Arbeitnehmerweiterbildung - Sprachkurs

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

21. 10. 1997


Aktenzeichen

9 AZR 510/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Für die Beurteilung der Berufsbezogenheit einer Bildungsveranstaltung ist auf die gegenwärtige und künftige Verwendbarkeit der vermittelten Kenntnisse abzustellen. Dabei sind auch Sachverhalte aus der Vergangenheit einzubeziehen, wenn aus ihnen Rückschlüsse für den künftigen Einsatz gezogen werden können. Es genügt, daß die Kenntnisse voraussichtlich verwendbar sind.

  2. Ein Sprachkurs Spanisch-Intensiv für eine Journalistin, die mit der Öffentlichkeitsarbeit eines städtischen Presse- und Informationsamtes betraut ist, dient der beruflichen Weiterbildung i.S. von § 1 II NWAWbG, wenn die Stadt regelmäßig, wenn auch in größeren Abständen, kulturelle Veranstaltungen durchführt, an der sich die Bevölkerung spanischer Herkunft beteiligt, oder die sich mit dem spanischen Sprachraum, insbesondere auch mit Lateinamerika, befassen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Kl. auf bezahlte Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (NWAWbG). Die Kl. arbeitet als ausgebildete Journalistin im Presse- und Informationsamt der bekl. Stadt. Das Amt vertritt die städtischen Interessen, insbesondere sind Anfragen von Bürgern und Medienvertretern aus dem In- und Ausland zu allen Belangen der Kommune zu beantworten. Die Stadt führt jährlich Kulturtage durch, an denen fremdsprachige Vereine, Verbände oder Künstler teilnehmen. Die hierbei anfallende Öffentlichkeitsarbeit leistet das Presse- und Informationsamt. Die Kl. ist ferner Mitglied der Redaktion der von der Bekl. für die städtischen Bediensteten herausgegebenen Zeitschrift "Auf Draht". Außerdem schreibt sie für das "H-Heimatbuch" und hat im Auftrag der Bekl. mit einem Mitarbeiter der W eine Dokumentation über das kulturelle Leben der Stadt veröffentlicht. Der Anteil der spanischen Bevölkerung der Bekl. beträgt bei etwa 200000 Einwohnern 1,4 %. Die Kl. hat die Bekl. vergeblich aufgefordert, ihren Bildungsurlaubsanspruch 1993 und 1994 durch bezahlte Freistellung für einen vom zuständigen Ministerium als Bildungsveranstaltung anerkannten Sprachkurs Spanisch-Intensiv zu erfüllen. Nach Absprache mit der Bekl. hat sie sodann vom 28. 11. bis 9. 12. 1994 Erholungsurlaub, ersatzweise unbezahlten Urlaub erhalten und an dem Kurs teilgenommen. Die Bekl. hat sich verpflichtet, die Kl. für zwei Wochen bezahlt freizustellen, falls ihr die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme zu Unrecht verweigert worden ist.

ArbG und LAG haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Bekl. mit ihrer vom LAG zugelassenen Revision. Die Kl. bittet um deren Zurückweisung. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Zwar ist er auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalt gerichtet. Feststellungsanträge mit diesem Inhalt sind jedoch zulässig, wenn sich daraus Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (st. Rspr. des Senats, BAGE 73, 225 = NZA 1994, 692 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW m.w.Nachw., vgl. außerdem Urteil des 5. Senats, NZA 1997, 1246 = NJW 1997, 3396 = EzA § 256 ZPO Nr. 47 u. Urteil des 4. Senats, NZA 1998, 330). So verhält es sich hier. Denn die Bekl. hat sich zur weiteren Freistellung der Kl. von der Arbeitspflicht zur Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung verpflichtet, sofern die Kl. in diesem Rechtsstreit obsiegt.

II. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Kl. hatte einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für die Zeit vom 28. 11. bis 9. 12. 1994 zur Teilnahme am Spanisch-Intensivkurs für Fortgeschrittene. Die Veranstaltung diente ihrer beruflichen Weiterbildung i.S. von § 1 II NWAWbG.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats genügt eine Bildungsveranstaltung den gesetzlichen Voraussetzungen der beruflichen Weiterbildung nicht nur, wenn sie Kenntnisse zum ausgeübten Beruf vermittelt, sondern auch, wenn das erlernte Wissen im Beruf verwendet werden kann und so im weitesten Sinne auch für den Arbeitgeber von Vorteil ist, wie z.B. der Erfahrungsgewinn im Umgang mit Menschen und der Erwerb von Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft (vgl. dazu BVerfG, NZA 1992, 641 = AP Nr. 1 zu § 1 SonderurlaubsG Hessen). Die gesetzlichen Voraussetzungen werden deshalb auch dann erfüllt, wenn Kenntnisse vermittelt werden, die zwar zunächst dem Bereich der personenbezogenen Bildung i.S. des § 3 I Nr. 7 NWAWbG zuzuordnen und von der Arbeitnehmerweiterbildung ausgeschlossen sind, die der Arbeitnehmer aber zum auch nur mittelbar wirkenden Vorteil des Arbeitgebers in seinem Beruf verwenden kann (BAGE 73, 225 = NZA 1994, 692 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; BAG, NZA 1994, 451 = AP Nr. 11 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW). Die vermittelten Sprachkenntnisse müssen für den ausgeübten Beruf einen objektiv nachvollziehbaren oder fördernden Bezug ausweisen. Es genügt nicht, daß Sprachkenntnisse als sogenannte Schlüsselqualifikation angesehen werden (BAGE 74, 218 = NZA 1994, 690 = AP Nr. 68 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte). Das Aneignen von Vorratswissen ohne absehbare konkrete Verwendbarkeit im Arbeitsverhältnis scheidet damit aus.

2. a) Das LAG hat die Berufsbezogenheit des Sprachkurses mit der Öffentlichkeitsarbeit begründet, die dem Presse- und Informationsamt der Stadt übertragen ist. Die Spanischkenntnisse der Kl. seien förderlich, um die Außenkontakte des Amtes mit Medienvertretern und Mitbürgern aus dem spanischen Sprachraum wahrzunehmen und zu pflegen. Die Verwendung der Muttersprache des Gesprächspartners diene der sprachlichen Absicherung und könne Mißverständnisse vorbeugen. Sie biete eine Chance für einen vertrauensvollen und vorurteilsfreien Umgang und könne das gegenseitige Verständnis fördern. Für die journalistische Arbeit der Kl. sei dies nützlich.

b) Diese Ausführungen lassen entgegen der Auffassung der Revision Rechtsfehler nicht erkennen. Sie sind nicht spekulativ, sondern berücksichtigen die Arbeit der Kl. als Journalistin und stellen die Funktion der Sprache als Mittel der Verständigung heraus.

(1) Die Bekl. rügt zu Unrecht, das LAG habe den greifbaren Vorteil, der sich für sie als Arbeitgeberin aus der Weiterbildung der Kl. ergeben müsse, nicht positiv festgestellt. Dabei übersieht die Bekl., daß die Bildungsveranstaltung keine Kenntnisse vermitteln muß, die der Arbeitgeber selbst als erforderlich oder nützlich ansieht. Maßgebend ist vielmehr der objektive Bezug der Bildungsinhalte zur ausgeübten Tätigkeit. Kann das vermittelte Sachwissen bei der Arbeit verwendet und damit nutzbringend eingesetzt werden, ergibt sich daraus gleichzeitig der jedenfalls mittelbare Vorteil für den Arbeitgeber. Er erhält das "bessere" Arbeitsergebnis (BAGE 73, 225 = NZA 1994, 692 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW). Diese Schranke wahrt die angefochtene Entscheidung. Sie stellt auf die dem Presse- und Informationsamt übertragene Öffentlichkeitsarbeit ab. Die Berufsbezogenheit des Sprachkurses wird nicht nur abstrakt beurteilt, sondern unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsaufgaben der Kl. als Journalistin.

(2) Die Bekl. macht ferner geltend, das LAG habe die Nützlichkeit der Bildungsmaßnahme mit Vorgängen aus der Vergangenheit begründet, deren Wiederholung nicht feststehe. Das sei rechtsfehlerhaft. Dem folgt der Senat nicht. Berufliche Weiterbildung ist zukunftsorientiert. Ob der Arbeitnehmer die Sprachkenntnisse in seiner beruflichen Praxis anwenden kann, ist deshalb vorab zu beurteilen. Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber über die bezahlte Freistellung des Arbeitnehmers zu entscheiden hat. In die Einschätzung sind alle Umstände einzubeziehen, die für die Beurteilung der Bildungsmaßnahme bestimmend sein können. Hierzu zählen auch Erfahrungen aus der Vergangenheit, soweit aus ihnen auf eine künftige Verwendbarkeit geschlossen werden kann. Der danach mögliche Einsatz muß allerdings entgegen der Auffassung der Bekl. nicht "feststehen". Da die berufliche Weiterbildung den Arbeitnehmer auch befähigen soll, künftigen Anforderungen gerecht zu werden und seine fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erweitern, genügt es, wenn die Prognose den Erwerb des Sachwissens als sinnvoll erscheinen läßt.

(3) Die von der Bekl. angezogene Rechtsprechung des Senats steht der Auffassung des Senats in dieser Sache nicht entgegen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 24. 8. 1993 (NZA 1994, 451 = AP Nr. 11 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW) ausgeführt, ein hinreichender Bezug zur beruflichen Tätigkeit erfordere eine Kontinuität in der Verwendung der Sprache in der beruflichen Tätigkeit, wie dies bei einem berufsbedingten Umgang mit Ausländern der Fall sei. Der Gesichtspunkt der Kontinuität dient der Abgrenzung der beruflichen Weiterbildung zur allgemeinen Weiterbildung bei Sprachkursen. Damit wird nicht vorausgesetzt, daß der Arbeitnehmer ständig mit Ausländern oder Deutschen, die aus einem fremden Sprachraum stammen, umzugehen hat. Der nicht auf den Einzelfall beschränkte berufsbedingte Kontakt genügt. Diese Voraussetzungen hat das LAG unter Hinweis auf die regelmäßigen kulturellen städtischen Veranstaltungen, an denen auch Bürger aus dem spanischen Sprachraum teilnehmen, oder die sich mit dem spanischen Sprachraum, insbesondere mit Lateinamerika, befassen, zu Recht für gegeben erachtet. Eine Journalistin, deren Arbeitsgebiet auch darin besteht, kommunale Aufgaben in der Öffentlichkeit darzustellen, ist entgegen der Auffassung der Bekl. nicht darauf zu verweisen, im internationalen Medienbereich werde Englisch gesprochen. Die Nützlichkeit vertiefter Kenntnisse der spanischen Sprache wird durch das Übergewicht der englischen Sprache nicht ausgeschlossen. Die Kl. braucht auch nicht nachzuweisen, daß die mit den kulturellen Veranstaltungen verbundene Öffentlichkeitsarbeit durch ihre spanischen Sprachkenntnisse besser erledigt werden kann. Über die Muttersprache wird der Zugang zum fremden Sprachraum und zu den aus ihm stammenden Bevölkerungsgruppen erleichtert. Diesen Umstand hat die Bekl. für die Sozialbetreuung spanischer Jugendlicher bereits anerkannt, als sie dafür die Weiterbildung in Spanisch zugelassen hat. Für die im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit spanischen Vereinen und Teilnehmern zu pflegenden Kontakte kann nichts anderes gelten. Die tatsächlichen Feststellungen des LAG zu den kulturellen Veranstaltungen sind von der Bekl. nicht gerügt. Auf ihre weitere Rüge, das angefochtene Urteil vernachlässige ihren Sachvortrag, es habe keine Anfragen in spanischer Sprache aus dem spanisch sprechenden Bevölkerungsanteil der Stadt beim Presse- und Informationsamt gegeben, kommt es deshalb nicht an. Ebenso unbeachtlich ist, daß die Kl. die spanischen Sprachkenntnisse auch zur Fertigstellung ihrer Promotion benötigt.

Vorinstanzen

LAG Hamm, 15 Sa 933/95, 19.04.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

NWAWbG § 1 II