Befähigungsnachweis durch Meisterprüfung

Gericht

VGH Mannheim


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

20. 01. 1998


Aktenzeichen

14 S 2698/97


Leitsatz des Gerichts

An der Verfassungsmäßigkeit des Befähigungsnachweises für das Handwerk, der in der Regel durch die Meisterprüfung zu erbringen ist, hat sich weder durch europäisches Gemeinschaftsrecht und dessen innerstaatlicher Umsetzung noch durch die infolge dieser Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs eingetretenen wirtschaftlichen Entwicklungen etwas geändert.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. bestand am 23. 2. 1990 die Gesellenprüfung als Elektroinstallateur. Anschließend arbeitete er bis Juli 1991 als Geselle in seinem Ausbildungsbetrieb. Von August 1991 bis März 1992 war er als Lokführerbewerber bei der Deutschen Bundesbahn tätig, anschließend, nämlich von April 1992 bis September 1992 sowie von Oktober 1993 bis April 1994, wieder als Elektroinstallateurgeselle. Dazwischen, von Oktober 1992 bis September 1993, leistete er seinen Wehrdienst ab. Die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses als Elektroinstallateur am 30. 4. 1994 geschah auf eigenen Wunsch des Kl. Von Dezember 1994 bis April 1995 und vom 19. bis 31. 5. 1995 war der Kl. nochmals als Elektroinstallateur bei zwei weiteren Firmen tätig. Von Juli 1995 bis Dezember 1995 war er als Kraftfahrer beschäftigt. Vom 11. 3. 1996 bis 31. 5. 1996 war der Kl. beim Arbeitsamt als Elektroinstallateur arbeitslos gemeldet. Anschließend trat er eine vom Arbeitsamt vorgeschlagene Arbeitsstelle an. Unter dem 26. 3. 1996 stellte der Kl. einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle. Als Gründe, die der Ablegung der Meisterprüfung bisher entgegenstanden hätten, gab der Kl. an, daß er seit Herbst 1994 mit seiner gesamten Familie in einem zerrütteten Verhältnis lebe und dadurch finanziell in erhebliche Schwierigkeiten geraten sei. Seine wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse seien überdurchschnittlich schlecht. Da er selbst schon mehrmals von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen sei und im Sommer 1995 eine Arbeit als Kraftfahrer angenommen habe, um überhaupt arbeiten zu können, wolle er das ihm Mögliche tun, um anderen das gleiche Schicksal zu ersparen. Er habe auf 50 Bewerbungen nur Absagen erhalten. Angesichts der Arbeitsmarktlage sei es zwingend erforderlich, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Genau dies wolle er mit der Ausnahmebewilligung und der Gründung einer Firma erreichen. Mit Schreiben vom 23. 5. 1996 teilte der Kl. dem Regierungspräsidium mit, daß er sich zu einem Lehrgang für die Vorbereitung auf die Meisterprüfung Teile III + IV angemeldet habe. Er wolle im Spätjahr diese Prüfungsteile ablegen. Er bitte, dies bei der Bearbeitung seines Antrags zu berücksichtigen.

Das VG wies die Untätigkeitsklage ab. Auch die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Dem Kl. steht der geltend gemachte Anspruch, ihm eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle für das Elektroinstallateurhandwerk zu erteilen, nicht zu.

Die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gem. § 8 I HandwO scheitert bereits am Vorliegen eines in dieser Vorschrift verlangten Ausnahmefalls, der gemäß Satz 2 der Bestimmung nur anzunehmen ist, wenn die Ablegung der Meisterprüfung zum Zeitpunkt der Antragstellung oder danach für den Ast. eine unzumutbare Belastung bedeuten würde. Dies trifft für den Kl. nicht zu:

Wie das VG in dem angefochtenen Urteil geht auch der Senat (vgl. hierzu schon VGH Mannheim, GewArch 1993, 252) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 13, 97 = NJW 1961, 2011) von dem Grundsatz aus, daß die Ausnahmeregelung großzügig zu handhaben ist. Eine solche Praxis darf aber andererseits nicht zur Folge haben, jede Erschwernis oder Belastung, die typischerweise mit der Ablegung der Meisterprüfung verbunden ist, als nicht zumutbar zu betrachten und dadurch das gesetzliche Erfordernis einer Ausnahmesituation zu unterlaufen. Vielmehr muß es entsprechend der gesetzlichen Wertung dabei bleiben, daß im Regelfall nur derjenige in die Handwerksrolle eingetragen wird, der in dem von ihm zu betreibenden Handwerk die Meisterprüfung bestanden hat. Der Kl. beruft sich daher ohne Erfolg auf seine finanziell angespannte Lage, die darauf zurückzuführen sei, daß er für den Unterhalt seiner Ehefrau, ihres vorehelichen Kindes und demnächst für den Unterhalt eines eigenen Kindes aufkommen muß. Unterhaltspflichtig zu sein ist eine Situation, die für Absolventen der Meisterprüfung weithin üblich ist, da sie oftmals bereits eine eigene Familie gegründet haben oder die Zeit der Familiengründung mit der Vorbereitung und Durchführung einer Meisterprüfung zusammenfällt. Im übrigen hat der Kl. nach seinem eigenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung seit Oktober 1997 wieder eine Arbeitsstelle als Elektroinstallateur und rechnet nunmehr auch mit einer Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Hinzu kommt, daß er bereits die Teile III und IV der Meisterprüfung bestanden hat. Dies ist ihm trotz der familiären Zerrüttung gelungen, auf die er außerdem zur Darlegung eines Ausnahmefalls verwiesen hat. Das Zerwürfnis mit seiner Familie mag jetzt auch in den Hintergrund treten, seit er - nach seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung am 19. 1. 1998 - die Ehe geschlossen und mithin eine eigene Familie hat. Seine frühere, derzeit nicht mehr bestehende Arbeitslosigkeit reicht nach Überzeugung des Senats ebenfalls nicht aus, eine Ausnahme vom Ablegen der Meisterprüfung für den Kl. zuzulassen. Das VG hat in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung bereits zutreffend ausgeführt, daß die Arbeitslosigkeit des Kl. insbesondere deshalb die Ablegung der Meisterprüfung nicht als unzumutbare Belastung erscheinen läßt, weil sie auf einem vom Kl. selbst zu vertretenden Verhalten beruht. So liegt es hier, da nach dem unwidersprochenen Vortrag der Bekl. die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses als Elektroinstallateur zum 30. 4. 1994 auf eigenen Wunsch des Kl. erfolgte, ebenso - nach der Angabe des Kl. in der mündlichen Verhandlung des VG - die Beendigung eines vom Arbeitsamt vermittelten Beschäftigungsverhältnisses zum 30. 11. 1996.

Darüber hinaus vermag die Absicht des Kl., angesichts der schlechten Arbeitsmarktlage durch Gründung eines eigenen Handwerksbetriebs Arbeitsplätze für Dritte zu schaffen, keinen Ausnahmefall i.S. von § 8 I HandwO zu begründen, ganz abgesehen davon, daß die Realisierbarkeit dieser Absicht zweifelhaft erscheint. Denn die gesetzliche Regelung stellt ersichtlich auf die Belastung ab, die den Antragsteller persönlich im Falle der Ablegung der Meisterprüfung trifft. Die allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Situation ist nicht maßgebend, zumal da andernfalls hohe Arbeitslosenzahlen durchweg zur Zulassung einer Ausnahme zwingen und mithin die Eintragung in die Handwerksrolle ohne Meisterprüfung zum Regelfall werden würde.

Der im Jahre 1970 geborene Kl. macht im übrigen selbst nicht geltend, die Ablegung der Meisterprüfung stelle für ihn wegen seines Alters eine unzumutbare Erschwernis dar.

Da es mithin an einer der beiden zwingenden Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung gem. § 8 I HandwO fehlt, kann es letztlich dahinstehen, ob der Kl. dem zweiten Erfordernis genügt, nämlich die notwendigen meistergleichen Kenntnisse und Fertigkeiten im Elektroinstallateurhandwerk nachgewiesen hat. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist der Nachweis durch den Kl. nicht ersichtlich; vielmehr wäre der Kl. bei Bejahung eines Ausnahmefalls bestrebt gewesen, den noch fehlenden Nachweis der fachtheoretischen und fachpraktischen Kenntnisse und Fertigkeiten im Wege einer üblicherweise von den Handwerkskammern angebotenen "kleinen Meisterprüfung" zu erbringen.

Ein Anspruch auf Eintragung in die Handwerksrolle steht dem Kl. entgegen seiner Auffassung auch nicht "aus Art. 12 GG sowie aus Art. 3 GG i.V. mit § 9 HandwO i.V. mit § 1 EWG-HandwO" zu. Zwar können sich grundsätzlich auch deutsche Staatsangehörige auf § 1 I EWG-HandwV berufen; denn die Verordnung gilt für Staatsangehörige aller Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Voraussetzung ist aber eine Tätigkeit "in einem anderen Mitgliedstaat". Diesem Erfordernis zu genügen, macht der Kl. selbst nicht geltend. In der Rechtsprechung ist auch geklärt, daß die betreffende Regelung mit höherrangigem Verfassungsrecht, insbesondere mit Art. 3 GG vereinbar ist (vgl. BVerwG, Buchholz 451.45 § 9 HwO Nr. 6 und Nr. 5 m.w. Nachw.). Ein Deutscher, der nicht in einem anderen Mitgliedstaat tätig war, ist durch die Versagung der Ausnahmebewilligung gegenüber EG-Ausländern nicht diskriminiert. Der die Ungleichbehandlung, also den Verzicht auf die Meisterprüfung rechtfertigende Unterschied liegt darin, daß den Deutschen im Regelfall die Möglichkeit offensteht, die Meisterprüfung abzulegen, den in den anderen Mitgliedstaaten tätigen Handwerkern aber nicht (vgl. Senat, GewArch 1993, 252 u. GewArch 1994, 68). Im übrigen hat der EuGH entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung, welche die Ausübung eines Gewerbes von bestimmten subjektiven Zulassungserfordernissen abhängig macht, nicht entgegensteht. Er stellt insoweit darauf ab, daß nach seiner ständigen Rechtsprechung die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit (vgl. Art. 59 , 60 EGV) nicht auf Betätigungen anwendbar sind, deren Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (vgl. EuGH, EuZW 1995, 185 = GewArch 1995, 195 m.w. Nachw.).

Schließlich teilt der Senat auch nicht die Meinung des Kl., die Regelungen der §§ 1 , 7 HandwO, welche den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe mit der Eintragung in die Handwerksrolle und diese wiederum im Regelfall mit dem Bestehen der Meisterprüfung verknüpfen, seien verfassungswidrig. Ausgangspunkt für diese Beurteilung ist der Beschluß des BVerfG vom 17. 7. 1961 (BVerfGE 13, 97 = NJW 1961, 2011), wonach der Befähigungsnachweis für das Handwerk mit dem Grundgesetz, insbesondere Art. 12 I GG vereinbar ist. Entsprechend der im "Apotheken-Urteil" (BVerfGE 7, 377 = NJW 1958, 1035) in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entwickelten "Stufentheorie" ist eine subjektive Zulassungsvoraussetzung wie hier die Meisterprüfung für die selbständige Ausübung eines Handwerks zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt. Schutzwürdig können nicht nur allgemein anerkannte, sondern auch solche Gemeinschaftswerte sein, die sich erst aus den besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Zielen des Gesetzgebers ergeben, wie z.B. die Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des Handwerks und die Sicherung des Nachwuchses für die gesamte gewerbliche Wirtschaft. Es ist nicht ersichtlich, daß sich an dieser Zielsetzung des deutschen Normgebers seit der Entscheidung des BVerfG etwas Entscheidendes geändert hätte. Das Handwerksrecht hält nach wie vor am "Großen Befähigungsnachweis" als regelmäßigem Zugangserfordernis fest. Daran hat sich trotz wiederholter Novellierung der Handwerksordnung nichts geändert. Soweit die Novelle vom 20. 12. 1993 (BGBl I, 2256) § 8 I HandwO über die Ausnahmebewilligung ergänzt hat, ist darin keineswegs eine Abkehr von den bisher maßgeblichen gesetzgeberischen Zielen zu sehen. Der eingefügte 2. Halbs. von § 8 I 1 HandwO, wonach im Rahmen des Nachweises der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten die "bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten zu berücksichtigen" sind, ist eher eine Selbstverständlichkeit, wenn auch vor dem Hintergrund einer verbreiteten Praxis verständlich, die als Nachweis die Ablegung einer Eignungsprüfung ("Kleine Meisterprüfung") verlangt. Die in Ergänzung von Satz 2 eingefügten Worte "zum Zeitpunkt der Antragstellung oder danach" wollen nach der Begründung des Gesetzentwurfs zwar die als zu weitgehend empfundene Praxis revidieren (BT-Dr 12/5918, S. 18), welche für die Beurteilung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, den gesamten beruflichen Werdegang des Antragstellers berücksichtigte, insbesondere auch ein dem Antragsteller selbst zuzurechnendes Versäumnis, die Meisterprüfung früher abzulegen. Damit hat sich aber an der wirtschaftspolitischen Grundentscheidung nichts Wesentliches geändert.

Der deutsche Gesetzgeber brauchte das für deutsche Staatsangehörige geltende Handwerksrecht auch mit Rücksicht auf das seit der Entscheidung des BVerfG vom Jahre 1961 zu beachtende europäische Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Richtlinie 64/427/EWG vom 7. 7. 1964 (ABlEG, 1863) nicht zu ändern; erst recht sieht der Senat entgegen dem Vorbringen des Kl. derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, das deutsche Handwerksrecht mit Rücksicht auf das europäische Gemeinschaftsrecht oder die daraus folgende wirtschaftliche Entwicklung als Verstoß gegen Art. 12 I GG zu betrachten. Zur Umsetzung der EWG-Richtlinie wurde die "Verordnung über die für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geltenden Voraussetzungen der Eintragung in die Handwerksrolle" - EWG-HandwV - vom 4. 8. 1966 (BGBl I, 469 mit späteren Änderungen) erlassen (§ 9 HandwO). Die in § 1 EWG-HandwV genannten Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle zeigen, daß die Gemeinschaftsinteressen, die das Handwerksrecht verfolgt und die als hinreichend gewichtig anzusehen sind, keineswegs aufgegeben wurden. Es wurde keine völlige Freizügigkeit des Dienstleistungsverkehrs im Bereich der handwerklichen Tätigkeiten eröffnet, vielmehr die Handwerkstätigkeit von Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten im Inland in subjektiver Hinsicht von sachlichen Voraussetzungen abhängig gemacht, welche auf die Erhaltung eines leistungsfähigen Handwerksstandes abzielen. So ermöglicht beispielsweise erst die ununterbrochen mindestens sechs Jahre dauernde Tätigkeit als Selbständiger oder Betriebsleiter die Ausübung der betreffenden Handwerkstätigkeit im Inland (vgl. § 1 I Nr. 1 EWG-HandwV).

Darüber hinaus hat der Kl. nicht geltend gemacht und dafür ist auch nicht genügend ersichtlich, daß die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung in Konsequenz dieser Liberalisierung des europäischen Dienstleistungsverkehrs das Gewicht der mit den subjektiven Zulassungsbeschränkungen verfolgten Gemeinschaftsinteressen im Rahmen der gem. Art. 12 I GG vorzunehmenden Abwägung bedeutsam verringert hätte. Insbesondere ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht genügend dafür ersichtlich, daß die für Ausländer geltenden Zulassungsbeschränkungen Deutsche im wirtschaftlichen Wettbewerb in beachtlichem Maße benachteiligen würden.

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht

Normen

EGV Art. 59, 60; EWG-HandwV § 1 I; GG Art. 12 I; HandwO §§ 7 I, 8 I, 9 I