Keine Beitragspflicht für „belohnte“ Arbeitstherapie im Maßregelvollzug

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

06. 11. 1997


Aktenzeichen

11 RAr 33/97


Leitsatz des Gerichts

  1. Die mit Arbeitsbelohnung verbundene arbeitstherapeutische Beschäftigung eines auf strafrichterliche Anordnung in einer Entziehungsanstalt untergebrachten Drogensüchtigen begründet nicht die Beitragspflicht als Gefangener.

  2. Die Beschäftigung in einem öffentlichrechtlichen Sonderrechtsverhältnis weist nicht die Merkmale eines auf den Austausch von Arbeit und Lohn gerichteten, die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses auf (Fortführung von BSG, SozR 4100 § 101 Nr. 7).

  3. Die gesetzliche Beschränkung der Beitragspflicht auf Gefangene, die in Justizvollzugsanstalten Arbeitsentgelt nach dem Strafvollzugsgesetz oder gleichgestellte Leistungen erhalten, ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Fotograf. Vom 12. 2. 1991 bis 28. 2. 1992 befand er sich im Maßregelvollzug (§ 64 StGB). Zunächst war er in der Therapie-Station untergebracht und arbeitstherapeutisch eingesetzt. Nachdem sich sein Gesundheitszustand weitestgehend stabilisiert hatte, wurde er Anfang September 1991 mit der Einrichtung und Führung eines Fotolabors beauftragt. Dabei handelte es sich um eine Belastungserprobung, die der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben diente. Während der Führung des Fotolabors wirkte er an der Herstellung von Prospektmaterial, Kalendern und einer Bilddokumentation für die Klinik sowie in der Redaktion der Klinikzeitschrift mit. Seine Arbeitszeit betrug nunmehr sechs Stunden täglich. Die Teilnahme an der Gruppentherapie nachmittags entfiel. Außerhalb der Arbeitsstunden hatte der Kl. Ausgang. Er erhielt eine durchschnittliche Arbeitsbelohnung von ca. 180 DM monatlich. Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht entrichtet. Ab 1. 3. 1992 war er vom Maßregelvollzug beurlaubt. Vom 1. 4. bis 30. 6. 1992 war der Kl. als technischer Assistent bei der Firma H gegen ein monatliches Entgelt von 3000 DM brutto zur Probe beschäftigt. Danach meldete er sich am 8. 7. 1992 arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe. Diesen Antrag lehnte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Bescheid vom 29. 7. 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. 5. 1993 ab. Mit seiner Klage begehrte der Kl. Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 8. 7. bis 7. 8. 1992. Das SG gab seiner Klage statt, das LSG wies die Berufung der BA zurück.

Deren Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die Revision der BA ist begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht auf einer Verletzung des § 168 III 1 AFG. Der Kl. unterlag während des Maßregelvollzugs nicht der Beitragspflicht, so daß die Anspruchsvoraussetzungen des § 134 I 1 Nr. 4 lit.b AFG für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe vom 8. 7. bis 7. 8. 1992 nicht erfüllt ist.

1. Nach § 134 I 1 Nr. 4 lit.b AFG hat einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nur, wer mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen kann. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat der Kl. lediglich in der Zeit vom 1. 4. bis 30. 6. 1992 eine Beschäftigung als technischer Assistent beitragspflichtig ausgeübt. Zu Unrecht ist das LSG davon ausgegangen, der Kl. sei während seiner Unterbringung als Gefangener i.S. des § 168 III AFG jedenfalls ab 1. 1. 1992 bei der Einrichtung bzw. Führung des Fotolabors sowie der Mitarbeit an der Klinikzeitschrift beitragspflichtig gewesen. Eine solche Beitragspflicht hätte zwar nach § 107 S. 1 Nr. 6 AFG einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichgestanden. Die Merkmale für die Beitragspflicht Gefangener sind aber nicht erfüllt bei Gefangenen, die auf der Grundlage des § 64 StGB im Maßregelvollzug nach landesrechtlichen Vorschriften in einer Entziehungsanstalt untergebracht sind.

2. Beitragspflichtig sind Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45 , 176 und 177 StVollzG) erhalten oder Ausbildungsbeihilfe nur wegen des Vorrangs der Berufsaufbildungsbeihilfe nach § 40 AFG nicht erhalten, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften beitragspflichtig oder nach § 169c Nrn. 1, 2 oder 3 AFG beitragsfrei sind (§ 168 III 1 AFG). Die Fassung der Vorschrift geht auf das Rentenreformgesetz (RRG) 1992 vom 18. 12. 1989 (BGBl I, 2261) zurück und ist am 1. 1. 1992 in Kraft getreten. Inhaltlich hat sie keine Neuerungen erbracht, denn zuvor enthielt § 168 IIIa AFG i.d.F. des § 194 Nr. 5 StVollzG vom 16. 3. 1976 (BGBl I, 5819) eine gleichlautende Regelung. Die nunmehr § 168 III 3 AFG zu entnehmende Begriffsbestimmung des Gefangenen, die auch im Maßregelvollzug untergebrachte Personen umfaßt, war zuvor der gleichsinnigen Regelung des § 163a RVO i.d.F. des § 190 Nr. 1 StVollzG zu entnehmen. Daß § 163a RVO nicht in Kraft getreten ist, weil § 198 III StVollzG ihr Inkrafttreten einem besonderen Bundesgesetz vorbehielt, kann hier auf sich beruhen. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Kl. während seiner Unterbringung vom 12. 2. 1991 bis 28. 2. 192 Gefangener i.S. des § 168 III AFG war.

2.1 Die Beitragspflicht nach dieser Vorschrift tritt aber nur ein, wenn der Gefangene Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG erhält - die übrigen Voraussetzungen der Beitragspflicht kommen hier ohnehin nicht in Betracht. Der Klammerzusatz mit dem Hinweis auf Vorschriften des Strafvollzuggesetzes begrenzt die Beitragspflicht von Gefangenen. Dieses vom Wortlaut des Gesetzes nahegelegte Verständnis wird durch die Gesetzesmaterialien zum Strafvollzuggesetzes bestätigt und im Schrifttum geteilt. In der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Dr 7/918, S. 106) heißt es: „Die Gefangenen, die Arbeitsentgelt ... nach den §§ 40 bis 42 dieses Entwurfs erhalten, (werden) in die Beitragspflicht nach dem Arbeitsförderungsgesetz ... einbezogen“. Dementsprechend geht das Schrifttum davon aus, nur ein nach § 43 StVollzG gezahltes Arbeitsentgelt begründe die Beitragspflicht (Matzke, in: Schwing/Böhm, StVollzG, 2. Aufl. (1991), § 194 Rdnr. 6; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 4. Aufl. (1986), § 194 Rdnr. 6; Mrozynski, ZfStrVo 1986, 288 (289); Mrozynski, SGb 1990, 315 Fußn. 2; a.A. wohl: Volckart, Maßregelvollzug, 4. Aufl. (1997), S. 92f.). Da der Kl. nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht war, war die Vorschrift des § 43 StVollzG über das Arbeitsentgelt für ihn nicht einschlägig. Dies ergibt sich aus § 138 I StVollzG, wonach sich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt nach Landesrecht richtet, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Die entsprechende Anwendung von Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes ordnet § 138 II StVollzG für diesen Sachbereich nur begrenzt an. Die Regelung über das Arbeitsentgelt des § 43 StVollzG umfaßt diese Verweisung gerade nicht. Da der Kl. während seiner Unterbringung nicht Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG bezogen hat, ist der Tatbestand der Beitragspflicht nach § 168 III (früher: IIIa) AFG nicht erfüllt.

2.2 Zu Unrecht hat das LSG aus tatsächlichen Umständen wie der Art der Beschäftigung und der vom Kl. erbrachten Arbeitsleistung hergeleitet, die ihm gezahlte Arbeitsbelohnung sei einem Arbeitsentgelt i.S. des § 168 III AFG i.V. mit § 12 I NWMRVG gleichzustellen. Die Beschäftigung nach Landesrecht im Maßregelvollzug Untergebrachter ist arbeitstherapeutisch bestimmt; sie dient nicht dem Austausch von fremdnütziger Arbeit und Arbeitsentgelt (dazu eingehend: BSG, SozR 4100 § 101 Nr. 7). Als freiheitsbeschränkende Maßnahme ist sie durch ein bestimmtes Maßnahmeziel (Besserung oder Sicherung; Eingliederung) und einen darauf gerichteten Behandlungsplan gekennzeichnet. Ihr Vollzug ist gesetzlich geregelt. Für den Einsatz im Rahmen der Arbeitstherapie sieht § 12 I MRVG ausschließlich eine Arbeitsbelohnung vor, die vom Träger der Einrichtung unter Berücksichtigung des Arbeitsergebnisses und der Verwertbarkeit festzusetzen ist. Eine Qualifizierung im Rahmen der Arbeitstherapie erbrachter Leistungen Untergebrachter durch Einzugsstelle, Sozialleistungsträger oder Sozialgerichte als Arbeit, die ein Arbeitsentgelt rechtfertigt, würde Aufgaben und Zuständigkeiten des Maßregelvollzugs nicht gerecht. Dieser wird inhaltlich durch den Behandlungsplan bestimmt. Zwar kann es je nach Behandlungsstadium oder Behandlungserfolg zu einer Annäherung des in der Arbeitstherapie Geleisteten an „regelrechte Arbeit" kommen. Die Entscheidung darüber, ob dem Untergebrachten Arbeitsbelohnung oder Arbeitsentgelt i.S. des § 12 I MRVG zu zahlen ist, hat der Träger der Einrichtung zu treffen. Dabei sind Untergebrachte Entscheidungen der Vollzugsanstalten nicht etwa wehrlos ausgeliefert (dahingehende Befürchtungen sind in dem Urt. des LSG Baden-Württemberg v. 7. 5. 1993 - L 4 kr 766/90 angedeutet). Für den Maßregelvollzug - auch nach Landesrecht - ist Rechtsschutz in gleichem Umfang wie während der Strafvollstrekung durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung der StVK gewährleistet (§§ 138 II, 108ff. StVollzG). Die besondere Zuständigkeit der StVK für die Regelung einzelner Angelegenheiten im Bereich des Maßregelvollzugs spricht dagegen, sie als rechtliche Vorfragen im Bereich des Sozialrechts durch die dort zuständigen Behörden und Gerichte überprüfen zu lassen. Der Entscheidung des Trägers der Einrichtung über Arbeitsbelohnung oder Arbeitsentgelt für eine während des Maßregelvollzuges verrichtete Tätigkeit kommt Tatbestandswirkung für Einzugsstelle, Sozialleistungsträger und Sozialgerichte zu. Andernfalls wären divergierenden Entscheidungen kaum zu vermeiden, zumal eine Abgrenzung zwischen Arbeitstherapie und Lohnarbeit wegen fließender Übergänge und der Eigenart von Prognosen mit großer Unsicherheit belastet ist (vgl. dazu: Volckart, S. 87f.). Unentschieden kann bleiben, ob die Tatbestandswirkung der Entscheidung über Arbeitsbelohnung und Arbeitsentgelt aus einer rechtsgestaltenden Wirkung dieser Entscheidung oder dem Sinn der Regelungen des Maßregelvollzugs herzuleiten ist (zu den Möglichkeiten der Begründung einer Tatbestandswirkung BSGE 70, 51 (53f.) = NZA 1992, 714 = SozR 3-4100 § 118 Nr. 3; BSG, SozR 3-4100 § 62a Nr. 1; BVerwGE 66, 312 (319ff.) = NVwZ 1983, 283). Für die zweite Begründung spricht, daß die Entscheidung im Rahmen des Behandlungs- und Eingliederungsplans nach § 14 NW MRVG zu sehen ist.

2.3 Die Annahme, der Gesetzgeber habe die beitragsrechtliche Stellung im Maßregelvollzug untergebrachter Personen (§§ 63 , 64 StGB) übersehen (so Mrozynski, SGb 1990, 315) wird durch die Begründung des Strafvollzugsgesetzes widerlegt. Eine planwidrige Unvollständigkeit (Gesetzeslücke), die Anlaß zu richterlicher Rechtsfortbildung geben kann (dazu: BSG, SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 8 m.w. Nachw.), liegt nicht vor. Der Gesetzgeber hat den Maßregelvollzug bewußt weitgehend landesrechtlichen Regelungen überlassen. Er hielt das „Modell der Rechtsstellung des Gefangenen“ in Justizvollzugsanstalten nicht für voll übertragbar, weil die in psychiatrischen Krankenanstalten und Erziehungsanstalten Untergebrachten „im wesentlichen nicht anders als die Patienten dieser Anstalten behandelt werden können“ (BT-Dr 7/918, S. 90). Die Fassung des § 168 III AFG beruht mithin auf der Absicht, die Beitragspflicht auf Gefangene in Justizvollzugsanstalten zu beschränken.

3. Der Einsatz des Kl. als Fotograf während des Maßregelvollzugs bis einschließlich Februar 1992 begründet auch nicht die Beitragspflicht nach der allgemeinen Vorschrift des § 168 I AFG. Danach sind Personen beitragspflichtig, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer), soweit sie nicht nach besonderen Vorschriften beitragsfrei sind.

3.1 Gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Gefangene i.S. des § 168 III 3 AFG spricht, daß der Gesetzgeber Anlaß gesehen hat, für Gefangene Spezialvorschriften über die Versicherungs- oder Beitragspflicht (§§ 190ff. StVollzG; § 168 III AFG) bzw. den Versicherungsschutz während Freiheitsentziehungen (§ 2 II SGB - Unfallversicherung) zu erlassen. Zu solchen Regelungen bestände kein Anlaß, wenn sich eine Beitragspflicht Gefangener bereits aus den allgemeinen Vorschriften herleiten ließe.

3.2 Die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht nach § 168 I AFG hat der Kl. während seines Einsatzes als Fotograf im Maßregelvollzug nicht erfüllt. Während dieser Zeit war er nicht als Arbeitnehmer gegen Entgelt, sondern auf strafrichterliche Anordnung im Rahmen der Arbeitstherapie nach einem Behandlungsplan eingesetzt. Unabhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung dieses Sonderrechtsverhältnisses fehlt der Beschäftigung von im Maßregelvollzug untergebrachten Gefangenen das Merkmal des „freien Austausches von Lohn und Arbeit“, welches die Beitragspflicht begründende Beschäftigungsverhältnisse kennzeichnet (BSGE 27, 197 (198ff.) = NJW 1968, 1158 = SozR Nr. 54 zu § 165 RVO; BSG, SozR 4100 § 101 Nr. 7). Dieses Merkmal ist zwar bei einem Freigänger außerhalb des Vollzugs gegeben (dazu BSGE 67, 268 (271) = NZA 1991, 282 = SozR 3-4100 § 103 Nr. 2). Der Kl. ist aber bis zu seiner Beurlaubung ab 1. 3. 1992 nicht außerhalb der Anstalt und unabhängig vom Behandlungsplan beschäftigt gewesen. Das LSG ist davon ausgegangen, der Kl. habe als Fotograf eine Arbeitsleistung erbracht, so daß die Arbeitsbelohnung als Arbeitsentgelt anzusehen sei. Zwar ist für die Feststellung von die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnissen i.S. der §§ 168 I , 173a AFG, § 7 SGB IV und eines Arbeitsentgelts i.S. der §§ 168 I , 173a AFG, § 14 SGB IV auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht aber die Wortwahl zur Regelung des Rechtsverhältnisses abzustellen. Diese Betrachtungsweise setzt aber ein „wirtschaftliches Austauschverhältnis“ (BSG, SozR 4100 § 101 Nr. 7) voraus, das bei arbeitstherapeutischer Beschäftigung im Rahmen eines Behandlungsplans nicht gegeben ist. Die Beschäftigung ist nicht auf den Erwerb von Arbeitsentgelt, sondern auf ein Behandlungsziel gerichtet, dem die Unterordnung unter einen Behandlungsplan dient (LSG Nordrhein-Westfalen, RuPsych 1995, 76; SG Mannheim, Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung 1990, 174 (178)). Auch wenn die Arbeitsleistung dem Maßnahmeziel der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nahekommt, bleibt der Therapiegedanke für die beitragsrechtliche Beurteilung bestimmend. Dieser Umstand ist auch geeignet, das Verhältnis zwischen der vom LSG angenommenen Arbeitsleistung und der Höhe der ihm gewährten Arbeitsbelohnung zu erklären. Die Ansicht des LSG, die Lohnhöhe sei für die Annahme von Beschäftigungsverhältnissen unerheblich, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu (zur Bedeutung von Art und Umfang gewährter Leistungen für die Feststellung von Beschäftigungsverhältnissen vgl. BSG, SozR 4100 § 101 Nr. 7 m.w. Nachw.).

3.3 Für den Maßregelvollzug, in welchem eine Arbeitspflicht des Gefangenen nicht besteht, wird die Ansicht vertreten, die tatsächlichen Verhältnisse einer Beschäftigung könnten so beschaffen sein, daß von einem Beschäftigungsverhältnis i.S. des § 7 SGB IV auszugehen sei (Mrozynski, SGb 1990, 315 (319)). Diese Ansicht verkennt den Zweck des Maßregelvollzugs, der durch ein Behandlungsziel und einen darauf ausgerichteten Behandlungsplan bestimmt wird. Sie verkennt im übrigen, daß nicht das Bestehen einer Arbeitspflicht während des Maßregelvollzugs, sondern die auf strafrichterliche Entscheidung nach §§ 63 , 64 StGB zurückgehende hoheitliche Anordnung der Maßregel der Umstand ist, welcher die Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses ausschließt. Das zeigt gerade das Beispiel des Freigängers, der zwar während des Strafvollzugs, aber nicht im Rahmen des Strafvollzugs ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, das durch den freien Austausch von Lohn und Arbeit gekennzeichnet ist.

4. Die hier vertretene Ansicht berührt sich mit der Rechtsprechung des BAG, die Klagen auf Arbeitsentgelt von Strafgefangenen für während der Gefangenschaft geleistete Arbeit für unzulässig hält, weil es sich nicht um Ansprüche aus einem Arbeits- sondern einen öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnis handele (BSGE 22, 1 (5) = NJW 1969, 1824; BAGE 53, 336 (340ff.) = NJW 1987, 2399 L = NStZ 1987, 575 L). Hiergegen läßt sich nicht mit Erfolg einwenden, diese Argumentation beruhe auf der durch verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerfGE 33, 1ff. = NJW 1972, 811) überholte Vorstellung vom „besonderen Gewaltverhältnis“ (so Mrozynski SGb 1990, 315 (316)). Jene Rechtsprechung besagt nur, daß Freiheitsbeschränkungen in öffentlich-rechtlichen Sonderrechtsbeziehungen ohne gesetzliche Grundlage verfassungsrechtlich ausgeschlossen sind. Die Sonderrechtsbeziehung im Maßregelvollzug Untergebrachter wird aber nunmehr durch spezielle gesetzliche Regelungen bestimmt, die eine eigenständige Beurteilung von Beschäftigungen im Maßregelvollzug nach den Grundsätzen ausschließt, die für das frei begründete Beschäftigungsverhältnis gelten. Die tatsächlichen Umstände, die für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses i.S. des § 7 SGB IV und des Arbeitsentgeltes i.S. des § 14 SGB IV gelten, sind nicht maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob ein Gefangener Arbeitsentgelt i.S. des § 168 III AFG erhalten hat und damit beitragspflichtig war. Insoweit folgt das Sozialrecht den im Maßregelvollzug getroffenen Regelungen, ohne die vom Untergebrachten im Vollzug erbrachten Leistungen eigenständig zu beurteilen (a.A. Mrozynski, ZfStrVo 1986, 288 (290), der für eine eigenständige Beurteilung von „Vollzugsrechtsverhältnis“ und „Sozialrechtsverhältnis“ eintritt).

5. Die Regelungen der Beitragspflicht sind unter Gesichtspunkten der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 I GG) nicht zu beanstanden.

5.1 Die Entscheidung über die Beitragspflicht Gefangener ist dem Gesetzgeber vorbehalten (BSGE 61, 62 (66) = NJW 1987, 381 = SozR 2200 § 216 Nr. 9; BSGE 67, 269 (270) = NZA 1991, 282 = SozR 3-4100 § 103 Nr. 2). Der Schutz Gefangener in den sozialen Versicherungssystemen ist - wie gerade die §§ 190f. StVollzG zeigen - bis jetzt bruchstückhaft geblieben. Das BSG hat bereits entschieden, daß dieser Rechtszustand nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz zu beseitigen ist (BSG, NJW 1989, 190 = SozR 2200 § 1246 Nr. 157).

5.2 Dies gilt auch für die Unterscheidung hinsichtlich der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung zwischen Gefangenen in Justizvollzugsanstalten und Gefangenen in psychiatrischen Kliniken (§ 63 StGB) und Entziehungsanstalten (§ 64 StGB). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht gerade darin, „diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will“ (BVerfGE 90, 226 (239) = NJW 1994, 2346 = NZS 1994, 419 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6; BSGE 76, 224 (227) = SozR 3-8120 Kap. VIII E III Nr. 5, Nr. 4 m.w. Nachw.). Maßgebend für die Regelung der Beitragspflicht ist nicht der Status eines Gefangenen oder das Bestehen von Arbeitspflicht, sondern die Unterbringung in psychiatrischen Kliniken oder Entziehungsanstalten. Dies ist sachlich begründet, weil es sich bei diesen Personen typischerweise um Kranke oder Süchtige handelt (Mrozynski, ZfStrVo 1986, 288 (289); Mrozynski, SGb 1990, 315 (318)). Sie unterliegen deshalb einem Behandlungsplan, der den Vollzug der Maßregel auch hinsichtlich ihres Arbeitseinsatzes bestimmt. Gerade weil die Arbeitsleistung Kranker und Süchtiger schwankend ist, läßt sie sich während der Arbeitstherapie nur schwer feststellen. Insofern bestehen typischerweise Unterschiede zu Gefangenen in Justizvollzugsanstalten. Im übrigen sind für die Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber der Beitragspflicht von Personen, die im Maßregelvollzug arbeitstherapeutisch behandelt werden, Kostengesichtspunkte maßgebend. Fragen der Finanzierung sind aber bei der differenzierenden Gestaltung von Sozialleistungen und deren Voraussetzungen als sachgerechte und gewichtige Erwägungen zu berücksichtigen (BSGE 56, 90 = SozR 3800 § 10 Nr. 1; BSGE 76, 224 (232) = SozR 3-8120 Kap. VIII E III Nr. 5, Nr. 4).

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ab 8. 7. 1992 sind danach nicht gegeben, so daß die Urteile der Vorinstanzen auf die Revision der BA aufzuheben sind und die Klage abzuweisen ist.

Vorinstanzen

LSG Essen

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht

Normen

StVollzG §§ 41, 43, 130, 138 I, II; AFG § 134 I Nr. 4 lit.a, 168 I 3; GG Art. 3 I, § 12 I; NWMRVG