Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs - Kapitalherabsetzung und -erhöhung
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
05. 07. 1999
Aktenzeichen
II ZR 126/98
Wird das Grundkapital einer AG im Zuge der Herabsetzung auf Null erhöht, gebietet die Treuepflicht dem Mehrheitsaktionär, möglichst vielen Aktionären den Verbleib in der Gesellschaft zu eröffnen. Daraus ergibt sich grundsätzlich die Pflicht, das Entstehen unverhältnismäßig hoher Spitzen dadurch zu vermeiden, daß der Nennwert der neuen Aktien auf den gesetzlichen Mindestbetrag festgelegt wird.
Sachliche Gründe, welche die Festlegung eines höheren Nennwerts geboten erscheinen lassen, sind von der Gesellschaft darzulegen und zu beweisen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. und die Streithelferin des Kl. zu 1, Minderheitsaktionäre der Bekl., wenden sich mit ihrer Anfechtungsklage - soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung - gegen den zu Punkt 2 der Tagesordnung vom 20. 7. 1995 gefaßten Hauptversammlungsbeschluß. Gegenstand der Beschlußfassung war unter anderem eine Herabsetzung des Grundkapitals von 6 930 000 DM, eingeteilt in 138600 Aktien im Nennbetrag von je 50 DM, zur Deckung sonstiger Verluste auf Null DM, eine gleichzeitige Kapitalerhöhung auf 115500 DM durch Ausgabe von 2310 neuen, auf den Inhaber lautenden Aktien im Nennbetrag von je 50 DM zu pari mit Bezugsberechtigung der bisherigen Aktionäre und die Feststellung des vorgelegten Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 1994 unter Berücksichtigung der vereinfachten Kapitalherabsetzung mit gleichzeitiger Kapitalerhöhung. Die Mehrheitsaktionärin der Bekl. (künftig: D) hatte die neuen Aktien im Zeitpunkt der Hauptversammlung bereits gezeichnet und den Ausgabebetrag eingezahlt. Der Zeichnungsschein enthält die Verpflichtung von D, den bezugsberechtigten Aktionären Inhaberaktien gegen Zahlung des Nennbetrags zu übertragen, soweit diese ihr Bezugsrecht binnen einer noch zu bestimmenden Ausschlußfrist von mindestens zwei Wochen ausüben. Kl. und Streithelferin des Kl. zu 1 halten den Beschluß für rechtswidrig. Sie sind der Ansicht, die von der Bekl. und ihrer Hauptaktionärin gewählte Gestaltung beeinträchtige das Bezugsrecht der Minderheitsaktionäre. Deren Rechte würden auch dadurch verletzt, daß der Nennbetrag der neu auszugebenden Aktien auf 50 DM und nicht auf den Mindestbetrag von 5 DM festgesetzt worden sei.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat den Beschluß für nichtig erklärt. Mit ihrer Revision strebt die Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an. Die Revision hatte keinen Erfolg.
Auszügen aus den Gründen:
Das BerGer. hat der Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Es kann allerdings dahingestellt bleiben, ob der angefochtene Beschluß wegen der von der Bekl. für die Abwicklung des Bezugsrechts gewählten - allerdings nicht in den Beschlußinhalt aufgenommenen - Verfahrensweise gegen das Gesetz verstößt. Das BerGer. hat das angenommen, weil die Bekl. die neuen Aktien bereits vor Durchführung der Hauptversammlung durch die Mehrheitsaktionärin hat zeichnen lassen und ihrer Verpflichtung aus dem - nach dem Hauptversammlungsbeschluß nicht angetasteten - gesetzlichen Bezugsrecht gegenüber den Minderheitsaktionären dadurch nachzukommen beabsichtigte, daß die Mehrheitsaktionärin verpflichtet wurde, die von ihr übernommenen Aktien auf die ihr Bezugsrecht ausübenden Aktionäre zu übertragen, sie also ein Verfahren gewählt hat, das nach dem Gesetz (§ 186 V AktG) nur dann nicht als Ausschluß des Bezugsrechts gilt, wenn die Abwicklung über ein Kreditinstitut erfolgt (Hüffer, AktG, 3. Aufl., § 186 Rdnr. 46; Lutter, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 186 Rdnr. 105 II; Wiedemann, in: GroßKomm. z. AktG, 4. Aufl., § 186 Rdnr. 199; Krieger, in: Münchener Hdb. des GesellschaftsR, § 56 Rdnrn. 74ff.; Kropff, AktG 1965, § 186 unter „Ausschußbericht„). Der Beschluß kann bereits aus einem anderen Grunde keinen Bestand haben.
2. Der Beschluß der Hauptversammlung der Bekl. verstößt deswegen gegen das Gesetz und kann daher nach § 243 I AktG angefochten werden, weil die Bekl. verpflichtet war, die Aktien aus der Kapitalerhöhung mit einem Nennbetrag von 5 DM zu stückeln. Ihre Hauptversammlung hätte mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin einen entsprechenden Beschluß fassen müssen. Das folgt aus der Treuepflicht, die der Mehrheitsaktionärin der Bekl. gegenüber den Minderheitsaktionären obliegt (vgl. dazu BGHZ 103, 184 [193ff.] = NJW 1988, 1579 = LM § 242 [A] BGB Nr. 72; BGHZ 129, 136 [142ff.] = NJW 1995, 1739 = LM H. 8/1995 § 53a AktG 1965 Nr. 2).
a) Es begegnet keinen Bedenken, daß die Hauptversammlung das Grundkapital der Bekl. auf Null DM herabgesetzt hat. Wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 119, 305 [306, 319f.] = NJW 1993, 57 = LM H. 3/1993 § 221 AktG 1965 Nr. 2), ist ein solcher Schritt zulässig, wenn die Herabsetzung nach § 228 AktG mit einer Kapitalerhöhung verbunden wird, die auf jeden Fall den Mindestnennbetrag des Grundkapitals erreicht. Diese Voraussetzung ist bei der Bekl. erfüllt, weil ihr Grundkapital im Anschluß an die Herabsetzung über den Mindestnennbetrag hinaus auf 115500 DM erhöht worden ist. Der Bekl. kann auch kein Verstoß gegen § 222 IV 1 AktG vorgeworfen werden. Nach der Entscheidung des Senats vom 9. 2. 1998 (BGHZ 138, 71 = NJW 1998, 2054 = LM H. 7/1998 § 222 AktG 1965 Nr. 3 = ZIP 1998, 692 [693]) kommt nach der zwingenden Regelung dieser Vorschrift eine Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien erst dann in Betracht, wenn eine Herabsetzung des Nennbetrags nicht mehr möglich ist. Diese Voraussetzung ist bei einer Kapitalherabsetzung auf Null zwangsläufig erfüllt.
b) Die Mehrheitsaktionärin der Bekl. ist jedoch verpflichtet, im Rahmen der gesetzlichen Regelungen allen Aktionären den Verbleib in der Gesellschaft zu eröffnen. Denn die Möglichkeit, durch Einflußnahme die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, erfordert als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht, auf diese Interessen angemessen Rücksicht zu nehmen (BGHZ 103, 184 [195] = NJW 1988, 1579 = LM § 242 [A] BGB Nr. 72; BGHZ 129, 136 [143f.] = NJW 1996, 1739 = LM H. 8/1995 § 53a AktG 1965 Nr. 2). Dieser Verpflichtung ist die Mehrheitsaktionärin der Bekl. nicht nachgekommen. Der Beschluß, die neuen Aktien im Nennwert von 50 DM auszugeben, hatte zur Folge, daß - ohne Hinzukauf von Bezugsrechten - eine neue Aktie nur von Aktionären gezeichnet werden konnte, die Inhaber von 60 Altaktien im Gesamtnennwert von 3000 DM waren. Bei einem solchen Vorgehen entstehen unverhältnismäßig hohe Spitzen, die bei entsprechender Aktionärsstruktur dazu führen, daß eine große Anzahl von Kleinaktionären aus der Gesellschaft ausscheidet. Soweit jedoch diese Aktionäre in der Gesellschaft verbleiben möchten, kann diesem - berechtigten - Verlangen dadurch Rechnung getragen werden, daß Aktien mit geringeren Nennbeträgen gebildet werden. Da im Zeitpunkt der Beschlußfassung der Mindestnennbetrag der Aktie 5 DM betrug (§ 8 I 1 AktG in der damaligen Fassung), hätte bei Festlegung dieses Nennwerts ein Aktionär mit sechs alten Aktien in Nennwert von 300 DM Anspruch auf Zuteilung einer neuen Aktie im Nennwert von 5 DM erlangt. Derartigen Interessen hätte die Mehrheitsaktionärin der Bekl. Rechnung tragen müssen, gleichgültig, ob davon, wie sie selbst eingeräumt hat, acht oder, wie die Streithelferin des Kl. zu 1 behauptet hat, 343 Aktionäre profitieren können.
Die Bekl. kann dem nicht entgegenhalten, die Minderheitsaktionäre hätten ihre Mitgliedschaft durch den Zukauf von Bezugsrechten erhalten können. Einmal ist nicht ersichtlich, daß den Minderheitsaktionären ein solcher Zukauf möglich gewesen wäre. Denn da die Börseneinführung der Aktien nicht vorgesehen war, gab es auch keinen Handel mit Bezugsrechten. Der Zeichnungsvertrag enthält außerdem keine Verpflichtung der Mehrheitsaktionärin, den Aktionären, die Bezugsrechte hinzuerwerben möchten, solche auch zu verkaufen. Zum anderen folgt die Verpflichtung zur Ausgabe von Aktien im Nennwert von 5 DM aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Zu Aufwendungen, die von Minderheitsaktionären für den Zukauf von Bezugsrechten getätigt werden müssen, sind diese nicht verpflichtet. Sie sind zudem für die Minderheitsaktionäre mit größeren Beeinträchtigungen verbunden als für die Bekl. und ihre Mehrheitsaktionärin die Umstellung der Stückelung von 50 DM auf 5 DM pro Aktie. Sachliche Gründe, die eine Beibehaltung des Nennwerts von 50 DM pro Aktie geboten erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. Daß die Bekl. stets Aktien mit einer Stückelung von 50 DM gehabt hat, ist eine Folge der gesetzlichen Regelung, die bis zum Jahre 1994 bestanden hat, bietet aber keine sachliche Rechtfertigung dafür, die Minderheitsaktionäre zu benachteiligen.
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