Betriebsbegriff und besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse
Gericht
BSG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
23. 01. 1997
Aktenzeichen
7 RAr 38/96
Der Begriff des Betriebes i.S. des § 43 II 1 AFG ist weit zu verstehen und umfaßt auch eine Werkstatt für Behinderte.
Das in § 43 II 2 AFG enthaltene Merkmal des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses ist ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum, der von der Bundesanstalt für Arbeit durch § 13 II AFuU vom 29. 4. 1993 nicht in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgefüllt worden ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. begehrt - unter Rücknahme eines bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheides - die Förderung der Teilnahme an einem "Sonderpädagogischen Lehrgang" für Gruppenleiter. Nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen in den Vorinstanzen geht es ihm um die Erstattung von Lehrgangsgebühren, Prüfungsgebühren und Fahrtkosten. Der 1969 geborene Kl. ist von Beruf Maschinenschlosser und seit dem 1. 8. 1991 als Gruppenleiter in der Werkstatt für Behinderte (WfB) in M. beschäftigt. Im Mai 1993 beantragte er die Förderung der Teilnahme an einer Sonderpädagogischen Zusatzausbildung für Gruppenleiter in Werkstätten und Mitarbeiter in sonstigen Einrichtungen für Behinderte, die vom Caritasverband für die Diözese S e.V. in der Zeit vom 31. 8. 1993 bis Mai 1995 durchgeführt wurde. Die Bekl. lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, die Teilnahme an der Maßnahme liege im überwiegenden Interesse des Betriebes; ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse für die Teilnahme bestehe nicht (Bescheid vom 9. 6. 1993; Widerspruchsbescheid vom 27. 8. 1993). Diese Entscheidung wurde bestandskräftig. Ab 31. 8. 1993 nahm der Kl. an der vorgesehenen Bildungsmaßnahme teil. Er wurde hierfür vom Arbeitgeber bei vollem Lohnausgleich freigestellt. Der Unterricht fand jeweils freitags statt; viermal während der zweijährigen Ausbildung wurde ein Blockunterricht von je einer Woche durchgeführt. Die Lehrgangsgebühren beliefen sich auf 3900 DM; die Prüfungsgebühr betrug 500 DM. Am 21. 10. 1993 stellte der Kl. Antrag auf Neufeststellung (§ 44 SGB X). Die Bekl. lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine andere Sachentscheidung sei nicht möglich; ein überwiegendes Interesse des Betriebes liege insbesondere darin, daß Werkstätten für Behinderte verpflichtet seien, pädagogisch geeignete Fachkräfte, die über eine Sonderpädagogische Zusatzausbildung verfügten, zu beschäftigen; dementsprechend werde eine WfB nur mit der Auflage anerkannt, für entsprechendes Fachpersonal Sorge zu tragen; ggf. hätten Werkstätten für Behinderte dem Fachpersonal Gelegenheit zur Teilnahme an (den erforderlichen) Fortbildungsmaßnahmen zu geben (Bescheid vom 29. 10. 1993; Widerspruchsbescheid vom 18. 11. 1993).
Das SG hat die Klage, mit der der Kl. die Gewährung von Leistungen für die Teilnahme an der Maßnahme "Sonderpädagogische Zusatzausbildung für Gruppenleiter in Werkstätten für Behinderte" begehrte, abgewiesen. Das LSG hat - nach Einholung einer Auskunft bei der Behindertenhilfe K e.V. - die Berufung des Kl. gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die Revision war im Sinne einer Zurückverweisung an das LSG erfolgreich.
Auszüge aus den Gründen:
II. Die Revision des Kl. ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet; mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen vermag der Senat keine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Neufeststellungsantrages zu treffen. Als Rechtsgrundlage für die vom Kl. erstrebte Verurteilung der Bekl. zur Rücknahme des bindend gewordenen Bescheides vom 9. 6. 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. 8. 1993 (§ 95 SGG) und zur Förderung seiner Teilnahme an der Maßnahme "Sonderpädagogische Zusatzausbildung" kommt § 44 I 1SGB X und - wegen eines möglichen Beurteilungsspielraumes bei der ggf. zurückzunehmenden Verwaltungsentscheidung - § 44 II 2 SGB X in Betracht. Nach § 44 I 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Gem. § 44 II 2 SGB X kann im übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Vorschrift des § 44 I 1 SGB X wird durch § 152 I AFG für die Zeit bis zum 31. 12. 1993 und für die Zeit danach in unterschiedlicher Weise modifiziert. Eine Entscheidung darüber, welche Bestimmungen hier ggf. Anwendung zu finden haben, hält der Senat derzeit für nicht tunlich (§ 170 II SGG); denn mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen läßt sich schon nicht beurteilen, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 44 SGB X überhaupt erfüllt sind.
Für die Frage, ob bei Erlaß des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 9. 6. 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. 8. 1993 das Recht unrichtig angewandt worden ist (§ 44 I 1, II SGB X), kommt es auf die materielle Rechtslage an; denn es ist nicht Sinn des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X, dem Ast. mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht. Demgegenüber kann nicht allein darauf abgestellt werden, ob dem bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt die erforderliche Begründung gefehlt hat (vgl. dazu §§ 35 I , 41 I Nr. 2 und II , 42 SGB X sowie das BSG, Urt. v. 28. 1. 1996 - 7 RAr 58/56), was vorliegend der Fall gewesen sein dürfte (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 13. 7. 1988 - 5/4a RJ 7/87 unveröff., sowie BSG, SozR 1300 § 44 Nr. 38).
Anknüpfungspunkt für die materiellrechtliche Rechtslage ist im vorliegenden Rechtsstreit § 43 II AFG (i.d.F. des Art. 1 Nr. 6 HStruktG-AFG v. 18. 12. 1975, BGBl I, 3113). Danach gilt für beruflichen Fortbildungsmaßnahmen folgende Ausschlußklausel: Liegt die Teilnahme eines Ast. an der Maßnahme überwiegend im Interesse des Betriebes, dem er angehört, so wird die Teilnahme nicht gefördert; dies gilt insbesondere, wenn der Ast. an einer Maßnahme teilnimmt, die unmittelbar oder mittelbar von dem Betrieb getragen wird oder im überwiegenden Interesse des Betriebes liegt (Satz 1). Die Teilnahme wird jedoch gefördert, wenn dafür ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht (Satz 2). Diese Regelungen werden durch § 13 AFuU vom 29. 4. 1993 (ANBA - Sondernummer 1993, S. 1), in Kraft seit dem 10. 5. 1993 (§ 30), die ihrerseits auf § 39 AFG fußt, wie folgt konkretisiert: Die Teilnahme an einer Maßnahme liegt i.S. von § 43 II AFG insbesondere dann im überwiegenden Interesse eines Betriebes, wenn der Arbeitgeber nach Gesetz oder Tarifvertrag oder aufgrund betrieblicher oder vertraglicher Vereinbarungen zur Durchführung einer beruflichen Bildungsmaßnahme oder zur Entsendung in eine solche Maßnahme verpflichtet ist (Abs. 1). Ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht an der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen, die ein Betrieb bei einer besonders ungünstigen Beschäftigungslage aus strukturellen oder konjunkturellen Gründen für seine Arbeitnehmer, die deshalb von Arbeitslosigkeit bedroht sind, durchführt oder durchführen läßt und die nicht länger als sechs Monate dauern (Abs. 2 S. 1). Eine Förderung ist nur dann zulässig, wenn die Teilnahme nicht mit betrieblichen oder vertraglichen Bindungen oder Vereinbarungen verbunden ist (Abs. 2 S. 2).
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Teilnahme des Kl. an der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung überwiegend im Interesse des Betriebes lag, dem er angehört (§ 43 II 1 AFG i.V. mit § 13 I AFuU). Die Anwendung des § 43 II 1 AFG i.V. mit § 13 I AFuU ist vorliegend nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei einer WfB nicht um ein auf Gewinnerzielung gerichtetes Unternehmen handelt. Der Begriff des "Betriebes" im Sinne der vorerwähnten Bestimmungen ist weit auszulegen; er umfaßt nach allgemeiner Auffassung alle Einrichtungen, die Arbeitnehmer beschäftigen (Gagel, AFG; Stand: Januar 1996, § 43 Rdnr. 9; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand: Dezember 1996, § 43 Anm. 8.1; Knigge/Schmidt/Marschall/Wissing, AFG, 3. Aufl., Stand: 7. Ergänzungslieferung 1996, § 43 Rdnr. 10; Niesel, AFG 1995, § 43 Rdnr. 8; Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG, 2. Aufl., Stand: September 1996, § 43 Rdnr. 5). Das ergibt sich insbesondere aus der rechtsprechenden Entwicklung des § 43 II AFG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG.
Nach der bis zum Inkrafttreten des HStruktG-AFG ab 1. 1. 1976 geltenden Fassung des § 43 II AFG wurde die "Teilnahme an Maßnahmen, die auf die Zwecke eines Betriebes oder Verbandes ausgerichtet" waren, "nur gefördert, wenn dafür ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse" bestand. Aus dieser Formulierung folgerte das BSG, daß eine Förderung nur dann ausgeschlossen sei, wenn die Maßnahme als solche interessengebunden sei, nicht jedoch schon dann, wenn der Teilnehmer mit der Teilnahme lediglich Interessen eines Betriebes verfolge (BSG, SozR 4100 § 43 Nr. 15). Mit der Neufassung des § 43 II AFG am 1. 1. 1976 ergab sich eine gewisse Verschiebung der Interesengebundenheit; seither ist nicht mehr der (objektive) Charakter der Maßnahme ausschlaggebend. Es reicht vielmehr aus, wenn die Teilnahme selbst überwiegend im Interesse des Betriebes liegt, dem der Ast. angehört (§ 43 II 1 Halbs. 1 AFG), wenn auch die Trägerschaft des Betriebes oder sein überwiegendes Interesse an der Maßnahme kraft gesetzlicher Fiktion (§ 43 II 1 Halbs. 2 AFG) das Interesse des Betriebes an der Teilnahme belegt (BSG, DBlR Nr. 2990 zu § 43 AFG). Im übrigen hat die Vorschrift, durch die eine ungerechtfertigte Verlagerung von Kosten der beruflichen Bildung von der Wirtschaft auf die Bundesanstalt für Arbeit ausgeschlossen werden sollte (BT-Dr 7/4243, S. 8 zu Art. 20 § 1 Nr. 5a), keine inhaltliche Änderung hinsichtlich ihres Zwecks und ihrer Bedeutung erfahren. Das gilt auch, soweit sie - anstelle der früheren Wendung "Betrieb oder Verband" - nur noch den Begriff des "Betriebes" verwendet. Damit folgte der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG, die die Doppelbezeichnung "Betrieb oder Verband" nicht als Alternativen, sondern als allgemeinen Sammelbegriff für alle Einrichtungen angesehen hatte, die überhaupt als Träger von Fortbildungsmaßnahmen in Betracht kamen. Der Begriff des "Betriebes" war somit schon nach § 43 II AFG a.F. im weitesten Sinne zu verstehen (BSG, SozR 4100 § 42 Nr. 5 und § 43 Nrn. 2, 8, 9, 10, 16 und 18; BSG, DBlR Nr. 2990 zu § 32 AFG).
Die WfB, der der Kl. angehört, erfüllt den aufgezeigten weiten Begriff eines "Betriebes" i.S. des § 43 II 1 AFG. Dem läßt sich nicht mit dem Argument begegnen, eine WfB sei - von ihrer gesetzlichen Zielsetzung her - eine Einrichtung zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben (§ 54 I SchwbG); ihre Aufgabe liege - im Unterschied zu einem Betrieb im herkömmlichen Sinne - darin, der unterschiedlichen Art der Behinderung und ihren Auswirkungen durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Bildung besonderer Gruppen im Arbeitstrainings- und Arbeitsbereich, Rechnung zu tragen (§ 1 II SchwbWV); deshalb sei z.B. die Klage einer WfB gegen eine Auflage der Bundesanstalt für Arbeit, die die Höhe des an Behinderte im Arbeitsbereich zu zahlenden Arbeitsentgelts betrifft, keine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und juristischen Personen des öffentlichen Rechts i.S. des § 116 II 1 Nr. 3 BRAGO, so daß eine Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren nach Gegenstandswert nicht erfolgen dürfe (BSG, SozR 3-1930 § 116 Nr. 5). Dem steht - abgesehen vom Gesetzeswortlaut - bereits entgegen, daß die Bestimmungen des § 116 II 1 BRAGO und des § 43 II 1 AFG völlig verschiedene Zielsetzungen verfolgen. Während § 116 II 1 BRAGO auf der Erwägung beruht, daß nur in den ausdrücklich aufgeführten Fällen die für den niedrigeren Gebührenrahmen des § 116 I BRAGO sprechenden sozialpolitischen Gründe nicht eingreifen, geht es bei § 43 II AFG, wie angesprochen, um Unterbindung einer ungerechtfertigten Verlagerung von Kosten der beruflichen Bildung von der Wirtschaft auf die Bundesanstalt für Arbeit. Diese Frage kann sich sowohl bei einem auf Gewinnerzielung gerichteten Betrieb als auch bei einem in einer WfB beschäftigten Arbeitnehmer stellen. Auch die Schlußfolgerung des LSG, die Teilnahme des Kl. an der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung habe "überwiegend im Interesse" der WfB gelegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit kann offenbleiben, ob die sowohl vom Gesetzgeber als auch vom Anordnungsgeber herausgestellten Beispiele, bei deren Vorliegen die teilnahmebezogene durch eine maßnahmebezogene Interessengebundenheit fingiert wird, hier eingreife, nämlich, ob die vom Kl. durchlaufene Bildungsmaßnahme unmittelbar oder mittelbar von der WfB (finanziell) getragen wurde (§ 43 II 1 Halbs. 2 Alt. 1 AFG) oder die Maßnahme (objektiv) im überwiegenden Interesse des Betriebes lag (§ 43 II 1 Halbs. 2 Alt. 2 AFG), bzw. ob die WfB (nach Gesetz oder Tarifvertrag oder aufgrund betrieblicher oder vertraglicher Vereinbarungen) zur Durchführung der Maßnahme oder zur Entsendung des Kl. in die Maßnahme verpflichtet war (§ 13 I AFuU); denn ungeachtet solcher möglichen Fallkonstellationen lag die Teilnahme des Kl. an der Maßnahme aus anderen Gründen "überwiegend im Interesse" der WfB. Entscheidend ist nach § 43 II 1 Halbs. 1 AFG, daß das Interesse der WfB das des Kl. übertraf (vgl. BT-Dr 7/4243, S. 8 zu Art. 20 § 1 Nr. 5a). Die Frage nach dem Überwiegen des betrieblichen Interesses beantworte sich auf diese Weise systemgerecht ausschließlich mittels Vergleichs zwischen Betrieb und Arbeitnehmer; denn die Interessen des Arbeitsmarktes als eines weiteren (denkbaren) Vergleichsobjekts gewinnen durch das Kriterium des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses eine eigene normative Bedeutung.
Daß die Teilnahme des Kl. an der Maßnahme überwiegend im Interesse der WfB lag, folgt vornehmlich aus § 9 SchwbWV, auch wenn der Sonderpädagogische Lehrgang nach den Feststellungen des LSG nicht nur Gruppenleitern in Werkstätten für Behinderte, sondern auch Mitarbeitern in sonstigen Einrichtungen für Behinderte eröffnet war und die in ihm erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in allen Behinderteneinrichtungen verwertbar waren. Nach § 9 SchwbWV muß die Werkstatt über Fachkräfte verfügen, die erforderlich sind, um ihre Aufgaben entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen der Behinderten, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer individuellen Förderung von Behinderten, erfüllen zu können (Abs. 1). Die Fachkräfte sollen in der Regel Facharbeiter, Gesellen oder Meister mit einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung in Industrie oder Handwerk sein; sie müssen pädagogisch geeignet sein und über eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation verfügen (Abs. 3 S. 3). Entsprechende Berufsqualifikationen aus dem pädagogischen oder sozialen Bereich reichen aus, wenn die für eine Tätigkeit als Fachkraft erforderlichen sonstigen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Arbeitstrainings- und Arbeitsbereich anderweitig erworben worden sind (Abs. 3 S. 4). Die sonderpädagogische Zusatzqualifikation kann in angemessener Zeit durch Teilnahme an geeigneten Fortbildungsmaßnahmen nachgeholt werden (Abs. 3 S. 5 i.V.m. Abs. 2 S. 3), weshalb die WfB dem Fachpersonal in entsprechenden Fällen Gelegenheit zur Teilnahme an (den erforderlichen) Fortbildungsmaßnahmen zu geben hat (§ 11 SchwbWV), und zwar selbst dann, wenn einige überörtliche Sozialhilfeträger für die entsprechenden zusätzlichen Kosten nicht aufkommen sollten. Unterbleibt der Erwerb einer notwendigen Sonderpädagogischen Zusatzausbildung, riskiert die WfB den Verlust ihrer Anerkennung (§ 57 SchwbG i.d.F. vom 26. 8. 1986 i.V. mit § 17 I 1 SchwbWV). Daß das LSG bei seiner Interessenabwägung den vorgenannten rechtlichen Gesichtspunkten - insbesondere der Notwendigkeit, Gruppenleiter mit Sonderpädagogischer Zusatzqualifikation zu beschäftigen - Vorrang vor den Interessen des Kl. an der Durchführung der Fortbildungsmaßnahme eingeräumt hat, steht mit der Zielsetzung des § 9 I , II SchwbWV voll in Einklang.
Hinzu kommt ein Kriterium, dem der erkennende Senat sogar für die Frage der (objektiven) Interessengebundenheit der Maßnahme selbst i.S. des § 43 II 1 AFG schon früher Gewicht beigemessen hatte, nämlich das des Teilnehmerkreises (BSG, DBlR Nr. 2990 zu 43 AFG m.w. Nachw.). Der Kreis der Teilnehmer an dem vom Kl. durchlaufenen Sonderpädagogischen Lehrgang war von vornherein auf aktiv tätige Fachkräfte aus dem Bereich der Behindertenbetreuung beschränkt; denn Zugangsvoraussetzung für eine Sonderpädagogische Zusatzausbildung war nach den Feststellungen des LSG neben einer abgeschlossenen (bestimmten) Berufsausbildung eine hauptberufliche Tätigkeit in einer Einrichtung für Behinderte während des Lehrgangs, und zwar für mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit. Damit stimmt die Feststellung des LSG überein, daß die Teilnehmer (des seinerzeitigen Kurses) ausschließlich aus dem Arbeitsbereich der Behindertenbetreuung kamen; etwa die Hälfte arbeitete als Gruppenleiter in einer WfB.
Gegenüber dem Ergebnis, seine Teilnahme an der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung habe "überwiegend im Interesse" der WfB gelegen, kann sich der Kl. nicht mit Erfolg darauf berufen, die Ausbildung von Behinderten in einer WfB sei keine betriebliche Berufsausbildung i.S. des § 1 V BBiG und des § 5 I BetrVG. Richtig ist, daß berufliche Rehabilitanden i.S. des § 56 AFG nach der Rechtsprechung des BAG keine Arbeitnehmer i.S. von §§ 5 I , 60 I BetrVG eines Berufsbildungswerkes nach § 23a der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderte (hier i.d.F. der 17. Änderungsanordnung vom 8. 7. 1993, ANBA, S. 51675 (1680)) sind (BAG, NZA 1994, 713; BAG, NZA 1995, 120). Der Kl. verkennt jedoch, daß es vorliegend nicht um den Begriff der betrieblichen Ausbildung von Behinderten, sondern um den des Betriebs geht. Es handelt sich insoweit um rechtlich nicht vergleichbare Problemkreise.
Damit stellt sich die Frage, ob die Bekl. die Teilnahme des Kl. an der Fortbildungsmaßnahme trotz Vorliegens eines überwiegenden Interesses des Betriebes zu fördern hatte, weil dafür ein "besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse" bestand (§ 43 II 2 AFG i.V. mit § 13 II AFuU). Eine Antwort hierauf ist dem Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht möglich. Wann ein "besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse" zu bejahen ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemeinverbindlich definieren. Vielmehr hat sich jede einzelne Entscheidung an den Zielen des § 2 AFG i.V. mit § 1 AFuU auszurichten. Dabei reicht die in § 36 Nr. 3 AFG bezeichnete Zweckmäßigkeit nicht aus, sondern es müssen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes dazu drängen, weitere Anreize für die Teilnahme von Arbeitnehmern an der betreffenden Bildungsmaßnahme zu schaffen (Gagel, § 43 Rdnr. 14). Bei dem "besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesse" handelt es sich damit um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für dessen Anwendung der Bundesanstalt für Arbeit ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (BSGE 38, 138 (143f.) = SozR 4100 § 43 Nr. 9; BSGE 39, 194 (198) = SozR 4100 § 41 Nr. 19; BSG, SozR 4100 § 43 Nr. 18; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, § 43 Anm. 8.3; Schieckel/Grüner/Dalichau, AFG, Stand: Juli 1996, § 43 Anm. III 2). Dies ergibt sich für die nach 1975 geltende Regelung aus der gesetzgeberischen Zielsetzung, wonach "auch in Zukunft bei Vorliegen eines besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses eine Förderung möglich sein" sollte (BT-Dr 7/4243, S. 8. zu Art. 20 § 1 Nr. 5a). Die Bedarfsgerechtigkeit einer Förderung muß sich dann aber auch an den Zielen des § 2 AFG messen lassen, selbst wenn dies in § 43 II 2 AFG - anderes als etwa in § 36 Nr. 3 AFG - nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt (vgl. insoweit zu § 34 I 2 Nr. 4 AFG; BSG, NZS 1997, 381 = NZA-RR 1997, 406, m. Anm. Schweiger, SGb 1997, 541). Konsequenz der Annahme eines Beurteilungsspielraumes ist, daß der Bekl. zum einen ein gewisser Freiraum bei der gem. § 39 AFG zulässigen Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben zuzubilligen ist. Zum anderen verbleibt ihr - ähnlich wie bei der Anwendung der §§ 34 I 2 Nr. 4, 36 Nr. 3 AFG - auch bei der Einzelentscheidung über das besondere arbeitsmarktpolitische Interesse ein Beurteilungsspielraum, wenn dieser nicht bereits ermächtigungskonform durch die AFuU selbst beschränkt worden oder wenn nicht im Einzelfall nur eine einzige Entscheidung möglich, also der Beurteilungsspielraum auf Null reduziert ist (BSG, NZS 1997, 381 = NZA-RR 1997, 406, m. Anm. Schweiger, SGb 1997, 541).
Die Bekl. hat durch § 13 II AFuU eine Konkretisierung des Begriffs des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses vorgenommen. Ob die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, vermag der Senat aufgrund der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend zu beurteilen, selbst wenn Zweifel bestehen, daß sie verwirklicht sind. In diesem Zusammenhang mag das LSG - was bislang wohl nicht geschehen ist - insbesondere auch § 13 II 2 AFuU überprüfen, für dessen Vorliegen gegenwärtig allerdings keine Anhaltspunkte erkennbar sind. Sollte das LSG einen Anspruch auf Förderung der Teilnahme an der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung wegen Fehlens der in § 13 II AFuU genannten Voraussetzungen verneinen, wird es zu beachten haben, daß die Bundesanstalt für Arbeit den Begriff des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses in § 13 II AFuU nicht in einer dem Zweck des § 43 II 2 AFG entsprechenden Weise ausgefüllt hat (so im Ergebnis wohl auch; Specke/Kronberg/Picard/Wachtberg, AFG, 5. Aufl. (1995), § 43 Anm. 1; vgl. auch Gagel, § 43 Rdnr. 16); denn § 13 II AFuU stellt in Zusammenhang mit dem besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesse schwerpunktmäßig auf die Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen ab, die ein Betrieb bei einer "besonders ungünstigen Beschäftigungslage aus strukturellen oder konjunkturellen Gründen" für seine Arbeitnehmer durchführt oder durchführen läßt. Unberücksichtigt bliebt jedoch, daß sich ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse auch mit Rücksicht auf die Interessen besonderer Personengruppen begründen läßt. Das gilt vor allem für Behinderte, die unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen und wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen (Art. 3 III 2 GG; vgl. auch BT-Dr 12/8165, S. 28f. zu Art. 1 Nr. 1b); Behinderte in einer WfB sind in das Arbeitsleben einzugliedern (§ 54 I 1 SchwbG). Von daher ist einem Mangel an entsprechenden Fachkräften auch durch die Bundesanstalt für Arbeit entgegenzuwirken (§ 94 I SchwbWV), was auf Seiten der Bundesanstalt für Arbeit ggf. sogar zu einer Schrumpfung des Beurteilungsspielraumes auf Null führen kann. Den Interessen der besonderen Personengruppe der Behinderten wurde nach Auffassung des Senats § 9 I 1 AFuU i.d.F. der 19. Änderungsanordnung vom 8. 3. 1991 (ANBA, S. 454 (455)) eher gerecht. Darin hieß es: "Ein besonderes arbeismarktpolitisches Interesse i.S. des § 43 II AFG besteht, wenn die Teilnehmer an der Maßnahme für Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen fortgebildet oder umgeschult werden, die (1) für die Sicherung oder Bereitstellung von anderen Arbeits- oder Ausbildungsplätzen notwendig sind, (2) benötigt werden, um arbeitsmarkt- und strukturpolitisch erwünschte Betriebsansiedlungen oder -erweiterungen durchführen zu können und Fachkräfte mit beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an der Maßnahme vermittelt werden, nicht oder nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen". Ob auf den Rechtsgedanken dieser mit Wirkung ab 10. 5. 1993 ersatzlos gestrichenen Vorschrift (vgl. § 30 I AFuU) für den der Bundesanstalt für Arbeit verbliebenen Beurteilungsspielraum zurückgegriffen werden kann (vgl. dazu Senat, Urt. v. 23. 1. 1997 - 7 RAr 36/96 zur Veröff. vorgesehen), wird das LSG ggf. zu prüfen haben. In diesem Zusammenhang wird es auch zu bedenken haben, ob bei Annahme eines arbeitsmarktpolitischen Interesses aus anderen als den in § 13 II 1 AFuU genannten Gründen gleichwohl noch § 13 II 1 AFuU zur Anwendung gelangt.
Im übrigen wird das LSG bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung auf folgendes zu achten haben: Es genügt für ein zusprechendes Urteil nicht, daß alle besonderen Voraussetzungen der beruflichen Fortbildung (§§ 41 ff. AFG) bejaht werden. Zu prüfen sind auch die allgemeinen Voraussetzungen (§§ 33 ff. AFG), insbesondere die des § 34 I 2 Nr. 4 AFG i.V. mit § 10 V AFuU und des § 36 AFG (vgl. dazu BSG, Urt. v. 28. 11. 1996 - 7 RAr 58/95). Zudem scheint der Kl. nach Aktenlage schon einmal als Teilnehmer einer Bildungsmaßnahme (ab 1. 4. 1991) gefördert worden zu sein, was eine erneute Förderung - mangels Zurücklegung einer hinreichenden erneuten beruflichen Tätigkeit - ausschließen könnte (§ 42 II AFG). Ferner könnte, weil die Maßnahme zwischenzeitlich beendet sein dürfte, eine Spezifizierung der Einzelansprüche des Kl. möglich sein; das könnte für die Antragstellung von Bedeutung sein. Schließlich wird das LSG über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
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