Überobligationsmäßige Betriebsumorganisation bei Berufsunfähigkeit

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

28. 04. 1999


Aktenzeichen

IV ZR 123/98


Leitsatz des Gerichts

Der Versicherer darf seine Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht deshalb einstellen, weil der versicherte Betriebsinhaber durch Kapitaleinsatz seinen Betrieb erweitert und dadurch eine Umorganisationsmöglichkeit geschaffen hat.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl., ein selbständiger Speditionsunternehmer, verlangt von der Bekl., bei der er mehrere Berufsunfähigkeitsversicherungen, überwiegend Zusatzversicherungen zu einer Lebensversicherung, abgeschlossen hat, die Fortzahlung einer Rente. Der Kl. unterzog sich im Oktober 1986 einer Operation, bei der ihm am linken Kniegelenk der Innenmeniskus entfernt wurde und die zu einer Unterschenkelthrombose und einer Lungenembolie führte. Mit der Begründung, daß der Kl. durch diese Erkrankung schon länger als sechs Monate zu mindestens 50% an der Ausübung seines Berufs gehindert sei, erkannte die Bekl. durch Schreiben vom 26. 6. und 4. 9. 1987 ihre Leistungspflicht an. Sie gewährte dem Kl. von Mai 1987 bis Januar 1992 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von zuletzt monatlich 3293,15 DM. Im September und Oktober 1991 ließ die Bekl. den Kl. erneut untersuchen. Aufgrund des Ergebnisses der ärztlichen Gutachten, wonach der Kl. aus chirurgischer Sicht nicht und aus internistischer Sicht lediglich zu 15% berufsunfähig war, teilte sie dem Kl. unter dem 12. 12. 1991 mit, daß sie Leistungen wegen Berufsunfähigkeit nicht mehr erbringen könne. Zum 1. 2. 1992 stellte sie die Rentenzahlung ein. Mit seiner darauf erhobenen Klage hat der Kl. die Zahlung rückständiger Rente in Höhe von insgesamt 88915,05 DM für die Zeit von Februar 1992 bis April 1994 und die Feststellung begehrt, daß die Bekl. verpflichtet sei, ihm die Rente weiterzuzahlen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das BerGer. die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden Urteils des LG.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat die Klage mit folgender Begründung abgewiesen:

Grundlage für die frühere Rentenzahlung der Bekl. sei die Operation des Kl. im Jahre 1986 mit ihren Komplikationen gewesen, durch die seine Arbeitsfähigkeit länger als sechs Monate zu mindestens 50% eingeschränkt gewesen sei (§ 2 Nr. 3 der den Verträgen zugrundeliegenden BUV/BUZ). Bis zur Leistungseinstellung der Bekl. im Jahre 1992 habe sich aber der Zustand des Kl. so weit gebessert, daß von einem derartigen Grad der Berufsunfähigkeit nicht mehr die Rede sein könne; dies gehe aus den von der Bekl. und vom BerGer. eingeholten Gutachten überzeugend hervor. Vor allem aber habe der Kl. nicht dargelegt, warum ihm keine Umorganisation seines Betriebs möglich sei. Es verstehe sich von selbst, daß, nachdem er im Jahre 1991 ein anderes Speditionsunternehmen hinzugekauft und hierdurch seinen Betrieb erheblich vergrößert habe, eine aufsichtsführende und leitende Tätigkeit in vermehrtem Umfang angefallen sei. Entgegen der Ansicht des LG seien auch die formalen Voraussetzungen für eine Leistungseinstellung der Bekl. erfüllt gewesen. Es schade nichts, daß die Bekl. die nachuntersuchenden Gutachter nicht ausdrücklich nach einem Vergleich mit dem Zustand von 1986/1987 gefragt habe; denn es habe außer Frage gestanden, daß nur der Knieschaden seinerzeit die Berufsunfähigkeit des Kl. ausgelöst habe. Wenn der Versicherungsnehmer wisse, was ihm fehle und wie sich die Krankheit entwickelt habe, reiche es ausnahmsweise aus, den gegenwärtigen Zustand zu klären. So liege es hier.

II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

1. Die auf das Ergebnis der ärztlichen Nachuntersuchung gestützte Leistungseinstellung im Jahre 1992 war unberechtigt, weil ihr keine wirksame Abänderungsmitteilung vorausgegangen war.

a) Soweit das BerGer. die formale Wirksamkeit der Änderungsmitteilung vom 12. 12. 1991 bejaht hat, steht seine Ansicht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats, die folgendes besagt: Wenn der Versicherer seine Leistungspflicht einmal anerkannt hat (§§ 2 Nr. 3, 5 BUZ), kann er sie nur auf dem vertraglichen Weg des Nachprüfungsverfahrens gem. §§ 6, 7 BUZ wieder beseitigen. Dies setzt nicht nur eine vertraglich erhebliche Veränderung in den für den Rentenanspruch maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen des Versicherten voraus, sondern auch eine wirksame Mitteilung gem. § 7 Nr. 2 BUZ. Wirksam ist eine solche Mitteilung nur, wenn darin nachvollziehbar begründet wird, warum die anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll. Geht es um eine Gesundheitsbesserung, so ist im Nachprüfungsverfahren maßgebend der Vergleich desjenigen Gesundheitszustands, den der Versicherer seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat, mit dem Gesundheitszustand zu einem späteren Zeitpunkt. Nachvollziehbarkeit der Entscheidung des Versicherers setzt daher in der Regel voraus, daß mit ihr diese Vergleichsbetrachtung vorgenommen wird und die aus ihr abgeleiteten Folgerungen aufgezeigt werden. Ist in dem ärztlichen Gutachten, aus dem der Versicherer seine Leistungsfreiheit herleiten will, nur zu dem gegenwärtigen Gesundheitszustand des Versicherten Stellung genommen, so ist die Mitteilung nur dann hinreichend nachvollziehbar, wenn der Versicherer aufzeigt, daß die Gegenüberstellung der Ergebnisse des Gutachtens mit den Feststellungen und Bewertungen, die er seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat, eine nach den Versicherungsbedingungen erhebliche Besserung ergeben hat (vgl. BGHZ 121, 284 [295] = NJW 1993, 1532 = LM H. 9/1993 BerufsunfähigkeitsZusatzvers. Nr. 19; BGH, NJW-RR 1996, 1111 unter 2a und b = VersR 1996, 958).

b) Das Mitteilungsschreiben der Bekl. vom 12. 12. 1991 genügt diesen Anforderungen nicht. Es läßt zwar erkennen, daß die Bekl. ihre Leistungseinstellung mit einer Besserung der Gesundheit des Kl. rechtfertigen wollte. Jedoch fehlt eine Vergleichsbetrachtung, weil aus dem Schreiben nicht hervorgeht, was sich tatsächlich am Gesundheitszustand des Kl. geändert haben soll. Denn weder in der Änderungsmitteilung selber noch in den darin erwähnten Unterlagen, nämlich den Anerkenntnisschreiben von 1987 und den beiden ärztlichen Nachuntersuchungsgutachten, werden die Gesundheitsverhältnisse des Kl. im Zeitpunkt des Anerkenntnisses dargestellt. Die Gutachten schildern lediglich den Gesundheitszustand bei der Nachuntersuchung. Dem Auftrag der Bekl. entsprechend, die lediglich gefragt hatte, zu welchem Prozentsatz der Kl. in seinem Beruf berufsunfähig sei, befassen sich die Gutachten nicht damit, ob und wie sich die Gesundheit des Kl. seit 1987 gebessert hat. Sie zeigen demgemäß auch nicht auf, inwieweit sich die Fähigkeit des Kl. zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit geändert hat.

Den Anerkenntnisschreiben läßt sich zwar entnehmen, daß damals die Berufsunfähigkeit des Kl. ärztlicherseits mit mehr als 50% veranschlagt wurde. Aus den Nachuntersuchungsgutachten ergibt sich, daß die nachuntersuchenden Ärzte im für den Kl. günstigsten hypothetischen Fall, nämlich bei einer zu 70% körperlichen und zu 30% „kaufmännisch-organisatorisch-leitenden“ Tätigkeit, die Berufsunfähigkeit des Kl. mit maximal 25% bewerteten. Allein die Gegenüberstellung der damals und jetzt von verschiedenen Gutachtern geschätzten Grade der Berufsunfähigkeit genügt aber nicht für eine Vergleichsbetrachtung. Denn allein der Umstand, daß ein früher tätig gewordener Erstgutachter den Grad der Berufsunfähigkeit höher bewertet hat als ein später nachuntersuchender Arzt, rechtfertigt nicht den Schluß auf eine zwischenzeitliche Besserung der Gesundheit und der Berufsfähigkeit und erlaubt erst recht nicht, deren Ausmaß mit der Differenz der beiden gutachterlichen Bewertungen gleichzusetzen. Wegen des den Ärzten zuzubilligenden Beurteilungsspielraums, der Raum für individuell unterschiedliche Schätzungen läßt, besteht nämlich die Möglichkeit, daß verschiedene Ärzte demselben Gesundheitszustand verschiedene Grade der Berufsunfähigkeit zuordnen. Deshalb läßt sich nicht ausschließen, wenn ein früheres und ein späteres Gutachten verschiedene Grade der Berufsunfähigkeit angeben, daß dem Unterschied keine Gesundheitsänderung, sondern lediglich verschiedene subjektive Maßstäbe der verschiedenen Gutachter zugrunde liegen. Eine unterschiedliche Bewertung des unveränderten Gesundheitszustands gibt dem Versicherer aber kein Recht zur Leistungseinstellung.

c) Es liegt hier auch kein Ausnahmefall vor, in dem eine Vergleichsbetrachtung entbehrlich ist, weil der Versicherungsnehmer selber am besten weiß, daß und wie sich sein Gesundheitszustand gebessert hat (vgl. Senat, NJW-RR 1993,1238 unter 2). Denn der Kl. trägt unwiderlegt vor, daß sich die nach der Operation verbliebenen Beschwerden (Knieschmerzen und postthrombotischer Zustand des Unterschenkels) seit dem Leistungsanerkenntnis der Bekl. keineswegs gebessert hätten. Die Änderungsmitteilung vom 12. 12. 1991 enthielt somit wegen Fehlens der notwendigen Vergleichsbetrachtung keine nachvollziehbare Begründung und war deshalb unwirksam.

2. Auch zu einem späteren Zeitpunkt hat die Bekl. nicht das Recht erlangt, ihre Rentenzahlungen einzustellen.

a) Soweit sie sich auf eine Gesundheitsbesserung als Einstellungsgrund beruft, hat die Bekl. auch in der Folgezeit keine wirksame Änderungsmitteilung an den Kl. gerichtet. Diejenige der beiden nachgeschobenen Änderungsmitteilungen vom 14. 6. 1994, in der die Bekl. sich auf die behauptete Gesundheitsbesserung stützt, enthält wiederum keine Vergleichsbetrachtung des früheren und des jetzigen Gesundheitszustands. Der neue Hinweis, daß der Kl. im Zeitpunkt des Anerkenntnisses nach den damals vorliegenden ärztlichen Berichten zu 100% berufsunfähig gewesen sei, ändert daran nichts, da die Bekl. damit wiederum nur die frühere Schätzung des Grades der Berufsunfähigkeit benannt hat, ohne Tatsachenfeststellungen zum damaligen Gesundheitszustand zu treffen. Infolgedessen stellen die nachfolgenden Sätze des Schreibens, in denen es sinngemäß heißt, daß der Kl. jetzt „wieder“ berufsfähig sei und daß gegenüber seinem Gesundheitszustand bei dem Anerkenntnis eine deutliche Verbesserung eingetreten sei, bloße Ergebnisbehauptungen dar, welche die Änderungsmitteilung für den Versicherungsnehmer noch nicht nachvollziehbar machen.

b) Auch aus ihrer zweiten Änderungsmitteilung vom 14. 6. 1994, in der sie sich auf die neu entstandene Umorganisationsmöglichkeit berief, kann die Bekl. kein Recht zur Leistungseinstellung herleiten, weil eine vom Kl. durch die beschriebene Betriebsvergrößerung geschaffene Umorganisationsmöglichkeit nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden darf.

Die Berücksichtigung einer nachträglich entstandenen Umorganisationsmöglichkeit steht unter dem zweifachen Vorbehalt der Zumutbarkeit für den Versicherten. Nicht nur muß die sich ihm durch eine Umorganisation eröffnende Tätigkeit nach Art und Umfang für ihn zumutbar sein. Vorab ist schon zu fragen, ob es ihm überhaupt zugemutet werden darf, sich die nachträglich entstandene Umorganisationsmöglichkeit zu seinem Nachteil anrechnen zu lassen. Dies ist zu verneinen, wenn er diese Umorganisationsmöglichkeit durch eine eigene Anstrengung geschaffen hat, zu der er dem Versicherer gegenüber weder aufgrund einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit noch aufgrund seiner Schadensminderungspflicht verpflichtet war (vgl. Senat, NJW-RR 1987, 1050 unter I, 3, c = LM BerufsunfähigkeitsZusatzvers. Nr. 6 = VersR 1987, 753 und NJW-RR 1997, 529 unter II, 2, c = LM H. 5/1997 BerufsunfähigkeitsZusatzvers. Nr. 29 = VersR 1997, 436 zur Berücksichtigung neu erworbener beruflicher Fähigkeiten). Eine solche überobligationsmäßige Anstrengung liegt z.B. vor, wenn der Versicherte durch Kapitaleinsatz sein Unternehmen erweitert. Denn es wäre unbillig, den Versicherer, obwohl er an dem unternehmerischen Risiko des Versicherten nicht beteiligt ist, davon profitieren zu lassen, indem er Leistungsfreiheit erhält. Der Kl. braucht sich deshalb die streitige Umorganisationsmöglichkeit, die er durch den Kapitaleinsatz erfordernden Hinzuerwerb eines weiteren Speditionsunternehmens erkauft hat, nicht entgegenhalten zu lassen. Auf den Streit der Parteien darüber, ob sich dem Kl. durch die Betriebsvergrößerung tatsächlich eine Umorganisationsmöglichkeit eröffnet hat, kommt es demnach nicht an.

III. Da nach alledem die Bekl. durch die erörterten Änderungsmitteilungen von ihrer anerkannten Leistungspflicht nicht wieder frei geworden ist, muß sie dem Kl. die vertraglich zugesagte Berufsunfähigkeitsrente über den Zeitpunkt der Leistungseinstellung hinaus weiterzahlen. Der Senat konnte diese Entscheidung selber treffen, da es hierzu keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedurfte. Das angefochtene klageabweisende Urteil war daher aufzuheben und das der Klage stattgebende Urteil des LG wiederherzustellen.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht

Normen

BUZ § 7