen und die schon in anderen Betrieben aufgetretenen Konsequenzen dieses Systems zu erfahren. Das erkennende Gericht ist deshalb der Auffassung, daß zwischen den beiden Teilen des Seminars ein so enger Zusammenhang besteht, der die Trennung in einen erforderlichen und nicht erforderlichen Teil nicht als möglich, jedenfalls nicht als angemessen erscheinen läßt.

5. Was die Höhe der geltend gemachten Kosten angeht, müssen sich die Bet. N und B allerdings Abstriche gefallen lassen. Der Arbeitgeber ist nur zur Erstattung der Kosten in der Höhe verpflichtet, in der sie verhältnismäßig und erforderlich waren. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Einrichtungen des Gegners zu finanzieren und zu den Vorhaltungskosten für Bildungseinrichtungen des sozialen Gegenspielers beizutragen (vgl. etwa BAG, NZA 1995, 1216 = EzA Nr. 74 zu § 40 BetrVG 1972). Diese Grundsätze sind hier zu beachten, daß die Schulungen durch eine gewerkschaftseigene Institution durchgeführt wurde. Daraus folgt zunächst, daß der Arbeitgeber zunächst nicht verpflichtet sein kann, die für die "Nutzung der Tagungsräume und der technischen Geräte" angesetzten Kosten in Höhe von einmal 72 DM (Bet. N) und einmal 57,03 DM (Bet. B) zu übernehmen.

Auch die Kosten der persönlichen Lebensführung hat der Arbeitgeber nicht zu erstatten, soweit sie in der Schulungszeit anfallen. Die für Kaffeepausen und Tagungsgetränke in Ansatz gebrachten Kosten können deshalb ebenfalls nicht anerkannt werden (BAGE 76, 214 = NZA 1995, 382 = EzA Nr. 71 zu § 40 BetrVG 1972). Bei den für die Verpflegung in Ansatz gebrachten Kosten ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG ein Abzug von 20 % für ersparte Eigenaufwendung vorzunehmen (vgl. BAG, EzA Nr. 74 zu § 40 BetrVG 1972). Daraus errechnet sich der Erstattungsbetrag für die Bet. N und B wie folgt: (Wird ausgeführt.)

Vorinstanzen

ArbG Koblenz, 8 BV 2855/95, 07.03.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BetrVG § 37 VI