Nichtraucherschutz durch den Gesetzgeber

Gericht

BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats)


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

09. 02. 1998


Aktenzeichen

1 BvR 2234/97


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bf. fühlte sich durch das „Rauchen an öffentlich zugänglichen Aufenthaltsorten“ in seinen Grundrechten aus Art. 2 II 1 und Art. 2 I GG verletzt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde beantragte er festzustellen, daß der Senat in diesem Berich seiner ihm obliegenden Schutzpflicht nicht hinreichend nachgekommen und der derzeitig gesetzliche Nichtraucherschutz deshalb völlig unzulänglich sei.

Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a II BVerfGG) liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, weil die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, auf die es für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ankommt, geklärt sind (vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 90, 22 [24 f.] = NJW 1994, 993). Im einzelnen wird dabei auf die nachstehend angeführten Rechtsprechungsnachweise Bezug genommen. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde - ihre Zulässigkeit unterstellt - in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Die Grundrechte erschöpfen sich nicht in ihrer Bedeutung als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Bereich. Sie enthalten auch eine objektive Wertordnung (vgl. BVerfGE 7, 198 [205] = NJW 1958, 257), aus der sich eine Pflicht der öffentlichen Gewalt ergeben kann, die Grundrechtsträger auch gegen Beeinträchtigungen der geschützten Rechtsgüter durch Dritte in Schutz zu nehmen. Insbesondere folgt aus dem Grundrecht des Art. 2 II 1 GG die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Bürger zu stellen und sie gegebenenfalls auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten Dritter zu bewahren (BVerfGE 88, 203 [251] = NJW 1993, 1751 m. w. Nachw.).

Konkrete Vorgaben dazu, wie diese staatliche Schutzpflicht im einzelnen umzusetzen ist, sind der Verfassung jedoch nicht zu entnehmen. Dem Gesetzgeber steht vielmehr bei der Erfüllung der Schutzpflicht eine weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiheit zu, die auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche oder private Interessen zu berücksichtigen. Das BVerfG kann eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten daher nur feststellen, wenn die staatlichen Organe entweder gänzlich untätig geblieben oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind (BVerfGE 56, 54 [80 f.] = NJW 1981, 1655; BVerfGE 77, 170 [214 f.] = NJW 1988, 1651; BVerfGE 79, 174 [201 f.] = NJW 1989, 1271; BVerfGE 85, 191 [212 f.] = NJW 1992, 964; BVerfGE 92, 26 [46] = NJW 1995, 2339).

2. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber seine Pflicht, die Bürger vor Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen, verletzt hätte. Insbesondere ist der Gesetzgeber nicht gänzlich untätig geblieben. Er hat im Gegenteil in vielfältiger Weise von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, das Rauchen nach einer Abwägung der allgemeinen Handlungsfreiheit der Raucher mit anderen schutzwürdigen Rechtsgütern in bestimmten Bereichen zu untersagen oder einzuschränken. Im besonderen zum Schutze der Nichtraucher vor den Gefahren des Passivrauchens kann dabei auf der Ebene des Bundesrechts auf folgende Regelungen hingewiesen werden (vgl. hierzu auch die Zusammenstellung in: BayVerfGH, BayVBl 1988, 108 [110] ): § 5 der Verordnung über Arbeitsstätten - ArbStättV - (v. 20. 3. 1975, BGBl I, 729, zuletzt geändert durch Verordnung v. 1. 8. 1983, BGBl I, 1057) regelt, daß in Arbeitsräumen während der Arbeitszeit ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft - wozu eine stark mit Tabakrauch angereicherte Atemluft nicht gehört - vorhanden sein muß. Nach § 32 ArbStättV hat der Arbeitgeber in Pausen-, Bereitschafts- und Liegeräumen dafür zu sorgen, daß geeignete Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher vor Belästigungen durch Tabakrauch getroffen werden. Gem. § 8 V der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr - BOKraft - (v. 21. 6. 1975, zuletzt geändert durch Verordnung v. 18. 7. 1995, BGBl I, 951) ist in Taxen und Mietwagen das Rauchen nur gestattet, wenn die Fahrgäste zustimmen. Nach § 14 II Nr. 8 BOKraft ist den Fahrgästen das Rauchen in Nichtraucherzonen von Linienbussen und in entsprechend gekennzeichneten Nichtrauchertaxen ausnahmslos untersagt. Nach § 14 der Eisenbahn-Verkehrsordnung - EVO - (v. 8. 9. 1938, RGBl II, 663, zuletzt geändert durch Gesetz v. 27. 12. 1993, BGBl I, 2378) ist in jedem Zug für jede Wagenklasse eine angemessene Zahl von Wagen oder Abteilen für Nichtraucher vorzuhalten. Gem. § 59 II der Verordnung über den Bau und den Betrieb von Straßenbahnen - BOStrab - (v. 11. 12. 1987, BGBl I, 2648) ist es Fahrgästen untersagt, in Nichtraucher-Fahrgasträumen zu rauchen. Neben diesen speziellen Nichtraucherschutzgesetzen wirken sich zugunsten des Nichtraucherschutzes auch diejenigen gesetzlichen Regelungen aus, die dem Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern allgemein dienen und in diesem Rahmen Rauchverbote rechtfertigen können (§ 618 BGB; § 62 HGB; § 120 a GeWO; aus dem Bereich des Landesrechts z. B. Art. 86 BayBG). Im privaten Bereich schließlich gibt das private Hausrecht die Befugnis, das Rauchen zu untersagen.

Nach alledem ist der Gesetzgeber oder der von ihm ermächtigte Normgeber im Bereich des Nichtraucherschutzes keineswegs untätig geblieben. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die derzeit existierenden gesetzgeberischen Maßnahmen evident unzureichend wären. Dabei kann offenbleiben, ob mittlerweile hinreichend verläßliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die Gesundheitsrisiken des Passivrauchens existieren, wie der Bef. behauptet (zu den Gesundheitsgefahren des Rauchens generell vgl. BVerfGE 95, 173 [184 f.] = NJW 1997, 2871). Denn auch dann wäre eine Beurteilung der konkreten Zielsetzungen und Prioritäten sowie eine Auswahl der in Betracht kommenden Mittel und Wege erforderlich, die in erster Linie der Gesetzgeber zu treffen und in konkrete Gebote und Verbote umzusetzen hat. In Wahrnehmung dieser politischen Verantwortung hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm hierbei zustehenden weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums Nichtraucherschutzvorschriften geschaffen, die ihr Ziel jedenfalls nicht offensichtlich verfehlen, zumal sie gerade diejenigen Lebensbereiche erfassen, in denen sich der Einzelne - wie beispielsweise am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln - den Raucheinwirkungen nicht ohne weiteres entziehen und dadurch auch nur in eingeschränktem Maße selbst für seinen Schutz vor möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Passivrauchen Sorge tragen kann. Wenn der Gesetzgeber derzeit eine Verstärkung des Nichtraucherschutzes nicht für geboten hält, wie in der Ablehnung des Entwurfs eines Nichtraucherschutzgesetzes durch den Bundestag jüngst zum Ausdruck gekommen ist, kann dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.

Rechtsgebiete

Allgemeines Zivilrecht

Normen

GG Art. 2 I, II