Krankenkassen-Mitgliederwerbung durch Beitragsvergleich im Internet
Gericht
OLG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
22. 01. 1998
Aktenzeichen
6 U 217/97
Die Mitgliederwerbung einer gesetzlichen Krankenkasse mittels eines Beitragsvergleichs unterliegt dem Wettbewerbsrecht.
Ein Beitragsvergleich ist trotz des Bedürfnisses nach Markttransparenz in diesem Bereich unzulässig, wenn für einen Vergleich in dieser Form ein sachlich gerechtfertigter Anlaß fehlt.
Eine im Internet angebotene vergleichende Beitragsberechnung ist nicht deshalb, weil sie vom Nutzer abgerufen werden muß, zulässig.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. sind Verbände in der Rechtsform eingetragener Vereine. Ihre Mitglieder sind als Angestellten-Krankenkassen und Arbeiter-Ersatzkassen geschäftlich tätig. Zu den Aufgaben der Ast. gehört es, gemeinsame wirtschaftliche Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten und zu fördern. Die Ag. ist eine Betriebskrankenkasse in Gestalt einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Ag. wandte sich mit einem Werbeblatt an Ersatzkassenversicherte und forderte diese auf, ein bis zum 31. 7. 1997 befristetes Sonderkündigungsrecht zu nutzen, um bei ihr Mitglied zu werden. Zur Begründung führte sie an, zahlreiche - darunter vier namentlich genannte - Ersatzkassen hätten die Beiträge erhöht. Ferner gab sie unter der Überschrift "Beitragsersparnis 1997" eine Aufstellung zur Kenntnis, in der ihr eigener Beitragssatz von 12,1 % einem Beitragssatz von 14,0 % einer "Kasse A" gegenübergestellt wurde. Außerdem stellte sie in einer Liste, bezogen auf vier unterschiedliche Monatsbruttogehälter, dar, auf welche Beiträge sich die jährlichen Ersparnisse belaufen würden, wenn statt bei der "Kasse A" eine Mitgliedschaft bei ihr bestünde. Mit im wesentlichen identischen Inhalten warb die Ag. auch im Internet. Schließlich richtete sie unter der gleichen Internet-Anschrift eine "Beitragsberechnung" ein. Der Nutzer mußte sein Bundesland angeben und unter drei Einkunftsarten wählen, hatte sein monatliches Einkommen einzugeben und konnte sich so einen Monatsbeitrag bei der Ag. ausrechnen lassen. Außerdem konnte er unter der Überschrift "Vergleichen Sie!" unter verschiedenen Mitbewerbern der Ag. auswählen, woraufhin der Monatsbeitrag bei dieser Kasse angezeigt wurde. Die Ast. haben beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung der Ag. aufzugeben, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr wie in der Antragsschrift wiedergegebenen Beitragssätze bzw. Beiträge der Ersatzkassen in vergleichender Weise den Beitragssätzen bzw. Beiträgen der Ag. gegenüberzustellen und/oder Beitragsberechnungen anzubieten und/oder anbieten zu lassen.
Das LG hat den Antrag auf Erlaß der einstweiligen Verfügung abgewiesen. Die Berufung der Ast. hatte Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Den Ast. steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu, weil das Verhalten der Ag. gegen die guten Sitten verstößt (§ 1 UWG).
Die Ag. hat sich sowohl in Gestalt des Werbeblatts als auch durch die Einrichtungen im Internet eines unzulässigen Beitragsvergleichs bedient. In allen Fällen nimmt sie bestimmte Mitbewerber, einzeln oder als Gruppe, erkennbar in Bezug. Das gilt auch hinsichtlich des Werbeblatts, in dem die vier Mitbewerber namentlich genannt werden, die u.a. die Beiträge erhöht haben, und in dem dann der Beitragssatz der Ag. mit 12,1 % einem Beitragssatz der "Kasse A" mit 14,0 % gegenübergestellt wird. Hier wird die Vorstellung erweckt, jedenfalls die vier namentlich genannten Kassen bemäßen ihre Beitragssätze auf 14,0 %. Denn allein die Annahme, die "Kasse A" repräsentiere entweder jede der vier namentlich genannten Konkurrentinnen oder deren Querschnitt, verleiht dieser Werbeaussage im Kontext des Werbeblatts einen naheliegenden Sinn. Demgegenüber erscheint es fernliegend anzunehmen, die vier namentlich genannten Konkurrentinnen hätten zwar die Beiträge erhöht, seien aber gerade nicht gemeint, wenn eine relativ teure fiktive "Kasse A" zum Vergleich gestellt wird. Der Beitragsvergleich ist in allen von der Ag. durchgeführten Alternativen wettbewerbswidrig. Ein Vergleich von Preisen (Beitragssätzen) ist als vergleichende kritisierende Werbung grundsätzlich unzulässig (vgl. BGH, NJW 1964, 818 = GRUR 1964, 208 (210) - Fernsehinterview; BGH, NJW 1989, 2326 = GRUR 1989, 668 (669) - Generikum-Preisvergleich; BGH, NJW-RR 1996, 1190 = NJWE-WettbR 1996, 273 L = WRP 1996, 721 (726) - Energiekosten-Preisvergleich). Einen Anlaß zu gegenteiliger Wertung bietet das Verhalten der Ag. nicht. Es bestehen zum einen schon beträchtliche Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Vergleichs, soweit in dem Werbeblatt und in der Information im Internet hierzu die "Kasse A" mit 14,0 % herangezogen wird. Dem Vortrag der Ast., daß diese hohe Beitragsdifferenz nur in Einzelfällen besteht, ist die Ag. mit weiteren konkreten Beispielen nicht entgegengetreten. Wie die Ag. in einer Beitragsberechnung im Internet selbst - wenn auch an etwas versteckter Stelle - mitgeteilt hat, bemaß etwa die Techniker-Krankenkasse, eine der in Bezug genommenen Konkurrentinnen, ihren Beitragssatz in dem vom Antrag erfaßten Beitragsbeispiel auf 13,6 %. Es bestehen ferner betreffend Werbeblatt, Information im Internet und die Beitragsvergleiche im Internet Zweifel an der Vollständigkeit der vorgenommenen Vergleiche, weil neben den Regelleistungen der Krankenkassen auch noch andere leistungsbestimmende Umstände marktrelevant sein können, etwa das Geschäftsstellennetz oder die Erreichbarkeit oder sonstiger Service. In diesen Werbefeldern findet ebenfalls Wettbewerb zwischen den Krankenkassen statt, ohne daß die angestellten Vergleiche sich hierzu äußern. Schließlich kann nicht festgestellt werden, daß für die Vergleiche in den drei von der Ag. gewählten Formen ein sachlich gerechtfertigter Anlaß bestünde und die Angaben sich nach Art und Maß in den Grenzen des Erforderlichen halten. Zwar ist ein gesteigertes Bedürfnis nach Markttransparenz nach Freigabe der Krankenkassenwahl seit 1996 anzunehmen. Diesem Bedürfnis kann aber auf anderen Wegen als denen der Ag. genügt werden.
So hätte etwa ein Hinweis auf ihre günstigen Konditionen ausgereicht. Einen Vergleich mit seinen aktuellen Versicherungsbedingungen hätte jeder Krankenversicherte anhand seiner Lohn- oder Versicherungsunterlagen leicht selbst anstellen und so feststellen können, ob ein Wechsel zur Ag. angezeigt ist. Die Vergleiche waren damit auch angesichts grundsätzlich schutzwürdiger Interessen weder sachlich veranlaßt noch erforderlich.
Für die Beitragsberechnung und den anschließenden Beitragsvergleich im Internet folgt aus den Besonderheiten dieser Werbeform nichts anderes. Zwar kommt hier der Beitragsvergleich nur unter Mitwirkung und durch Abruf des Internetnutzers zustande. Gleichwohl stellt das Abrufen der Vergleichsdaten letztlich nur eine spezifische Nutzungsform einer nicht vom Nutzer veranlaßten, sondern von der Ag. ungefragt angebotenen Vergleichsmöglichkeit dar, wobei der Imperativ "Vergleichen Sie!" den Abruf und damit das Auskunftsersuchen provoziert. Hinzu kommt, daß dem Internetnutzer nicht etwa nur die Gegenüberstellung der Beiträge seiner eigenen Krankenkasse mit denen der Ag. eröffnet, sondern ihm gleich eine Mehrzahl von Krankenkassen zum Vergleich geboten wurde. Auch hierfür ist eine Erforderlichkeit nicht zu erkennen.
Die vorstehenden Ausführungen machen weiter deutlich, daß der beanstandete Beitragsvergleich auch den Regelungen der Richtlinie 97/55/EG vom 6. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung (abgedr. in GRUR Int. 1997, 985) - abgesehen von der noch laufenden Umsetzungsfrist - nicht gerecht wird.
Daß das Verhalten der Ag. hinsichtlich des Beitragsvergleichs eindeutig gegen Nr. II 2 der gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 3. 11. 1994 (i.d.F. vom 8. 8. 1995, dokumentiert in WRP 1997, 420 (421)) verstößt, hat zwar für die rechtliche Beurteilung keine weitere Bedeutung, unterstreicht aber die Unzulässigkeit des fraglichen Verhaltens auch aus dem Blickwinkel des betroffenen Markts.
Angesichts des obsoleten Sonderkündigungsrechts zum 31. 7. 1997 besteht zumindest Erstbegehungsgefahr. Auch die Ag. sieht das Sonderkündigungsrecht zum 31. 7. 1997 nur als Anlaß eines werblichen Verhaltens, von dessen übrigen Inhalten sie nicht abgerückt ist. Damit ist künftig und unabhängig von dem genannten Sonderkündigungsrecht eine im Kern gleichartige Verletzungshandlung nicht nur objektiv möglich, sondern auch ernsthaft und greifbar zu besorgen.
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